Praxis
Angebot und Performance – die Quellsounds
Nachdem sich die erste Verwirrung über die geringe Anzahl von Orchesterartikulationen gelegt hat, höre ich mir das Ganze erst einmal an. Für mein Empfinden klingt das meiste etwas gleichförmig. Viele lange Töne, die ganz leicht mal hier, mal da etwas vor sich hinmorphen. Klanglich hört sich alles sehr gut an, zwei, drei originelle Patches sind auch dabei. Insgesamt bin ich aber eher unterwältigt.
Die Abteilung synthetische Hardware wartet mit zehn Patches auf, jeweils lange Töne, die von verschiedenen alten Synthesizern stammen. Auch hier gilt: inhaltlich recht gleichförmig, klanglich sehr gut. Interessanter wird es bei den Sounds der Kategorie Granular Synths. Hier sind teilweise so viele Störgeräusche sowie Gefarze und Geknister mit eingebaut, dass schon ein einzelnes Patch die ganze Stimmung definiert.
Die fünf abschließenden Resampled-Kategorien spicken die Sounds mit schönen charakteristischen Artefakte – je nach Resampling-Medium. So leiert es bei Tape und VHS zum Beispiel aufs Allerangenehmste. Hardware FX 1 und 2 sind ebenfalls eine reiche Fundgrube für sich bewegende Klänge, die nicht nur statisch in der Gegend rumstehen.
Unterm Strich finde ich die Quellsounds zu gleichförmig und ich bin mir auch noch nicht ganz sicher, was ich frequenztechnisch von der ganzen Sache halten soll. Sie klingen alle recht nasig-mittig. Das gilt teilweise sogar für die reinen Streicher, was auch nicht übermäßig verwunderlich ist, denn deren Besetzung ist wirklich ziemlich klein. Da kann es schon mal ein bisschen nasig-sägig werden.
Quellsounds und granulare Synthese
Krass ist allerdings der eingebaute Grain FX. Leider haben wir hier nicht den Raum, um genau zu klären, wie granulare Synthese im Allgemeinen und dieser Effekt im Besonderen funktioniert. Um euch einen genaueren Überblick zu verschaffen, checkt Spitfires Tutorial-Videos zu diesem Thema, da ist alles sehr gut erläutert. Nur so viel sei gesagt: Dieser Effekt bearbeitet lediglich einen kleinen Teil des Samples, oder blumiger ausgedrückt: ein Körnchen (grain). Die Größe dieses Körnchens wird durch „Duration“ definiert und anschließend durch verschiedenste Filter und andere Parameter geschickt.
Für dich ausgesucht
Im Soundbeispiel hört ihr einmal das unbearbeitete Patch und einmal das bearbeitete. Ich habe mich dabei auf Automationen der Parameter Duration, Delay und Tuning Spread beschränkt und finde es sensationell, was man allein damit alles machen kann. Es fühlt sich an, als würde man den Sound plastisch formen: größer, kleiner, dicker, dünner, mehr Ton, mehr Geräusch, was auch immer. Ein wahnsinnig gutes Tool, um organische Bewegung herzustellen, Klänge zu morphen und lebendig werden zu lassen.
Die unendlichen Möglichkeiten des Synth-Mode
Um mir einen Überblick zu verschaffen, nutze ich dieselbe Methode wie immer: mich wahllos durch die Presets klicken. Dabei fällt auf, dass diese in zwei Über- und in dutzende Unterkategorien sortiert sind. Leider hilft mir die Sortierung nicht weiter, denn Überkategorie 1 gruppiert relativ wahllos in Instrumentengruppen, Eigenschaft, Anmutung, etc., während Überkategorie 2 lauter Fantasienamen beinhaltet, die mir nichts über den Klangcharakter verraten.
An dieser Stelle denke ich, wie so oft, wenn es um neue Sounds geht, dass ein Attribut-Browser für den Kompositionsalltag wahnsinnig hilfreich wäre, in dem die Soundauswahl trichterförmig durch Selektion verschiedener Tags funktioniert. Aber gut, ist halt nicht.
Beim Stöbern durch die Presets bestätigt sich erneut, was die Quellsounds schon erahnen ließen: Die Welt von Polaris ist durchaus eigen, charmant, aber eben auch limitiert. Mitunter habe ich Mühe, substanzielle Unterschiede zwischen den Presets zu erkennen. In meinen Ohren hätte man sich locker die Hälfte davon sparen können.
Aber es gibt ja die Möglichkeit, selber zu bauen und bei „Polaris“ macht die für meine Bedürfnisse auch total Sinn. Ich sagte ja bereits, dass die Anzahl der Quellsounds begrenzt und charakterlich auch nicht besonders unterschiedlich ist. Daher geht die Soundsuche relativ fix und mit dem riesigen Werkzeug-Arsenal, das für jeden Sound zur Verfügung steht, kann man sich alles ziemlich schnell hindrehen. In diesen Kombinations- und Bearbeitungsoptionen entfaltet „Polaris“ für meine Begriffe seine größte Stärke. Denn um allein zu stehen, klingen mir die Sounds zu eindimensional.
In Kombination mit satteren Signalen funktioniert „Polaris“ allerdings sicherlich hervorragend als eine Mischung aus Mörtel und Kräutergarten: Es hält die anderen Signale zusammen und verleiht ihnen Würze. Damit das Ergebnis nicht zu intensiv wird, muss man fein dosieren. Und dazu bietet der Synth-Mode alles, was man braucht.
FX und Gate-Sequencer des Synth-Mode
Wem die Grundzutaten noch nicht reichhaltig genug sind, dickt mit den beiden Abteilungen FX und Gate-Sequenzer nach Belieben an.
Die FX-Abteilung ist ziemlicher Wahnsinn. Für jeden Sound A und B gibt es dort jeweils acht Effekte, außerdem weitere acht Effekte für den Master-Bus und noch einmal acht, die per Aux zumischbar sind. Inhaltlich geht es dabei quer durchs Gemüsebeet: Flanger, Chorus, Grain, zwei Reverbs, Saturation, Noise FX, usw. Man sorgt also mit Hingabe dafür, dass klanglich kein Stein auf dem anderen bleibt.
Da die Sounds trotz stilistischer und charakterlicher Einschränkungen regelmäßig recht viel Bewegung mitbringen, fühle ich mich persönlich von diesem FX-Gewitter eher überfordert. Aber ambitionierte Tüftler bekommen hier eventuell feuchte Augen. Von daher: für meine Zwecke überambitioniert, aber falls man es doch mal braucht, ist es wenigstens da. Dasselbe gilt für den Gate-Sequenzer. Ich habe da einige Sounds durchgeschickt, finde das Ergebnis aufgrund des Ausgangsmaterials in den meisten Fällen aber so subtil, dass ich es kaum wahrnehmen kann. Nichtsdestotrotz ein nices Nice-to-have.