Erst letztlich hatte ich mit einem Bekannten, der 3D-Designer ist, eine Diskussion über die Gefährlichkeit von Render-Grafiken in der Werbung. Vornehmlich ging es dabei um “Custom-Produkte”, die über das Netz am heimischen Rechner designed und bestellt werden können, um dann einige Tage später frisch produziert zuhause per Post einzutreffen. Was aber, wenn die Computer-Grafiken zu sehr vom Original abweichen und der Artikel nicht mehr gefällt? Darf ich das Produkt dann zurückgeben? Schwieriges Thema und besonders gefährlich für kleine Firmen. Ich plädiere deshalb für die gute alte Real-Fotografie!
Was hat das Ganze aber mit einem Reverb zu tun, fragt sich jetzt vielleicht der eine oder andere? Nun, bei vorliegendem Testobjekt sind die Computerbilder der Werbung dermaßen „real“ geworden, dass ich zu Beginn des Tests unbedarft ein Hardware-Reverb bzw. einen Controller erwartet hatte – und nicht einen Installer mit Serial. Okay, bei dem Blick auf den kleinen Preis und bei Berücksichtigung des übrigen Softube-Portfolios hätte man stutzig werden können – aber Überraschungen kann es doch auch mal geben, oder?
Der Softube TSAR-1 ist also “nur” ein Software-PlugIn mit fotorealistischem GUI, das entgegen der jungen Firmentradition keine real existierende Hardware emuliert (FET Compressor, Passive-Active Pack, Tube-Tech PE 1C, Tonelux Tilt Native), sondern die erste Entwicklung eines eigenständigen, algorithmischen Hall- Prozessors darstellt. Der Clou an diesem Reverb: Wenige Parameter, schlichte Optik und kurze Workflows sollen die eigene Kreativität beim Raumdesign fördern, anstatt den Geist mit Preset-Surfen zu verblöden. Na das schauen wir uns doch mal genauer an!
Der TSAR-1 aus dem Hause Softube ist ein algorithmisches Hall-PlugIn für das VST-, AU- und RTAS-Format und läuft sowohl auf dem Mac als auch unter Windows.
Algorithmisch bedeutet das, dass von den eingestellten Parametern ausgehend unterschiedliche mathematische Formeln zur Modellierung eines Raumklangs genutzt werden. Das fängt bei einfachen Delays zur Simulation der Early Reflections an und endet bei komplexeren Berechnungen zur Zersplitterung und Brechung des Sounds an den “virtuellen Wänden” zur Erzeugung authentischer Hall-Fahnen bzw. -Wolken.
Die Softube-Kreation, welche optisch durchaus mit echter Hardware zu verwechseln ist, ist zwar ein wenig verspielt geraten, dennoch aber sehr logisch aufgebaut. Das ist eindeutig dem Firmenhintergrund geschuldet, denn bisher hatte man sich vor allem der Emulation echter Analog-Schätzchen angenommen, und solche PlugIns werden nun einmal standesgemäß mit einem fotorealistischen GUI versehen. Das ist Geschmackssache, nicht jedermanns Ding und bei einer Neuentwicklung auch durchaus hinterfragbar, aber nun gut.
Folgende Parameter sind eindeutig zu erkennen und – von links nach rechts – den Fadern und folgenden Funktionen zugeordnet:
Fader 1: Das Predelay steuert die Verzögerung zwischen dem trockenem Signal und der Hallfahne und kann bei größeren Werten auch als Effekt (“Slap Back Echo”) benutzt werden.
Fader 2: Steuert mit Time die Nachhallzeit, also die Zeit, bis der Nachhall ein gewisses Maß an Energie verloren hat, was in der Realität vielen reflektierenden Flächen entsprechen würde. Wird im Allgemeinen auch mit Länge bzw. RT60 bezeichnet und ist maßgeblich am Klang des Endresultates beteiligt.
Fader 3:Der Density (von Sparse zu Low bis High) Parameter sorgt für die Dichte der entstehenden Wolke, erhöht also die Anzahl der Reflexion im Zeitbereich, wodurch diese enger beieinander liegen, was den Eindruck eines kleineren Raumes erweckt. Das Gegenteil kennt man von Flatter-Echos, die quasi ein 0% Density Reverb darstellen.
