„Volle Kraft voraus“ lautet offenbar die aktuelle Devise bei der norddeutschen Softwareschmiede Steinberg. Denn kaum haben die Bits und Bytes der Cubase Version 6 nach der ersten Defragmentierung einigermaßen ihren Platz auf der Platte gefunden, geht’s auch schon wieder eine halbe Versionsnummer nach oben. Der Faktor Null Komma Fünf lässt dabei schon erahnen, dass es sich hierbei nicht um ein einfaches Service-, sondern ein kostenpflichtiges Major-Update handelt. Der Blick auf die Featureliste zeigt warum: Neben vielen Detailverbesserungen hat die Nullfünfer mit Padshop und Retrologue zwei mächtige Software-Synthesizer spendiert bekommen. Mit dem DJ- und Morph-EQ finden sich zudem in der Effektsektion zwei Neuzugänge.
Nach wie vor ist die Vollversion von Steinbergs Schlachtschiff im Einzelhandel wie auch in Steinbergs Online-Shop erhältlich und kostet dort 599 Euronen. Das gleiche gilt für Updates von Version 4 bzw. 5 auf die „Sechsfünfer“, welche immerhin mit € 199 zu Buche schlagen. Wer Besitzer einer 6er-Version ist und die „Sieben“ nicht abwarten kann oder will, ist mit 49,99 Euro dabei. Wir sind die halbe Versionsnummer mitgegangen und haben gehört und geschaut, ob – und wenn ja für wen – sich der Aufstieg lohnt.
DETAILS
Installation
Neben der Vollinstallation, die schon seit der Version fünf so umfangreich ist, dass sie nur auf einer DVD Platz findet, besteht auch die Möglichkeit, eine bereits installierte Sechser-Version lediglich zu updaten. Dieses Installationsarchiv kommt dann nur mit dem Volumen einer herkömmlichen Daten-CD aus. Exakt für diese Variante haben wir uns auch bei diesem Test entschieden.
Erfreulicherweise bleibt die Media-Bay-Datenbank vom Update unangetastet – das heißt alle Metadaten und Indexierungen stehen auch noch dem Start der neuen Version direkt bereit. Für den Plug-In-Ordner gilt das hingegen nicht und entsprechend läuft beim ersten Start unweigerlich das – je nach Umfang der Plug-In-Sammlung – zeitaufwändige Scannen der DLLs durch, ohne dass es sich abbrechen ließe. Ich gebe ja die Hoffnung nicht auf, dass es den Betriebssystemherstellern irgendwann mal gelingen wird, sich auf eine zentrale Plug-In-Datenbank zu einigen, denn mit Schriften geht das schließlich auch. Aber genug der Vorbereitung, fassen wir dem Frosch in die Locken:
Retrologue orientiert sich von seiner Klangarchitektur an klassischen Analogsynthesizern, ohne jedoch ein bestimmtes Vorbild direkt zu imitieren. Dennoch ist er somit dem Wesen nach den virtuell-analogen Klangerzeugern zuzurechnen. Zwei Oszillatoren mit jeweils acht Stimmen erzeugen hier wahlweise Sinus-, Sägezahn-, Dreieck- und Puls-Schwingungsformen. Letztere ist über Multi-, Cross- und Sync-Verschaltung mit Oszillator zwei koppelbar und bietet die Möglichkeit zur Pulsweitenmodulation. Neben Oktavlage und Grob- und Feinstimmung lässt sich die Schwingungsform über den Shape-Regler noch in ihrem Obertonspektrum feinjustieren. Flankiert wird die Grundklang-Sektion durch einen Sub-Oszillator (Rechteck, Dreieck und Sägezahn) und einen Rauschgenerator (Pink BPF, White BPF, Pink, White). Der Klangrohling trifft danach auf die Filtersektion. Hier zeigt sich das digitale Herz des Retrolouge, denn die insgesamt zwölf verschiedenen Filtermodi wären auf analogem Weg nur höchst aufwendig zu realisieren – zur Verfügung stehen hier zwölf Filtertypen, die von Tief-, Hoch- über Bandpass- und Bandsperre-Filter reichen und mit unterschiedlichen Flankensteilheiten (6, 12 und 24 dB/oct) agieren.
