Praxis
Eine alte, analoge Bandmaschine kommt als Sonderversand, muss an ihre Position manövriert, mit riesigen Kabelbäumen angeschlossen, technisch überprüft und eingemessen werden, ist mit etwas Glück nach etwa einem Tag einsatzbereit und hat sich vielleicht sogar nach nur wenigen Jahren auch finanziell amortisiert. Die VTM ist innerhalb weniger Sekunden auf dem Rechner, muss kurz lizensiert werden und ab geht die Post. Kinderspiel.
Im Default-Set am Input-Gain gedreht, merkt man bei einem einzelnen Signal sofort, was es noch gleich war, das man bei der Arbeit mit einer DAW immer vermisst hat. Die zunehmenden Verzerrungsprodukte sind – wie üblich bei Bandmaschinen – “kubische” Harmonische, also besonders k3. Prügelt man das Signal mit viel zu großem Pegel auf das Band, zeigen sich neben der dritten Harmonischen (die ja musikalisch die Duodezime über dem Grundton ist) auch deutlich k5 und sogar noch k7 und die folgenden ungeraden. Übertreibt man derart, klingt das Signal viel zu hohl – besonders von Natur aus obertonreichen, tonalen Signalen tut es nicht sonderlich gut, so stark getreten zu werden, da ja auch deren Teiltöne wiederum mit zusätzlichen Harmonischen angereichert werden. Schnell sind dann Frequenzverhältnisse entstanden, die keine musikalisch/klanglich nachvollziehbare Beziehung zueinander haben.
Einem dumpfen Bass kann ein zugefügtes reiches und dichtes Spektrum aber sehr gut zu Gesicht stehen, einer absichtlich dick und dreckig gewünschten Bassdrum ebenfalls. Besonders bei Overhead-Mikrofonen fällt noch ein weiterer Zusammenhang auf, den man mit dem Pegel auf die Bandmaschine gerne bewusst regelt: die Kompression. Dieser Effekt ist natürlich technisch eng mit den Verzerrungen verbunden und vor allem in den Höhen interessant – aber auch gefährlich, wenn man es übertreibt. Genau bei diesen Übertreibungen liegt das Problem: Benutzt man die VTM auf Einzelsignalen, ist man verleitet, zu sehr in die Vollen zu greifen und so viel Pegel auf das Band zu drücken, dass es unangenehm wird. Es ist also sinnvoll, wie bei einer “echten” Produktion mit einer Mehrspurmaschine alle Channels mit dem Plug-In auszustatten. Auf einem iMac 2,7 GHz Intel Core i5 hatte ich unter Logic knapp 50% Prozessorauslastung, wenn ich 30 Instanzen im Betrieb hatte (also quasi zwei über LTC gesyncte 16TK). Im Multi-Plug-In-Modus kann mit viel subtileren Einstellungen gefahren werden und natürlich ist das klangliche Ergebnis dadurch deutlich näher an einer klassischen MTK-Produktion, bei der man in erster Linie behutsam gelevelt hat, um nicht bei höheren Pegeln sich im zu geringen Headroom gewissermaßen den Kopf zu stoßen. “Now we´re talking”! Es sei jedem geraten, sich gar nicht erst mit Einzelsignalen abzugeben, sondern viele Instanzen zu nutzen – wenn die Rechenleistung da mitspielt. Und wer möchte, kann dann dank der Guppierungsfunktionen immer noch eingreifen und beispielsweise das Drum-Dirtmike mit einer böse clippenden Maschinenspur zum beißenden Biest machen – ohne dabei befürchten zu müssen, dass man das auf den beiden Nachbarspuren noch hört (obwohl ein regelbares Übersprechen im Slate VTM-Plug natürlich eine verdammt coole Sache wäre).
Bei Bandmaschinen wird vom Sync-Kopf eine Vormagnetisierung namens BIAS genutzt, welche im Hochfrequenzbereich arbeitet und dabei hilft, das Tape halbwegs linear und mit ausreichender Dynamik zu magnetisieren. Durch Variieren der Einstellung bei Slates VTM kann darauf Einfluss genommen werden. Auffälligste Konsequenz: Bei hoher BIAS komprimieren die Höhen stärker – was ein durchaus gewünschter Effekt sein kann.
Dass heutige Plug-Ins den klanglichen Vergleich mit ihren analogen Vorbildern nicht mehr zu scheuen brauchen, ist keine Neuigkeit. Wer sich davon überzeugen will, kann gerne den Vergleichstest zwischen dem Lydkraft Tube-Tech PE-1C und dem Pultec-Plug-In von Softubedurchführen. So zeigt beispielsweise Steven Slates virtuelle Magnetbandmaschine beim Wechsel der Bandlaufgeschwindigkeiten von 38,1 cm/s (15 ips) auf 76,2 cm/s (30 ips), dass die langsamere Vorbeiführung des Bandes am Magnetkopf das Signal ein wenig dicker und weniger klar werden lässt – wie in der Wirklichkeit. Das dann höhere Rauschen bekommt man ja dank des Reglers ganz einfach in den Griff. Sogar der Unterschied zwischen den beiden verbreitetsten Bandtypen wird deutlich: Das GP9 ist kristalliner und aggressiver als das 456, klingt aber in der Sättigung schnell hohler.
Das Rauschen klingt vor allem bei 15 ips hervorragend und dies besonders dann, wenn man mehrere Instanzen im Multitrack-Mode benutzt. In den Regler, der das Noise-Level steuert, habe ich mich geradezu verliebt, denn der Noise-Floor gibt ja auch so etwas wie ein “Bett” für die Signale und verbessert ihren Zusammenhalt. Ich muss aber gerade in der Praxis bemängeln, dass ich Noise, Hiss Automute und Bass Alignment nicht separat in jeder Plug-In-Instanz steuern kann, denn genau das würde ich gerne tun – der dann notwendige Workaround mit Freezing oder Bouncing einzelner Tracks ist nicht gerade “convenient”. Die Gleichlaufschwankungen sind im Preset auf 25% eingestellt, was ein absolut sinnvoller Ausgangswert ist. Dreht man sie weiter hinein, stellt man fest, dass es eher “Wow” und weniger “Flutter” ist.
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Die Hauptmodulation liegt nach meiner Beobachtung bei etwa 2 oder 3 Hz, hochfrequentere Schwankungen sind nur sehr gering. Zum Glück, denn diese (und die bei hohen Modulationsfrequenzen zunehmende Rauigkeit des Signals) wird doch hoffentlich nun wirklich keiner vermissen. Die Schwankungen bleiben natürlich über die ganze Produktion insgesamt gleichartig. Zwar kann man Kompromisslosigkeit fordern, doch ganz im Ernst: Was würde es bringen, wenn sogar noch Schlupf, magnetische Erscheinungen wie Vor- oder Nachechos und dergleichen implementiert würden? Dann müssten Slate Digital auch hingehen und dafür sorgen, dass Spuren mit SMPTE und anderen Signalen übersprechen, je nach Geschwindigkeit nach ein paar Minuten das Tape zu Ende ist oder die VTM einfach mal mitten in der Produktion kaputt geht… Worauf ich hinaus will: Die Bandmaschinen-Emulation ist zwar nicht absolut “echt”, was ihre Einstellmöglichkeiten angeht, doch der Sound ist es. Auf diesen kommt es ja auch an und die Variationsmöglichkeiten der Virtual Tape Machine sind allemal ausreichend.
Es profitieren übrigens nicht nur die üblichen Verdächtigen vom Bandmaschinensound, also Jazz-, Rock- und Pop-Produktionen, auch und gerade elektronischer Musik kann eine gewisse “Größe” gegeben werden, besonders, wenn dort doch einzelne Signale bearbeitet werden (frühere Produktionen liefen in Ermangelung ausreichend vieler Spuren oft direkt aus Synth/Sampler/Drumcomputer durch das Pult auf die Mastermaschine!). Unter der Gefahr, hier sehr eso-mäßig rüberzukommen: Die beste Arbeit macht die VTM an der Wahrnehmungsschwelle. Fast schon sublime Veränderungen geben dem Hörer das Gefühl, es mit einer “richtigen” Produktion zu tun zu haben, deren Tracking eine der altehrwürdigen MTKs übernommen hat. Es geht etwas mehr um Feeling als um Sound, es ist das besagte Kleinvieh, das Mist macht. Der ein- oder andere Leser ahnt es vielleicht schon, dass ja jetzt eigentlich noch ein analoges Großpult ins Spiel kommen müsste. Nun, Slate Digital hat mit dem VCC auch ein entsprechendes Plug-In im Programm…
Hier könnte ihr alle Audiofiles im Wave-Format herunterladen:
Marc Dobler sagt:
#1 - 23.11.2012 um 14:31 Uhr
Ich hätte mir das Plugin schon gekauft als es vor ein paar Monaten released wurde, wenn da nicht dieser unsäglich veraltete iLok-Mist wäre...
mik sagt:
#2 - 18.12.2012 um 13:23 Uhr
Mich würde interessieren, wie sich das Plug-In im Vergleich zum erwähnten UAD-Gegenstück schlägt. Hat da jemand schon einen Eindruck gewinnen können?