Fader 4: Der Tone-Regler, wer hätte es gedacht, stimmt den Nachhall heller oder dunkler, indem die entsprechenden Frequenzbereiche einen betont längeren Nachhall erhalten. Der Effekt hält sich in Grenzen und wird vor allem durch das nachgeschaltete High-Cut maßgeblich beeinflusst.
Fader 5: High-Cut steuert die obere Einsatzfrequenz des globalen Low-Pass-Filters und wirkt dabei sowohl auf die Hallfahne als auch auf die ersten Reflexionen.
Über den virtuellen Fadern befindet sich das “Display”, welches neben vollen Parameternamen der Bedienelemente auch deren aktuellen Wert sowie in Klammern den zuletzt eingestellten Wert visualisiert. Besonders praktisch ist dabei die Funktion für den A/B-Vergleich unterschiedlicher Reglerwerte geraten: Mit einem Klick auf den entsprechenden Parameter im Display stellt sich der zuletzt verwendete und in Klammern dargestellte Wert ein. Ein weiterer Klick schaltet wieder auf den vorhergehenden Wert um, usw. Für eine grobe Pegelkontrolle stehen zusätzlich links und rechts kleine Ein- und Ausgangs-Levelanzeigen zur Verfügung, die auch über eine Overload-Anzeige verfügen.
Oberhalb des Displays befinden sich weitere Regler, die von korrespondierenden Lämpchen flankiert werden. Auch hier gehen wir wieder der Reihe nach vor, von links nach rechts:
„Early Reflections Type“ stellt Variationen der ersten Reflexionen ein und sorgt damit für den unterschiedlichen Raumeindruck nach Größe und Volumen, und zwar nach folgenden Attributen: Groß, Medium und Klein.
„Early Reflections Mix“ legt das Verhältnis der Lautstärken von der Hallfahne und den ersten Reflexionen zueinander fest und bedarf eigentlich keiner weiteren Erläuterung.
„Diffusion“ sorgt bei hohen Werten für einen runderen “Overall-Sound“, raubt im Mix aber auch Platz. Hier spielt man am besten in Verbindung mit Density herum. Zur Verfügung stehen wieder drei Werte: Medium, Low und High.
„Modulation“ ist der dritte im Bunde der Dreier-LED-Schalter und sorgt für die Pitch-Modulation der Hallfahne und sollte für ein natürliches Ergebnis auf Random gestellt werden. Mit Fast und Slow erhält man eher Chorus-artige Sounds, die vor allem bei langen Decay-Zeiten überzeugen können.
„Reverb Mix“ sorgt für das Mischverhältnis aus unbearbeitetem Signal und dem Effektsignal, aus den ersten Reflexionen und der Hallfahne. Das PlugIn lässt sich somit sowohl als Insert- sowie Return-Effekt nutzen.
„Output Vol“ übernimmt die Kontrolle über die globale Lautstärke.
Die Steuerung des PlugIns nimmt man am besten mit der Maus vor und holt sich dabei Unterstützung von den zusätzlichen Tastatur-Kommandos. Zur Feinabstimmung bemüht man die Apfel- oder Ctrl-Taste, mit der ALT-Taste setzt man die Fader in „Default“-Stellung. Auch an den Mausrad-Support wurde gedacht.
Die Auswahl an Presets ist nicht besonders groß, deckt aber alle Grundverwendungszwecke ab und bietet so genügend Ausgangspunkte für Eigenkreationen. Freundlicherweise wurden die Presets in zwei Gruppen gegliedert.
„Modern“ liefert dabei anwendungsorientierte Bezeichnungen wie Large Hall, Drum Chamber, Vox Plate, u.ä. Die Rubrik „Vintage“ präsentiert dagegen eine Sortierung nach “klingt wie”. Hier findet man z.B. eine EMT Plate oder einen 224 Room. Das macht Sinn.
Unterstrichen wird der Gedanke des Selber-Kreierens und -Verstehens außerdem durch zwei Schnellstartknöpfe für das Quick-Start und das Manual-PDF, welche beide hervorragend und informativ, allerdings in englischer Sprache gestaltet wurden.
