Praxis
Hochwertige Preamps und Wandler sinnvoll
Es ist nicht verwunderlich, dass man gut beraten ist, einen sehr cleanen und transparenten Mikrofonvorverstärker und einen guten A/D-Convertwer zu benutzen, wenn man die Fähigkeiten des Townsend Labs Sphere L22 voll auskosten möchte. Meine Versuche habe ich daher mit dem Merging Technologies HAPI mit „Premium“-Karten und dem Lavry AD-11 mit vorgeschaltetem DPA HMA4000 mit 48V-Converter-Barrels durchgeführt. Eine weitere Sache sollte man aber bedenken, denn um die beiden Kapselsignale kalibrieren zu können, ist ein Preamp mit kontinuierlichem Gain notwendig. Während das Merging-System in den meisten Verstärkungsbereichen ausreichend feine Veränderungen zulässt und diese im Anschluss bei Bedarf digital glättet, erlaubt der HMA, ohnehin eher Speiseteil denn enorm kraftvoller Amp, nur eine Veränderung um 10dB-Sprünge. Die anschließenden 1dB-Schritte des Lavrys im Line-Input-Betrieb konnten das wieder auffangen, ansonsten liefert das Plug-In eine Anzeige und eine Einstellmöglichkeit für die Spannungsverhältnisse von vorderem zu hinterem Kapselteil – und kann im Kalibrierungsmodus die notwendigen letzten Angleichungen ohnehin selbst vornehmen.
Einmal einrichten und ein paar Dinge bedenken, dann ist der Mehraufwand überschaubar.
Der generelle Verkabelungs- und Einrichtungsaufwand ist nun doch etwas höher als bei einem normalen Setup, doch handelt es sich nur um eine einmalige Angelegenheit, Templates zu erstellen. Die zusätzliche Strippe und der Umgang mit einem Stereo- statt Mono-File sollte niemanden vor ernsthafte Probleme stellen. Nett ist es, einfach erst einmal aufzunehmen und das Processing auf später zu verschieben. Und wählt man für das Direktmonitoring die vordere Kapsel des L22, hat man ein vernünftiges Nierensignal. Das Editing der Spuren ist nun wirklich nicht problematischer, wenn man mit Stereofiles zu tun hat. Durch die zu vernachlässigenden Laufzeitunterschiede wird man sich beim Schneiden auch nicht mit enormen Lageunterschieden herumplagen müssen, wie es etwa bei AB-Stereo der Fall ist. Einzig der Wunsch, „mal eben das Signal durch den Hardware-1176“ zu schicken, bedarf der Umwandlung in ein Mono-Signal. Hier können in den meisten DAWs Mono-Subgruppen herhalten.
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Das System ist nur so gut wie seine Grundlage
Die Grundlage aller Sounds, die das Townsend-System zu erstellen vermag, können nur so gut sein wie die Basis – das Mikrofon selbst also. Stellt man Vergleiche an, beispielsweise mit einem nicht umschaltbaren Mikrofon zum gleichen Preis wie das Townsend-Bundle (das Audio-Technica AT5045), muss man feststellen, dass das L22 bezüglich Detailliertheit, Frequenzgang, Impulstreue und auch dynamische Werte nicht daran heranreicht. Gut, das hätte auch verwundert. Was prinzipiell sicher eine feine Überlegung gewesen wäre, wäre eine Messung jedes individuellen Mikrofons und das Erstellen einer entsprechenden Korrekturdatei, um die richtungsabhängigen Phasen- und Pegelabweichungen jedes einzelnen L22 ausgleichen zu können. Sonarworks machen das etwa mit dem ihrem Reference3-Bundle beiliegenden Messmikrofon vor, das natürlich in der Herstellung gewissen Toleranzen unterliegt, die aber mit einer Profildatei wieder ausgemerzt werden.
