Sonible frei:raum: Der innovative Equalizer bei bonedo im Test Preview! “Aha. Ein EQ-Plug-In. Spannend.”
– So oder ähnlich könnte jemand denken, der einen Bruchteil zu früh eine Meldung über den frei:raum weggeklickt hat, oder vielleicht auf der SAE Alumni Convention oder der Tonmeistertagung den Blick vom kleinen Messestand der drei jungen Österreicher abgewendet hat. Wer sich jedoch ein bisschen mehr Zeit genommen hat, ist sicher belohnt worden, denn das zunächst vielleicht unscheinbar wirkende Plug-In hat es faustdick hinter den Ohren.
Die erste Information darüber, dass bei Sonible ein besonderer Equalizer im Busch ist, habe ich schon sehr lange, nämlich seit dem Test des ersten Produktes der Elektrotechnik-Toningenieur-Absolventen, dem Live-Interface ml:1. Seit dem 1. Dezember ist die Betaversion verfügbar, die sofort den Weg auf meinen Musikrechner gefunden hat.
Aber was kann dieses Progrämmchen denn nun? Diese Frage ist nicht in einem Satz beantwortet, was vielleicht kurze, knackige Marketing-Aussagen schwierig macht, für den letztendlichen Nutzen des Users aber von enormem Vorteil sein kann. frei:raum kann nämlich drei besondere Dinge, die auch die drei Module des Plug-Ins darstellen:
Proximity EQ
Der blau kodierte Proximity-EQ kann das Verhältnis von Diffus- zu Direktschall beeinflussen. Da der Begriff “EQ” genannt wird, sollte deutlich sein: Das geschieht bei Bedarf frequenzselektiv! Der Regler “Proximity” stellt das Verhältnis zunächst linear ein. Auf Rechtsanschlag wird das Direktsignal soweit wie möglich isoliert, auf Linksanschlag unterdrückt. Was nun von frei:raum als Direkt-, was als Diffusschall interpretiert wird, ist nicht starr, sondern lässt sich mit “Strength” regeln. Damit kann man beispielsweise Early-Reflections eher zum Direkt- oder Diffusschall rechnen lassen. “Smoothing” ist eine Art zeitlicher Weichzeichner für die Trennung von Direkt- und Diffusschall. Ein hohes Smoothing soll dabei natürlicher wirken, aber eben geringere Trennschärfe zur Folge haben. Da schließlich nicht nur lineare Veränderungen vorgenommen werden können, stehen insgesamt sieben Bänder zur Verfügung, die über die bekannten Parameter verfügen. Bei Bedienung von Q, Mittenfrequenz oder der Umschaltung der Kurvenform sollte allerdings nicht vergessen werden, dass man hier nicht simpel Frequenzbereiche boostet und cuttet, sondern in den bearbeiteten Bereichen das “Dry/Wet”-Verhältnis regelt.
Entropy-EQ
Harmonische Signalanteile, also periodische Schwingungen, die sich in tonalem Charakter äußern, und unharmonische, also geräuschhafte Anteile des Audiomaterials: Diese beiden Komponenten können in ihrem Verhältnis beeinflusst werden. Was vielleicht etwas kryptisch klingt und die Frage “Und wozu das Ganze?” aufwirft, kann in der Praxis ein riesengroßer Vorteil werden. Sind die Pickinggeräusche der Akustikgitarre beispielsweise zu präsent, können sie etwas verringert werden. Ist der tonale Anteil eine Bassdrum oder eines Toms zu aufdringlich, kann auch er heruntergezogen werden. Bei der Hammondorgel hätte man doch lieber ein kräftigeres Schmatzen? Dann geht auch das, indem man die Geräuschanteile erhöht. Ach ja: Natürlich geht das wie beim Proximity-EQ auch frequenzselektiv… Und wie dort regelt auch Strength wieder die Trennschärfe der beiden Signalkomponenten.
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Smart-EQ
Zunächst erscheint der Smart-EQ so smart gar nicht. Er ist ein phasenstarrer Equalizer mit sieben Bändern, die über nicht unübliche Parameter verfügen: Gain, f, Q, Umschaltung der Außenbänder zu Cuts und des zweiten und sechsten zu Kuhschwanzcharakteristik. Die verbleibenden mittleren drei Bänder können per Klick auf das benachbarte Zauberstabsymbol zu den namensgebenden Smart-EQ-Bändern werden. Die Smartness beruht auf der Fähigkeit der Bänder, Audiomaterial “kennenzulernen” und somit lernfähig zu sein. Spielt man dem Plug-In dann durch Start der DAW Material vor, wird dieses analysiert und die Filterkurve daraufhin spezialisiert. Bereiche mit auftretenden Resonanzfrequenzen etwa resultieren in einer an dieser Stelle schmalbandig zugreifenden Kurve. Die entstehende Filterkurve ist im Regelfall sehr komplex – und natürlich nicht mit üblichen Mitteln nachahmbar. Laut Aussage eines Sonible-Mitarbeiters ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil der dadurch entstehende Zeitgewinn. Das klingt schlüssig, weil man in kurzer Zeit die Kontrolle über die herausstechenden, also wirklich relevanten spektralen Anteile erhält. Spannend!
