Der Synthstrom Audible Deluge ist eine kleine portable Groovebox mit riesigem Potenzial. Trotz des deutsch klingenden Firmennamens, wird am anderen Ende der Welt in Wellington/Neuseeland hergestellt, erfunden wurde er von einem Gitarristen, der eigentlich keine Erfahrung mit Sequencern hat. Was bei so einer Konstellation entsteht, ist häufig unbrauchbar, manchmal jedoch wunderbar. Jetzt endlich zeigt Synthstrom Audible die finale Version des Deluge auf seiner Facebook-Seite und kündigt den Launch-Event an.
Angeschaut
Im September gewährte Ian Jorgenson von Synthstrom Audible während einer Europatour einen ersten Blick auf die beiden Deluge Prototypen. Fotografieren durften wir nur den ersten, nicht aber das fast fertige Gehäuse des noch nicht funktionstüchtigen zweiten Prototypen des Serienmodells, welches doch anders und viel filigraner aussieht als das recht klobig wirkende erste Vorserienmodell.
Besonders auffällig beim Serienmodell sind die beiden avantgardistischen RGB-Button-Felder (8×16 und 8×2), die im starken Kontrast zum Oldschool-Look der beiden Holzseitenteile, des schwarzen robusten Metallgehäuses und der roten Vier-Digit-Anzeige stehen. Zum retro-futuristischen Gesamteindruck passen auch die vier gerasterten schwarzen und die beiden goldenen nicht gerasterten hochwertigen Encoder sowie die 28 kleinen beleuchteten Funktionstasten. Rückseitig finden sich ein Stereoausgang, ein Kopfhörerausgang, MIDI In und Out, zwei CV-Ausgänge und vier Gate/Trigger-Ausgänge, ein Trigger-Clock-Eingang sowie Anschlüsse für USB und ein 9-12 Volt 500 mA Netzteil. Der Deluge ist mit nur 305 x 208 x 46 Millimetern von der Grundfläche gerade mal etwas größer als ein DIN-A4 Blatt und fühlt sich sehr solide an.
Der erste Deluge Prototyp – nennen wir ihn mal Deluge 1.0 – ähnelte optisch noch sehr dem Novation Circuit. Wie die britische Groovebox verfügt auch der Deluge über einen eingebauten Lautsprecher und kann für spontane Jam-Sessions via Batterie betrieben werden. Die Batterie ist ein Mobiltelefon-Akku, der per USB geladen wird und mehrere Stunden autonomen Betrieb verspricht.
Der Deluge ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich, weil Entwickler Rohan Hill laut seinem Partner Ian Jorgenson so gar kein Vorwissen über Sequencer hatte. So ist die 8×16-Matrix auf dem Deluge 2.0 (4×8 auf dem Deluge 1.0) eine Piano-Roll-Simulation. Wie in einer DAW werden hier die Tonhöhen der Noten auf das durchlaufende Grid gesetzt. Das kann man auch als Hardware machen, hat bislang nur noch keiner getan.
Die aus 128 Buttons bestehende Fläche, von Synthstrom Audible als „Screen“ bezeichnet, kann nicht nur gescrollt, sondern auch gezoomt werden. Das darf man sich so ungefähr vorstellen wie beim Novation Launchpad, wenn man die 8×8-Matrix per Druck auf den Session-Button in eine angedeutete 64×64-Matrix-View versetzt. Nur können wir beim Deluge auch in den Screen „hineinzoomen“, so dass die 16 Steps einen halben Takt mit 1/32 oder einen viertel Takt mit 1/64 repräsentieren.
Und hier kommt mit Cross-Screen-Edit eine weitere Spezialität des Deluge ins Spiel: Ist Cross-Screen-Edit aktiviert, wird jede Änderung im angewählten Ausschnitt des Screens auch auf die anderen nicht sichtbaren Ausschnitte übertragen. Praktisch ausgedrückt: Setzt man auf den ersten Step im Viertel-Takt-Screen eine Bassdrum, so wird diese auch auf die anderen drei Viertel übernommen und wir haben mit nur einem eingegebenen Step einen „Four-To-The-Floor“-Beat erzeugt.
Button-Matrix
Damit es nicht unübersichtlich wird, weisen die nicht anschlagsdynamischen RGB-Buttons des Deluge insgesamt 128 Farben auf. Und die Farbcodierung dient nicht einfach nur der optischen Visualisierung oder zum Beeindrucken des Publikums, sie erfüllt auch organisatorische Funktionen: So können z.B. alle Tracks einer Grundfarbe blitzschnell stumm oder solo geschaltet werden. Beispiel: Sind alle Drums-Tracks blau beleuchtet, kann man alle Tracks mit Drums wie eine Subgruppe auf einmal muten.
