Praxis
Spinnen sind teure Haustiere
Einfach und solide wirkt es, das Telefunken Elektroakustik AK-47 MkII. Das Mikrofon selbst wirkt klassisch, was nicht nur auf das Rauten-Emblem, sondern auch die schnörkellose Bauform zurückzuführen ist. Das muss ja nicht schlecht sein, sondern fällt ganz einfach unter Pragmatismus, wenn das 47er dadurch auch etwas hausbacken wirkt. Die Spinne allerdings fällt ab, degradiert sie doch den optischen Gesamteindruck deutlich. Das schaffen aber auch Schoeps, die ihr Studio-Gesangsmikrofon V4 U mit einer zwar funktionalen, doch stilistisch am anderen Ende des Spektrums angesiedelten elastischen Halterung anbieten. Böse Telefunken-Leute also? Bestimmt nicht. Denn wer nach Gründen sucht, darf sich bitte jetzt einmal die wirklich gut verarbeiteten Spinnen von Neumann ansehen, die zugehörigen Preise aufrufen und dann mit sich selbst ausmachen, ob er diese Preise zu zahlen bereit ist. Gute, schöne, langlebige Spinnen kosten eben viel Geld.
Dickes Low-End
Schon bei größerem Besprechungsabstand wird deutlich, in welche klangliche Richtung das Telefunken marschiert: Es klingt fett. Oh ja. Deutlich ist zu hören, wie das Fundament eines Signals unterstützt wird. Das dicke Low-End gibt jedem Signal ordentlich Masse. Im absoluten Subbassbereich ist dies nicht ganz so auffällig wie im Grundtonbereich (vornehmlich männlicher) Stimmen: Die kräftige Übertragung auch oberhalb von 100 Hertz verleiht dem Signal schon bei einem halben Meter oder sogar einem ganzen Meter Abstand zur Kapsel eine gewisse Kernigkeit, die natürlich enorm wird, wenn man nah an die Schallquelle heranrückt. Und das ist schnell deutlich zu viel: Bei zehn Zentimetern wird das Signal indifferent und dröhnig – hier ist also beim Recording darauf zu achten. Natürlich sind für größere Abstände ordentlich klingende Räume relevant, allerdings treten hier zwei durchaus moderne Eigenschaften des AK-47 MkII positiv in Erscheinung, die Rauscharmut und die Möglichkeit, die Richtwirkung (und somit den Raumanteil) recht feinstufig zu regeln.
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Übertrager wird deutlich
Dass das ganz offenbar nach deutschen Vorbildern konzipierte Röhrenmikrofon deutlich dicker – oder sagen wir ruhig: amerikanischer – klingt als die bekannten Vertreter ab der Mitte des letzten Jahrhunderts, ist sicherlich dem Geschmack der Kundschaft geschuldet. Ich finde, dass das AK-47 schon bei geringen Pegeln deutlich „heißer“ klingt, als es notwendig wäre. Bei lauten Stimmen ist es nach meiner Auffassung hingegen schnell zu viel des Guten. Das zeigt sich nicht nur an den beschriebenen Tiefen, sondern auch weiter oben: Den Übertrager kann man deutlich wahrnehmen. Auch bei gehaltenen Tönen ist das leichte Reiben zu vernehmen. Von diesem würde ich mir allerdings wünschen, dass es ein wenig mehr als Signalbestandteil wahrgenommen werden würde und weniger diesen etwas rauschigen „Bchchchch“-Charakter hätte.
Groß, mächtig, teuer
Nun, da gibt es kein Vertun: Hört man sich das Signal an, das vom AK ausgegeben wird, erzeugt das sofort einen anerkennenden Blick. Groß, mächtig und „teuer“ wird das Signal, allerdings gibt man schnell Möglichkeiten aus der Hand, die man gerne zu einem späteren Zeitpunkt regeln will. So sind alle Soundbeispiele mit dem ultracleanen und sehr schnellen True Systems P-Solo Ribbon aufgenommen. Schon mit den Trannys des Tube-Tech MP-1A, besonders aber mit einem heiß gefahrenen 1073-Neve und einem 1176 klingt es für fast alle Anwendungsfälle zu übertrieben. Und bei all dem dicken Soundcharakter verschleifen schnell die Transienten ein wenig zu viel und leidet die Transparenz. Aber nicht, dass ich hier im falschen Zusammenhang zitiert werde: Die Klangqualität des AK-47 entspricht definitiv einem 2000-Euro-Mikrofon. Es fehlt mir persönlich bei allem Charakter ein wenig die Tiefe, die Dreidimensionalität – also etwas von der Magie, die ein altes Neumann ausmacht, welche die beiden Neumann-Companies Microtech Gefell GmbH und Georg Neumann GmbH hervorragend in die Moderne gerettet haben. Und so ist es kein Wunder, dass das MG UM 92.1 S bezüglich der Auflösung, des Frequenzgangs und der Ausgewogenheit zwischen Charakter und Einsetzbarkeit merklich besser dasteht. Nun gut, es kostet auch einen weiteren Tausender mehr (glänzt aber darüber hinaus mit typisch deutscher Verarbeitungsqualität).
Polar-Patterns stabil
Interessant zu beobachten ist, wie sehr stabil das Polar-Pattern des Telefunken ist. Im Beispiel ausschließlich mit der vorderen Kapsel durchgeführt (also mit Nierencharakteristik), zeigt sich eine für die Größe der Membran durchaus erstaunliche Konstanz selbst in den Höhen. Wirklich stark auffällige Nasen und Einbrüche sind nicht zu vermerken. Das ist einerseits durchaus angenehm, andererseits so gar nicht vintage. Viele alte Großmembraner besitzen durchaus kreative Pegelfrequenzgänge, wenn sich die Schallquelle aus dem Hauptaufsprechbereich herausbewegt. Ein leichtes Ringen und Klingeln der Raumrückwürfe, die für gewissen Glanz sorgen können, findet man natürlich auch nicht – das kann man jetzt schade finden oder gut, das ist definitiv Geschmackssache.
Ebenfalls sehr neuzeitlich ist die Tatsache, dass sich die Charaktereigenschaften des AK-47mkII nicht allzu stark mit der Richtcharakteristik ändern, sondern recht konstant bleiben. Die wichtigste Änderung bezieht sich vielleicht auf die Acht, die ein wenig mittiger/präsenter wirkt und eine leichte Tendenz rum Klingeln zeigt. Ich finde, die Figure-of-Eight klingt am meisten nach „vintage“.
Bc Bogey sagt:
#1 - 11.12.2015 um 12:40 Uhr
Hi Nickes, schöner Test, wie immer. Bekomme ein endorsement von einer neuen mic company aus GB, Lust, die Dinger mit mir gemeinsam anzutesten? (Nein, kennst du noch nicht, aber Sound On Sound schaltet bereits Anzeigen. Sieht--und klingt hoffentlich--vielversprechend [aus].) Meld dich doch mal unter BCB@voiceintheattic.com. Gruß, B/C