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Studiomythen widerlegt – “Übung macht den Meister”

Mythos Man muss üben, um gut zu werden
(Bildquelle: Shutterstock / SeventyFour)

Zugegeben, ohne Übung ist noch niemand zum Meister geworden. Aber so einfach ist das nicht.

Du hast eine Band, die es so richtig wissen will. Ihr trefft euch also so oft es irgendwie geht im Proberaum und spielt eure Songs rauf und runter. Das geht zwar nur abends, weil tagsüber alle studieren, arbeiten oder was man halt so tun muss, aber dafür nimmt man gern ein paar Nachtschichten in Kauf. Am besten, weil ja vom Tag nur noch wenig übrig ist, spielt man erst mal schnell das ganze Set runter, wenn Zeit ist, noch einmal. Der Sound im Proberaum ist zwar irgendwie schwammig, aber that’s life. Gutes Training für den Ernstfall. Oder?
Nun, was da in Wirklichkeit passiert, ist lediglich, dass ihr alle Fehler, die ihr macht, so fest einübt, dass sie nachträglich nur schwer wieder zu ändern sind. Ich habe das sehr oft erlebt und kann bestätigen, dass Bands, die oft proben, sehr selten besser spielen als Bands, die weniger, dafür aber konzentrierter proben.

Der klassische Ansatz

Der Ausweg aus dem Dilemma liegt scheinbar auf der Hand: Statt dass immer alle gleich die Songs zusammen spielen, könnten sie einzeln ihre Fähigkeiten am Instrument erst einmal nach Kräften zur Perfektion bringen, dann erst treffen sie sich und proben die eigentliche Musik. Das ist auf jeden Fall schon einmal ein intelligenterer Ansatz als einfach drauflos zu spielen. Leider auch kein Patentrezept. Wir kennen diesen Ansatz aus der klassischen Musik, wo er gut funktioniert. Dort gibt eine strenge Arbeitsteilung bestimmte Regeln vor, die zusammengenommen zu beeindruckenden Ergebnissen führen. Im Orchester gibt es für alle Bereiche Fachleute. Die Komponisten der Musik sind nicht deren Interpreten, es gibt Solisten und Tutti-Personal und sogar für das Zusammenspiel der Musiker untereinander gibt es Fachleute: die Dirigenten. Jeder beteiligte Mensch muss sich also nur um seinen abgesteckten Bereich kümmern, das Zusammenwirken all dieser Spezialisten ergibt dann ein Uhrwerk, das Erstaunliches zu leisten vermag.


Eine Band funktioniert anders. Sie ist ihre eigene Dirigentin und in den meisten Fällen auch ihre eigene Komponistin. Wir kommen hier nicht besonders weit, wenn wir einfach gute Musiker in einen Raum stellen und sagen, nun macht mal. Es könnte ein Bandmitglied die Führung übernehmen und zumindest die künstlerische Gestaltungsaufgabe des Dirigenten erledigen. Das ergibt aber noch kein Dirigat. Das Zusammenspiel, das aus einer Band, wie es so schön heißt, mehr als die Summe seiner Teile macht, muss erlernt werden.

Üben (allein)

Jede Stunde, während der Musiker allein an ihren Instrumenten üben, trägt das Potential, sie zu Einzelkämpfern zu erziehen. Für Solisten mag das genau richtig sein, in Ensembles kann es aber fatale Auswirkungen haben.

Überspitzt könnte man in diesem Fall sagen, was da geübt wird, ist keine Musik, sondern Spielfertigkeit. Ich habe nicht wenige Musiker getroffen, die so viel Zeit mit Einzeltraining verbracht haben, dass es schwer war, sie in einem Bandsound zu integrieren. Es gibt hier einen bunten Strauß an Fallen, die sich dem fleißig übenden Musiker stellen, klug ist, wer sie alle meidet. 


