Praxis
Eine Frage der Zeit
Dass der Spectra 1964 V610 Komponenten höchster Güte und ein mehr als solides Äußeres mitbringt, ist also gesichert. Das darf man für den Preis auch erwarten. Aber wie klingt und benutzt sich ein Gerät, dessen Layout seit über 50 Jahren quasi unverändert ist, im heutigen Kontext?
Die Bedienung geht im Prinzip sehr leicht von der Hand, nur dass der Input-Gain ausgerechnet mit “Threshold” beschriftet ist, bringt mich am Anfang manchmal durcheinander. Kurz etwas zum Funktionsprinzip: Nach der Vorverstärker-Stufe passiert das Audio-Signal erst den Limiter und dann Kompressor. Beide sind immer aktiviert und werden durch das “Übertreten” des festen Threshold aktiviert. Der Limiter geht je nach Peakhaltigkeit des Signals etwas früher ans Werk und fängt extrem schnell Transienten ab: Die Attack-Zeit liegt zwischen 100 Nanosekunden (!) und 2 Mikrosekunden, die Release-Zeit beträgt weniger als 90 Nanosekunden. Da ist man quasi im Echtzeit-Bereich und der Einsatz des Limiters geht so schnell von statten, dass man ihn eigentlich gar nicht hört. Was er aber in jedem Fall bestens erledigt, ist den anschließenden Kompressor zu entlasten, denn dieser muss sich nun nicht mehr an den Peaks abkämpfen, sondern kann sich mit seinen etwas langsameren aber immer noch rasanten Attack-Zeiten von 100 Nanosekunden bis 1,2 Millisekunden dem eigentlichen Musiksignal widmen. So ist es auch kein Wunder, dass einige namhafte Mastering-Engineers die V610 als erste Geräte ihrer Kette schätzen, um den folgenden Klangveredlern mehr Headroom zu verschaffen. Die Releasezeit des Kompressors liegt je nach Wahl zwischen 50 ms und knapp über 10 Sekunden und deckt damit einen sehr großen Bereich ab. Die Aktivität des Limiters wird mit dem Flackern einer gelben Threshold-LED quittiert, während um den Slope-Regler ein grüner LED-Bogen die Gain-Reduction des Kompressors zwischen 0 und -23 dB angibt.
Wie klingt der Spectra V610?
Da der Spectra 1964 V610 als Mastering-Version des C610 gedacht ist, macht den Anfang direkt ein technoider Elektro-Track. Hier gibt es harte Transienten und viel Material im Bassbereich. Wie stark das Stereopaar zupackt, bemerkt man vor allem im Break, in dem der Track etwas atmet. Während der V610 im Limiting-Modus noch sehr dezent zur Sache geht, zieht er Noise und Synths im Break ordentlich hoch. Aber auch im letzten Beispiel mit kurzem Release und ordentlicher Gain-Reduction klingt der V610 nicht angestrengt und ziemlich transparent.
Danach läuft ein akustisches Stück mit E-Gitarre, E-Bass und Drum-Set durch das Stereo-Pärchen. Im Limiting-Modus hört man schon den Drum-Room etwas deutlicher, aber obwohl der Limiter bei jedem Kick- und Snare-Hit zugreift, ist kaum etwas davon zu bemerken. Der Kompressor verleiht dem Stück einen schönen Punch. Im letzten Beispiel ist der Input bereits leicht überfahren, sodass deutliche, aber angenehme Verzerrungen entstehen.
Im nächsten Beispiel hört man die Drums aus dem vorhergehenden Song Solo. Das erste File ist wie immer Dry, danach gibt es das Paar V610 auf dem Drum-Room, erst leicht, dann stärker. Hier hört man gut, wie schnell und aggressiv der Kompressor agiert. In den letzten beiden Files liegen die V610 unterschiedlich stark auf dem Drum Bus. Die Drums werden sehr punchy und lebendig. Im letzten Beispiel habe ich es etwas übertrieben um den Charakter des V610 deutlicher hervorzuheben.
Nun hören wir einen einzelnen V610 auf einer Vocal-Spur. Wieder beginne ich mit leichtem Limiting und komprimiere dann stärker. Der V610 holt die Vocal schön “nach vorn”. Er sollte sich auch gut für aggressivere Rap-Vocals eignen. Mit einer weichen, Opto-artigen Kompression kann der V610 naturgemäß nicht dienen, aber das sollte demjenigen, der an dem Gerät interessiert ist, ja bereits klar sein.
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Zuletzt habe ich einen Synth-Bass durch den V610 geschickt. Am Anfang habe ich leicht komprimiert und am Ende die Vorstufe ordentlich überfahren. Der Limiter fängt elegant die kurzen Attacks des Synths ab und der Overdrive klingt herrlich satt. Angenehm fällt auf, dass auch bei maximaler Verstärkung kaum Rauschen zu hören ist.
Frans Stummer sagt:
#1 - 01.11.2023 um 11:01 Uhr
Danke für deine Besprechung! Schade, daß die Spectra Geräte hierzulande nicht so populär sind. Ich hätte gehofft, daß die Geräte für die 500er-Serie da ein klein wenig ändern, aber das scheint nicht so.
Nick Mavridis sagt:
#1.1 - 01.11.2023 um 12:06 Uhr
Hallo Frans, da geht es Dir wie mir. Ich habe mir vor einem Jahr ein Paar V610 zugelegt und bin wirklich begeistert, ganz besonders vom Limiting. Beste Grüße Nick Mavridis (Redaktion Recording)
Antwort auf #1 von Frans Stummer
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