Haben wir uns in vielen Workshops rund um das Thema Gitarre immer wieder mit dem “Was” beschäftigt, sprich, welche Tonleitern, Arpeggios oder Licks über welche Akkorde gut funktionieren, wollen wir uns in dieser Folge ganz dezidiert dem “Wie” widmen. Genauer gesagt soll es hier um Phrasierungsmittel gehen, die unseren Noten erst das nötige Leben und den richtigen Spielwitz einhauchen.
Auf gutes Phrasing zu achten ist außerdem ein sehr dankbares Thema, denn es hilft, das klangliche Maximum aus einem möglicherweise nur begrenzten und einfachen Tonvorrat zu erzielen. Da es in der Regel längere Töne sind, die geformt werden, verlangt das Ganze auch nach keiner oder einer nur sehr begrenzten Virtuosität. Dabei kann die Art und Weise, wie ich bestimmte Noten spiele oder verbinde, zu einem sehr individuellen Stilmittel werden, das den Sound und die ureigene „Stimme“ eines jeden Gitarristen definiert und ihm hilft, sich von Mitstreitern abzuheben. Des Weiteren besitzt gerade die Gitarre eine Unmenge an urtypischen Artikulationsmöglichkeiten, die sie von anderen Instrumenten unterscheidet, sodass es eigentlich sträflich wäre, diesen Fundus an Ausdrucksmöglichkeiten nicht genauer zu erforschen. Und genau das wollen wir hier tun.
1. Vibrato
Beim Vibrato handelt es sich um eine Modulation der Tonhöhe, die sowohl bei gegriffenen Noten als auch bei Bendings durchgeführt werden kann. Grundsätzlich solltet ihr bedenken: In aller Regel findet die Modulation des Fingervibratos durch eine Veränderung der Tonhöhe nach oben statt, allerdings gibt es auch vereinzelte Formen, die eine Erniedrigung der Tonhöhe ermöglichen, wie wir später noch sehen werden.
Die Bewegung erfolgt dabei meist aus dem Handgelenk der Greifhand bzw. dem Unterarm. Häufig bleibt die Hand fest um den Gitarrenhals gegriffen, während der Daumen über die Halsoberseite genommen werden kann.
Eine Ausnahmen z.B. bildet B.B. King, dessen „Butterfly-Vibrato“, benannt nach dem visuellen Effekt, durch Schütteln einer Note mit dem 1. Finger beim Auffächern der anderen drei Finger erzeugt wird. Die Bewegung kommt hier aus dem Handgelenk, die Hand berührt jedoch nicht den Hals. Eric Clapton entscheidet sich ebenfalls für eine vertikale Bewegung (meist nach oben in Richtung tiefe E-Saite), aber er erhält einen freischwebenden Effekt, indem er seinen Ellbogen und nicht sein Handgelenk dreht.
Ganz grundsätzlich kann man als Gitarrist beim Vibrato auf verschiedene Parameter Einfluss nehmen, um seinen individuellen Effekt zu formen:
- Die Amplitude (Höhe der Auslenkung)
- Die Periodendauer (bzw. deren Kehrwert, die Frequenz; Vibrato-Geschwindigkeit)
- Den Zeitpunkt des Vibratobeginns
Prinzipiell finden sich alle Abstufungen und Gestaltungsmöglichkeiten in der Praxis wieder. So hört man im Blues oder Country eher ein schnelles Vibrato mit geringer Auslenkung (Eric Clapton, B.B. King, Mark Knopfler, Steve Morse):
Im Metal/Rock hingegen wird das Vibrato häufig langsam, aber dafür sehr weit gestaltet:
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Sehr geschmackvoll kann es klingen, wenn der Ton erst ohne Vibrato stehen gelassen wird und Zeit zum „Atmen und Einwirken“ erhält. Anschließend kann man, analog zu Sängern, langsam einschwingen und dann schneller und weiter werden.
Hinsichtlich der Vibrationsgeschwindigkeit kann man auch überlegen, ob die Frequenz eine rhythmische Subdivision des Songtempos sein (z.B. Vibrato in Achteln, Achteltriolen, etc.) oder vollkommen frei erfolgen soll. Hier ist sicherlich viel Ausprobieren angesagt.
