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Tutorial: Wie man ein Stereosichtgerät richtig einsetzt

Seit Beginn der mehrkanaligen Tonaufzeichnungen hatten Tontechniker den Wunsch, Phasenlage und Stereofeld auch optisch überprüfen zu können.

(Foto: Carsten Brüse / Kiddinx Berlin)
(Foto: Carsten Brüse / Kiddinx Berlin)

Rasch etablierte sich daraufhin das sogenannte Goniometer. Was sich hinter diesem exotisch klingenden Gerät verbirgt und wie ihr es in euren Produktionen einsetzt, zeigt dieser Artikel.
Ein Goniometer, auch Stereosichtgerät genannt, stellt die Phasenlage zweier oder mehrerer Kanäle optisch dar, ähnlich wie ein Oszilloskop. Die Abbildungen ähneln wollknäuelartigen Wolken und werden Lissajous-Figuren genannt. Mit etwas Übung kann man auf einen Blick ablesen, welche Eigenschaften das Signal hinsichtlich Phasenlage, Panoramaposition und Stereobreite besitzt. Goniometer beschränken sich indes nicht auf stereophone Aufnahmen, auch Phasenlage und Korrelationen im Mehrkanalton, dem so genannten Surroundsound, lassen sich abbilden. Unter den Stichworten „Jellyfish“ und „Surround scope“ findet man im Netz allerlei Informationen. In diesem Artikel möchte ich mich ausschließlich Stereosignalen widmen.

Software-Goniometer

Während es Goniometer lange Zeit ausschließlich als teure Hardware gab (der bekannteste Hersteller ist sicherlich RTW), kann man heute aus einem bunten Strauß von Plug-ins wählen. Einige DAWs bieten eigene Goniometer, zum Beispiel das Multiscope von Steinberg. Von Drittanbietern gibt es sogar Freeware-Plug-ins, die durchaus als Konkurrenz zum Platzhirschen RTW anzusehen sind. Eines der besten Plug-ins ist das kostenlose „Stereo Tool v3“ von Flux für Windows und OSX. 

Fotostrecke: 3 Bilder Multiscope von Steinberg

Lissajous-Figuren lassen Phase und Pegel erkennen 

Der Screenshot zeigt die GUI des Flux Stereo Tool v3. Die mittlere, schwarze Kreisfläche ist die oszilloskopähnliche Anzeige des Goniometers. Im Unterschied zu einer normalen Oszilloskop-Anzeige wurde zur besseren, audiotauglicheren Veranschaulichung das Schema um 45 Grad nach links gekippt. So entsteht eine Anzeige, die in ihren Mustern den Richtungen eines Stereofelds entspricht. Das Prinzip ist einfach: Die Entfernung vom Mittelpunkt zeigt den Pegel, ein vertikaler Ausschlag bedeutet absolute Gleichphasigkeit, ein horizontaler wäre gegenphasig – das erkläre ich aber gleich noch ausführlicher.

Einstellmöglichkeiten am Stereosichtgerät

Das Schlaue an Goniometern und Korrelationsgradmessern ist, dass die Messungen pegelunabhängig gut funktionieren. Mit Hilfe einer Autogain-Funktion wird so viel Pegel addiert oder abgezogen, dass die Lissajous-Figuren die komplette Goniometer-Anzeige ausfüllen. Auch der Korrelationsgradmesser, der beim Stereo Tool v3 unter den Pegelmetern angesiedelt ist, arbeitet selbst bei extrem niedrigen Signalen zuverlässig. Das Stereo Tool v3 bietet außer einer sehr smoothen und schönen Lissajous-Anzeige zusätzliche Hilfsmittel, mit denen man in die Kanäle eingreifen kann. Per Lautstärken-, Panorama-, Phasen- und Stereobreiten-Regler hat man genügend Optionen, um kleine Unausgewogenheiten auszugleichen. 

Typisches, problemloses Material auf dem Goniometer

So sieht ein unproblematisches Stereobild auf dem Goniometer aus.
So sieht ein unproblematisches Stereobild auf dem Goniometer aus.