Das PlugIn unterstützt außerdem auch volle DAW-Automation, allerdings muted sich der Reverb bei gewissen Parameterfahrten, um so genannte “Zipper-Sounds” zu vermeiden. Führt euch deshalb folgendes Video zu Gemüte – deutlich ist zu hören, wie der Reverb bei der Density-Automation aussetzt. Manche Anwender werden das vielleicht schade finden, prinzipiell geht das aber in Ordnung. Bleiben wir gleich dabei, was ich auch noch auf Anhieb vermisse: Eine Reverse-Funktion sucht man vergebens. C´mon! It´s the 21st century!
Weiterhin bietet dieser Reverb-Prozessor auch einen Mono- und Stereo-Modus, der sich aufgrund der DAW-Settings ergibt. Da es sich um einen “True Stereo”-Reverb handelt, bedient der linke Kanal also auch den rechten sowie umgekehrt, dadurch bietet sich die Verwendung des Stereo-Modes auch auf Mono-Spuren an. Man speist dann einfach links und rechts das deckungsgleiche Mono-Signal ein.
2/2 … und Big Brother TSAR-1. Der Größenunterschied ist maßstabsgerecht.
Einer der größten Vorteile der algorithmischen Hallerzeugung ist natürlich die Direktheit der Parameter. Klar haben es auch Firmen wie AudioEase mittlerweile geschafft, Impulsantworten nach allen Regeln der Kunst gehörig zu verbiegen, aber so schnell wie mit der Anpassung eines algorithmischen Halls ist man bei der Suche nach einem echten Raum bzw. eines anderen gesampelten Gerätes und dem anschließenden Finetuning nimmer.
Die Anzahl der Parameter wurde übersichtlich gehalten und zeigt sich sehr praxisnah. Klar, es gibt noch ganz andere Parametergräber, aber ob man die in der Praxis wirklich braucht, sei einfach mal dahingestellt. Wem selbst das zu viel ist, dem bietet Softube aber auch eine noch weitaus reduziertere Version an, die sich mir persönlich jedoch viel zu puristisch zeigt. Als Dreingabe in anderen Softube-Bundles mag das ganz nett sein, wer allerdings die “richtige” Version besitzt, wird wohl auch immer diese öffnen wollen.
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Song – DrySong – Drum RoomSong – Guitar Room
Auch wenn nicht alle Räume aus so einem Stück Code wirklich realistisch anmuten, fügen sie sich insgesamt doch lebendiger und wärmer in bestehende Musik ein, als dies mit Impulsanworten echter Räume möglich wäre. “Bigger than Life” sozusagen. Vor allem Close Mic Aufnahmen, die schon über die ein oder anderen eigene echten Early Reflections verfügen, können mit einer dezent parametrisierten Hallwolke in ganz neue Dimension gerückt werden. Diese wunderschönen Weichzeichnungen lassen dann in der Summe – und dezent eingestellt – den Mix erst wie aus einem Guss wirken. Als Hörprobe dienen unsere gewohnten bonedo.de Reverbvergleichs-Audio-Files.
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Western – DryWestern – CathedralNylon – DryNylon – Large HallVocals – DryVocals – Medium HallNature Drums – DryNature Drums – ChamberElectronic Drums – DryElectronic Drums – Plate
Die kühle Authentizität realer und statischer Räume, wie sie mit Impulsantworten zu erzeugen ist und wie sie in der Post-Production teilweise auch bevorzugt werden, findet man im TSAR faktisch nicht. Im Gegenteil, “Crap”-Sounds, wie “springy and spongy rooms” lassen sich mit diesem PlugIn fast gar nicht erstellen, der TSAR klingt fast immer “gut” – egal, welche Parameter man gerade eingestellt hat. Das werden vor allem Popmusik-Produzenten zu schätzen wissen.
Was mir außerdem sehr gut gefiel, war die Auflösung des Dry/Wet-Reglers. Wenn ich das PlugIn als Insert verwende, pegelt sich dieser Regler bei mir zwischen 13 und 25% ein und liefert dabei noch immer genügend feine Abstufungen. Das ist bei vielen anderen Reverbs nicht unbedingt der Fall und von daher sehr erwähnenswert.
