PRAXIS
Es ist ja eine fast schon philosophische Frage, welches Signal im Mixdown zuerst in die Hand genommen wird. Ich beginne ohne tiefere Überlegung beim klassischen Signal in Kanal 1 auf dem Pult: Bassdrum innen. Wenn man einen PE 1C vor der Nase hat, möchte man auch den “Low End Trick” benutzen. Wird bei nominalen 30 Hz sowohl Boost als auch Attenuation aufgedreht, dann macht das riesig Spaß und klingt ganz einfach genau so wie es soll. Erster Eindruck: Das ist der Sound “großer” Produktionen! In der weiteren Bearbeitung des Signals wird der Attacksound etwas herausgearbeitet, im anschließenden Verlauf mit dem ME 1B wird dieser Bereich noch etwas verbreitert – das ergibt eine Bell-Bearbeitung mit der guten, alten “Doppelspitze”. In das Signal des RE20 „leakt“ die Snare recht deutlich, der sowieso notwendige High-Shelf hilft, das Signal dort etwas aufzuräumen, der Dip kann etwas “Holz” aus der Trommel nehmen. Noch ein wenig klassisch komprimieren – fertig. Das Signal von Kanal 2, “Bassdrum außen”, braucht bei diesem Ergebnis ja jetzt wohl kein Mensch mehr. Es zeigt sich schon bei diesem Beispiel, wie flexibel dieser Channel ist, wenn man sich vom “klassischen” EQing lösen kann. Dass sich originale PE und ME als EQs hervorragend ergänzen sind keine “Breaking News”, doch in der klanglichen Umsetzung vermisse ich wirklich nichts. Die Farbe durch die EQs tut dem Signal in jedem Fall gut, der Kompressor erlaubt im Vergleich zu manch anderem Design genaue Eingriffsmöglichkeiten auf die Zeitparameter bei angenehmem Vintage-Sound. Klasse.
Ein oft vernachlässigtes Signal ist “Snare Bottom” (also die Snare von unten mikrofoniert), daher habe ich ein solches als Beispiel aus der Kiste gekramt. Den Druck der Snare darf ein anderes Mikrofon übernehmen, daher muss der PE das Signal nach unten beschneiden und tut dies genau so, wie es richtig ist. Dass im Passband dabei offenbar einiges in Bewegung kommt, ist durchaus angenehm und verleiht dem rauschhaften Signal Charakter. Wer das nicht mag, der muss natürlich an dieser Stelle auf ein “braveres” Plug-In zurückgreifen. Um den Teppichsound in eine Richtung zu drücken, die besser in den Mix passt, ist ein Boost in den Höhen angebracht, bei dem sich die Kombination der beiden oberen Bänder bewährt: Boost bei 10 kHz, aber ein Shelf bei 20 kHz, der diese Glocke oben stärker abfängt. Auch hier gesellen sich leichte Unregelmäßigkeiten zum Signal, die ihm jedoch eine gewisse Struktur und Tiefe verleihen. Der ME 1B muss mit dem Dip Platz für andere Signale in einem umkämpften Frequenzbereich schaffen – hier würde ich mich über eine Einstellmöglichkeit der Güte freuen. Aber das kann Softube genauso wenig angelastet werden wie die Tatsache, dass ich jetzt ein weiteres Cut-Band haben will, um den Kessel-Ping zu bearbeiten. Schließlich kopieren sie Originale. Zum Einen würde ich einem Custom-Autobauer ja auch nicht anlasten, dass ich in seiner tollen Porsche-356-Replik mein Fahrrad nicht unterbringen kann, zum Anderen kann ich ja schlicht und einfach eine weitere Instanz des Classic Channels öffnen oder ein anderes Plug-In benutzen.
Dass der CL 1B auch recht ordentlich etwas anderes als “fett machen” kann, zeigt die Aufgabe, die ihm bei diesem Signal zuteil wird: Er soll den Attack ein wenig entschärfen, damit ich ihn mit dem Signal vom oberen Snare-Mikro besser unter Kontrolle habe. Kein Problem für den Blauling.
Kann er denn auch richtig “plattmachen”, brutal und auffällig zugreifen, das Signal in den Würgegriff nehmen? Das ist eine Art Lackmustest, denn oft scheitern virtuelle Systeme daran, lassen Authentizität vermissen, klingen flach und – naja: digital eben! Ein Telefunken D77, das als Dirt-Mike auf einem Regal gelegen hat, liefert das Ausgangsmaterial für diesen Test. Es funktioniert! Die “Rückwärtsbewegung” durch den Saugeffekt der langen Release klingt lebendig und nicht immer gleich. Mit Hilfe des Kompressors und der beiden EQs kann mit hervorragenden klanglichen Ergebnissen genau da Platz gemacht werden, wo vor allem Bassdrum und Snare hingehören – nicht nur in Bezug auf Frequenzen, sondern auch zeitlich. Dass auch sanfte Verdichtung mit dem PE möglich ist, beweist das Mono-Raummikrofon.
Anhand des Gitarrenbeispiels kann die Tube-Tech-Troika ihr Können erneut unter Beweis stellen. Der Kompressor arbeitet pre EQ, dickt im hier aufgrund der voraussehbaren Zeitparameter sehr gut geeigneten “fix./man.”-Modus leicht an und versieht das Signal mit einer leichten “Patina”, die ich im Blindtest wahrscheinlich für echte Röhrenfärbung halten würde. Soll das Spektrum der Gitarre für den Mix im Mittenbereich leicht verändert werden, kann das der ME absolut hervorragend, auch der Boost im High-Band klingt einfach nur “teuer”. Wiederhole ich mich? Wenn ja, dann zurecht!
