Grundlegendes zum Arrangement – die Vorbereitung
Nun zur Praxis. Wie baut man ein Arrangement auf? Dazu möchte ich hier einmal meine eigene Herangehensweise schildern. Sofern der Song nicht von mir ist (wie in unserem Beispiel), höre ich mir das Stück zunächst einige Male konzentriert an. Ich bitte darüber hinaus auch stets um ein Leadsheet, damit ich nicht unnötig Zeit verliere, um Harmonien herauszuschreiben, Akkorde und Voicings zu suchen, etc.
Anschließend lege ich fest, an welchen Stellen überhaupt Streicher vorkommen sollen. Somit habe ich im Ergebnis den Ablauf des Stücks, die Harmonien und auch einen Plan über die Dramaturgie des Streichersatzes.
Für gewöhnlich steigere ich die Intensität im Verlauf des Songs durch die Lage, in der die Instrumente spielen, die Auswahl der Instrumente, die Funktion der Streicher, usw. Konkret bedeutet dies, dass ich z.B. beim ersten Streicher-Einsatz – meist im Refrain – die Streicher in enger Mittellage spielen lasse, dabei aber noch eine leise bis moderate Dynamik verwende. Für die Bassstimme verwende ich hier zum Beispiel mitunter nur Celli. Dadurch entsteht ein kaum wahrnehmbarer Teppich, der den Part einfach nur schlank „unterfüttert“. Beim zweiten Refrain kann es hingegen schon „eine Schippe mehr“ sein. Diese Steigerung erreiche ich etwa durch einen Lagenwechsel (von der Mittellage zur höheren und/oder tieferen Lage), einer Zunahme an Dynamik, größerer Eigenständigkeit der Oberstimme (mehr Melodie), und einer Addierung der Bässe zu den Celli (bringt mehr Masse). Beim Höhepunkt schließlich gebe ich dann Vollgas, also volle Dynamik, weite Lagen – und natürlich spielen dann auch alle Instrumente!
So viel zur Theorie. Danach geht es ans Schreiben. Wobei ich vorher noch kurz ein Thema anschneiden möchte, was beim Schreiben von Arrangements generell Verwendung findet. Es gibt noch einen kleinen Exkurs zum Thema „Obertonreihe“!
Grundlegendes zum Arrangement – die Obertonreihe
Der Begriff „Obertonreihe“ bezieht sich auf mitschwingende Teiltöne (auch Partialtöne genannt) eines natürlich erzeugten instrumentalen oder vokalen Tones. Kaum ein Ton ist ein singulärer Ton (eine Ausnahme bildet etwa der Sinuston!), sondern ist immer ein „Gemisch“ aus einem Grundton, der als der eigentliche Ton wahrgenommen wird, sowie einer Anzahl von höher liegenden Teiltönen, die Obertöne genannt werden. Das Intervall-Verhältnis dieser Töne ist unabhängig vom Grundton stets dasselbe.
Die Intervallstruktur sowie die Häufigkeit der Tondopplungen sind wichtig für das Arrangement. Betrachtet man die ersten acht Töne der Reihe, erhält man folgendes Ergebnis: „c“ kommt viermal vor, „g“ zweimal, „e“ einmal und „b“ ebenfalls einmal. In der Tat erzielt man die besten und glattesten Ergebnisse, wenn man sich an diese Proportionen bei der Notwendigkeit von Verdopplungen hält. Also zunächst den Grundton verdoppeln, danach die Quinte, dann die Terz. Die Septime beispielsweise zu verdoppeln macht eigentlich nur Sinn, wenn man diese gezielt hervorheben möchte.