Rechts neben der 8×16 Matrix befindet sich noch eine Anordnung von 8×2 Tasten (4×2 beim Deluge1.0). Diese dient je nach Modus zum Muten und Starten von Tracks oder auch zur Anwahl der bis zu acht Sounds eines Drumkits. Acht Sounds pro Drumkit klingt zwar nicht nach viel, aber mehr Slots hat zum Beispiel das Ableton Impulse Plug-in auch nicht. Und wie gesagt, der Deluge lässt theoretisch unbegrenzt viele Spuren und somit auch Drumkits zu. Die 28 weiteren kleinen hintergrundbeleuchteten Buttons sind für die Transportfunktionen und die Funktionsanwahl zuständig.
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Samples
Deluge ist als Improvisations-Tool designt, mit dem sowohl gesampelt als auch Klang synthetisch erzeugt werden kann. Als Klangquellen dienen zum einen Samples, die per Line-Eingang oder eingebautem Mikrofon aufgenommen werden oder aber von der bis zu 32 GB großen SD-Card in den 64 MB RAM-Speicher gelangen. Das Sampeln am Gerät selbst verläuft so einfach wie genial: einen Sample-Slot-Button gedrückt halten, sampeln, Button loslassen – fertig.
64 MB RAM sind heutzutage nicht viel. Da der Deluge intern mit 44,1 kHz und 16 Bit Wortbreite arbeitet, sind jedoch bis zu 12 Minuten lange Mono-Samples möglich und das Laden eines Projekts geht in wenigen Augenblicken vonstatten. Nachladen während des Gigs ist also kein Problem. Per SD-Card wird übrigens auch eine neue Firmware übertragen. Der USB-Anschluss dient tatsächlich nur als MIDI-Verbindung, zur Stromversorgung und zum Laden des Akkus. Zur Stromversorgung kann auch ein Netzteil (500 mA, 9-12 V) verwendet werden. Das gehört jedoch nicht zum Lieferumfang.
Synthese
Neben Samples verfügt der Deluge über zwei digitale Synth-Engines: FM-Synthese sowie subtraktive Synthese mit zwei Oszillatoren, Lo- und Hi-Pass-Filter, Oszillator Sync, Ringmodulation, Portamento, Unisono Detune und zwei LFOs. Als Ausgangsmaterial dienen Rechteck, Sinus, Rauscne und FM oder aber ein beliebiges Sample. Noch mal zur Verdeutlichung: Der Deluge verfügt nicht über zwei Synths wie etwa der Novation Circuit, sondern über zwei Synth-Modelle, die monophon und gleichzeitig bis zu 48 (!) mal eingesetzt werden.
MIDI & more
Als dritte Klangquelle dienen externe Geräte, die per MIDI oder über zwei CV und vier Gate/Trigger-Ausgänge angesteuert werden. Die Spannungen der CV/Gate-Outputs sowie die Pulsfrequenz der Trigger-Ausgänge lassen sich frei konfigurieren, die CV-Outputs auf 1, 1,2, 0,26 oder 0,32 Volt pro Oktave oder Hertz per Volt. Die vier Gate/Trigger-Ausgänge geben je nach Wunsch V-Trigger oder S-Trigger aus, die Spannung kann zwischen 5 V und 12 V variiert werden. Die Trigger-Clock-Ausgänge geben bis zu 192 PPQN aus. Einen Trigger-Clock-Eingang mit justierbarer PPQN gibt es ebenfalls. Für ein kompaktes Live-Setup oder Modularsystem taugt der Deluge also durchaus als sehr flexible Steuerzentrale.
Effekte
Der Deluge bringt ein ausreichend großes Arsenal an Effekten mit, z.B. Reverb, Delay, Chorus, Flanger, Lo- und Hi-Pass Filter, Bitcrusher, Distortion, Stutter, alle einsetzbar sowohl auf den Tracks als auch auf dem Master. Weitere Effekte sollen mit zukünftigen Updates bald nachgereicht werden. Bei den Drumkits können die Effekte auf einzelne Drums oder das ganze Kit angewandt werden. Und internes Sidechaining geht übrigens auch.
Sequenzen
Sequenzen dürfen endlos lang sein: Es gibt theoretisch keine Beschränkung. Die Erstellung auch längerer Sequenzen geht auch dank des oben beschriebenen Cross-Screen-Edit flott von der Hand. Von einem eintaktigen Drumloop kopiert man beispielsweise eine unbegrenzte Zahl von „Ghost-Copies“, sagen wir mal: sechzehn, der achte und der sechzehnte Takt wird etwas variiert und schon haben wir einen abwechslungsreichen Drumloop. Die Bassline im nächsten Track läuft dann zum Beispiel auf einer triolischen Zählzeit mit, das bringt weitere Variationen. Der Bassline-Track wird dann kopiert (oder nach Deluge-Diktum „gecloned“) und mit dem Clone-Track vielleicht ein Noise-Synth angesteuert. Und schließlich verfügt der Deluge auch noch über einen sehr vielseitigen Arpeggiator. Der Swing-Faktor kann eingestellt werden.