Eine weitere gute Übung für alle diejenigen, die sich das Vibrato als eine Art gewohnheitsmäßigen Automatismus angeeignet haben, ist das ganz bewusste Weglassen jeglicher Tonformung. Grundsätzlich sollte das Vibrato nämlich als Verzierung verstanden werden und nicht als eine Zwangsläufigkeit, die man ständig um jeden Preis benutzen muss. Gerade bei Bendings findet man sowohl bei Gitarristen als auch bei ungeübten Sängern gelegentlich sehr übertriebene Vibratos, da man dadurch natürlich auch gewisse Intonationsmängel kaschieren kann. Gute Anspieltipps für einen sehr geschmackvollen Einsatz sind z.B. Dann Huff oder John Sykes, die sehr häufig einen Ton auch mal ohne Vibrato stehen lassen können.
Betrachten wir nun die einzelnen Formen des Vibratos, die auf der Gitarre möglich sind:
• Rockvibrato
Das klassische Rockvibrato ist eine Modulation der Tonhöhe, die durch minimale Bewegungen mit der gegriffenen Saite quer zum Griffbrett entsteht. Der Ton moduliert hier nur nach oben und geht dann zur Ausgangsposition zurück. Da diese Variante auf jeder Saite gespielt wird, sollte man sie sowohl in Richtung der hohen wie der tiefen E-Saite beherrschen, um zu vermeiden, dass man sie über die Halskante hinaus zieht oder drückt. Ein besonderer Effekt ergibt sich, wenn man ein Rockvibrato quasi auf ein Bending aufsetzt. Im Gegensatz zum „normalen“ Vibrato entsteht hier die Modulation dadurch, dass man die hochgezogene Saite in schneller Folge lockert und wieder in die Spannung zurückführt, das heißt, hier moduliert man die Tonhöhe nach unten. Die Saite wird angeschlagen, zur gewünschten Note hochgezogen und dort nimmt das Vibrato erst seinen Anfang.
Als Vorübung wäre hier ein Art Bending-Übung sinnvoll, wie z.B.
Ganzton Bend-Up – Release:
Halbton Bend-Up – Release:
Bending-Vibrato:
• Klassisches Vibrato
Das parallele Vibrato, das von klassischen Gitarristen bevorzugt wird, entsteht durch das Bewegen des Greiffingers der Länge einer Saite nach zwischen zwei Bundstäbchen. Bewegt man ihn in Richtung Brücke und „schiebt” die Saite nach oben, nimmt die Spannung der Saite minimal ab, was zu einem leichten Abfall der Tonhöhe führt. Wenn man sich dagegen dem Sattel nähert, wird die Saite zurückgezogen und die Tonhöhe steigt aufgrund der erhöhten Spannung.
Von Tremolohebel und dem Vibrato auf einem Beding abgesehen ist dies die einzige Vibratoart, die eine Modulation sowohl nach oben als auch nach unten erlaubt. Allerdings kann sie aufgrund ihres eigenen Sounds bisweilen durchaus auch stilfremd wirken.
• Steve Vai Circle
Bei dieser Technik bewegt sich der Finger kreisförmig auf der Saite. Man beginnt, indem man die Saite nach vorne schiebt und dann etwas nach unten zieht, während man dabei die Spannung vom Schieben löst. Anschließend entspannt man die Saite, schiebt zurück und bendet anschließend Richtung tiefer E-Saite. Prinzipiell ist dies die Kombination der beiden erstgenannten Formen, d.h., auch hier wird die Note beim Vibrationsvorgang sowohl erhöht als auch erniedrigt.
• Slide Vibrato
Diese Vibratoform sieht man häufig bei Hardrock- und Heavy-Metal-Gitarristen wie George Lynch, Greg Howe oder Warren de Martini. Hier entsteht das Vibrato dadurch, dass man vom Ausgangsbund sehr schnelle Slides entweder ein oder zwei Bünde nach oben oder nach unten durchführt. Dieses Vibrato klingt sehr wild und furios und bietet sich daher eher für Uptempo-Stücke an.
• Tremolohebel
Sehr viele Gitarristen benutzen den Tremolohebel, um das Vibrato zu gestalten, wie z.B. Jeff Beck oder David Gilmour. Hier kann natürlich die Tonhöhe ebenfalls nach oben und unten moduliert werden. Eine tolle Übung für das Fingervibrato ist z.B. das Imitieren des Tremolovibratos ausschließlich mit den Fingern.