Für das Voicing bzw. die Lage empfiehlt es sich ebenfalls, sich ungefähr an die Struktur der Intervallfolge zu halten. Das bedeutet, dass der größte Abstand in der Tiefe zu finden ist, die kleinsten Abstände hingegen in der Höhe. Und diese Empfehlung findet auch standardmäßig in jedem meiner Arrangements Anwendung. Womit wir zum nächsten Kapitel kommen:
Grundsatz 1: Bässe (Celli & Kontrabässe) werden im Bassschlüssel notiert und klingen eine Oktave tiefer als geschrieben
Schon finden unsere Erkenntnisse aus der Obertonreihe Anwendung: Bässe und Celli werden in Oktaven geführt (erstes und am tiefsten gelegenes Intervall der Obertonreihe), wobei die Celli oben und die Bässe unten liegen. Natürlich gibt es Abweichungen, denn jegliche Gesetze in der Kunst sind niemals in Stein, sondern stets nur in Gelatine gemeißelt! Aber unser Ansatz ist ein guter und bewährter Standard für den Anfang. Wer sich z.B. die frühen bis mittleren Symphonien von Mozart ansieht, wird feststellen, dass diese Kopplung schon damals ein absoluter Standard war, der tadellos funktioniert.
Warum funktioniert diese Kopplung so gut? Dazu rate ich, einmal eine Basslinie in dieser Kopplung einzuspielen, und danach beide Instrumente einzeln anzuhören. Dabei wird sich Folgendes zeigen: Die Bässe allein liefern zwar einen soliden Bass, wirken aber seltsam konturlos. Diese Kontur liefern wiederum die Celli eine Oktave höher. Sie bringen die eigentliche Linie zum Klingen, welche vom Bass in der Tiefe abgerundet wird. Celli haben einen sehr markanten, gesanglichen und vollen Ton. Ein Kontrabasston hingegen klingt unausgewogener; der Ton besteht aus einem hohen nasalen Anteil, der einen satten Subbassbereich mit sich herumträgt. Mich erinnert der Ton eines Kontrabasses immer an eine Birne; oben tendenziell dünn und spitz zulaufend, unten mit einem gewaltigen Bauch.
Daraus folgt, dass man, wenn man einen etwas schlankeren Sound erzielen möchte, zwar die Bässe weglassen und nur die Celli benutzen kann. Die Basslinie jedoch nur von den Bässen spielen zu lassen und gänzlich auf die Celli zu verzichten, ist hingegen in der Regel keine gute Idee. Des Weiteren ist zu bedenken, dass die Bässe dieselben Töne spielen sollten wie der eigentliche (E-)Bass des Songs. Nicht alle Streicher müssen sich bei jedem Ton sklavisch an die Harmonien und die Töne der Vorlage halten. Bei den Bässen ist dies jedoch absolute Pflicht, denn alles Andere resultiert in einem unverständlichen Matsch! Schlimmer noch: Je kleiner das Intervall zwischen Bass und Streicherbass ist, umso größer wird die „Matschdichte“ (Stichwort Obertonreihe). Daher also bitte unbedingt die gleichen Töne verwenden!
Mit dem Rhythmus verhält es sich hingegen nicht ganz so: Ein Teil hängt natürlich von den eben erwähnten Tönen und Tonwechseln zusammen – hier gibt es also keinen Spielraum. Allerdings wird ein E-Bass ja auch durchaus mal den einen oder anderen Takt lang durchachteln. Diese Achtelbewegung in den Streichbässen mitzunehmen, kann einen massiven Effekt haben, ist aber nicht unbedingt nötig und kommt im Pop eher selten vor. Gerade liegende Flächen sind Aufgabe „Numero Uno“ in auf Größe bedachten Streicher-Arrangements. Der Streicherbass schweißt dabei den Achtelbass durch seinen liegenden Ton zusammen. Hier zeigt sich Grundsatz Nummer 2, der auch für die übrigen Streicher gilt – insbesondere, wenn wir von Samples sprechen:
Grundsatz 2: Streicher in Songs werden meist als liegende Fläche verwendet
Ich rede hier natürlich immer von typischer Popbegleitung, nicht etwa von künstlerischen Ausnahmen wie „Eleanor Rigby“oder Experimenten à la „A Day In The Life“. Hier nun die Bassstimme zum Song „Sonne“ der Band Paragraph:
Wie ihr seht und hört, lasse ich das Cello hier erst im zweiten Refrain einsetzen und den Bass als letzte Steigerung erst im dritten. Auch die Dynamik steigert sich. Der letzte Ton ist Teil eines ausklingenden Akkordes. Ich wollte, dass dieser Akkord etwas softer klingt, daher lasse ich den Bass hier weg.
