Steinberg HALion 5 Test

Die erste Version von HALion wurde 2001 von Steinberg veröffentlicht und war in dieser Zeit des noch verhältnismäßig frisch vollzogenen Umbruchs von Hardware zu Software ausschließlich als virtueller Sampler konzipiert. Diese ursprüngliche Paradedisziplin lässt die Anwendung natürlich auch noch in ihrer jüngsten Inkarnation deutlich erkennen, die über die Jahre hinzugekommenen Funktionen liegen zum Teil aber weit jenseits vom bloßen Organisieren und Abspielen von Samples und machen HALion zu einem ausgewachsenen Sound-Design-Studio inklusive einer umfangreichen Synth- und Effekt-Sektion.

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Der Name der Software wurde dem (auch aus musikalischer Sicht) epischen Film-Werk „2001: Odyssee im Weltraum“ entliehen, in dem der neurotische Bordcomputer HAL 9000 aus der Befürchtung heraus, abgeschaltet zu werden, beginnt, die Besatzung seines Raumschiffs zu dezimieren. Auch wenn sich das charakteristische rote Kamera-Auge des Computers aus dem Film sogar im Logo des virtuellen Instruments wiederfindet und HALion 5 in seiner Komplexität schon deutlich näher an den Namensgeber heranreicht als die Erstversion, muss man sich aber keine Sorgen um entsprechende kriminelle Anwandlungen der Software machen. HALion wurde während der ausgiebigen Testphase mehrere Male problemlos abgeschaltet, und Drohungen von einer kühlen Computer-Stimme blieben dabei aus. Ein zeitweiser Sauerstoff-Mangel im Studio erinnerte zwar an die Vorgehensweise von HAL 9000, ließ sich aber glücklicherweise durch einfaches Lüften beheben.

Gerade wegen der tiefen Eingriffsmöglichkeiten konzentriert sich dieser Testbericht ausschließlich auf die gestalterischen Fähigkeiten des virtuellen Instruments. Da die zeitgleich veröffentlichte Workstation HALion Sonic 2 die gleiche Library bietet und sogar als eigenständig lauffähige Version in HALion 5 enthalten ist, empfiehlt es sich also, unseren dazugehörigen Testbericht als eine auf den Content bezogene, umfangreiche Einleitung zu diesem Artikel zu sehen und ihn sich am besten vorab zu Gemüte zu führen. Sicher ist: ganz unkompliziert und Einsteiger-gerecht wird es auf den folgenden Seiten nicht immer zugehen, da ein Erklären der zum Teil tiefen Funktionen wohl vom Hundertsten ins Tausendste führen würde. Trotz gewohnter Ausführlichkeit ziehen wir bei bonedo eine klare Grenze zwischen Testberichten und Romanen.

Details

Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit HALion Sonic 2

In Sachen Umfang und Installation entspricht HALion 5 weitestgehend seinem kleinen Bruder HALion Sonic 2. Die Datenmenge liegt ebenfalls bei etwa 15 Gigabyte, und selbstverständlich gibt es auch hier jeweils eine 32-Bit und eine 64-Bit Version der zwei separaten Anwendungen. Die Lizenz zur Nutzung von HALion 5 schließt die Nutzung von HALion Sonic 2 mit ein, und somit muss auf Steinbergs Kopierschutz-Stecker nur eine Autorisierung vollzogen werden. Gemessen an den technischen Daten ist der größte Unterschied wohl der Umfang des im PDF-Format vorliegenden Handbuchs, das im Falle von HALion 5 völlig zurecht etwa um die Hälfte „dicker“ ist.

HALion 5 in der Standard-Ansicht.
HALion 5 in der Standard-Ansicht.

Ganz anders verhält es sich da schon mit den reinen Äußerlichkeiten der Software. Während das GUI von HALion Sonic 2 relativ starr gehalten ist und alles an seinem festen Platz sitzt, bietet HALion 5 ein komplexes Screenset-Management, mit dem sich eine überragende Vielzahl an unterschiedlichen Editoren ein- und ausblenden bzw. in der Größe skalieren lässt. Bei Bedarf können einzelne Teilbereiche in separaten Fenstern dargestellt werden, und Schnappschüsse der Oberflächengestaltung lassen sich natürlich auch als Presets abspeichern. Trotz des modularen Konzepts kann man der Benutzeroberfläche aber einen relativ hohen Anspruch an Bildschirmfläche bescheinigen, und auch bei der von Steinberg als Minimum vorausgesetzten Auflösung von 1280 x 800 Bildpunkten kann es schnell ein wenig eng werden. Auch wenn es sicher kein Muss ist, empfiehlt sich zum entspannten und übersichtlichen Arbeiten an Details eine Lösung mit zwei Bildschirmen, denn gerade in einer solchen Umgebung kann das flexible Layout seine Stärken ausspielen. Beinahe wünscht man sich die Möglichkeit, zügig über Tastatur-Shortcuts zwischen mehreren Screensets wechseln zu können, wie es im neuen Mischer von Cubase 7 machbar ist, darauf muss man aber vorerst verzichten.