2. Bendings
Zum Thema Bending und dem Üben der richtigen Intonation, findet ihr hier noch einen gesonderten Artikel, allerdings wollte ich dieses Thema der Vollständigkeit halber nicht ganz außen vor lassen. Bendings gelingen prinzipiell mit jedem Finger, allerdings wird man in der Praxis den kleiner Finger seltener antreffen, für den man häufig auf den Ringfinger ausweicht. Beim Bending gilt es vor allem, auf saubere Intonation zu achten, was natürlich ein gut trainiertes Gehör voraussetzt. Grundsätzlich sollte man die Bending-Richtung nach unten und nach oben beherrschen, da man durchaus auch auf der tiefen E-Saite oder der A-Saite Töne ziehen kann.
Da der oben genannte Workshop auf die Standard-Bendings eingeht, möchte ich hier auf ein paar spezielle Bending-Formen eingehen:
• Ganzton plus Halbton
Hier wird zunächst ein Ganzton gezogen, der Ton bleibt stehen und wird anschließend um einen weiteren Halbton gezogen, sodass insgesamt das Intervall einer kleinen Terz überstrichen wird. Sehr häufig ist dieser Trick z.B. bei David Gilmour zu hören.
• Ganzton plus gegriffener Halbton
Im Prinzip wird hier der gleiche Effekt wie im vorhergehenden Fall erzielt, nur dass der letzte Halbton durch eine gegriffene Note erzeugt wird. Man zieht einen Ganzton nach oben und greift einen Bund drüber auf die ge-bendete Saite. Steve Lukather hat diesen Trick in unzähligen Soli zu seinem Trademark gemacht.
• Releasebend
Beim Releasebend wird der Ton stumm nach oben gezogen, im gespannten Zustand angeschlagen und dann “releast”.
• Slide Bend
Hier slidet man in einen Ton und geht aus der Slide-Bewegung heraus direkt in ein Bending über.
• Unison Bend
Beim Unison Bend greift man eine große Sekunde auf zwei benachbarten Saiten und zieht die tiefere Saite in den Ton der höheren (z.B. auf der b-Saite das g, auf der e-Saite das a; anschließend zieht man die b-Saite zum a hoch). Dieser Effekt ist oft bei Carlos Santana oder Jimi Hendrix zu hören gewesen. Meist werden Unison Bends zwischen e- und b-, bzw. zwischen der b- und g-Saite vollzogen.
• Small (Smear) Bend
Beim Smear Bend handelt es sich um ein „Mini-Bending“, das in keine konkrete Tonhöhe führt, sondern die Saite nur minimal verstimmt. Gerade über der kleinen Terz, oder der Blue Note kann diese Bending-Form sehr bluesig wirken.
3. Slides (auch Slur oder Glissando)
Slides sind auf der Gitarre zum einen ein wichtiges klangliches Stilmittel, da sie den Tönen mehr Leben und den Phrasen eine stärkere vokale Qualität verleihen.
Allerdings kann man mit ihnen auch zwei oder mehr Noten reibungslos und schnell verbinden und die Position bzw. Lage auf dem Griffbrett nahtlos ändern.
Üblicherweise werden sie vom unteren diatonischen Ton gespielt, allerdings können Slides für einen bluesigeren/jazzigeren Sound auch chromatisch von unten eingesetzt werden.
Möchte man einen Lagenwechsel einleiten, empfiehlt es sich, den Slide mit dem Finger zu spielen, mit dem in der Ziellage die Note auch gegriffen wird. Als Übung empfiehlt es sich, die Positionen der Pentatonik beispielsweise komplett über das Griffbrett mit Slides zu verbinden:
Slides von oben, sprich von einer höheren in eine tiefere Note, sind eher selten, klingen jedoch sehr wirkungsvoll und überraschend, wie man es z.B. bei Steve Vai oft hören kann.
Damit sind wir am Ende unseres Workshops angelangt!
Übt die oben thematisierten Artikulationsmittel zuerst separat und versucht sie anschließend zu Backingtracks oder auch einfach nur zu liegenden Akkordpads, ganz rubato und ohne Timing zu spielen. Wenn ihr das unter Kontrolle habt, finden die Sounds früher oder später in euer Spiel. Ich wünsche euch viel Spaß und gutes Gelingen mit euren neuen Phrasierung!