Grundsatz 3: Die Oberstimme (Violine 1) wird im Violinschlüssel notiert
Sind die Bässe eingenordet, können wir uns der Oberstimme zuwenden. Hier gehe ich meist folgendermaßen vor: Anfangs improvisiere ich so lange, bis ich ein paar schöne Linien gefunden habe. (Daher fange ich übrigens auch meist mit dem Höhepunkt des Stücks an, denn erst hier sollten sich gute Linien voll entfalten und das gesamte Pulver verschossen werden!) Der Vorteil der Oberstimme ist, dass sie im Gegensatz zu den Bässen melodische Abweichungen gestattet. Der Grund: Man kann höhere Töne immer leichter orten als tiefe!
Ist diese Linie erst einmal gefunden, erstelle ich abgespeckte Versionen von ihr, welche ich zu früheren Gelegenheiten einbaue. Im ersten Refrain werden bei mir (wie schon beschrieben) zumeist nur die Töne der Gesangsmelodie oder eine andere charakteristischen Linie mitgenommen. Und zwar als Liegetöne, denn am Anfang geht es mir ja noch um Unauffälligkeit. Ab wo die Oberstimme abzuweichen und mehr Eigenleben zu entwickeln beginnt, überlasse ich meinem Geschmack und Gefühl, denn das hängt zu sehr von einer Songstruktur und dem eigenem Empfinden ab, als dass man hier in einen Grundsatz formulieren könnte.
Hier noch ein paar Gedanken zur Struktur der Melodielinie: Es bleibt zu sagen, dass sie …
- sich nicht an die Gesangsmelodie halten muss
- melodisch sein kann (und sogar sollte!), aber
- trotzdem eher getragen mit tendenziell wenigen und einfachen rhythmischen Informationen auskommen sollte. Die Gründe: Zum einen lenkt alles andere zu sehr vom Gesang ab, und zum anderen funktioniert das Ganze mit Samples eh nicht so toll.
Hier noch ein Spezialtrick: Wenn ihr melodische Schritte oder Sprünge einbaut, setzt sie an eine Stelle, an welcher der Gesang gerade pausiert! Dadurch hört man sie wesentlich besser und in Sachen Stimmführung kommt sich nichts in die Quere. Singt die Linie außerdem tatsächlich für euch! Wenn sie sich gut singen lässt, wird man sie auch gut im Gedächtnis behalten.
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Hier ist die Steigerung der Violinstimme schon rein optisch gut zu erkennen. Auch erkennt man gut, dass die Bewegung Stück für Stück zunimmt.
Damit wäre das Wichtigste geklärt. Nun müssen wir nur noch die Mittelstimmen behandeln.
Grundsatz 4 Mittelstimmen (Violine 2 & Viola): Die Viola wird im Altschlüssel notiert. Die Linie, auf der sich die beiden Bögen mittig treffen, bezeichnet die Position von „c1“.
Da Bässe und Celli gemeinsam für den Bass zuständig sind und nur die Violine 1 die Oberstimme übernimmt, sind bereits drei von fünf verfügbaren Instrumenten beschäftigt. Und zwar damit, zwei von mindestens drei Akkordtönen zu übernehmen. Es bleiben also noch Violine 2 und Viola übrig, um entweder einen (Dreiklang) oder zwei Töne (Vierklang) ergänzend beizutragen. Tatsächlich ist tonale Ergänzung die Hauptaufgabe der Mittelstimmen. Und diese Arbeit verrichten sie exakt in der Reihenfolge, in der sie auch ihren Platz in der Streicher-„Hackordnung“ einnehmen. Soll heißen: die Violine 2 übernimmt den höheren Ton, die Viola den tieferen.