Sich durch den sündhaft teuren Mikrofonschrank klicken
Es ist schon toll, sich mit einer „Zukunftstechnologie“ auf die Reise in die Vergangenheit zu begeben. Heute teure Neumann-Klassiker wie das alte U 87, das U 67 und wahnsinnig teure bis unbezahlbare wie M 49 und M 50 sowie natürlich das U 47 sind jeweils nur einen Klick entfernt. AKGs heiliger Gral, das C12, fehlt natürlich nicht. Unter den Großmembran-Klassikern darf man sich sicher noch weitere Modelle wünschen, wie das C800G, das CMV, das eine oder andere Brauner… und, und, und. Nett ist, dass mit dem AKG C451B auch ein Kleinmembranmikrofon, mit dem Coles 4038 ein Bändchen und mit dem Shure SM57 sogar ein Tauchspulenmikrofon auswählbar ist. Die Ergebnisse sind insgesamt erstaunlich, alle Mikrofone lassen sich gut nutzen. Ein leichter, immer erkennbarer Grundcharakter aller Files ist nicht von der Hand zu weisen, aber schließlich entstammt alles dem genau gleichen Mikrofon mit genau der gleichen Doppelmembrankapsel. Die Unterschiede, die man hier im Vergleich zum Original hören mag, können zwar einerseits das Zünglein an der Waage für einen Mix sein, werden andererseits auch oft genug von anderen Signalen der Mischung verdeckt.
Ganz toll ist tatsächlich der „We`ll fix it in the mix“-Gedanke, der diesmal tatsächlich machbar erscheint. Damit ist jetzt nicht nur die nachträgliche Auswahl des Mikrofons gemeint, sondern auch die komplexe Steuerbarkeit von Patterns und die Mischung von Mikrofonen – was bei Vocals wie ich finde viel zu selten gemacht wird (siehe Workshop: Gesang mit zwei Mikrofonen aufnehmen).
Eine nachträgliche Änderung von virtuellem Abstand und dem damit einhergehenden Nahbesprechungseffekt funktioniert, fällt aber nicht sehr umfangreich aus. Dass hier nur in gewissem Rahmen große klangliche Erfolge erzielt werden können, liegt in der Natur der Sache: Die Bassanhebung geschieht immerhin direkt am Empfänger. Besonders der wohligen Wärme des Coles 4038 kann man offenbar nur nacheifern, sie aber nie ganz erreichen, das „echte“ Coles klingt deutlich runder, schmeichelnder und größer als die „getownsendete“ Variante. Und es zeigt sich noch mehr: Mit dem Bändchen, dem Tauchspulenmikro und dem Kleinmembranmikrofon hat das L22-System größere Schwierigkeiten als mit den dargestellten Großmembranern. Das kommt nicht von ungefähr, denn dynamische Mikrofone arbeiten nun mal ganz anders als elektrostatische. Ich bin aber erstaunt, wie gut die „nicht vorhandenen Pattern“ bei den modellierten Mikrofonen klingen, etwa das Nieren-Coles. Sogar die Arbeit mit dem Off-Axis-Tool erzielt klanglich wirklich gute Ergebnisse, das ist genial bei „One-Room-Studios“ mit vielen Störschallquellen durch Lüfter, Fenster oder andere Menschen (Ich hatte für den Test einen „Braun-Lautsprecher“-Mac Pro mit lautem Fan neben den Gitarrenverstärker gestellt.
Besonders bei der virtuellen Wahl der Einsprechrichtung beschleicht mich aber das Gefühl, dass hier die Änderungen ein wenig verhaltener sind. Die komplexen (und bei Mikrofonen durchaus individuellen) Pattern der Rückseite lassen sich womöglich nicht so umfangreich darstellen, weil bei physikalischen Mikrofonen ein paar Grad Änderung schon enormer Klangfarbenunterschiede zur Folge haben können. Selbst das Townsend-Mikro ist davon ja nicht frei. Am Polardisplay des Plug-Ins lässt sich erkennen, dass die Genauigkeit der Richtungserkennung so irrsinnig hoch nicht sein kann. Insgesamt lässt sich aber feststellen: Das Townsend-System macht seine Sache erstaunlich gut. Sicher gibt es immer Luft nach oben, alleine durch die Tatsache, dass nur eine zweidimensionale Raumdarstellung möglich ist und Entfernungen nicht „erkannt“ werden. Wer weiß, vielleicht gibt es ja bald ein 3D-Array aus vielen verschiedenen Kapseln…?
Stereo ist mehr als zweimal Mono
Um 90 Grad drehen und einfach weiter aufnehmen, schon kann man bei Bedarf mit einem Stereosignal arbeiten. Das zugehörige Plug-In mit dem Zusatz „180“ ist genauso verständlich wie das Mono-Plug. Schon am Bypass-Signal zeigt sich, dass das Townsend-Mikrofon das exakt mittige Signal – hier die Vocals – zwar nicht komplett ohne Blessuren, aber immerhin mehr als ausreichend gut überträgt. Alles andere wäre auch ein Wunder, schließlich singt der Sänger der Audiobeispiele auf die Kante der Doppelkapsel.
