Praxis
Instrumente und Artikulationen
Ich lade alle Instrumente in einen Kontakt und steppe mich wahllos durch die Artikulationen. Klanglich ist alles sehr gut. Es klingt nicht klinisch rein und glänzend, aber trotzdem hochwertig. Auch das Artikulationsangebot bietet alles, was man so braucht. Am Beispiel der Altflöte wären das: Legato, Long, Tremolo, Marcato, Tenuto, Staccato, Staccatissimo und Triller. Um mir auch noch einen Eindruck vom Rest zu verschaffen, checke ich die Ordner Core Techniques und Decorative Techniques. Dort kommen dann noch Rips und Falls dazu, außerdem Flageoletts und Multi-Tongues. Auch daran gibt es klanglich nichts auszusetzen. Die FX-Patches mit jeweils Air und Keynoise sind so unauffällig, dass man sie sich von mir aus auch hätte schenken können, aber was soll’s – was man hat, das hat man.
Wie bereits erwähnt, ist das Artikulationsangebot sehr einheitlich gestaltet, was mich ungemein freut. Ich habe nie verstanden, warum ein Instrument z. B. Marcato anbietet, während diese Artikulation bei allen anderen Instrumenten fehlt. Ausgenommen instrumentenspezifische Eigenschaften. Dass Flageoletts und Flatterzungen bei der Oboe fehlen, versteht sich von selbst, denn dort lassen sie sich nicht ausführen. Außerdem, wie bei Spitfire üblich, reagieren lange Artikulationen, im Gegensatz zu kurzen, nicht auf Anschlagsstärke, sind also Velocity-unempfindlich. Hier muss bzw. sollte die Dynamik per Regler beim Einspielen gefahren werden. Ich finde das eher hinderlich. Es irritiert mich, dass die Dynamik des Instruments nicht an die Dynamik des Anschlags gekoppelt ist, aber man muss sich bei Spitfire halt daran gewöhnen.
Mikropositionen und Regler
Was die Mikros angeht, bieten einem die Studio-Woodwinds drei Optionen; den Easy-Mix: ein Fader, der sich zwischen den Polen Close und Far bewegt; zwei Stereomixes: ein direkter, ein räumlicher oder sechs Mikrofonsignale zur eigenen Gestaltung sowie Close 1&2, Tree 1&2, Ambient und Outrigger. Für die Mikrofone gilt, was auch für alle weiteren Gestaltungsmöglichkeiten der Library zutrifft: Die Unterschiede sind hörbar, aber insgesamt eher im subtilen als im drastischen Bereich zu verorten. So wird man z. B. aus dem Ambient-Signal keine Konzerthallenatmosphäre herausholen. Aber es sind ja auch Studio-Woodwinds.
Für die Dynamik sind die Reglerdynamik und Expression zuständig. Während Expression für die allgemeine Volume zuständig ist, lassen sich per Dynamik die unterschiedlichen aufgenommenen Dynamik-Layer ansteuern. Idealerweise belegt man beide Regler mit dem gleichen CC-Befehl und fährt sie simultan, das führt am schnellsten zu realistischen Ergebnissen. Es bleiben die selbsterklärenden Regler Vibrato, Reverb und Release sowie der nützliche Regler Tightness. Per Tightness lässt sich der Startpunkt des Tons beeinflussen, denn dieser ist nicht unbedingt hörbar, Stichpunkt „Einschwingphase“. Insofern ist Tightness beim genauen Einspielen hilfreich: erst den Regler nach rechts verschieben, um sauber einzuspielen, danach wieder solange nach links zurückschieben, bis das Ergebnis natürlich klingt.
Next Level Shit; Stereoweite und Round Robins
Stichwort subtil: Hier geht es um klangliches Feintuning mit dem ganz feinen Skalpell. An der Stereoweite zu drehen, führt noch zu relativ deutlichen Unterschieden im Klang, bei den vier Presets für Round-Robin-Layering wird es allerdings wirklich schwierig. Ich höre, dass die Töne etwas voller werden, was ja auch Sinn macht, wenn ein Layer zugeschaltet wird. Aber man kann nicht sagen, dass es zu deutlich wahrnehmbaren Veränderungen führt. Diese Funktion macht also eher Sinn, wenn einem ein Instrument zu wenig Body hat. Und da man verschiedene Möglichkeiten der Layerung hat, kann man diese Anreicherung auch sehr lebendig gestalten. Alles in allem zeigt sich auch hier, dass diese Library sich ganz dem Realismus verschreibt. Starke Eingriffe im Sinne von Hybridisierung sind nicht Teil des Konzepts, alles bezieht sich auf lebensnahe Darstellung und Werkzeuge zum Justieren von Details.