Den Kurvenverlauf legt man über eine klassische ADSR-Filter- und Lautstärke-Hüllkurve fest. Eine nachgeschaltete Effekteinheit verfügt über ein tempo-syncronisierbares Delay und hat zudem einen Modulationseffekt an Bord. Zusätzlich stehen zwei separate LFOs als Modulationsquellen bereit, die in der umfangreichen Modulationsmatrix auf insgesamt sechzehn Ziele schaltbar sind. Neben der Modulationsquelle und dem Ziel, kann in dieser Matrix (welche prinzipiell mit der im Padshop-Synth nahezu identisch ist) neben der Effekttiefe und einem Offset-Faktor auch ein so genannter Modifier – ähnlich wie beispielsweise in NIs „Massive“ – festgelegt werden, also im einfachsten Fall das Pitch- oder Modulation-Wheel. In komplexeren Klanggebäuden kann das natürlich auch ein Parameter der Klangerzeugung selbst sein. Ein flexibler Mono- und Poly-Mode mit Legato, Glide und einer Priorisierung, welche Note gekappt werden soll, wenn das Stimmenanzahl-Limit erreicht ist, runden die Performance-Möglichkeiten dieses Synthesizers ab.
Für dich ausgesucht
Wer mit Analogsynthesizern (egal ob real oder virtuell) schon Erfahrung hat, dürfte sich auf dem hübsch gestalteten GUI auf Anhieb zurechtfinden. Entsprechend seiner Konzeption empfiehlt sich der Retrologue natürlich insbesondere für die klassischen analogen Einsatzfelder wie sägende Leads, blubberige Bässe und breite Pads. Dank der Oszillator-Synchronisation, der vielseitigen Filtersektion und der umfangreichen Modulationsmatrix gelingen mit ihm aber auch eher unkonventionelle Klangkreationen. Die über dreihundert Sounds umfassende, durchweg hochwertige Werkslibrary ist dabei ein reichhaltiger Fundus, um sich Inspirationen zu holen oder sogar direkt mit einem der Presets zu arbeiten.
Padshop ist ein waschechter Granularsynthesizer. Das heißt, dass er mit unterschiedlichen Parametrisierungen wie Geschwindigkeit, Start-, Endpunkt und Länge kurze bis kürzeste Abschnitte (Grains) innerhalb einer Schwingungsform ausliest. Da die Abschnitte in der Regel nur wenige Zyklen lang sind, ergeben sich daraus komplexe Grundschwingungen, die dann der weiteren Klangbearbeitung zur Verfügung stehen. Der Hingucker des sehr schicken GUIs ist fraglos die Schwingungsformansicht, in der die aktuelle Abtastposition der einzelnen Grain-Streams mit einem hübsch animierten Lokator visualisiert wird. Apropos Audiodateien: Mit vierhundert Sample-Presets ist Padshop werkseitig zwar bestens bestückt, dennoch steht die Möglichkeit, eigene Samples zu verwenden, an oberster Stelle auf meiner Update-Wunschliste. Laut Steinberg ist das aber in Planung und soll bald implementiert werden.
Die Klangarchitektur von Padshop bietet zwei unabhängige Sound-Layer, jeweils basierend auf einer individuellen Oszillator-Quelle, die bis zu acht verschiedene Grain Streams generiert und eine durchdachte Edit-Sektion für den Zugriff auf die wichtigsten Soundparameter. Zur Ausstattung gehören hochwertige Tief-, Hoch- und Bandpass- sowie Bandsperre-Filter mit integrierter Filter-Verzerrung, zwei Hüllkurven (Lautstärke und Filter), zwei LFOs, ein Step-Modulator sowie eine Effektsektion mit Delay- und Modulationseffekten. Die Modulationsmatrix gleicht in vielen Bereichen der von Retrolouge – erweitert wurde sie bei Padshop allerdings um einen ausgewachsenen Step-Modulator.
Der DJ-EQ ist ein schlichter Dreiband-Festfrequenz Equalizer (High, Mid, Low). Den Frequenzbändern kann man entweder über die Kill-Taster komplett eliminieren oder sie manuell im Bereich von +6 bis -32dB anheben oder absenken. Tja, das war’s auch schon. Mehr gibt’s nicht zu sagen, außer vielleicht, dass der DJ-EQ nichts kann, was man nicht schon immer mit dem Kanal-EQ von Cubase hätte bewirken können. Hübsch anzusehen und leicht verständlich, aber absolut verzichtbar.