Schön ist, dass man die Stereobreite erst im Mix einstellen muss, ein Vorteil, den ja auch MS besitzt. An einem Drumkit sollte man für mittige Ausrichtung von Bassdrum und Snare sorgen, „Width“ wird zum wichtigsten Regler. Ein wenig habe ich das Gefühl, dass man im Stereomodus genauer hinhören muss, ob die Änderung von Proximity und Off-Axis so gut klingen wie beim Mono-Betrieb. Schließlich stehen nun nicht mehr vorderes und hinteres Signal für derartige Spielereien zur Verfügung. Mir erschien zumindest die Nahbesprechungssteuerung nicht mehr so konkret und deutlich. Trotz Breiteneinstellung des Stereosignals nutzt das Townsend natürlich immer ein Koinzidenz-Stereoverfahren, wie XY und MS welche sind. Äquivalentstereophone oder laufzeitstereophone Stereosysteme sind prinzipbedingt nicht möglich. Selbst hier hat das Townsend aber ein Ass im Ärmel, denn es ist bestimmt nicht verboten, zwei L22 Sphere zu kaufen… Allerdings gibt es zumindest momentan noch kein Plug-In, um ein Vierkapselsignal zu steuern. Vor meinem inneren Augen klappt gerade der Wunschzettel auf, auf den ich Dinge wie „Surround?“ und „3D?“ notiere. Aber gut, es ist nicht davon auszugehen, dass Townsend dieses System auf den Markt bringt und nicht weiterentwickelt…
Jens Moeller sagt:
#1 - 05.04.2017 um 08:48 Uhr
Es wäre sich cool gewesen, bei diesem Test mal das Slate Mikro mal ansatzweise zu vergleichen. Sicher ist der Ansatz beim Slate lange nicht so ausgeprägt, die Thematik "Virtuelles Mikrofon" aber ähnlich.
Alex Abedi sagt:
#1.1 - 08.04.2017 um 11:34 Uhr
sehe ich absolut genauso.
Antwort auf #1 von Jens Moeller
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenstefan.bonedo sagt:
#1.2 - 26.04.2017 um 06:40 Uhr
Vielen Dank für den Input. Zum Test lag uns das Slate leider nicht mehr vor, aber eventuell machen wir in Zukunft mal einen (größeren) Vergleichstest.
Antwort auf #1 von Jens Moeller
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenRoger Mueller sagt:
#2 - 24.07.2017 um 17:34 Uhr
Wow was ging denn da falsch? Diese Audiobeispiele klingen ja schrecklich. Das kann doch nie und nimmer das L22 sein. Das klingt ja schlimmer als mein iPhone mikrofon. Ich habe das L22 hier vor mir stehen und ich wüsste nicht wie ich aus dem System einen solch schlechten Klang herauskriegen könnte.Der Unterschied zum AT5045 ist enorm. Das Audio Technica mag vielleicht das bessere Mikrofon sein, aber einen solchen Unterschied gibt es niemals. Da habt ihr irgendetwas falsch gemacht!! Klingt in meinen Ohren nach zeitbedingten Auslöschungen in den tieferen Frequenzen...
Nick (Redaktion Recording) sagt:
#2.1 - 25.07.2017 um 08:44 Uhr
Hallo Roger,Du hast vollkommen recht, da stimmt was nicht. Ich kann leider nicht nachvollziehen, wann und wo da der Fehler passiert ist, vielleicht wirklich im Bounce oder im Rendering. Die Mikrofone sind immer mit den Membranen an der gleichen Position ausgerichtet, wie bei allen Reviews, auch klang es ja während des Reviews vernünftig. Danke Dir auf jeden Fall für den Kommentar. Ich habe mit dem Townsend-Produkspezialisten telefoniert, bekomme morgen ein neues und mache die Files noch einmal.Beste Grüße
Nick
Antwort auf #2 von Roger Mueller
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenRoger Mueller sagt:
#2.1.1 - 27.07.2017 um 19:36 Uhr
Das ist gut zu hören! Ich bin gespannt und schätze den Aufwand, den ihr dafür betreibt!
Antwort auf #2.1 von Nick (Redaktion Recording)
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenNick (Redaktion Recording) sagt:
#2.1.1.1 - 18.08.2017 um 06:42 Uhr
Hi alle,ich habe es vor dem Urlaub nicht ganz zuende geschafft, bin aber jetzt wieder im Einsatz und melde, wenn es ausgetauscht ist.Beste Grüße aus der Redaktion!