Umfangreiche Schaltoptionen
Sonible scheinen den Gott aller EQ-Anwender erhört zu haben. So gut wie jeder wird diesen in seinen Gebeten konsultiert haben, die Hersteller und Programmierer zu häufigerer Verwendung von Solo- und Mute-Funktionen zu bewegen. Und tatsächlich: Nicht nur die einzelnen drei frei:raum-Sektionen lassen sich muten oder solo schalten, auch die einzelnen EQ-Bänder verfügen über Solo-Tasten. Was nicht geht, ist die Signalflussfolge zu verändern, das ist im Test bislang aber auch wirklich nicht vermisst worden. In den drei Abteilungen sorgt bei Bedarf ein “Flat”-Regler für Ebenheit, dieser entfernt jedoch nicht das Offset, ist also kein “Reset”.
Preview mit Versionsnummer 0.9.1
Den Preview-Test haben wir vor dem eigentlichen Release mit einer “Sub-One”-Betaversion durchgeführt. Diese hat noch einige Einschränkungen, die wir natürlich berücksichtigt haben. So sind Double- und Quad-Samplerates noch nicht verfügbar, die CPU-Last noch etwas höher als beim letztendlichen Produkt und vergleichbare Einschränkungen – eine Beta ist eben eine Beta. Zur Verfügung standen AU- und VST-Versionen für Mac und PC, ich habe erstere verwendet.
Erster Eindruck
Nach der Installation haste ich eilig in die Proximity-Sektion. Ich konnte zwei Monate zuvor schon einmal staunend an den Reglern drehen, hatte aber nicht die Möglichkeit, mich ausgiebig mit dem Effekt-Plug-In zu beschäftigen. Also klimpere ich flugs etwas mit einem mittelstark verhallten E-Piano-Sound ein und beginne das große Drehen. So: Ich wünsche mir in ausschließlich diesem Moment, für ein englischsprachiges Magazin zu schreiben, um mehr Ausrufe à la “This is fucking amazing!” zu Papier bringen zu dürfen. Noch mal, weil’s so schön ist: “This is fucking amazing!” Linear angewendet, lässt sich der Rhodes-Sound wirklich gut nach vorne holen oder nach hinten setzen. Besonders für live aufgenommene Instrumente ist das ein Segen. Bedenkt man etwa, dass das Aufzeichnen von Raumanteilen nicht einfach entschieden und dann durchgeführt wird, sondern Dinge wie Nahbesprechungseffekt, Richtcharakteristik und daraus resultierende Kanaltrennung ein ordentliches Wörtchen bei der Wahl der Mikrofonposition mitzureden haben, ist es hervorragend, im nachhinein derartige Veränderungen vornehmen zu können – besonders in dieser hohen Qualität! Durch das Verwenden der Strength- und Smoothing-Parameter lassen sich sehr authentische Ergebnisse erzielen.
Wenn man mag, kann man aber auch extreme Verfremdungen durchführen. Das Entfernen des Direktsignals sorgt für eine interessante Art von Effekt. Ich kann mir vorstellen, dass eine Automation dieser Parametersets schöne “Spooky-Effekte“ ermöglicht. Leider arbeitet die Automation in der Beta noch nicht vollständig. Nun: De-Reverberatoren sind keine Weltneuheit, aber bislang sehr teuer. Jetzt kommt Sonibles frei:raum: Absolut hervorragend und einfach genial ist die Möglichkeit, frequenzsensitiv zu arbeiten. Vielleicht müssen nur die tiefen spektralen Anteile eines Klaviers etwas näher, präziser und konkreter werden, die Diskantlage aber in keinem Fall? Das geht, und es klingt weiterhin natürlich! Richtig spaßig wird die ganze Chose am Drumkit – und die Klangqualität lässt das Plug-In uneingeschränkt auch bus- und summentauglich dastehen!
Ich würde jetzt nicht unbedingt das Stereo-Hauptmikrofonsystem einer Orchesteraufnahme mit dem Proximity-EQ umfangreich bearbeiten, auch bei Main-Vocals wäre ich zumindest mit der Dosis vorsichtig. Allerdings müsste man schon absolut deutliche Fehler bei der Aufnahme gemacht haben, wenn starke Eingriffe nötig werden würden. Also: Für kleine bis mittlere Änderungen ist das System genial, und verhallte Recordings mit groben Schnitzern kann man mit frei:raum zumindest retten, statt sie dem “Mistsackerl” überlassen zu müssen.
Ähnlich genial verhält sich die Entropy-Sektion des Plug-Ins. Im Linearbetrieb ist Entropy schnell zu viel des Guten, mit der Frequenzselektion lassen sich hingegen hervorragend und äußerst schnell sehr gute Ergebnisse erzielen. Die “Snappyness” einer Snare, das Anschlaggeräusch eines Pianos, all das lässt sich sehr angenehm und natürlich klingend steuern – wenn man es nicht übertreibt. Dies hat nicht nur reine klangästhetische Auswirkungen, sondern hilft ungemein bei der korrekten Platzierung eines Signals im Mix. Auch der erste Versuch mit den Smart-Bändern lässt erahnen, dass man damit äußerst schnell vernünftige bis sehr gute Lösungen hinbekommt. Um ein umfassendes Bild zu erhalten, werde ich mich noch ausgiebig mit frei:raum beschäftigen. Den kompletten Testbericht in bekannter bonedo-Manier gibt es dann demnächst an dieser Stelle.
Preis: ungefähr € 400
Verfügbarkeit: Januar 2015