Praxis
Ein doppeltes Lottchen – Grundklang der Transistor- und Röhren-Amps
Der Grundgedanke hinter dem Tone-Blending-Feature des Twin-Finity ist, dass man stufenlos zwischen den Charakteristiken eines Solid-State-Amps und einer Röhren-Stufe überblenden und damit das Beste aus beiden Welten vereinen kann. Was diese beiden Welten ausmacht, ist schnell gesagt: Gute Transistor-Schaltungen können ein Signal sehr deutlich verstärken, ohne dabei übermäßige Verzerrungen zu erzeugen und liefern dementsprechend saubere und natürliche Ergebnisse. Röhren-Amps neigen dagegen schon bei sanfterer Verstärkung zu leichten Verzerrungen bzw. Färbungen, die im Allgemeinen als angenehm empfunden werden. Vokabeln wie „warm“, „fett“, „rund“ oder „fleischig“ werden gerne benutzt, um den Klang solcher Schaltungen zu beschreiben. Ein weiterer Nebeneffekt ist, dass Röhren-Sound in der Regel etwas komprimierter wirkt als Transistor-Sound, und die Pegelspitzen von vornherein leicht gezähmt werden.
Wie in den Audio-Beispielen zu hören ist, lässt sich die Theorie des vorherigen Absatzes beim Hören in der Praxis durchaus bestätigen, wobei sowohl die Transistor-Amps als auch die Röhren-Amps des 4-710d nicht unbedingt als absolute Paradebeispiele ihrer Zunft zu bezeichnen sind. Auch der reine Solid-State-Sound wirkt schon ein wenig „larger than life“, der Röhren-Klang macht bei konservativem Gain dagegen einen verhältnismäßig sauberen und zurückhaltenden Eindruck. Die Unterschiede sind dementsprechend subtiler als erwartet. Fast könnte man unterstellen, dass die Maximal-Einstellungen am Blending-Regler bei 50 % liegen und der reine Transistor- bzw. Röhrencharakter nie zu hören ist. Ist das schlimm? Natürlich nicht, denn auch wenn die klangliche Bandbreite der parallelen Vorverstärker durchaus differenzierter sein könnte, wirkt das generelle Klangbild absolut hochwertig und zeigt in Kombination mit dem hier verwendeten Brauner Valvet X Röhren-Mikrofon einen sanften und silbrigen „Shine“ und eine sehr schöne Präsenz bzw. Prominenz. Einziger möglicher Kritikpunkt am Klang ist, dass der 4-710d nicht unbedingt die erste Wahl ist, wenn man nach einem schmutzigen Hi-Gain-Monster sucht – für eine solche Aufgabe eignen sich andere Röhren-Preamps mit eindeutigerer Charakteristik wohl besser.
Ein Vergleich mit anderer Hardware ist natürlich immer erhellend. Hierzu wurde der bereits angesprochene Universal Audio 610 mit einem der zusätzlichen Line-Ins des 4-710d verbunden, um weitere Färbungen durch die Twin-Finity-Preamps zu vermeiden, die im Falle der ersten vier Line-Eingänge durchlaufen werden.
Wie erwartet, klingt der 610 tatsächlich etwas runder, wärmer, fleischiger und unter dem Strich einfach etwas mehr nach Röhren-Amp. Die Präsenz des Twin-Finity geht im Gegenzug jedoch ein ganzes Stück weit verloren. Ob das Signal, das durch den Tube-Amp des 4-710d aufgenommen wurde, deshalb besser oder schlechter klingt, ist wohl eine Frage des Mikrofons und des Sängers bzw. Instruments und unterliegt zusätzlich natürlich persönlichen Klangvorstellungen und dem Geschmack. Die internen Preamps des RME Fireface, die im Allgemeinen als absolut hochwertig und sauber wahrgenommen werden, schlagen sich für Vocals ebenfalls nicht schlecht, präsentieren sich in direkter Gegenüberstellung mit dem 4-710d aber doch als ein wenig zu analytisch und vor allem dünn.
Weniger ist mehr? – Die 1176-Style-Kompressoren
Davon, dass den vier Einzelkanälen des 4-710d natürlich nicht jeweils ein vollwertiger 1176 spendiert wurde, haben wir uns schon bei der rein theoretischen Betrachtung der Einstellungsmöglichkeiten bzw. der Zeitkonstanten überzeugt. Letztendlich dankt uns dies vor allem unser Geldbeutel, denn vier originale Versionen des Kompressor-Klassikers würden den Preis des 4-710d wohl um ein Vielfaches in die Höhe treiben. Die Kompressoren unseres Testkandidaten sind also nur an die Schaltungen des 1176 angelehnt und eignen sich aus meiner Wahrnehmung heraus vor allem sehr gut dazu, ein Signal sanft vorzukomprimieren, ohne dabei aggressiv in die Vollen zu gehen. Die VU-Meter der einzelnen Kanäle können hier sehr hilfreich sein, denn sie lassen sich nicht nur von einem Messen des Drives auf den Ausgangspegel umschalten, sondern können auf Wunsch auch die Gain-Reduction des Kompressors anzeigen.
Für dich ausgesucht
Für die Vocals wurde die „Slow“-Einstellung verwendet. Schon sanfte Kompression mit einer Gain-Reduction von maximal 1-2 dB holt die Stimme (hier 100% Tube) sehr schön nach vorne und fügt einen gewissen Glanz hinzu, den man trotz langsameren Attack durchaus mit einem echten 1176 in Verbindung bringen kann. Auch bei härterem Zugriff beginnt der Effekt jedoch nicht übermäßig unnatürlich zu klingen, und in diesem Fall bekommt der Blending-Regler noch einmal eine andere Bedeutung: Höhere Kompression hängt im 4-710d wegen des fixen Thresholds immer mit höherem Gain zusammen, und so lässt sich der Anteil der Verzerrungen beispielsweise durch eine Drehung vom Tube-Amp in Richtung des sauberen Transistor-Amps entsprechend abschwächen.
Die interne AD-Wandlung des 4-710d
Das Wandlerthema wird in den einschlägigen Internet-Foren ausgiebig diskutiert und nimmt in manchen Fällen die Ausmaße von Religionskriegen (oder doch zumindest hitzigen Diskussionen) zwischen Audio-Geeks an. Klingen die teuren Kisten nun wirklich besser als die Converter-Chips mancher günstiger Interfaces oder einfach nur anders? Und vor allem: Interessiert das einen Endverbraucher?
In diesen Fragen möchte ich mich vornehm zurückhalten und kommentarlos einen Vergleich zwischen den AD-Wandlern des 4-710d und des RME Fireface anbieten. Es handelt sich bei der Schlagzeug-Aufnahme um den bereits gehörten ersten Take durch die Twin-Finity Preamps ohne Kompression, der gleichzeitig über die interne Wandlung des 4-710d und des RME Fireface aufgenommen wurde. Leichte Abweichungen in der Lautstärke der einzelnen Tracks, die zunächst für einen sehr deutlichen Unterschied sorgten, wurden peinlich genau angeglichen.
Hier gibt es noch einmal alle Audio-Beispiele dieses Tests als WAV-Files zum Download: