DETAILS
Fangen wir mit ein paar grundlegenden Möglichkeiten an:
1. Spielen in einer sehr weit entfernten Tonart
Stellen wir uns vor, unser Stück bewegt sich in C-Dur bzw. Am. Die passende „Inside-Scale“ sieht so aus:
C D E F G A B C
All diese Töne sind „Inside“. Demnach sind alle nicht in C-Dur Enthaltenen „outside“ – doch welche Töne bleiben übrig?
Richtig:
C# D# F# G# A#
Und was ist das, wenn wir uns als Anfangston das F# denken? Na, die F# Dur Pentatonik:
F# G# A# C# D#
Demzufolge wäre die F# – Dur Penta schon mal ein möglicher Kandidat, um die Ursprungstonart weiträumig zu „umfahren“.
Natürlich haben wir noch andere Optionen.
Sehr weit entfernt liegen auch die Tonarten einen Halbton über oder unter der Ausgangstonart – sprich B-Dur/G#m Penta:
Oder auch Db-Dur/Bbm Penta
Wie ihr seht, haben diese Tonarten nur einen gemeinsamen Ton zu C- Dur. Betrachten wir unsere Möglichkeiten absolut in Stufen, so erhalten wir:
Tonart des Stücks: | Penta auf Stufe: |
---|---|
immer die I | #IV |
I | bII |
I | VII |
So weit, so out, aber alleine diese Information wird uns nicht glücklich machen, denn wenn ihr „einfach mal so“ in diese Tonarten geht, werdet ihr merken, dass es möglicherweise noch nicht den gewünschten Effekt hat – oder anders gesagt, ziemlich daneben klingen kann. Und zwar im schlechtesten Sinne des Wortes.
Eine Grundregel des In/Out-Spielens muss immer heißen: Es ist wichtig, wie und wann ich die Tonart verlasse und wie und wann ich wieder „In“ gehe – bzw. die Spannung wieder auflöse. Denn eine Melodielinie, die ins tonale Nirwana führt, wird vom Zuhörer nicht akzeptiert und als falsch verstanden werden.
Vielleicht ist euch schon aufgefallen, dass sich in der Musikform vieles um die Zahl „Vier“ dreht – die meisten Stücke sind im 4/4tel Takt geschrieben und die Formteile oft ein Vielfaches von vier z.B. 16 Takte Strophe, 8 Takte Refrain etc…
Sicherlich wisst ihr, dass es innerhalb eines Taktes schwere und leichte Zählzeiten gibt – so ist z.B. die 1 und 3 von der Gewichtung eher stark (Downbeats) und die 2 und 4 eher leicht (also die Offbeats). Und genau so verhält es sich auch bei kompletten Taktformen. In einer viertaktigen Phase sind der erste und dritte Takt schwer, der zweite und vierte leicht. z.B.:
||: Cmaj7 | Cmaj7 |Cmaj7 | Cmaj7 :||
schwer leicht schwer leicht
Für dich ausgesucht
Am Anfang der Inside-/Outside-Karriere“erzielt man die besten Effekte, wenn man die leichten Takte benutzt, um „out“ zu gehen, um danach wieder auf einem schweren Takt „in“ zu sein – z.B.:
||: Cmaj7 | Cmaj7 | Cmaj7 | Cmaj7 :||
in in in out
bzw:
||: C-Dur | | | F#-Dur Penta :||
Db-Dur Penta
B-Dur Penta
Das kann dann so klingen:
Im Folgenden möchte ich euch ein kleines Notenbeispiel an die Hand geben, das zeigt, wie man Solophrasen In und Out gestalten kann:
Probiert es selbst einmal:
Quintenzirkel
Noch eine kleine Anmerkung zum Thema „weit entfernte Tonarten“:
Wenn ihr euch den Quintenzirkel vorstellt, erkennt ihr: Je näher die Tonarten (optisch) zueinander stehen, desto stärker sind sie verwandt, je weiter sie auseinanderliegen (das heißt also gegenüber im Kreis), desto weniger gemeinsame Töne haben sie.
Und die Grafik als PDF zum Downloaden und Ausdrucken:
2. Dominant-Insertionen
Puuuh …, was für ein Wort. Aber keine Angst, das ist nicht die Diagnose eines Internisten, sondern lediglich eine weit verbreitete Möglichkeit, eine Akkordfolge mit zusätzlichen „Phantom-Akkorden“ zu erweitern. Ich denke mir also quasi einen Akkord, der zu unserer Tonart hinführt – also die Funktion einer Dominante übernimmt. Diese wird zwar im Playback nicht gespielt, trotzdem spiele ich sie aber in meiner Improvisation aus.