Ihr erinnert euch: Wir haben Harmonien, die mindestens aus einem Dreiklang bestehen. Falls Melodie und Bass denselben Ton spielen, ergänzen die Mittelstimmen zwei Töne, falls verschiedene Töne gespielt werden, bleibt ein Ton zum Ergänzen und einer zum Doppeln. Welcher Ton sinnvoll zu doppeln ist, ergibt sich zum einen aus der Logik der Stimmführung und zum anderen aus der Obertonreihe. Es würde diesen Workshop sprengen, die Grundsätze von Satztechnik und Stimmführung zu erörtern. Wem es allerdings ernst ist mit dem Arrangieren, der sollte sowohl über die Grundlagen der Harmonielehre als auch über den vierstimmigen Satz Bescheid wissen, wofür es reichlich Lehrbücher gibt (z.B. Hermann Grabner: „Handbuch der funktionellen Harmonielehre“). Denn um Arrangements zu schreiben, die wirklich Hand und Fuß haben, leicht spielbar sind und auch noch gut klingen, ist eine Auseinandersetzung mit der klassischen Satzlehre unumgänglich. Da nützt kein Maulen!
Und so sei an dieser Stelle nur noch auf eine Besonderheit hingewiesen: Es kann passieren, dass ein Satz einmal schlicht nicht genug Wucht entwickelt und es besser wäre, noch zusätzliche Töne zu verdoppeln. In solch einem Fall teilt man die Streichergruppen (hier in Takt 47-52). Das Stichwort dazu lautet „divisi“ und bedeutet, dass die simultan zu spielenden Töne nicht von jedem Ausführenden gespielt werden sollen – was teilweise möglich ist – sondern dass sich die Spieler aufteilen. Da sich traditionellerweise stets zwei Spieler ein Pult teilen, spielt in diesem Falle einer den oberen und einer den unteren Ton.
Hier nun der komplette Satz:
Und schon ist das Arrangement fertig. Bleiben noch das Panning und die virtuelle Räumlichkeit. Betrachten wir hierzu einmal eine übliche Orchestersitzordnung.
Es zeigt sich, dass die Streicher vorne sitzen und einen Klangraum von 180° einnehmen. Was die Violinen anbelangt, kenne ich da auch keine Ausnahmen. Und so decken sie den Raum von ganz links bis ein Stück nach rechts (von der Mitte aus) ab. Viola, Celli und Bässe hingegen teilen sich die rechte Seite, aber die genaue Sitzordnung ist oft leicht verschieden. Ob die Celli nun bis in die vorderste Reihe ragen oder gar hinter den Violen zu finden sind bzw. ob die Bässe nun ganz rechts stehen oder fast schon mittig bis rechts, ist somit auch Geschmackssache.
Ich „panne“ im Rechner jedenfalls Violine 1 und Celli strikt links und rechts, Violine II leicht links, Violen leicht rechts, und schiebe die Bässe irgendwo zwischen die Violen und die Celli. Ich weiß, dass es klanglich mehr Sinn macht, den Bass aus der Mitte kommen zu lassen, aber mir geht es vor allem um eine Nachbildung von „Realismus“. Und Kontrabässe aus der Mitte kommen zu lassen ist definitiv nicht realistisch!
Fazit
Streicher in Songs funktionieren in der Regel als Fläche zur Unterfütterung der Harmonie und als melodische Ergänzung. Bässe und Mittelstimmen übernehmen dabei harmonische Funktion, Melodisches findet hingegen in der ersten Violine statt.
Frohes Schaffen, liebe Kollegen!
Markus Galla sagt:
#1 - 13.02.2015 um 13:27 Uhr
Natürlich kratzt der Artikel nur an der Oberfläche, ist jedoch ein guter Einstieg in die Untermalung von Pop-Songs mit Streichern. Da die meisten Leser sicherlich am Rechner produzieren und seltener mit echten Streichern arbeiten, wäre doch mal ein Vergleich von verschiedenen Plug-ins eine nette Sache. Also immer das gleiche Arrangements mit verschiedenen Plug-ins gespielt. Dabei wäre vor allem auch die Rechner-Auslastung interessant, denn nicht jeder bekommt in der DAW so ganz nebenbei noch die VSL zum Laufen.
Felix Klostermann sagt:
#2 - 13.02.2015 um 18:38 Uhr
Hallo Markus Galla,
vielen Dank für deine Hinweise - ist eine sehr gute Idee! Sei also gespannt auf Teil 2 und 3 ;-) Beste Grüße, Felix
alex sagt:
#3 - 22.04.2015 um 23:28 Uhr
vielen Dank! Sehr anschaulich erklärt!
Wie in Gelatine gemißelt. :-)Gruß Alex