PRAXIS
Viele Tontechniker rümpfen per se die Nase, wenn sie ein derartiges Gerät sehen. Wenn ihr ein Gegenargument braucht, falls ihr euch anhören müsst, dass man mit nur zwei Reglern wohl kaum brauchbare Dynamikbearbeitungen vornehmen kann, erwidert doch einfach Folgendes: “Der LA2A hat auch nur zwei Regler und ist einer der beliebtesten Kompressoren weltweit.” Das sollte für Ruhe sorgen… Die Anzahl der Regelmöglichkeiten sagt also noch nicht sonderlich viel aus, doch gilt es neben dem generellen Charakter des T1 zu klären, ob hier nicht ein paar mehr Einflussmöglichkeiten angenehm gewesen wären.
Die ersten Singversuche mit dem eingeschalten T1 enttäuschen ein wenig, denn ich habe nicht das Gefühl, dass die durch das Gerät festgelegten Parameter – darunter vor allem die Zeitparameter – gut gewählt sind. Wäre es nicht besser gewesen, die Kompression lieber etwas unauffälliger zu gestalten? Doch während sich diese Kritik in meinem Kopf ausbreitet, formt sich noch etwas ganz anderes: Die Reaktion des kleinen Voicetones passt sich nach wenigen Sekunden der Stimme an. Aha, der Helicon analysiert offensichtlich die Gesangsstimme, um die Werte daraufhin zu optimieren. Wow! Wir sind tatsächlich im 21. Jahrhundert angekommen. Das gilt nur leider auch für die Dokumentation der Analyse und ihrer Auswirkungen, denn wie von so vielen Unternehmen gewohnt, schweigt sich auch TC über das aus, was da in den Innereien des Gerätes vor sich geht – es könnte ja jemand klauen… Auch was die tatsächlichen Bearbeitungen angeht, muss ich teilweise auf Spekulation und Bewertung des Gehörten zurückgreifen, doch ermöglichen euch die bei bonedo üblichen Audiobeispiele, es mir gleichzutun.
Die Verdichtung erfolgt mit erstaunlicher Durchschlagskraft, sodass man sich wünschen würde, aufgrund des notwendigen Make-Up-Gains und der damit verbundenen Feedbackanfälligkeit einen separat regelbaren Expander oder sogar ein Noise-Gate zur Verfügung zu haben. Es fällt auf, dass der Voicetone T1 vor allem durch ein nicht allzu flaches Knee und darauf getrimmte Zeitparameter bedacht ist, die Stimme trotz hoher Kompression nicht flach klingen zu lassen. Über tatsächliche Parameter erfährt man im Handbuch nichts, doch erscheint es mir, als lasse die Attackzeit nicht nur wichtige Transienten passieren, sondern als sei dort eine komplexere Regelung am Zug, als man sie von üblichen Kompressoren mit Attack, Release, Threshold, Ratio und Make-Up gewohnt ist. Zudem scheint bei der Dynamikbearbeitung etwas mehr als “nur” Kompression zu erfolgen. Im Höhen- und Bassbereich macht sich eine vielschichtige und ebenfalls nicht einfach zu benennende Klangfärbung bemerkbar, die zumindest wesentliche Merkmale eines Exciters trägt. Dadurch kann ein Signal – vor allem nach starker Kompression – frisch, lebendig und brillant werden. Was unter Studiobedingungen schnell unnatürlich und aufgesetzt wirkt, ist in den meisten Live-Situationen durchaus von Nutzen. Bei den Soundbeispielen hört ihr aber, dass einem diese Sibilance ganz schön auf den Keks gehen kann. Der gesamte Soundcharakter eines mit “Shape” und auch “Warmth” beeinflussten Signals ist eher “digital”, “eckig” und irgendwie “aufgesetzt”. Das sind natürlich harte Worte, doch Live “versenden” sich derartige Negativattribute schnell – der Nutzen dieser Regelmöglichkeiten liegt auf der Hand.
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Für das De-Essing ist es natürlich sinnvoll, dass durch die Signalanalyse zumindest in Erfahrung gebracht wird, wo genau sie denn liegen, die S-Laute. Sonst müsste schließlich recht breitbandig gearbeitet werden, was mit hoher Wahrscheinlichkeit dafür sorgen würde, dass dem Signal unappetitliche Fleischwunden zugefügt würden. Die Schärfe wird erfolgreich automatisch entfernt, an manchen Stellen fällt der Detektor jedoch auf die bewusst “deutsch” gesungenen, stimmlosen “th” des Sängers herein und versucht, auch diese im Zaum zu halten. Den T1 dazu zu bringen, auch Konsonanten wie F, V, und T fälschlicherweise stark zu bearbeiten und somit die Sprachverständlichkeit aufs Spiel zu setzen, ist im Test glücklicherweise nicht gelungen.