Auf dem obigen Bildschirmfoto ist die Messung eines Stereosignals zu sehen. Nicht übertrieben breit – und auch nicht zu monoartig. So darf und soll ein Stereosignal auf dem Goniometer aussehen. Die Gewichtung liegt in der Mitte, es gibt Ausschläge zu den Stereoseiten, und trotzdem ist das Signal monokompatibel. Auf unterschiedlichsten Wiedergabesystemen von Smartphone bis Fernseher und Mono-Küchenradio wird dieses Stereosignal ohne Auslöschungen erklingen, egal wo man sitzt. Und genau darum geht es bei einem Goniometer: um die Kompatibilität eines Mixes zu verschiedensten Wiedergabesystemen, ohne dafür alle Varianten austesten zu müssen. Ein Goniometer hilft nicht nur Unerfahrenen, aus schlichter Unkenntnis einen Mix mit Phasenproblemen abzuliefern, er verhindert auch Leichtsinnsfehler, etwa wenn der Panoramaregler der Stereosumme verdreht oder der Pegel des Audioausgangs verstellt ist. Auch im fortgeschrittenen Alter nützt ein Goniometer, falls der ein oder andere Tinnitus das Gehör unwiederbringlich verbogen hat, man aber weiterhin ausgewogene Mixe abliefern möchte. 

Lissajous-Figur eines Monosignals

Das zweite Beispiel zeigt ein Monosignal: Das Signal wird als mittige Linie dargestellt. Auf dem linken und rechten Kanal liegt identisches Audiomaterial, was zur senkrechten Ausrichtung der Lissajous-Figur führt. Unter den beiden Lautstärke-Metern ist ganz rechts ein kleines, rotes Quadrat zu erkennen. Es leuchtet über der Korrelationsgrad-Anzeige, die von -1 über 0 bis nach +1 reicht. Hier wird der Verwandtschaftsgrad des linken und rechten Kanals der Stereosumme gemessen. Bei einem Wert von Null besteht keinerlei Verwandtschaft. -1 signalisiert exakt gegenphasige und +1 hundertprozentige Verwandtschaft. Das kann man bei unserem Monosignals am roten Quadrat schnell ablesen.

Ein Monosignal auf dem Stereosichtgerät.
Ein Monosignal auf dem Stereosichtgerät.

Signal nur auf einer Seite: Bild auf dem Stereosichtgerät

Liegt ausschließlich links ein Signal an, sieht man auf dem Goniometer eine um 45 Grad nach links versetze diagonale Linie.

Nur der linke Kanal führt ein Signal.
Nur der linke Kanal führt ein Signal.

Ist hingegen nur auf dem rechten Kanal ein Signal vorhanden, sieht dies im Goniometer folgendermaßen aus:

Nur der rechte Kanal führt ein Signal.
Nur der rechte Kanal führt ein Signal.

Problematische, weil unkorrelierte Signale auf dem Stereosichtgerät

Sind links und rechts zu 100% gegenphasig, sehen wir eine horizontale Linie. Setzt man sich in die Stereomitte, wird man ein unangenehmes Ziehen auf den Ohren spüren. Auf einem (idealen) Monosystem löschen sich die Kanäle gegenseitig aus und ihr hört gar nichts.

Die horziontale Linie warnt vor einem vollständig gegenphasigen Signal – das passiert in der Praxis vor allem durch Monosignale auf Stereotracks, bei denen ein Kanal u 180° in der Phase gedreht wurde ("invertiert").
Die horziontale Linie warnt vor einem vollständig gegenphasigen Signal – das passiert in der Praxis vor allem durch Monosignale auf Stereotracks, bei denen ein Kanal u 180° in der Phase gedreht wurde (“invertiert”).

Eine ähnlich unerwünschte Diagnose wird dieses Bild der Lissajous-Figuren liefern. Es handelt sich um ein Stereosignal mit fast vollständiger Gegenphasigkeit. Das Ergebnis klingt an einer perfekten Abhörposition wahrscheinlich unglaublich räumlich und breit. Auf Monosystemen oder außerhalb der Sweet Spots fällt dieses Signal aber akustisch in sich zusammen.