Welcher Editor darf es sein?
Welcher Editor darf es sein?

Programme, Layer und Zonen – Der Program Tree

Der für die Gestaltung eigener Sounds wohl wichtigste Teil der Benutzeroberfläche von HALion 5 ist der Program Tree, der als eine Art Schaltzentrale einen Überblick zu allen verwendeten Bauteilen eines Instruments liefert. An oberster Stelle in der Hierarchie steht das einzelne Programm, das einen oder mehrere Layer beinhaltet, die im Fall komplexer Patches selbst wiederum mehrere Ebenen an Sub-Layern einschließen können. Das untere Ende der Gliederung bilden die Zonen, die für die letztendliche Klangerzeugung zuständig sind und eingehende MIDI-Daten in hörbares Audio-Material umsetzen.

Der noch recht übersichtliche Program Tree eines Voltage-Presets.
Der noch recht übersichtliche Program Tree eines Voltage-Presets.

Vor der Zone und hinter der Zone – MIDI-Module und Busse

Mit den MIDI-Modulen lassen sich eingehende MIDI-Daten bearbeiten, bevor sie in die Klangerzeugung der jeweiligen Zonen gehen. Die Ausstattung reicht von einer einfachen Velocity Curve oder einem Randomizer bis hin zum neu hinzugekommen MIDI- bzw. Drum-Player, der wiederum eigenständige MIDI-Files bzw. MIDI-Loops triggern kann. Ebenfalls Teil der MIDI-Module ist der überarbeitete FlexPhraser, der mit der Möglichkeit, eigene Phrasen zu programmieren punktet und schon im Test zu HALion Sonic 2 ein Thema war.

Der Editor für MIDI-Module, hier mit geöffnetem FlexPhraser und LFO.
Der Editor für MIDI-Module, hier mit geöffnetem FlexPhraser und LFO.

Die Audio-Busse liegen dagegen natürlich typischerweise hinter der Klangerzeugung und bieten die Möglichkeit, einzelnen Layern eigene Ausgangskanäle zu verpassen. Was man in HALion Sonic 2 aufgrund von hauptsächlich vorliegendem Stereo-Material in den Presets noch als unwesentlich empfinden konnte, wird im Falle von HALion 5 nun leider doch zum Kritikpunkt: Die Software bietet keine Möglichkeit, Mono-Busse einzurichten oder den Mischer einer DAW über dedizierte Mono-Ausgänge zu beschicken, und gerade bei eigenen Samples wird es sich wohl doch hin und wieder um Mono-Material handeln. Abgesehen von der Ersparnis an Rechen-Performance gehört es in professionellen Anwender-Kreisen, die sich durchaus von HALion 5 angesprochen fühlen werden, wohl einfach zum guten Ton, Mono-Spuren nicht unnötig in Stereo-Kanälen zu verdoppeln. Als wiederum positiv zu vermerken ist, dass HALion 5 statt der 16 Ausgangskanäle von HALion Sonic 2 satte 32 Stereo-Kanäle und einen 5.1 Surround-Kanal anbietet. Mehr braucht es nun wirklich nicht. Zudem kann die Software statt nur 16 Instrumenten gleichzeitig 128 Instrumente laden.

Die Mixer-Ansicht von HALion 5.
Die Mixer-Ansicht von HALion 5.

Die internen Busse können selbst wiederum mit jeweils bis zu acht Insert-Effekten bestückt werden, und auch in dieser Hinsicht bietet HALion 5 neben einer schon bisher umfangreichen Grundausstattung neun neue Algorithmen, die größtenteils aus Cubase übernommen und direkt in die Software implementiert wurden. Vor allem seien hier der VST-Amp zur Simulation von Gitarrenverstärkern und der Envelope Shaper genannt. Insgesamt kommt die neue Version damit auf eine stattliche Auswahl von 31 Effekten, und um Abwärtskompatibilität zu gewährleisten, sind zusätzlich auch die Legacy-Effekte aus HALion 3 noch mit an Bord.
  
Auf den folgenden Seiten werden Sounds importiert, programmiert, bearbeitet und mit den Bordmitteln verfremdet. Auch wenn dabei sicherlich nicht alle Funktionen zum Einsatz kommen, soll zumindest ein grundlegender Überblick zur Funktionsweise von HALion 5 gegeben werden, der sich nicht ausschließlich auf die Neuerungen konzentriert. Sehen wir also, wie sich der Sound-Design-Bolide in der Praxis schlägt!

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