Für dich ausgesucht
So, Hauptgericht! Tadaaah: Vocals! Nicht nur, dass dies das wichtigste Signal der meisten Mixes ist, vor allem gelten ME 1B und CL 1B nicht umsonst als absolute Spezialisten für dieses Gebiet. Das mittlere Gerät soll einmal zeigen, wie es Supports der Mitten handhabt, daher habe ich von 300 Hz an mit dem unteren Band geboostet. Wie erwartet klingen sämtliche Beispiele (außer 300 Hz, die machen hier ohne zusätzlichen HPF nun wirklich wenig Sinn) genau so, wie man es in großen Produktionen erwarten würde. Das MEQ-5-Design ist nun mal DIE Lösung für solche Aufgaben, Tube-Tech und Softube sind erwiesenermaßen hervorragende Lösungen für analoge und digitale Kopien.
Die weitere Arbeit mit dem ME 1B beweist förmlich die Eignung seiner Parameter für die Bearbeitung von Stimmen: Unerwünschte Resonanzen oder Präsenzen mit dem Dip-Band herausnehmen, mit dem oberen kann bei Bedarf Präsenz hinzugefügt werden. Die Phasenschmierereien liegen in einem nicht nur “erträglichen” Rahmen, sondern genau sie sind es, die dem Signal den letzten Schliff geben. Zugegeben: Sonderlich “skandinavisch” oder gar “deutsch” ist der Kompressor bei Stimmen nicht. Vocals werden bei hoher Kompression schnell “amerikanisch”, dick und auf eine gewisse Art angeberisch.
Um eine klassische “Kompressor-Wurst” zu erhalten, eignet sich der CL 1B natürlich wie erwartet hervorragend – wenn man die damit einhergehende Färbung benötigt. Sollte das nicht der Fall sein, hat man mit einem Röhrenkompressor schlicht und einfach das falsche Gerät gewählt. Ich würde dann und wann lieber einen LA2A einsetzen, aber wenn es um knackige Vocals geht, ist der CL die erste Wahl. Wie man schon bei den Drums bemerken konnte, regelt er mit nicht zu laschem Knee und einer wirklich optimalen zeitlichen Rücklaufkurve. Sein Verhalten in den Release-Phasen der Kompression passt irgendwie immer – erstaunlich! Doch mit den Attacks muss man etwas vorsichtig sein, denn gerade bei Close-Miking und sehr harten Konsonanten (wie sie deutsche Sänger und Sängerinnen gerne produzieren) kann das etwas viel sein, so dass ein gutmütigerer “Abschleifer-Kompressor” dann und wann besser geeignet wäre. Den EQ post zu schalten, kann sich hier lohnen, um entstehende Kanten zu kontrollieren. Ich sehe aber eine besondere Spezies von Vokalisten in Verbindung mit diesem Kompressor: Rapper! Diese könnten teilweise eine noch brutalere Kompression vertragen, bei meinem Beispiel mit dem nicht sonderlich leisen Headphone-Playback wisst ihr aber sicher, dass man dann um Editing oder einen zusätzlichen Expander kaum herumkommen wird.
Ich habe es mir nicht nehmen lassen, den klassischen “Telephone”-Sound zu generieren, für den ja sehr gerne die vorliegenden Geräte eingesetzt werden. Vor allem mit dem Low-End-Trick lässt sich ein schön harter Brickwall erstellen. Ich schraube keine halbe Minute an EQs und Kompressor und das Ergebnis ist so, wie man es von unzähligen Platten kennt: klein, knackig, im Frequenzgang wackelig, leicht kratzig, aber immer noch verständlich und mit definierter Tonhöhe.
Die gesamte Handhabung des Plug-Ins ist sehr angenehm. Mehr noch, denn die Tatsache, dass sich Regler per Click-Hold und vertikaler Bewegung und bei Bedarf direktem Click auf den gewünschten Wert einstellen lassen, sollte eigentlich überall Standard sein. Dass beispielsweise mit Click auf eines der drei Power-Birnchen oder in der Fußzeile bypass geschaltet werden kann, gehört ebenfalls in diese Kategorie. Ich wünsche eigentlich, bei Bedienung der gerasterten Regler das saftige Klacken hören zu können, das die Tube-Tech-Originale von sich geben. Ein weiteres Gimmick würde noch auf meiner Wunschliste stehen: Die Regler für Attack und Release sind im “fixed”-Modus ausgegraut. Wie wäre es, wenn sie schlicht und einfach durch “abgenommene” Kappen dargestellt würden. Etwas schade ist, dass man nur komplette Settings für den Classic Channel speichern und aufrufen kann. Ideal wäre es, diese auch mit den verfügbaren Einzelmodulen auszutauschen zu können.
Es wird wohl deutlich, dass sich am Classic Channel so gut wie nichts bemängeln lässt. Natürlich kann man der Meinung sein, dass das EQing gewöhnungsbedürftig und umständlich, nicht clean genug sei, zu sehr färbt und “Unordnung” bringt oder ein LA2A besser klänge – das wäre dann aber nicht Softube anzulasten. Ihre selbstgestellte Aufgabe – eine möglichst originalgetreue Replik dreier Tube-Tech-Geräte zu entwickeln – haben sie mit Bravour erledigt. Wer nicht als Plug-In-Sammler seine Zeit totschlagen, sondern professionell an der DAW arbeiten will, der benötigt als Grundstock Klone von 1176, LA2A, Fairchild, Neve- und SSL-EQs – und eben den Classic Channel. Dazu ein-, zwei feine Reverbs, ein flexibles Delay, einen Modulationseffekt – fertig ist die kleine, aber flexible Werkzeugkiste.