Das deutsche Popmusik-Business wurde lange Zeit von englischsprachiger Musik und Musikkultur dominiert, doch deutsche Texte haben eine genre- und szeneübergreifende Renaissance erlebt und sind heute omnipräsent und erfolgreich. Auch mich hat es vor einigen Jahren gepackt und ich habe mein Projekt von englischsprachigen Texten auf deutsche umgestellt.
Aber wie geht man das an? Warum überhaupt? Kann man Songs übersetzen? Und was macht das mit der Musik? Warum der Umstieg auf die Muttersprache die beste Entscheidung war, die ich treffen konnte, erfahrt ihr in diesem Erfahrungbericht.
Die Ausgangssituation: Meine generische Rockband und ich
Ich bin Leon Kaack, 27 Jahre alt, Autor für Bonedo, Gitarrist, Gitarrenlehrer und Songwriter. Meine musikalischen Wurzeln liegen in Rock, Punk, Metal und Hardcore – und so klingt auch die Musik, die ich schreibe. Bis vor ein paar Jahren waren meine Hörgewohnheiten hauptsächlich englischsprachig, meine Lieblingsbands waren die Foo Fighters, Audioslave und alles, was sonst im amerikanischem Alternative-Rock Rang und Namen hatte. Das beeinflusste natürlich auch meine Musik. Nach vielen Jahren des Hörens und Praktizierens dieser spezifischen Auslegung von Rockmusik hatte ich allerdings irgendwann genug von der amerikanischen Alternative-Rock-Ästhetik. Gleichzeitig entdeckte ich die deutsche Alternative- und Post-Hardcore-Szene: Bands wie Van Holzen, Heisskalt und Fjort zeigten mir, dass Rockmusik auf Deutsch auch cool sein kann. Gleichzeitig sang ich deutschsprachige Backgroundvocals in der Band der Songwriterin Alina Bach und machte die Erfahrung, dass es sich irgendwie anders anfühlt, deutsch zu singen – irgendwie echter, direkter und emotionaler. So wuchs in mir die Idee heran, auch mal Musik auf deutsch zu machen, die nach den ersten Gehversuchen prompt zur Umstellung und mittelfristig zu einem vollständigen Rebranding meiner Band führte.
Der erste Song, die erste Skepsis, der erste Zweifel
Mein erster deutscher Song entstand nicht aus dem Konzept des Sprachenwechsels heraus, nicht mal mit einer konkreten Idee. Er kam einfach so, wie Songs manchmal einfach so aus einem herauskommen. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt sicher seit Jahren Songs geschrieben, aber immer nur auf Englisch. Einen deutschen Text zu schreiben, fühlte sich erstmal neu, aufregend und gruselig an. Gruselig, weil plötzlich jede Nuance der Sprache zu verstehen ist. Aber es reichte, um mich anzufixen und nach dem zweiten Versuch in diese Richtung nahm ich mein Baby mit in den Proberaum, um dem Rest meiner Band den Vorschlag zu unterbreiten, mal meinen neuen deutschen Song zu spielen. Die Reaktion: verhalten bis skeptisch.
Das Feeling beim Spielen war jedoch, sagen wir mal, unter Vorbehalt gut und entsprach definitiv meinen Erwartungen und Erfahrungen – es fühlte sich direkter, emotionaler und echter an. Also blieb ich weiter dran und nachdem ein paar andere deutsche Songs entstanden waren und wir gerade stetigen Schrittes in Richtung unserer ersten Albumaufnahmen marschierten, fällten wir einen folgenschweren Entschluss. Deutsch ist irgendwie geiler, aber Sprachen mischen ist komisch, also: Alles muss deutsch! Aus der allerersten deutschen Skizze wurde übrigens später das hier:
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Englische Songs übersetzen?
So aufregend und motivierend diese Entscheidung war, so problematisch war der Umstand, dass die meisten unserer Songs, die wir aufnehmen wollten, natürlich schon englischsprachige Texte hatten und die Recordings zum Album bereits kurz bevorstanden. Nur für eine Handvoll neuer Instrumentals bestanden bereits Texte und Melodien auf Deutsch. Also haben wir gepokert und alle Songs, alt wie neu, englisch wie deutsch, zunächst nur als Instrumentalversion aufgenommen. Danach wollte ich mir in Ruhe die Zeit nehmen, die neuen Vocals fertigzustellen und die alten umzuinterpretieren. Mein Motto war: Was gut wird, kommt aufs Album, was schlecht wird, fliegt raus!