Reden wir noch kurz über ein paar kleine Kritikpunkte, um den TSAR dann abschließend zu bewerten. Wie bereits erwähnt, vermisse ich eine Reverse-Funktion. Auch die begrenzte Steuerung des Obertonverhaltens durch den Dark/Bright-Regler in Verbund mit dem Low-Pass-Filter riefen bei mir vielfach den Wunsch nach detaillierter konfigurierbaren Nachhallzeiten hervor. Ich konnte mich aber dennoch immer wieder damit begnügen, und muss sagen, dass dies in Anbetracht des Preises und Konzepts vollkommen okay ist.
Einen zweiten GUI-Modus, der weniger Wert auf Optik, dafür aber mehr auf Direktheit legt, hätte ich auch dankend mitgenommen. Vor allem, wenn jeder Regler dann als Fader ausgelegt worden wäre, hätte ich dazu auch schon die passende Motorfader-Fernbedienung im Kopf gehabt. Aber da ist ja noch Platz auf der Setup-Seite…
Setup Page: Hier ist noch Platz für zukünftigen “Extra-Quatsch”, würde ich meinen.
Wenige, direkte Parameter, die sehr musikalisch zugreifen, ohne den Anwender dabei mit zu komplexen oder teilweise nicht hörbaren Parametern zu überfordern – dieses Ziel hat Softube definitiv erreicht. Auch die Klangqualität ist durchweg hoch und das True Stereo Processing sorgt für einwandfreie Ortungsfähigkeit. Die aufgeräumte Optik sorgt nach einer sehr kurzen Eingewöhnungsphase für schnelle „häusliche Gefühle“, was auch an der hervorragenden Dokumentation liegt. Der Funktionsumfang ist jedoch konzeptbedingt durch die relativ wenigen Eingriffsmöglichkeiten eingeschränkt. Wenn auch fotorealistische Grafiken bei PlugIns Geschmackssache sind, so ist der TSAR doch definitiv ein waschechtes Softube-PlugIn geworden, was allerdings mit einen eigenen Charakter aufwartet, anstatt wie gewohnt zu kopieren.
Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
Einfache, praxisgerecht Bedienung
hilfreiche Presets
Klang
Contra
Konzeptionelle Einschränkungen bzgl. der Eingriffsmöglichkeiten
Bin selbst benutzer des TSAR-1 und kann sämtliche Aussagen in dem Artikel unterstreichen. Ich sehe das Plug-In als hervorragende Ergänzung zu einem Faltungshall-Plug-in wobei ich zugeben muss, dass ich meinen Altiverb grad wegen dem TSAR-1 etwas anstauben lasse, nicht unbedingt wegen dem Sound sondern wiel man in einem Faltungshall-Plug-In einfach sehr lange braucht, bis man den gewünschten Hall gefunden hat. In der Postpro mag das einfacher sein aber in der Pop-Musik interessiert es nicht wie das Preset heißt sondern allein wie es klingt. Im TSAR-1 kann man den Hall innerhalb von 10 Sekunden zurechtbasteln so dass es passt und später immer noch Feinjustierungen vornehmen. Würde mir übrigens gar nicht angewöhnen, die Presets zu verwenden, kostet viel zu viel Zeit.
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Dominik sagt:
#1 - 06.10.2011 um 20:20 Uhr
Bin selbst benutzer des TSAR-1 und kann sämtliche Aussagen in dem Artikel unterstreichen. Ich sehe das Plug-In als hervorragende Ergänzung zu einem Faltungshall-Plug-in wobei ich zugeben muss, dass ich meinen Altiverb grad wegen dem TSAR-1 etwas anstauben lasse, nicht unbedingt wegen dem Sound sondern wiel man in einem Faltungshall-Plug-In einfach sehr lange braucht, bis man den gewünschten Hall gefunden hat. In der Postpro mag das einfacher sein aber in der Pop-Musik interessiert es nicht wie das Preset heißt sondern allein wie es klingt. Im TSAR-1 kann man den Hall innerhalb von 10 Sekunden zurechtbasteln so dass es passt und später immer noch Feinjustierungen vornehmen. Würde mir übrigens gar nicht angewöhnen, die Presets zu verwenden, kostet viel zu viel Zeit.