So sieht nicht vollständige, aber kritische Gegenphasigkeit aus.
So sieht nicht vollständige, aber kritische Gegenphasigkeit aus.

Zu breites Stereosignal erkennen

Einigermaßen okay, aber schon ins „zu Breite‟ tendierend, kann man folgende Anzeige interpretieren:

Diese Stereomischung geht zu sehr in die Breite.
Diese Stereomischung geht zu sehr in die Breite.

Die Lissajous-Figuren sind zu dünn auf der Mittenachse vertreten und der Korrelationsgradmesser geht klar in den negativen Bereich. Hier sollte man nochmal in die Stereobreite des Mixes eingreifen und eventuell billige Gitarreneffekte oder ähnliche Phasenspielereien ausmerzen, um ein auf unterschiedlichen Wiedergabesystemen funktionierendes Stereosignal zu gewährleisten. 

Stereosichtgerät benutzen – Goniometer in der Praxis

In einem kurzen Video möchte ich zeigen, wie ich einen fertigen Mix, dessen Stereobild etwas nach links verrutscht und ein wenig zu schmal und monoartig ist, mit Hilfe des Stereo Tool v3 korrigiere. 

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Anfangs ist der leichte Links-Überhang in den Goniometerwolken sehr gut abzulesen. Ich nutze als erstes den Panoramaregler und verschiebe die Balance, bis alles schön mittig ausgerichtet ist. Um die Stereobreite etwas beeindruckender zu gestalten, nutze ich den Plug-in-eigenen Stereo-Width-Regler. Anschließend muss ich noch einmal das Panorama nachregeln. Mit dem A/B-Regler des Plug-ins vergleiche ich schließlich die bearbeitete mit der unbearbeiteten Version. Die unbearbeitete Version klingt lauter, ich hole daher zwei Dezibel Gain pro Seite auf. Nun sind beide Varianten gleich laut, so dass ich sie gut vergleichen kann.

Fazit

Ein Goniometer ist keine Spielerei. Gemäß dem Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ sollte es in keinem Setup fehlen. Man lebt ruhiger, wenn man eine Mischung sorgfältig kontrolliert hat, bevor man sie in die Vervielfältigung schickt. Und damit meine ich nicht nur altmodische Medien wie CDs oder Vinyl, sondern auch die Veröffentlichungen im Internet. Bedenkt dabei, dass heutzutage immer mehr Produktionen auf Smartphones konsumiert werden, die meist noch mono wiedergeben. Viele DAWs bringen bereits ihr eigenes Goniometer mit, ansonsten lässt sich mit dem Stereo Tool v3 von Flux ein hevorragendes und zudem kostenloses Exemplar nachrüsten. Also ran ans Winkelmessen; ich wünsche allseits gute Phasenlage!

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(Foto: Carsten Brüse / Kiddinx Berlin)

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Profilbild von Tom

Tom sagt:

#1 - 16.05.2018 um 22:19 Uhr

0

Moin,
auch wenn der Beitrag nun schon etwas älter ist, die Figuren wurden nach Jules Antoine Lissajous benannt und heißen deshalb Lissajous- und nicht Lassajous-Figuren.
Ansonsten ein schöner Artikel, der mal ein wenig bekanntes aber umso nützlicheres
Gerät für die Studioarbeit vorstellt. Im Rundfunk (alter Prägung) gehörte das Goniometer zu Standardausrüstung eines jeden Sendefahrerplatzes.
Auch in der Meßtechnik wurde dieses Gerät ob seiner Möglichkeiten geschätzt.

    Profilbild von Patric Louis

    Patric Louis sagt:

    #1.1 - 17.05.2018 um 08:12 Uhr

    0

    Bonjour Tom,
    vielen Dank für die Blumen! Ach ja, die guten alten Zeiten, als man noch auf Stereo Wert gelegt hat.
    Völlig richtig, Lissajous. Solch ein Fauxpas trotz französischer Wurzeln!
    Das Schöne am Goniometer ist, dass man ohne das Signal abhören zu müssen ablesen kann, ob es technisch "im Rahmen" ist. Inhaltlich ist dann noch mal 'ne ganz andere Frage ;-)
    Schöne Grüße >0/<1

    +1
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