Ein ganz anderes Kaliber ist da das Morph-Filter: Es vereint vier Filtertypen (resonanzfähige Tief-, Hoch- und Bandpass- und Bandcut-Filter) mit unterschiedlichen Flankensteilheiten (6, 12, 18, 24). Allen Filtern liegt der Programmcode der Audioengine von HALion 4 zugrunde. Zur Visualisierung dient eine XY-Matrix, an deren Rändern drei Fader plaziert sind, mit denen sich die Einsatz-Frequenz, die Resonanz und der Morph-Faktor bestimmen lassen. Die klangliche Grundcharakteristik alle Filtertypen rangiert im Bereich von sachlich bis neutral. Das ist für die möglichen Einsatzgebiete dieses Effekt-Plug-Ins von Vorteil, denn gerade wilde, automatisierte Interpolation zwischen verschiedenen Filtertypen und Einstellungen klingen dadurch weitaus homogener und stimmiger, als wenn jedes Filtermodell mit einer extrem eigenständigen Klangsignatur ausgestattet wäre.
Auch in Bezug auf den Workflow hat Cubase 6.5 einige Neuerungen im Gepäck. Allen voran ist dies das neue Comping-Werkzeug, welches nun in der Tool-Leiste residiert. Offensichtlichste Änderung hier ist die Möglichkeit, vertikal, also über mehrere Spuren hinweg in einem einzigen Arbeitsschritt zu schneiden. Dazu hält man zunächst die Maustaste einfach gedrückt und markiert einen Bereich (der natürlich entsprechend der gewählten Quantisierung einrastet). Nach dem Loslassen sind der Bereichsanfang und das Ende automatisch zerteilt. Auch das Positionieren von Track-Länge, Enden und Anfängen ist nun in einem Rutsch über mehrere Takes hinweg möglich, ohne dass man die betreffenden Spuren extra selektieren muss. Als sehr nützlich erweist sich auch die neue Funktion „Unterspuren aufräumen“, was ein automatisches Entfernen von Überlappungen dadurch bewirkt, dass die einzelnen Segmente auf neue Unterspuren verteilt werden. Ebenfalls neu: „Spuren aus Unterspuren erzeugen“, womit sich aus der selektierten Unterspur ein vollwertiger neuer Audiotrack erzeugen lässt.
Eine weitere Neuerung: Warp- und MIDI-Quantisierung werden nun gleichberechtigt über das Quantisierungs-Bedienfeld zurechtgerückt – eine ebenso nützliche wie technisch naheliegende Verbesserung. Damit einhergehend ist die Anwendung von Quantisierungs-Regeln nun auch über komplette Track-Gruppen hinweg möglich.
Die neuen Optionen im Exportdialog sind zwar unscheinbar, sollten aber dennoch nicht unerwähnt bleiben: Hier können Audiodateien zum einen nun im verlustfreien FLAC-Format exportiert werden, zum anderen lassen sich die gerade gerenderten Audiofiles direkt zu „Soundcloud“ hochladen. Technisch ist das nicht sonderlich spektakulär – interessant ist hingegen, dass das über den neu hinzugekommenen Reiter „Postprocessing“ erfolgt. Man darf also gespannt sein, welche Einträge hier in Zukunft noch zu finden sein werden.
Auch die virtuelle Gitarren-Suite VST Amp Rack wurden im Zuge des Updates mit Neuerungen bedacht: So stehen jetzt ein Maximizer und ein Limiter als neue Stompbox-Effekte bereit. Zudem wurde dem virtuellen Rack eine größere Pegelanzeige für die Visualisierung der Eingangs- und Ausgangssignale spendiert. Auch wurde die Preset-Library um fünfzig Programme ergänzt, die von verdienten Gitarreros namhafter Bands wie Meshuggah, Emperor, Accept und Die Ärzte erstellt wurden.
Last but not least, kommuniziert Cubase 6.5 mit entsprechenden ReWire-Applikationen ab sofort mit 64 Bit, der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass es nun auch eine chinesische Sprachversion gibt – für immerhin 1,4 Milliarden potenzielle Cubase-User also.
Howard sagt:
#1 - 22.05.2012 um 03:08 Uhr
Spelling "Retrologue"
BonedoAlex sagt:
#2 - 22.05.2012 um 12:24 Uhr
Hi Howard, Danke für den Hinweis! Ich hab's gerade geändert! Viele Grüße, Alex