Praxis
Die Aufgabe: Dynamik begrenzen
Tja, ran an den Speck! Es bedarf eigentlich keiner großen Vorrede, um dem 1176 überaus ansprechende Resultate zu entlocken. Man sollte lediglich einfach wissen, dass man es hier mit einem kernigen Kraftprotz zu tun hat, der sich zwar auch etwas in Schale schmeißen kann, der aber am liebsten die Ärmel hochkrempelt und sehr robust zupackend das tut, wofür er einmal ersonnen wurde: Dynamik begrenzen. Mit seinem speziellen, zackig-schnellen Regelverhalten fängt der 1176 Transienten jeglicher Couleur zuverlässigst ab. Damit eignet er sich hervorragend sowohl als Dick- als auch als Lautmacher.
Vocal Schmeichler
Gerade für die Vocal-Kompression sind dies Qualitäten, an denen seit über 40 Jahren kaum jemand vorbeikommt. Mit Attackwerten im zweistelligen Mikrosekunden wird jeder knallige Konsonant am Wortanfang garantiert im Zaum gehalten. Viele andere Kompressoren betonen die Konsonanten durch lange Attacks eher (wodurch man dann noch einen De-esser braucht…) – nicht so der 1176. Vielmehr sollte man aufpassen, dass man vor lauter „Squeeze“ auch noch etwas Leben im Signal belässt.
Der “All-Button-Modus” kann das Salz in der Drum-Suppe sein
Eine andere Domäne des Universal-Audio-Klassikers sind Drum-Spuren. Zwar sind die Einschwingvorgänge zu schnell, um Bassdrums und Snares mit „breiten“ Attacks auszustatten (dazu wären Werte im zweistelligen Millisekundenbereich nötig), aber wann immer eine Spur explosiv zur Geltung kommen soll: Feuer frei! Insbesondere Raum-Mikros kann der 1176 hervorragend andicken, schon bei regulären Einstellungen. Um so interessanter hingegen noch der legendäre „All-Button-Modus“, welcher eigentlich eine Fehlbedienung ist. Auch die UA-Wiederauflage kann man in diesen beliebten Modus versetzen: Drückt man – wie der Name vermuten lässt – alle Buttons der Ratio-Wahl gleichzeitig, verschieben sich Arbeitspunkte im Gerät, mit dem Resultat einer charakteristischen, heftigst schnaubenden Effektkompression, die auf Raummikros oder parallel hinzugemischt das Salz in jeder (mikrofonierten) Schlagzeugsuppe darstellen kann. Wie ein Transient Designer auf Steroiden gelingt es dem 1176 dabei, jede noch so kleine Rauminformation brutal an die Oberfläche zu befördern. Kein Wunder also, dass dieses Klangverhalten Pate für den lautmalerischen „Nuke“-Modus des Distressors von Empirical Labs stand.
Charaktervoller und vielseitiger “In your face” Sound
Auch Gitarren und Bässe lassen sich perfekt mit dem 1176 glätten. Letzteres scheint etwas ungewöhnlich, da das Gerät den Sound generell etwas dringlicher in den Mitten macht, den Subbass hingegen eher zurücknimmt als dass es ihn betonen würde. Doch dieser „In your face“-Sound kommt selbst weit runtergefilterten Synthbässen zugute, der 1176 pumpt auch diese mit gehörig Druck auf. Dem Kompressor gelingt ein Kunststück, das nur wenige Geräte so vollbringen können: Er klingt gleichermaßen charaktervoll und vielseitig, hat sehr typische Klangeigenschaften, aber wohl dosiert fügen sich die Ergebnisse immer gut in den Mix ein. Kein Wunder, dass Andy Johns am liebsten mindestens ein halbes Dutzend seiner „Arbeitspferde“ unter den Fingern hat – kaum ein anderer Kompressor vereint Charakter und Vielseitigkeit in der Weise wie Putnams 1176LN.
Erstklassiger Verzerrer
Als Line-Amp macht sich der Elf-Sechundsiebzig ebenfalls hervorragend: Die Class-A-Transistorstufen glänzen mit einem Zerr-Spektrum, das jeder Triodenröhre ebenbürtig ist – viel K2, weniger K3, schlichtweg keine Harmonischen höherer Ordnung. Bei abgeschalteter Kompression macht das Teil damit auch als Verzerrer (oder neudeutsch: „Sättigungstool“) eine erstklassige Figur. Wer noch überzeugt werden muss: Das Gitarrenriff von Led Zeppelins „Black Dog“ ist auf genau diese Weise entstanden…
Für dich ausgesucht
Über den Sound dieser Kompressor-Klassiker, und damit greifen wir das Gitarrenbeispiel der Einleitung noch einmal wieder auf, gibt es eine wunderschöne Analogie: Wenn der LA-2A die Gibson Les Paul unter den Kompressoren ist, dann ist der 1176LN die Fender Stratocaster. Wie wahr!