Vier der Drehregler bieten Zugriff auf maximal 32 Parameter eines Synths oder Samples und die Parameteränderungen lassen sich aufzeichnen. Ian Jorgenson zeigte am Beispiel eines Bassdrum-Samples, wie mit nur einem einzigen Sound in Windeseile am Deluge ein kompletter Track erstellt werden kann, übrigens ohne auch nur einmal das Maschinchen zu stoppen. Sehr beeindruckend und Haben-wollen-Gefühle auslösend.
Rücksturz zur Erde
Hat man sich bei so vielen Möglichkeiten mal verrannt, kommt eine weitere Spezialität des Deluge ins Spiel: Bei jedem Speichervorgang wird das vorhandene File nicht überschrieben, sondern eine alphabetisch fortlaufende Version erstellt. Von A-Z sind also 26 Versionen pro Song möglich, auf die man natürlich auch rückwirkend wieder Zugriff hat. Tolle Idee!
Launch Party
Am 22. September führte Ian Jorgenson den Deluge im schön-schäbigen Berliner Clubloft „Schrippe Hawaii“ im tiefsten Neukölln kurz vor dem Gig einer Elektropunkband vor. Nur wenige Interessenten waren vor Ort, aber nach der fast einstündigen Demo und dem anschließendem Q&A restlos begeistert. Nun genau einen Monat später, am 22. Oktober, wird der Deluge in Auckland/Neuseeland erstmals der Öffentlichkeit vorgeführt, unter anderem mit einer spektakulären Aktion: 20 Personen werden eine lediglich zweistündige Einführung in den Deluge bekommen und dann auf dem Launch-Event jeweils vier Minuten live auftreten. So überzeugt ist Mastermind Rohan Hill von der intuitiven Bedienung seines ersten elektronischen Instruments. Das fertige Serienmodell wurde aber bereits Montagnacht auf der Synthstrom-Facebook-Seite präsentiert. Und ich kann versichern: Der Dummy-Prototyp 2.0 sah nicht so schick aus.
Für was, für wen? Der Deluge ist eine super-interessante portable Groovebox. Optisch erinnert er an den Novation Circuit, kann aber viel, viel mehr. Der Korg Electribe 2 Sampler kann da ebenfalls nicht mithalten. Als Sample-Groovebox fehlt dem Deluge die Möglichkeit des Echtzeit-Timestretchings, da behalten der Elektron Octatrack und der neue Pioneer Toraiz SP-16 ihr Alleinstellungsmerkmal. Die schrägen Ideen und Möglichkeiten des autarken Musizierens ohne Strom und zusätzliche Verstärkung erinnern auch ein wenig an den Teenage Engineering OP-1, Brüder im Geiste.
Der Deluge ist schon allein für sich eine sehr potente und sympathische All-in-One-Musikmaschine. Im Verbund mit weiteren analogen Klangerzeugern ist er der Mittelpunkt eines formidablen kleinen Setups. Und für experimentelle Musiker, die mit unterschiedlichen Taktarten jenseits herkömmlicher BPM-Zahlen in einem Track arbeiten wollen, dürfte er schlichtweg eine Offenbarung sein.
Zudem ist Synthstrom Audible eine Zwei-Mann-Firma, die für neue Ideen sehr offen ist und laut Aussage ihr einziges Produkt mit häufigen Firmware-Updates pflegen möchte. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass sich User-Wünsche in der nächsten Firmware wiederfinden.
Der Deluge ist vorerst nicht im normalen Fachhandel erhältlich, sondern ausschließlich per Mail-Order. Synthstrom Audible begründet das mit der Reduzierung der Investitionskosten für die kleine Firma: So können die Geräte in der tatsächlich bestellten Anzahl gefertigt werden. Der Preis soll sich laut Ian Jorgenson zwischen dem Novation Circuit und den Elektron Desktop-Grooveboxen einpendeln, also ca. 1.000 Euro. Das wäre tatsächlich ein sehr attraktiver Preis für diese innovative Boutique-Workstation. Vorbestellungen sind ab dem 25. Oktober 2016 möglich, spätestens dann sollen auch detaillierte Photos und Videos des Deluge online sein.
Synthstrom Homepage: http://www.synthstrom.com
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