Soundwege und Klangwelten: Interview mit Bernd Wegener

Der Mann lässt kleine Spielzeugkäfer auf Snaredrumfellen herumfahren und dabei mit Metallglöckchen kollidieren, wirft lange Weidenruten auf sein Schlagzeug oder erzeugt hypnotische Loops mit Murmeln und Fahrradklingeln. Nein, ein gewöhnlicher Schlagzeuger ist der sympathische Saarbrücker Bernd Wegener sicherlich nicht. Schon zu Beginn seiner trommlerischen Karriere merkte er, dass ihn die klanglichen Aspekte einer Performance mindestens ebenso sehr begeisterten wie ihre spieltechnische Umsetzung. 

Foto von Rich Serra
Foto von Rich Serra


Heute ist Bernd Teil verschiedener innovativer und experimenteller Soundprojekte, begleitet Theaterproduktionen und arbeitet zusammen mit Jugendlichen. Auch ein Lehrauftrag an der Hochschule der bildenen Künste in Saarbrücken findet sich in seiner Vita. Obwohl sein Fokus auf Soundexperimenten und der Schnittstelle zwischen Visuellem und Klang liegt, spielt er auch „konventionelles“ Schlagzeug, beispielsweise bei LUKE und der Eric Clapton Tribute Band Slowhand. Im Hauptberuf ist Bernd übrigens Grafikdesigner. Wir haben uns mit ihm über seine Einstellung zu Sounds und Kreativität unterhalten, aber auch die Bedeutung von sozialen Medien wie instagram, YouTube und facebook für seine Arbeit erörtert. 

Bernd, erzähl doch mal ein bisschen was zu deinem Werdegang.
Ich bin relativ spät zum Schlagzeug gekommen, mit 18 Jahren. Allerdings hatte ich gleich zu Beginn zwei Freunde, mit denen ich eine Band gegründet habe. Wir haben uns regelmäßig getroffen und geprobt, aber auch viel zusammen Musik gehört. YouTube und das Internet gab es damals natürlich noch nicht, wir haben also die Platten gekauft und bewusst zugehört. Damals waren englische Bluesbands wie beispielsweise John Mayall und Ten Years After schwer angesagt, die haben wir dann gecovert. Allerdings war die Besetzung doch ungewöhnlich, sie bestand nämlich aus mir am Drumset, Querflöte und Bass, wobei der Bass eine Gitarre mir nur vier Saiten war (lacht). Bis auf den Flötenspieler waren wir Autodidakten, trotzdem hatten wir Spaß an der Sache und sind auch dabei geblieben. Später wurden dann natürlich – gerade wegen der Querflöte – Jethro Tull zu einer großen Inspiration, zu unserer Band kamen dann auch noch ein Sänger und ein richtiger Gitarrist hinzu. Richtig gepackt haben mich dann allerdings Genesis und natürlich Yes, mit Bill Bruford am Drumset. Der hat mich nachhaltig beeindruckt mit seinem Spiel, seinem Setaufbau und ganz besonders mit seinen Sounds. Die Platte “Close to the Edge” war für mich wirklich ein Meilenstein. Das gleiche gilt für King Crimson, die ich dann später auch live gesehen habe. Da hat der Percussionist Jamie Muir auf der Bühne Kaffee gekocht, als Soundquelle natürlich. Die gesamte Performance hat mich so umgehauen und ich habe gemerkt, wie wichtig dieses Improvisatorische, Spielerische für mich ist. Ein weiterer großer Einfluss war Pierre Favre, der mit Reisigbesen und anderen Utensilien Schlagzeug gespielt hat. Da habe ich dann selbst auch mit solchen Experimenten begonnen. 

Weidenruten und Canopus-Drumset: Performance mit „Fliegen und Surfen“.
Weidenruten und Canopus-Drumset: Performance mit „Fliegen und Surfen“.

