Praxis
The Kit: Mehr Detail bei akustischen Drums
Virtuelle Drum-Workstations, die wie der Groove Agent 5 in der Tradition von Beat-Production stehen (siehe z. B. auch Native Instruments Battery 4), legen in der Regel keinen Wert auf tiefgreifende Details, wie das Spezialisten für akustische Drums (z.B. Toontrack EZdrummer 3) tun. Unzählige Velocity-Layer für eine authentische Dynamik oder viele verschiedene Spielweisen pro Trommel/Becken spielen kaum eine Rolle. Schließlich dürfen bei elektronischer Musik auch die Sounds „echter“ Drums gerne etwas künstlich klingen – und oft ist ein gewisser technoider Charakter sogar ausdrücklich erwünscht.
Dass es trotzdem auch anders geht, zeigt der Groove Agent in seiner aktuellen Version mit einem überraschend detailliert gesampelten akustischen Drumset, das mit einem Umfang von 20 GB etwa zwei Drittel des gesamten Datenvolumens einnimmt. The Kit wurde in den Teldex Studios in Berlin aufgenommen und bietet bis zu 20 Velocity-Layer pro Instrument. Im Hinblick auf die Anzahl der Artikulationen ist man ebenfalls gut versorgt. Wesentlich sind hier vor allem die Hi-Hats, die in diesem Fall mit sechs Öffnungsgraden kommen und dabei zwischen Schlägen auf Beckenkante und Beckenfläche unterscheiden. Die Voraussetzungen für realistische Ergebnisse sind damit eindeutig erfüllt.
Bei den Instrumenten muss man sozusagen essen, was auf den Tisch kommt: Die Library enthält keine zusätzlichen Trommeln wie z. B. alternative Snares oder Kicks. Stattdessen kann man sich bei der Snare zwischen drei Dämpfungsgraden und bei der Kick zwischen vier Arten von Beatern entscheiden, die alle ein wenig unterschiedlich klingen. Und auch bei den Overhead-Mikrofonen stehen drei unterschiedliche Varianten bereit. Ich muss gestehen: So viel Detailverliebtheit hätte ich dem Groove Agent nicht zugetraut.
Der Grundklang von The Kit wirkt recht unbehandelt, was ich als positiv empfinde. So hat man bei der Effektbearbeitung des Klanges einen verhältnismäßig großen Spielraum. Die Presets dürften dabei aber ruhig etwas kräftiger zupacken. Auch der Vergleich mit dem Default-Preset des Toontrack EZdrummer 3 zeigt: An manchen Stellen wirkt der Groove Agent 5 etwas dünn. Wer hier selbst Hand anlegen möchte, macht das entweder im internen Mixer oder leitet die einzelnen Kanäle über bis zu 32 Plugin-Ausgänge an den Mixer der Host-DAW. Für Cubase-Anwender können den internen Mix einschließlich aller Effekte sogar direkt auf Knopfdruck übertragen.
Die Qualität der MIDI-Grooves ließe sich noch steigern. Hier wünscht man sich an manchen Stellen mehr Menschlichkeit, während es an manchen anderen Stellen fast ein wenig holprig zugeht. Wenn der Duracell-Hase auch nur leicht ins Stolpern gerät, kann das eben schnell irritierend wirken. Hier kann Steinberg also definitiv noch nachlegen.
Raw Power: neue Electro-Kits
An der Elektro-Front kommt der Groove Agent 5 mit der neuen Erweiterung Raw Power, die 31 Kits von namhaften Producern aus angesagten Genres wie Future Bass und Trap enthält. Grundsätzlich neu ist auch, dass die Kits und die zugehörigen Patterns nun auch melodische oder harmonische Elemente wie Basslines oder Chords enthalten. In Kombination mit dem recht hochpolierten und mixfertigen Grundklang sind Beats so natürlich extrem einfach erstellt. Gleichzeitig entsteht zumindest bei den vorgefertigten Patterns aber eine recht hohe Wiedererkennbarkeit.
Um daran etwas zu ändern, bietet es sich z. B. an, die enthaltenen Patterns durch einen Style für den Style-Player zu ersetzen. Der bietet in Version fünf des Groove Agent nicht nur neue Styles, sondern er arbeitet auch mit den Electro-Kits aus der Kategorie des Beat Agent. Bei Styles handelt es sich im Gegensatz zu einzelnen Patterns um Sammlungen zusammengehöriger Grooves, Fills, Intros und Endings. Auch wenn die vorhandenen Styles vorrangig aus dem Bereich akustischer Drums kommen, ergeben sich hier inspirierende Kombinationsmöglichkeiten. Natürlich könnt ihr aber auch andere vorgefertigte Patterns nutzen oder eigene Patterns programmieren.
Die Decompose-Funktion
Die Decompose-Funktion, die tonale Anteile und Geräuschanteile eines Samples trennt und sie als neue Samples in einem neuen Pad-Layer ablegt, ist ein gutes Beispiel für ein komplexes Feature, das kinderleicht zu bedienen ist. Der zugehörige Reiter im Edit-Bereich hält zwar mehrere Parameter bereit, doch konnten seine Ergebnisse im Test auch ohne zusätzliches Tweaking überzeugen.
Doch wozu das alles? Die Anwendungsbereiche für die Decompose-Funktion sind vielfältig. Einerseits bietet sie sich zur einfachen Klangbearbeitung an – z.B. um das Verhältnis aus Attack und Sustain einer 808-Kick zu regeln. Einem experimentellen Einsatz beim Sounddesign steht aber natürlich auch nichts im Wege. Ein wirklich cooles neues Feature!