Der Spectra 1964 V610 ist ein analoger High-End-Kompressor und -Limiter. Das 19“-Gerät ist auf Basis des bekannteren C610 als Präzisionstool für Mastering-Studios konzipiert worden. Aber auch andere Anwendungen meistert der V610 mit Leichtigkeit, wie dieser Testbericht zeigen wird.
Der Spectra V610 ist die Weiterentwicklung des Spectra Complimiters C610. Der V610 bietet ein geringeres Rauschen, weniger Verzerrung, höheren Output-Pegel und durchweg gerasterte Regler für Mastering-Anwendungen. Im Kern geht das Design jedoch genau wie der C610 auf ein Vintagegerät zurück. 1964 gründete der Raketentechniker (!) und Audio-Enthusiast William Dilley die Firma unter dem Namen Spectra Sonics. Nach mehreren Entwicklungen von Preamps und Equalizern für einige legendäre Studios (Stax, Muscle Shoals, Ardent Studios) entwickelte Dilley 1969 den 610 Complimiter. Trotz einer eingeschworenen Fangemeinde ist er im Gegensatz zu Dauerbrennern jener Zeit wie den UREI-Klassikern bis heute eher ein Geheimtip geblieben.
Details
Äußerlichkeiten
Der V610 ist eines dieser Geräte, die bereits beim Auspacken eine gewisse Autorität ausstrahlen. Das 19”-Gehäuse ist 3 HE hoch und mit knapp unter 5 kg kommen keine Zweifel an der Robustheit des Boliden auf. Alle Potis sind gerastert und weisen einen großen Zeiger auf, sodass manuelle Recalls enorm erleichtert werden. Außerdem fassen sich alle Regler sehr wertig an. Etwas Unbehagen bereitet die Wahl des großen zackigen Doppel-S-Logos, das prominent auf Threshold- und Outputregler platziert ist, aber daraus sollte man einem Kleinunternehmen aus Utah keinen Strick drehen. Sehr angenehm fällt dagegen das große, warm beleuchtete VU-Meter auf, das einen schnellen Überblick über den Ausgangspegel liefert.
Threshold ist kein Threshold
Auf den ersten Blick sehen die Einstellungsmöglichkeiten des Spectra 1964 V610 ganz klar aus. Doch Achtung: Nichts ist wie es scheint! Der V610 ist ein Fixed-Threshold-Compressor. Die Schwelle, ab der der Kompressor und Limiter also zu arbeiten beginnen, ist konstant bei -40 dBu. So weit deckt sich also das Funktionsprinzip mit anderen Kompressor-Allstars wie dem 1176 und dem Distressor. Da kommt zurecht die Frage auf, wieso es dann einen Threshold-Regler gibt. Ah – der heißt nur so Der Threshold-Regler ist eigentlich ein Input-Level-Regler. Mit ihm bringt man also das Signal an den Threshold von -40 dBu heran. Er beginnt bei einem 20 dB-Pad und klettert in 2 dB-Schritten auf eine maximale Verstärkung von 25 dB. Zur weiteren Pegelgestaltung gibt es einen gesonderten Pad-Schalter, der das Signal um wahlweise 10, 20 oder 30 dB absenken kann.
Damit ist die Input-Sektion aber noch nicht beendet, denn der V610 kann nicht nur mit Line-Signalen umgehen, sondern nimmt auch Mikrofon-Level entgegen. Darum gibt es einen Wahlschalter für Line und Mic und sogar eine 48V Phantomspeisung. Das ist etwas, das man nicht zu finden erwartet bei einem Kompressor. Ansonsten gibt es einen Slope-Regler, welcher die Kompressor-Ratio zwischen 1.1:1 und 100:1 einstellt. Der Release-Regler bietet Zeiten von 50 ms bis 10 Sekunden an und deckt damit ein wirklich großes Spektrum ab. Der Output-Regler bringt das Audio-Signal wieder auf Line-Pegel und hat eine maximale Verstärkung von 40 dB. Jetzt wundert man sich auch nicht mehr über den Mikrofoneingang, denn mit einer maximalen Gesamtverstärkung von 65 dB übertrumpft der V610 so manchen reinen Mikrofonverstärker mit Leichtigkeit.
Professionelle Connections
Das Anschlussfeld auf der Rückseite des Spectra 1964 V610 fällt sehr viel nüchterner, aber kein bisschen weniger professionell aus. Die Signalanschlüsse für Line-In, Line-Out und Mic-In sind alle als XLR-Verbindungen, aber auch als Klemmen-Anschluss vorhanden. In Letztere können die nackten Adern direkt eingeschraubt werden. Hintergrund ist, dass der V610 in vielen Fällen seine gesamte Dienstzeit in einem Rack leben und über eine Patchbay angeschlossen wird. Also werden auch die Anschlüsse quasi nie gelöst und mit den Klemmen kann man sich das Anlöten eines Steckers sparen.
Zur Verbindung von zwei V610 im Stereobetrieb gibt es eine Link-Buchse, die symmetrische und unsymmetrische 6,3mm-Klinken entgegennimmt. Die Stromversorgung wird von einem externen Netzteil übernommen, das mit Spannungen von 100-240V umgehen kann, also auch kein Problem mit den unterschiedlichen Stromnetzen der Welt hat.
Innere Werte
Wie auch beim Vorgänger vor über 50 Jahren ist der V610 komplett diskret aufgebaut. Das Innere des V610 ist ein beinahe anrührender Wald von kleinen Elektrokomponenten. Hier scheint alles mit der Hand gelötet. Wo man hinschaut, findet man Markenkomponenten, wie die NKK-Switches oder den Cinemag-Transformer “Made in USA”. Der Clou aber ist der modulare Aufbau des V610: Die einzelnen Schaltungen Kompressor, Limiter, Input- und Output-Amp haben im Gerät jeweils eine eigene Platine, die auf die Hauptplatine gesteckt ist. So muss zu einer eventuellen Reparatur nicht das ganze Gerät versendet werden, sondern lediglich eine Platine von etwa 3 x 6 cm!
Frans Stummer sagt:
#1 - 01.11.2023 um 11:01 Uhr
Danke für deine Besprechung! Schade, daß die Spectra Geräte hierzulande nicht so populär sind. Ich hätte gehofft, daß die Geräte für die 500er-Serie da ein klein wenig ändern, aber das scheint nicht so.
Nick Mavridis sagt:
#1.1 - 01.11.2023 um 12:06 Uhr
Hallo Frans, da geht es Dir wie mir. Ich habe mir vor einem Jahr ein Paar V610 zugelegt und bin wirklich begeistert, ganz besonders vom Limiting. Beste Grüße Nick Mavridis (Redaktion Recording)
Antwort auf #1 von Frans Stummer
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