Andere Drummer fokussieren sich in jungen Jahren auf das Erlernen von Technik und Geschwindigkeit. 
Das Interesse an Paradiddles und am technischen Üben war bei mir nie so stark ausgeprägt. Da ich mich allgemein schon als aktive Person bezeichnen würde, war Faulheit allerdings vermutlich nicht der Grund dafür, ich fand einfach andere Dinge der musikalischen Darstellung interessanter. Zu mir  haben einfach die Sounds mehr gesprochen als die Technik. Wenn ich Drummer gehört und live gesehen habe, habe ich darauf geachtet, auf welche Art die Klänge entstanden sind. Das ist bis heute so geblieben. 
Du lässt Aufziehautos in Chinabecken herumfahren oder lässt sie mit Mikadostäbchen kollidieren. Geloopt ergeben sich daraus Soundwelten, die man sich erstaunlich lange anhören kann. Wie suchst du deine Utensilien aus, wie ist deine Vorgehensweise?
Eine ganz große Rolle spielt dabei tatsächlich der Zufall, kombiniert mit jahrelanger Erfahrung, wie sich welche Alltagsdinge in bestimmten Settings anhören könnten. Im Grunde laufe ich durch die Welt mit weit offenen Ohren und höre, was um mich herum passiert. Überall entstehen Geräusche, die durch Gegenstände oder Handlungen erzeugt werden und die sich selbstverständlich auch aufnehmen lassen. 
Würdest du dich als Geräuschemacher im klassischen Sinn bezeichnen?
Ich würde mich eher als Geräuschehörer bezeichnen (lacht)! Da liegt meiner Meinung nach der Schlüssel, denn das Zuhören gibt mir erst die Information und auch Inspiration, die ich brauche, um meine Soundkreationen zu erschaffen. Unsere Umgebung ist wie eine riesige Spielwiese, viele Klänge sind bereits rhythmisiert, wie zum Beispiel Maschinen oder Fahrzeuge, anderen Gegenständen muss man die Geräusche erst entlocken. Ich kann beispielswiese kaum an Spielzeugläden oder Afrikashops vorbei laufen, ohne hinein zu gehen und mit irgendwelchen Aufziehautos, Glöckchen oder anderem Krimskrams wieder rauszukommen. (lacht) Viele der Klänge sind sehr leise, andere wiederum entfalten spezielle Klangwelten erst, wenn man sie mit anderen Gegenständen kombiniert. Becken oder Trommeln wirken als tolle Verstärker und Verfremder. 
Auch optisch sind deine Kreationen sehr ansprechend in Szene gesetzt, ich habe oft das Gefühl, Miniaturwelten zu betrachten und anzuhören. 
Ja, das ist mir auch sehr wichtig. Wenn man an ganz kleines Spielzeug sehr nah herangeht, relativiert sich die wahre Größe, kommt dann noch der Klang dazu, wird eine Art verkleinerte Welt daraus. Das fasziniert mich immer wieder aufs Neue, und interessanterweise geht es anderen auch oft so. Einige schreiben mir ihre Gedanken dazu und ich bin immer wieder erstaunt, wie verrückt die teilweise sind. Aber ich finde diese Art von Feedback auch sehr schön, weil ich merke, dass diese Dinge eben auch andere Menschen ansprechen.

Lustigerweise sind das ja oft Drummer, die selber auf sehr großen Instrumenten sehr laute Sounds erzeugen. Unter einem deiner Instagram-Videos steht als Kommentar von einem Zuschauer „This is my favourite music account on instagram“.
Ja, genau, das finde ich auch witzig. Das ist ein ziemlicher Kontrast. Aber ich komme ja eben selber vom Drumset und habe die Beobachtung gemacht, dass es unter den Drummern tatsächlich eine neue Generation von Soundbastlern zu geben scheint, die sich jetzt auf den sozialen Netzwerken finden und verknüpfen. So habe ich mich neulich mit Adam Morford (Drummer und Hersteller von handgefertigten Percussioninstrumenten aus Metall, Anm d. Autors) ausgetauscht, der mich auf eines meiner Videos hin angeschrieben hatte und wissen wollte, wie ich das technisch umgesetzt habe. So etwas ist toll, zumal ich sowohl seine Arbeit an seinen Instrumenten als auch seine musikalischen Sachen sehr schätze. Der spielt beispielsweise auch ab und zu mit Mark Guiliana. 