Ich möchte an dieser Stelle meine Grundkritik am Voicetone-System noch einmal kurz wiederholen, ohne den Finger zu sehr in die Wunde zu legen: Das Ermöglichen schneller Bearbeitung ohne viele Kenntnisse hat seine Vor- und Nachteile. Für meinen Geschmack ist auch beim T1 etwas zu sehr reduziert worden. Natürlich gäbe es einerseits die Möglichkeit, als “Advanced User” auf alle Parameter über USB Einfluss zu nehmen, aber schon das Ersetzen des “Warmth”-Buttons mit einem Stellregler würde die Nutzbarkeit des gelben Voicetones stark verbessern: Hier könnte man einige Presets anbieten, z.B. “Comp/Gate, Male, brilliant” oder “Comp/De-Ess, female, neutral”. Dennoch: Insgesamt ist der Voicetone jedoch ein hervorragend geeignetes Gerät, wenn man ohne viel Aufwand die Dynamik der Stimme und zischelnde S-Laute im Zaum halten möchte.
sandro sagt:
#1 - 18.06.2011 um 15:02 Uhr
ich bin jetzt tontechnisch nicht so der chef und habe mir das T1 vor kurzem geholt, weil es so einfach zu bedienen ist. ich bin sehr zufrieden damit. es macht stimme präsenter und brillianter. kein vergleich zu den EQ einstellungen die ich voher an unserem powermixer gemacht habe. ich musste sogar den gain am powermixer etwas zurückdrehen weil da so viel dampf aus dem T1 kommt. gutes ding das!
berni sagt:
#2 - 08.08.2011 um 00:28 Uhr
ich habe mir das T1 auf vielseitige empfehlungen hin gekauft und wollte noch hinzufügen: es stimmt, es fügt dem vocalsound eine gute portion brillianz zu und wenn man es solo abhört (mit kopfhörern oder so) klingt es vielleicht etwas kühl oder "eckig" (so wie hier im test beschrieben). aber im livekontext ist das genau das, was man braucht um sich gegen eine laute band durch zu setzen. ich will nicht mehr ohne ;-)
Ben sagt:
#3 - 17.05.2013 um 21:11 Uhr
@Sandro: Ich habe mir das Voice Tone T1 kürzlich gekauft und bin so weit auch sehr zufrieden damit.
Zu Deiner Bemerkung mit dem Gain am Mixer: Ich habe mich schon gefragt, ob man bei einem bereits vorverstärkten Signal (und das T1 hat ja eine recht ordentlich klingende Vorstufe an Bord) die Vorstufe am Pult nicht lieber ganz runterdrehen sollte? Im Manual steht nur, dass man die EQs neutral einstellen soll.
Umgekehrt geht's natürlich auch: die Vorstufe am T1 ganz runter drehen, nur die Dynamik und EQ Bearbeitung vom T1 verwenden und dann am Pult vorverstärken. Mir gefiel der transparente und offene Klang der T1 Vorstufe besser als die Preamps von unserem Allen and Heath Pult... Aber ist es tatsächlich ratsam noch zusätzlich ein bisschen Gain vom Pult zuzumischen?
Ronny Funk sagt:
#3.1 - 10.04.2019 um 20:05 Uhr
Wenn ich den T1 vor ein Mischpult schalte, dann nutze ich trotzdem dessen EQ, einfach, um noch ein bisschen den Sound anzupassen. Aber das schöne ist, ich muss kaum noch was machen.
Vor allem ist der T1 mit billigen Mikros gnädig. Die beiden SM 58 waren weg, anderweitig benutzt, noch nicht zurück gebracht, T1 hilft dann, die weniger guten Mikros so gut, wie irgendmöglich klingen zu lassen.
Antwort auf #3 von Ben
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenRonny Funk sagt:
#4 - 10.04.2019 um 20:02 Uhr
Ich bereue es nicht, dieses Teil mir sogar 3 mal gekauft zu haben. Es lässt den muffigen Micro-Eingang der LD Systems MAUI 5 richtig gut klingen, es verbessert sogar den Mikrofonsound der Bose L1 compact, es half mir, als eine Band versuchte, Mikrofone an eine digitale Patchbay anzuschließen, die nur mit Line Level klar kam. Meine Erfahrung mit diesem Teil war auch mit ein Argument dafür, dass ich mir einen Critical Mass kaufte und damit auch eine Art T1 light habe, was mit Batterien läuft, als auch einen Effekt, der die Leute zum Mitsingen animieren könnte. Es bringt mehr, als ein anderes digitales Produkt, welches auch T1 heißt, aber nur zur Speisung eines Lautsprechers gedacht ist.