Die Universität Hamburg und die Kühne Logistics University haben sich der Fragestellung gewidmet, wie Streaming-Einnahmen besser im Sinne der Musiker verteilt werden können.
Regelmäßig werden die zu niedrigen Streaming-Einnahmen für Musiker kritisiert. Allerdings liegt das Problem für Musiker, vor allem im Rockbereich und in der klassischen Musik, nicht nur an der zu geringen Ausschüttung, sondern an der schlechten Verteilung der Einnahmen. Diese Verteilung könnte man laut einer Studie der Universität Hamburg und Kühne Logistics University mit einem anderen Modell gerechter gestalten.
Große Streaminganbieter wie Spotify, Deezer und Apple Music verfolgen das sogenannte Pro-Rata-Modell. Dabei werden alle Einnahmen (hauptsächlich Abos und Werbung) zusammengefasst und auf den Anteil der gesamten Abrufe eines Künstlers verhältnismäßig verteilt. Ein Abruf bzw. Stream wird erfasst, wenn ein Song für zumindest 30 Sekunden abgespielt wurde. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Song 30 Sekunden oder 10 Minuten lang ist, der Anteil an der Ausschüttung bleibt derselbe. Auf diesen Umstand ist auch die englische Rockband ‘The Pocket Gods’ gestoßen und hat aus Protest ein Album veröffentlicht, in welchem 1.000 Songs mit einer Länge von je 30 Sekunden enthalten sind.
“Da der Anteil an den Gesamtstreams für die gezahlten Gelder verantwortlich ist, profitieren vor allem Genres mit kurzen Songs, die von einem Segment von Nutzenden mit langer Hördauer und wenig Budget gehört werden”, sagt Studienleiter Prof. Dr. Michel Clement von der Fakultät für Betriebswirtschaft der Universität Hamburg zu dem Thema. Dabei variiert die Songlänge von Genre zu Genre stark. Am längsten dauern im Schnitt Metal-Songs, am kürzesten Lieder deutscher Volksmusik und Rap.
Wer mit welchem Modell am meisten profitiert
Durch das aktuelle Pro-Rata-Modell profitieren vor allem große Artists mit kurzen Songs. Zum Vergleich wurde ein alternatives Modell gegenübergestellt – das nutzerzentrierte (user-centric) Modell. Hier werden Einnahmen jedes Nutzers an die Künstler ausgeschüttet, die der Nutzer im bestimmten Monat gehört hat. Ein Beispiel: Nutzer A zahlt 9,99 Euro im Monat für Spotify und hört am liebsten den elektronischen Artist ‘Phaeleh’. 30 Prozent seiner monatlichen Streams gehen auf das Konto dieses Artists. Daher wird der entsprechende Teil seiner Abozahlungen an Phaeleh weitergeleitet. Nachdem sich Spotify einen Teil behält, beispielweiße 30 Prozent, bekommt Phaeleh also 30 Prozent von den restlichen 7 Euro = 2,1 Euro.
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Aktuell ist es allerdings so, dass einfach alle Streams sowohl von Nutzern ohne Abo als auch welche mit Abo zusammengezählt werden. Wenn jetzt ein anderer Nutzer mit der Gratisversion z.B. 100 mal Justin Bieber im Monat streamt und der Nutzer A nur 10 mal Phaeleh, bekommt Bieber letztlich das 10 fache ausgeschüttet. In dieser Grafik ist das ganze am Beispiel von Deezer illustriert.
Von dem nutzerzentrierten System würden daher kleinere Artists profitieren, die eine treue Fanbase haben. Denn selbst wenn die Gesamtanzahl an Streams gering ist, würden sie von den Nutzern stark profitieren, die ihre Lieder verhältnismäßig oft hören.
Rock und Klassik werden benachteiligt, Hip Hop großer Gewinner
Die Forscher haben die beiden Auszahlungsmodelle im Bezug auf verschiedene Genres verglichen. Dabei wurden die errechneten Einnahmen gegenübergestellt. Demnach gebe es ein großes Ungleichgewicht zwischen den Genres. “Verglichen mit den Erlöszahlen, die aus dem nutzerzentrierten Modell zu erwarten wären, berechneten sie für das aktuelle Pro-Rata-Modell eine Benachteiligung des Genres Rock von 66 Millionen Euro pro Jahr und der Klassik von 30 Millionen Euro pro Jahr. Zugleich wurden vor allem deutscher und internationaler HipHop mit 109 Millionen Euro subventioniert”, heißt es aus Hamburg.
Vor allem Jazz, Blues und Metal haben im Schnitt eine höhere Songlänge (siehe Abbildung 1) und werden dadurch bei der Ausschüttung benachteiligt. “Gleichzeitig werden Pop, HipHop oder elektronische Tanzmusik durch eine kürzere Songlänge begünstigt”, berichtet Forscher Michel Clement. Das Chart-Musik immer kürzer wird ist kein neues Phänomen. 1988 war der Spitzensong in den britischen Charts durchschnittlich 4:16 Minuten lang. Heute sind es nur noch 3:03 Minuten. Songs werden schon seit vielen Jahren “radiotauglich” gemacht. Das aktuelle System von Streaminganbietern fördert kurze Musik allerdings regelrecht. Denn wenn in 10 Minuten ein Song dreimal abgespielt werden kann, führt das sowohl zu mehr Streams, höheren Einnahmen als auch besseren Chartplatzierungen.
Soundcloud macht es vor
Der Markt bestimmt also die Kunst. Die Kritik gegen das aktuelle Modell ist nicht neu und kommt sogar von einem der großen Anbieter Deezer selbst. Aktiv wurde von den relevanten Streaminglpattformen bisher allerdings nur SoundCloud. Das Berlin Unternehmen hat 2021 ein nutzerzentriertes Modell (“Fan-Powered Royalties”) eingeführt. Erste Ergebnisse gehen dabei in die richtige Richtung.
Für die Plattformen selber würde sich bei einer Umstellung wenig verändern. Die Einnahmen würden gleich bleiben. Die Forscher denken dass die Interessen von den Major Labels der Grund sein könnte, weshalb sie eine ambivalente oder sogar negative Haltung gegenüber einem nutzerzentrierten System haben. Schließlich profitieren die großen Stars noch am meisten von der aktuellen Ausschüttung.