PRAXIS
Die umfangreiche und dabei doch übersichtliche Parametrisierung des LA-610 MKII erfordert etwas mehr Einarbeitungszeit, als man auf den ersten Blick denken sollte – und das hat einen ganz einfachen Grund: Nimmt man Preamp und Kompressor zusammen, so hat der Kanalzug nicht weniger als fünf Bedienlemente, die direkt den Ausgangspegel beeinflussen. Hier gilt es, den Überblick zu behalten. Am besten, man pegelt das Signal zunächst einmal mit dem Kompressor im Bypass ein, dann kann man gar nicht mehr grob daneben liegen. Und die Klangfarben, die sich als Varianten beim Gain-Staging ergeben, wollen denn auch erst einmal erforscht sein. Dies ist aber beileibe kein Nachteil des Gerätes, sondern im Gegenteil einer seiner größten Vorzüge: Der LA-610 MKII will kein neutraler „Draht mit Verstärkung“ sein, sondern dem Klang seinen durchaus wohligen Stempel aufdrücken. Für ausgesprochen hauchig-offene Vocals ist der Preamp beim Linksanschlag des Gain-Schalters zwar tauglich, aber nicht zwingend die allererste Wahl. Bei allen Signalen, die von kerniger Präsenz, von einem gewissen Gewicht profitieren können, geht im Gegenzug die Sonne auf: Tiefere Männerstimmen, Bässe, Gitarren – die Liste könnte noch lange weitergehen.
Obwohl unscheinbar eingezwängt zwischen Preamp und Kompressor, ist die EQ-Sektion bei allem optischen Understatement ein echtes Highlight. Insbesondere die Höhen klingen auch bei stärkerem Boost wunderbar weich und cremig – von dem, was hier geboten wird, dürfte sich so manches PlugIn eine Scheibe abschneiden. So eignet sich der EQ hervorragend zum Verrunden, zum „Sweetening“ von Signalen, und in diesem Kontext gesehen ist auch der Funktionsumfang allemal ausreichend. Mehr noch: Wer vollparametrische EQ-PlugIns mit zahlreichen Bändern gewöhnt ist, sollte sich die klanggestalterischen Möglichkeiten dieses simplen Zweiband-EQs einmal zu Gemüte führen. Oftmals braucht es wirklich nicht mehr als das, was sich hier schnell, effektiv und äußerst wohlklingend erreichen lässt.
Den Abschluss schließlich bildet der Kompressor, der seinem großen, ehrwürdigen Urahn alle Ehre macht: Die Ähnlichkeiten insbesondere im Regelverhalten sind frappierend, was sich im Test im Direktvergleich mit einem Teletronix LA-2A nachvollziehen ließ. Viel erklärt werden muss zu diesem Klassiker wohl nicht mehr. Vocals, Bässe, fließende Gitarrenlinien, all das verarbeitet ein Optokompressor dieser Couleur mit höchster Güte. Hervorzuheben bleibt die ausgesprochen „musikalische“ Balance zwischen transparentem Regelverhalten und der Art und Weise, wie dieses Dynamikmodul Signale andicken kann. Insgesamt klingt der Kompressor des LA-610 MKII vielleicht etwas offener und luftiger als das Original, welches mit seiner speziellen Bestückung an Übertragern und Röhren mit etwas kräftigerer Farbe malt. Die Unterschiede sind dabei durchaus im Bereich des Prädikats „Geschmackssache“. Fans einer etwas moderneren, zeitgemäßeren Klangästhetik kommen beim T4-Kompressor des LA-610 MKII jedenfalls voll auf ihre Kosten.
Audio-Beispiele
Vocals:
Mikrofon: Neumann CMV563 mit M7s-Kapsel
Erster Durchlauf: Pures Signal in cleanster Einstellung (Gain-Schalter auf -10)
Zweiter Durchlauf: Anhebung +9dB bei 7 kHz
Dritter Durchlauf: zusätzlich Kompression im Comp-Modus, ca. 6-10 dB Pegelreduktion
Vierter Durchlauf: Wie 3., aber mehr Sättigung: Gain-Schalter auf +10
Bass:
Instrument: Fender Jazz Bass
Erster Durchlauf: Pures Signal in cleanster Einstellung (Gain-Schalter auf -10)
Zweiter Durchlauf: Anhebung +4.5 dB bei 70 Hz
Dritter Durchlauf: zusätzlich Kompression im Comp-Modus, ca. 4 dB Pegelreduktion
Vierter Durchlauf: Wie 3., aber mehr Sättigung: Gain-Schalter auf +10
Franz Baumann sagt:
#1 - 04.08.2012 um 20:22 Uhr
Hallo Hannes
Bei der Suche nach einem Röhrenpreamp bin per Zufall auf Deinen Artikel gestossen. Sehr schöner und ausführlicher Bericht. Ich denke das könnte mein Preamp sein.
Der Contrapunkt hat mich dann ein wenig verunsichtert. Da ich das Gerät in ein Rack einbauen und die Rückseitigen Anschlüsse auf eine Patchbay legen möchte, stellt sich mir die Frage ob ich dann den Hi-Z Eingang nicht mehr benutzen darf. Wär ja irgendwie abstrus.
Oder gibt es einen nachvollziehbaren Grund?
hezliche Grüsse
Franz
Hannes Bieger sagt:
#2 - 06.08.2012 um 14:40 Uhr
Hallo Franz, danke für dein Feedback!
Du hast Recht, es wäre schöner, wenn dies nicht so wäre. Ich kann dir keinen logischen Grund nennen, warum der Hersteller sich so entschieden hat. Allerdings ist so etwas nicht völlig ungewöhnlich – auch bei anderen Herstellern gibt es was die Anschlüsse betrifft immer mal wieder kleinere Besonderheiten. Falls dir das Gerät ansonsten zusagt, würde ich dies aber nicht als Dealbreaker ansehen. Ich muss auch regelmäßig hinter emine Racks krabbeln um irgendwas umzustecken, das bleibt nicht aus. Patchbays sind zwar praktisch, aber aus klanglichen Gründen (kürzere Kabel, weniger Steckverbindungen...) ist eine direkte Verkabelung eh besser. Viele Grüße, Hannes
Franz Baumann sagt:
#3 - 02.09.2012 um 14:59 Uhr
Hoi Hannes.
Sorry für das späte Reagieren, ich war noch in den Ferien.
Die Frage ist halt, ob denn da was kapput geht, wenn man den Hinweis nicht beachtet und wenn ja, was? Oder andersrum, wenn ich die Eingänge auf die Patchbay lege, und die dann nicht belege, dann wär das ja quasi nur eine Verlängerung der rüchseitigen Anschlüsse und somit nicht belegt, also ohne Verbraucher. Wär das ein gangbarer Weg? Ich weiss, meine Elektronik-Kenntnisse sind nicht gerade die besten....
PS: Wenn bei mir der Preamp mal im Rack verbaut ist, dann komme ich leider nur sehr schwer wieder an die Anschlüsse....mit Taschenlampe unter den Tisch kriechen und Kabel suchen.... usw.Herzliche Grüsse, Franz