Fotostrecke: 3 Bilder Mit Stäbchen und Stöckern erzeugt Bernd spannende Klangtexturen.

Neben deinen Soundkreationen spielst du auch in verschiedenen Bands und Projekten. Erzähl doch mal von deinen Hauptaktivitäten.
Besonders viel Spaß macht mir „Fliegen und Surfen“, ein Trio mit Frank Post and der Gitarre und Guy Winter am Bass. Der Zweck der Band ist die Improvisation und die Erforschung von Arrangements und Sounds in Echtzeit. Die beiden Kollegen haben jeweils ein großes Arsenal an Effekgeräten, der Frank handelt sogar mit denen. Als Drummer musste ich mir frühzeitig etwas einfallen lassen, um mit dem Soundreichtum von Gitarre und Bass mithalten zu können. Also benutze ich ein Setup mit vielen Becken und verwende je nach Situation unterschiedliche Schlagwerkzeuge. Es kann auch durchaus mal vorkommen, dass ich ein großes Bündel Weidenruten auf das Set regnen lasse, kuriose Stacks und Eigenbauten gehören eh immer zum Setup. 
Das ist bei einem anderen wichtigen Projekt von mir hingegen nicht so. Slowhand heißt die Band, hier handelt es sich um eine Eric Clapton Tribute Formation, bei der ich versuche, die Songs nahe am Original umzusetzen. Neulich habe ich zudem das Album von LUKE (Lukas Schüßler) eingespielt, der auch bei Slowhand singt. Auch hier waren keine Soundexperimente meinerseits gefragt, trotzdem macht mir diese Art Musik zu spielen auch extrem viel Spaß. Das brauche ich einfach auch. 

Fotostrecke: 3 Bilder Das Geräusch von Bambusstäben beim Fallen: in Aktion bei einer Theaterproduktion. (Foto von Karen Schultze)

Was hältst du denn auf der anderen Seite vom technischen Niveau der Drummer heutzutage? 
Ich finde beispielsweise diese Gospelchops total toll, das höre ich mir irgendwie gerne an. Andererseits kommen mir einige Sachen schon sehr standardisiert vor, manche junge technisch sehr versierte Trommler klingen schon recht ähnlich. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass sich einige auch verstärkt für kuriose Sounds interessieren. Das bietet Wege, eine eigene Stimme zu kreieren, die sich eben von anderen unterscheidet. Ich habe manchmal schon das Gefühl, dass der spieltechnische Teil ein bisschen zu sehr in Richtung Leistungsabfrage geht. Die Vergleichbarkeit scheint vielen jüngeren Drummern wichtig zu sein. Natürlich ist das beeindruckend und hört sich auch toll an. Aber ich habe oft das Gefühl, dass das Spontane, Planlose eher zu spannenden Dingen führt, mit denen man sich und auch die Zuhörer überraschen kann. Und bei Sounds und Improvisation passiert das eben naturgemäß sehr oft. Das ist vermutlich der Grund, warum mir das ganze Thema so zusagt (lacht).
Vielen Dank für das interessante Gespräch, Bernd!

Weiterführende Links:
Link zu Bernd’s Instagram-Seite:  https://www.instagram.com/soundweg/?hl=de
„Fliegen und Surfen“, Improvisation und Sounds: https://www.youtube.com/user/fliegenundsurfen1
Slowhand, Eric Clapton Tribute Band: https://www.youtube.com/watch?v=4Fe2PjxEYHM
LUKE: https://www.luke-band.com

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