Erstens:

Zunächst wäre da die banale Tatsache, dass, wer viel übt, auch viel kann. Das ist in zweierlei Hinsicht ein Hindernis: die Gestaltung eines Bandsounds erfordert es, Entscheidungen zu treffen. Wir wollen am Ende erreichen, dass die Band eine Haltung hat, dass sie für etwas steht, dass sie ihrem Publikum etwas Besonderes gibt. Nicht irgendwas. Dazu müssen wir uns zunächst entscheiden, Dinge nicht zu tun. Wir müssen darauf verzichten, etwas einfach nur zu tun, weil wir es können, denn das, was wir tun, soll einen Sinn haben. Je mehr ich nun kann, desto mehr muss ich aktiv ablehnen. Der Dilettant hat eine Haltung, einfach, weil ihm keine andere gelingt. Der Profi hat erst einmal keine Haltung, sondern muss sie erarbeiten. Zudem müssen Könner aktiv darauf verzichten, für ihre harte Arbeit bewundert zu werden, wenn die Musik nicht zu einer bloßen Nabelschau verkommen soll. Das ist nicht so leicht, wie man meinen könnte. 

Zweitens:
Musik zu machen ist außerdem im Kern ein Akt der Kommunikation. Das übt sich schwer allein. Man stelle sich vor, jemand übe jahrelang vor dem Spiegel das Sprechen. Das mag helfen, ein überzeugender Redner wird er dadurch vermutlich allerdings nicht.

Proben (gemeinsam)

So wie ein Orchester als ein einziges großes Instrument begriffen werden kann, das vom Dirigenten gespielt wird, kann man eine Band als ein Instrument sehen, das sich selbst spielt. Eine Band ist (wenn sie gut ist) allerdings noch dazu ein Instrument, das es so kein zweites Mal gibt. Niemand kann lehren, wie dieses Instrument zu spielen ist, die Band muss es selbst herausfinden. Sie muss sich quasi selbst spielen üben, Erfahrung mit sich sammeln.


Das sei nun der Zweck einer Probe, nehmen wir an. Nun, es wenn gut läuft, stimmt das. Leider sieht die Realität meist anders aus: alle Beteiligten haben einen langen Tag hinter sich, der Proberaum-Sound ist schwer zu entziffern, so haspelt sich die Gruppe durch ihr Set und ist froh, wenn sie gleichzeitig den Schlussakkord findet. Macht man dies nun so oft wie möglich, hat man mit etwas Glück genau eines wirklich trainiert: Fehler zu kaschieren. Wenn es nicht so gut läuft, hat man einfach seine Fehler verfestigt. Ich habe nicht viele Bands kennen gelernt, die konzentriert genug proben, um überhaupt einen Nutzen daraus zu ziehen. Doch das ist leider nicht alles.

Trockenschwimmen vs. Real Life

Eine Probe ist niemals die Wirklichkeit. Das ist ja der Sinn der Probe. Wir schauen, ob alles klappt, bevor wir es wagen. Die eigentliche Erfahrung, die uns zu einem guten Ensemble macht, vermittelt uns diese Probe nicht. Es ist ein bisschen so, als würde man sich bei einer Dating-Plattform anmelden und nach ein paar kurzen Chats glauben, nun wäre sie da, die Erfahrung, mit einem anderen Menschen in einer Beziehung zu sein. Die Nagelprobe ist der Ernstfall, die Beziehung, auf die es ankommt, liegt in der Situation der Aufnahme im Studio oder des Konzerts. Proben ist Trockenschwimmen. Du weißt erst, wie man schwimmt, wenn Du im Wasser warst. Eine gute Band werdet ihr nicht im Keller. Wenn man diese Zwiebel erst einmal geschält hat, wird deutlich, was in ihrem Innersten liegt: Intuition. Eine gute Band hat ein sicheres Gefühl dafür, wie sie tickt. Ein Teil des Weges, zu diesem Gefühl zu kommen, ist aufmerksames und konzentriertes Üben und Proben. Der andere und viel wichtigere Teil ist praktische Erfahrung. In Real Life.

Proberaum-/Studioszene
Eine Band ist mehr als die Summe ihrer Übungsstunden
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