Antwort auf #2.1.1 von Roger Mueller
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenNick (Redaktion Recording) sagt:
#2.1.1.1.1 - 20.08.2017 um 15:28 Uhr
Hallo alle,so: Die neu aufgenommenen Audiofiles sind jetzt in den Playern!Beste Grüße, danke für's Aufpassen und melden und sorry für die Verwirrung,Nick
Antwort auf #2.1.1.1 von Nick (Redaktion Recording)
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenJens Knowitall Weisenheimer sagt:
#2.1.2 - 17.08.2017 um 21:11 Uhr
Und sind das jetzt noch die Originaldateien, oder sind sie schon aktualisiert? Das Sphere klingt jedenfalls immer noch schrecklich.
(Die Beispiele haben nichts mit dem emulierten Mikrofon zu tun, klingen (fast) alle weitgehend gleich und völlig unbrauchbar.)
Antwort auf #2.1 von Nick (Redaktion Recording)
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenMichael Lahnstein sagt:
#3 - 06.07.2018 um 12:39 Uhr
Leider sind die Gesangsaufnahmen zu 98% irrelevant. Es ist nur 1 (!) S-Laut enthalten – das ist schwierig, so einen unbrauchbaren Text überhaupt erstmal zu finden. Als jemand, der hier mit dem Anspruch antritt, uns als Redakteur Wissen zu vermitteln, solltest du wissen, dass Zischlaut-Wiedergabe die Mikro-Spreu vom Mikro-Weizen trennt, weil deren Bearbeitung die meisten Probleme bereitet.Dass du diese Aufnahme zur Präsentation eines so interessanten und wichtigen Produkts verwendest, entwertet deinen sonst gut geschriebenen Test für mich vollkommen. Ich habe leider den Eindruck dass hier Erfahrungen und/oder Fähigkeiten in Bezug auf die Bearbeitung und Beurteilung von Sprach- und Gesangsaufnahmen fehlen.
Nick (Redaktion Recording) sagt:
#3.1 - 06.07.2018 um 14:34 Uhr
Hallo Michael,ich suche meist mit dem Sänger einen Text, der die wesentlichen Bestandteile enthält. Ein "S" ist nicht unwichtig, diesem Thema sind hier bei bonedo diverse Absätze in Tests, aber auch in Workshops und weiteren Artikeln gewidmet. Allerdings ist ein "T" spektral doch sehr ähnlich, und das kommt gleich mehrfach vor. Und ja, es ist tatsächlich so, dass die Reaktion auf einen derartigen Konsonant einige Rückschlüsse über das Mikrofon zulässt. Spreu vom Weizen würde ich nicht unterschreiben, denn ich halte den Umgang mit kurzen Luftstößen ("P", "B"), besonders aber den Pegel- und Phasenfrequenzgang abseits der Hauptachse für ebenfalls sehr wichtig. Um anhand von Audiobeispielen auf einer Internetseite ein Mikrofon selbst beurteilen zu können, müsste man ja eigentlich den Sänger kennen und einen direkten Vergleich haben. Zu diesem Zweck ist bei Verfügbarkeit meist der gleiche Sänger gebucht und eine möglichst gleiche Recordingsituation geschaffen. Der Sänger hier bei uns ist im Übrigen bezüglich des De-Essings recht pflegeleicht, weil er eher amerikanisch-breite und etwas längere S-Laute generiert (sogar beim "T") als bei Deutscher Sprache oder deutscher Aussprache (etwas spitzer, kürzer, Hauptanteile etwas weiter oben im Spektrum). Die Bearbeitung kann man sich bei passenden Sängern oder Sprechern durch Mikrofonauswahl, vor allem aber -positionierung vereinfachen, manchmal kann man auch darauf verzichten, wenn man ein wenig aus der Achse geht.Ein Test bei bonedo ist eine Einordnung des Produkts (und hier: seines Konzepts) und ist dementsprechend ein Angebot, ein Baustein bei einer Kaufentscheidung zu sein. Vielleicht habe ich da auch was falsch verstanden, mir war nicht klar, ob Du jetzt auf die Redaktions- oder Autorentätigkeit abzieltest. Als Autor fische ich mir aus Deinem Kommentar auf jeden Fall mal das etwas versteckte Lob über den "sonst gut geschriebenen Test", bedanke mich dafür und wünsche uns allen ein schönes Wochenende. :-)Nick (Redaktion Recording)
Antwort auf #3 von Michael Lahnstein
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