In der Praxis stellt sich das Ganze folgendermaßen dar:
Unser Playback ist
||: Dm7 | Dm7 | Dm7 | Dm7 :||
Wir sind also in Dm zu Hause – unsere Dominante wäre dementsprechend das A7 – die spielt aber keiner? – doch und zwar der Solist – im Takt 4. Solospieler:
||: Dm | Dm | Dm | A7alt :||
Wie wir ein A7alt mit der Penta ausspielen können, wissen wir ja bereits:
A7 alt: Cm Penta
Gm7b5 Penta
C# maj7#5#11 Penta
Eine weitere Möglichkeit wäre auch noch, sich eine komplette Kadenz zu denken, die zur I führt, nämlich eine II – V Verbindung. In unsrem konkreten Fall hieße das also:
Em7/b5 – A7alt – Dm7
Somit wäre unser Gedankenmodell über dem Dm-Groove:
||: Dm | Dm | Dm | Em7b5 A7alt :||
Für den E-Halbvermindert haben wir als mögliche Pentas:
Em7b5: Am7 Penta
Em7b5 Penta
Bbmaj7#5#11 Penta
Das könnte dann so klingen:
Und hier für Euch das Ganze zum Jammen:
Über Dominantgrooves funktioniert das ganz ähnlich: Stellen wir uns folgenden Groove auf G7 vor:
||: G7 | G7 | G7 | G7 :||
Hier haben wir folgende Möglichkeiten:
||: G7 | G7 | G7 | D7 (alt) :||
Unseren D7 können wir nun mixolydisch ausspielen oder alteriert, da er uns ja nach G7 – also zu einem Durakkord führen soll:
D7: für mixolydisch: F#mb5 Penta
für alteriert: Fm Penta
Cm7b5 Penta
F#maj7#5#11 Penta
Auch hier können wir uns wieder eine komplette II – V – I nach G denken und diese dann ausspielen. Das wäre in diesem Fall Am7 – D7 – G7 Konkret hieße das:
||: G7 | G7 | G7 |Am7 D7 (alt) :||
Auch hier würde ich versuchen, den Am7 so deutlich wie möglich herauszuarbeiten – nämlich mit der Am Penta. Die Variante für eine Dominante nach G könnte der Dominantseptakkord einen Ganzton tiefer sein – also F7, sodass unser imaginäres Solosheet so aussehen würde:
||: G7 | G7 | G7 | F7 :||
Den F7 können wir als mixolydisch oder mixo #11 interpretieren. Das hieße:
F7: für mixo: Am7b5 Penta
für mixo#11: Ebmaj7#5#11 Penta
Probiert die Varianten mal aus: Hier ein Beispiel von mir:
Und das Playback für Euch:
3. Chromatisches Verschieben von Pattern und Sequenzen
Verglichen mit den ersten beiden ist diese Methode relativ einfach – aber nicht weniger wirkungsvoll. Im Prinzip können wir uns einen kleinen „Inside“-Melodiebaustein schnappen und diesen dann chromatisch auf- oder abwärts schieben, bis wir wieder auf einem tonleitereigenen Ton landen. Das Schöne ist, dass wir so zusätzlich noch einen kleinen motivischen Charakter in unser Solospiel einbringen.
Hier ein Beispiel:
Gehen wir davon aus, dass wir uns über einem Groove in Am bewegen und unser auserkorener Melodiebaustein folgendermaßen aussieht:
Jetzt verschieben wir ihn chromatisch nach oben:
Und so klingt das Ganze:
Noch ein anderes Beispiel, diesmal abwärts:
Hier das Ausgangsmotiv:
Und die chromatische Verrückung:
Das klingt dann so:
Hier noch einmal das komplette Playback zum „Rumschieben“ für Euch:
So, werte Kollegen, damit sind wir am Ende meiner Workshopreihe über die Pentatonik angelangt. Ich hoffe, sie hat euch genau so viel Spiel-Spaß gebracht wie mir das Schreiben, und ihr konntet eueren Style um weitere interessante Facetten bereichern.
Lasst euch beim Durcharbeiten der sieben Folgen Zeit – da steckt Material drin, an dem man Jahre knabbern kann und auch ich setze mich noch ab und zu hin und mache die im Rahmen des Workshops vorgestellten Übungen. Denn man lernt nie aus – und das gilt ganz besonders für das Musikmachen!
Viel Spaß und viel Erfolg,
Haiko