Davor war mir natürlich erstmal angst und bange, sowohl aufgrund des Arbeitsaufwands als auch aufgrund der Tatsache, dass ich erst ein paar Monate zuvor überhaupt meinen ersten halbwegs annehmbaren deutschen Text geschrieben hatte. Der Arbeitsaufwand war so immens wie erwartet, aber das Umtexten an sich hat sich letztendlich als weniger problematisch herausgestellt als ursprünglich gedacht. Mit den alten Melodien gab es eine grobe Basis, auf der ich über einen Zeitraum von einigen Monaten die neuen Vocals aufbaute. Die Texte habe ich dabei nie wörtlich übersetzt, meistens nicht mal thematisch. Ich habe meistens sogar ohne Musik getextet und diese Ideen dann mit den bereits bestehenden Grundsteinen verknüpft.
Sprache macht Persönlichkeit
Nun war ich also mit dem Problem konfrontiert, dem man als Muttersprachler eben ausgesetzt ist. Man versteht selbst jedes Wort von dem, was man da singt und kann sich nicht mehr mit halbgaren Füllwörtern oder Phrasen retten. Es muss sowohl gut klingen als auch Sinn machen und am besten noch einigermaßen grammatikalisch korrekt sein. Das mag für erfahrene Texter/innen selbstverständlich klingen, war für mich aber eine ganz neue Situation mit einem ganz anderen Fokus. Texten war plötzlich eine deutlich wichtigere und daher schwierigere und bewusstere Aufgabe als vorher und nahm wesentlich mehr Zeit, Priorität und Nerven ein. Aber dieser Druck zwang mich dazu, mehr Persönlichkeit zuzulassen. Eigene Worte und Themen zu finden, gelang mir am besten, wenn ich über die Dinge geschrieben habe, die mich als Person wirklich bewegen und nicht die generische amerikanische Stadion-Verallgemeinerung davon. Ich musste mich selbst viel mehr ausleben und konnte mich somit automatisch besser mit meiner Musik identifizieren.
Profilschärfung aus Versehen: Neue Sprache, neuer Gesangsstil
Unsere größte Angst als Band war, dass unsere Musik mit deutschen Texten einfach nur peinlich, überzogen und pathetisch wirken würde. Für die Kombination aus amerikanisch geprägter Rockmusik mit zu eindeutigen oder unangenehm emotionalen deutschen Texten gibt es schließlich nicht wenige Beispiele. Meine Hörgewohnheiten zu jener Zeit waren aber wie schon gesagt vor allem geprägt von der deutschen Alternative-Rock-, Post-Punk- und Post-Hardcore-Szene, und dort wehte ein ganz anderer Wind. Kryptische Texte, manchmal mit simplen oder eher monotonen Melodien, Geschrei, wilde Metaphern, eindringliche Aussagen. Diese ästhetischen Einflüsse nahm ich mir zum Vorbild, sodass sich zumindest ein paar Anhaltspunkte als Zielsetzung dafür ergaben, wie die neuen Vocals ungefähr klingen sollten. Ich habe bewusst auf kunstvollere Schlenker und auf bluesige Lines verzichtet, im Zweifel eher etwas aggressiver gesungen und versucht, gerade genug auf Intonation zu achten und manchmal sogar gezielt atonal zu singen, beziehungsweise einfach zu rufen. Alles sollte so unprätentiös wie möglich klingen. Durch die Inhalte und die bewusster in Szene gesetzte Attitude beim Singen bekam das Projekt einen viel greifbareren Grundtonus. Die Vocals dienten als Bindeglied zwischen den zum Teil sehr unterschiedlichen Playbacks und somit als wichtigste stilistische Konstante.
Wer verstehen will, muss hören
Damit ihr eine Vorstellung davon bekommt, was die Umstellung auf Deutsch bewirkt hat, könnt ihr im Folgenden die deutsche und die englische Version desselben Songs anhören. Dies ist der einzige Song, der auf beiden Sprachen erschienen ist.
Lost myself:
Zu weit:
Hat sich der Versuch gelohnt?
So riskant und arbeitsreich die Umstellung war – die Arbeit war es definitiv wert. Ich habe in deutschen Songtexten eine spannende Herausforderung und ein großes Stück künstlerische Identität gefunden, das mir sonst mit Sicherheit verwehrt geblieben wäre. Solltet ihr vor dieser oder einer ähnlichen Entscheidung stehen, kann ich euch sagen, dass es sich in meinem Fall definitiv ausgezahlt hat, entgegen allen Risiken auf mein Bauchgefühl und meine Lust zu hören. Die beiden scheinen nämlich manchmal einiges zu wissen, was im Kopf noch nicht ganz angekommen ist.
Hier könnt ihr lesen, wie ich versucht habe, das Ganze zu veröffentlichen und zu vermarkten:
Musik selber vermarkten – Teil 1