Legato
Legatos gibt es sowohl in den Basisinstrumenten als Artikulation wie auch als Einzelinstrument. Ich spiele verschiedenste Instrumente, um zu prüfen, ob zwischen diesen beiden Varianten irgendein Unterscheid festzustellen ist. Falls es einen gibt, kann ich ihn nicht hören. Das führt mich zu einem der wenigen Punkte, die mir wirklich nicht einleuchten: ein Mehrfachangebot derselben Sache, so z. B. beim Legato der Oboe, das findet sich in den Instrumenten Oboe, Oboe Legato und Oboe Light Resources. Das ist zwar nicht weiter tragisch, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass die Ordnerstruktur hätte schlanker und übersichtlicher gestaltet werden können.
Time Machine
Die Time-Machine-Instrumente bieten den Regler Stretch zur zeitlichen Feinabstimmung der kurzen Artikulationen. Und der macht viel Freude. Die kurzen Artikulationen sind eh gut, aber gerade bei Bläsern ist kurz ja nicht gleich kurz. Mit Stretch kann man die Tonlänge dehnen oder stauchen und das Ergebnis klingt hervorragend. Mit einem Regler lässt sich hier etwas herstellen, für das andere Libraries individuelle Sample-Sets bereithalten. Natürlich darf bei diesem Patch auch der Regler für Tightness nicht fehlen. Mit diesen beiden Werkzeugen lassen sich die Tonlängen den jeweiligen Bedürfnissen genau anpassen, wobei Stretch zu sehr natürlichen Ergebnissen führt. Per Tightness lassen sich die Töne hingegen aber auch so hart anschneiden, dass das Resultat auch ausgesprochen artifiziell anmuten kann.
Für dich ausgesucht
Ostinatum
Das Ostinatum hat sich mir nicht gleich erschlossen. Allein, um zu begreifen, dass ich erst eine kurze Artikulation auswählen muss, damit ich Zugriff auf das Ostinatum bekomme, habe ich eine ganze Weile und das Handbuch gebraucht. Als ich dann Zugriff hatte, sah es mir erst mal nach einem nicht so intuitiven und tendenziell benutzerunfreundlichem Arpeggiator aus. Kern des Ganzen ist ein Fenster, in dem ich aus neun rhythmischen Notenwerten auswählen kann (von ganzer Note bis 64tel, inklusive 8el- und 16tel-Triolen) und in dem ich bis zu sechzehn Notenwerte manuell eingeben kann. Der Clou ist, dass die zur Verfügung stehenden Notenwerte sich frei kombinieren lassen und stoisch nacheinander abgespielt werden. Das heißt, nach einer 8el kann eine einzelne 16tel-Triole kommen, danach eine 32tel folgen, der wiederum eine 4tel folgt, der dann wieder eine 8el-Triole folgt usw. Daraus ergeben sich Rhythmen, die sich in der realen Welt nicht spielen und notieren lassen, da es so etwas wie eine alleinstehende 8el-Triole nicht gibt, sondern diese immer nur im Verbund mit zwei weiteren 8el-Triolen auftaucht. Kurz: Triolen gibt es nur als Triolen, nicht als Einzelwert, außer im Ostinatum. So können Rhythmen kreiert werden, die sich anders nicht realisieren lassen (von Aufnehmen und manuellem Zusammenschneiden mal abgesehen). Durch sukzessive Tonverschiebung lässt sich bereits mit einem Pattern viel Abwechslung erreichen. Unter Einbezug der drei verschiedenen Optionen zur Reihenfolge der Tonwiedergabe (wie Angeschlagen, Aufwärts, Abwärts) kann man dieses eine Pattern gleichzeitig vertraut und doch immer wieder anders klingen lassen.