Praxis
Teil 1: Algoriddim DJay
Bei einem Blick auf die grafische Benutzeroberfläche wird auch gleich klar, warum Vestax statt der sonst üblichen EQ-Potis Slider verbaut hat. Denn genau so ist die grafische Umsetzung im Software User-Interface. Dieses wirkt übrigens sehr aufgeräumt. Zwei virtuelle Schallplattenspieler mit Mixer, Equalizer und Pitch sind auch für absolute Neulinge quasi selbsterklärend. Auf der rechten Bildschirmhälfte grüßt freundlich die Musikverwaltung. Sie verlangt kein aufwendiges Importieren der gesammelten Musikalien, sondern bedient sich direkt aus dem angestammten Fundus der iTunes-Bibliothek, die sich in gewohnter Optik präsentiert. Mit der inkrementellen Suchfunktion durchstöbert der DJ auch umfangreiche Sammlungen im Handumdrehen. Eine Liste bereits abgespielter Tracks lässt sich nach iTunes exportieren oder im PDF-Format sichern.
Djay spielt Audiodateien in den Formaten MP3, AAC, AIFF, WAV und MOV ab. Ein Song wird per drag-and-drop aus der Seitenleiste ins Deck gezogen und startet zunächst automatisch. Die Software simuliert das Anlauf- und Bremsverhalten von Plattenspielermotoren in einer Skala von null (instant start) bis fünf Sekunden. Ferner ist ein Power-Off-Effekt implementiert.
Der Beatcounter benötigt on-the-fly etwa zehn Sekunden, um sich auf einen ganzzahligen BPM-Wert festzulegen. Dieser wird nur in die interne Musikbibliothek eingetragen, steht also iTunes nicht zur Verfügung. Ein Tipp: Es empfiehlt sich, die gesamten Songs im Vorfeld zu analysieren, denn dies spart Ressourcen während der Mixsession.
Kleinere Tempoänderungen, je nach Material zwischen zwei und fünf Prozent, sind bei aktiviertem Keylock durchaus artefaktfrei möglich. Darüber hinaus machen sich Verzerrungen vor allem beim „Herunterpitchen“ bemerkbar. Unverständlicherweise ist an der Hardware kein Button zum Einschalten der automatischen Tonhöhenkorrektur vorhanden.
Für dich ausgesucht
Um zwei Tracks im Tempo anzugleichen, nutzt der DeeJay virtuelle Pitchfader und Nudge-Buttons. Der Temposchieber regelt wahlweise mit 8, 10, 25, 50 oder 75 Prozent in beiden Richtungen nach. SYNC synchronisiert per Knopfdruck. Spezial-Panels, die über die untere Buttonleiste gestartet werden, bringen Zusatzfeatures auf den Screen. Allerdings steht dem Mausartisten immer nur eine Abteilung zur Verfügung. Schade eigentlich. Wer keinen Controller besitzt, verwendet Tastaturkürzel.
Der erste Button bringt das Looping-Panel zum Vorschein. Neben manuellen Loops beherrscht Djay auch automatische Schleifen in einem Intervall von 1/8 bis 32 Beats und orientiert sich somit am marktüblichen Standard und legt mit Beat-Skipping noch eine Schaufel drauf. CUE 1-3 setzen drei Lesezeichen, die auf Wunsch durch farblich unterschiedliche Kennzeichnungen auf der virtuellen Platte eine optische Orientierungshilfe im Track bieten. So kann der DJ zum Beispiel Intros, Outros und Breaks kennzeichnen oder Scratchmarkierungen setzen. Das virtuelle Vinyl kann dabei unterschiedliche Gestalt annehmen, zum Beispiel Cover-Art auf dem Label. Djay beherrscht vollautomatische Übergänge, die es mit Effekten belegen kann. Ein Knopfdruck auf Autofade im Transition-Panel startet die Überblendung, allerdings nicht tempo- oder beatsynchron. Will sich der Verantwortliche kurzzeitig seiner Beschallungs-Aufgabe entziehen und stattdessen am gesellschaftlichen Partyleben teilhaben, übernimmt Automix die Führung. Wahlweise anhand einer zuvor festgelegten Playlist oder per Zufallsgenerator. In diesem Zusammenhang wäre eine Remote-Steuerung über das iPhone ein echter Knaller, denn dann könnte sich der Plattendreher bei einem kleinen Ausflug an die Bar nicht nur eine schnelle Überblendung genehmigen. Auf Anfrage teilte uns der freundliche Support mit, dass man bereits an einer speziellen Umsetzung arbeite. Wer nicht solange warten kann, könnte in meinen Augen durchaus auch iTM-DJ nutzen. ITM macht aus dem iPhone oder iPod Touch eine kabellose MIDI-Fernsteuerung mit Touch-Elementen für Gain, Sync, EQs, Effekte und Loops. Zurück von der Bar übernimmt der DJ dann (hoffentlich) erneut die haptische Kontrolle.
Im FX-Panel stehen jedem Deck mit Pitch, Echo und Reverb drei in Reihe schaltbare Audioeffekte zur Verfügung. Wem das nicht reicht, der kann zusätzlich Mac-AU-Effekte abfeuern.
Der Sampler bietet drei Speicherbänke mit Lautstärkenkontrolle, Pitch, Reverse und Looping an und entnimmt sein Futter dem Plattenspieler oder dem Mikrofonweg. Alle Soundschnipsel werden in einer gesonderten Sample-Bibliothek mit Vorhör-Funktion übersichtlich aufgeführt.
Recording, Broadcasting und Socialising
Läuft es während eines Mix richtig gut, hat man hoffentlich zuvor die Recording-Funktion eingeschaltet, um die Session mitzuschneiden und später vielleicht in Form eines Podcasts aufzubereiten. Drei Qualitätsstufen stehen zur Auswahl. „Gut“ verwendet den AAC-Codierer im m4a-Format mit 1.0 MB pro Audiominute, „hoch“ codiert AIFC mit 2,7 MB/min. Die beste Qualität liefert AIFF mit 10,1 MB/min
Besonders erwähnenswert ist auch der kollaborative Netzwerkmix über den Dienst „Bonjour“. Mit dem kostenpflichtigen Tool Nicecast ist es zusätzlich möglich, den eigenen Djay-Mix an willige Shoutcast-, Icecast- oder Live365-Hörer zu streamen. Hierbei sind unbedingt die gesetzlichen Bestimmungen zur öffentlichen oder privaten Aufführung zu beachten.
Verkabelte Befehlszentren
Djay unterstützt zum momentanen Zeitpunkt 14 MIDI-Controller, die beim Anstöpseln automatisch konfiguriert werden. Dies umfasst Konsolen von Vestax, Numark, Hercules, ION und M-Audio. Erkennt die Software einen anderen MIDI-Controller, offeriert sie auch gleich die Belegung. Im Konfigurationsfenster mappt der Anwender die erforderlichen Befehle zügig. Wie das genau von stattengeht?
1. Konfigurationsfenster öffnen
2. Hardware-Regler an der Konsole bedienen (vielleicht einen Button)
3. Ziel wählen (etwa Turntable 1)
4. Funktion auswählen (zum Beispiel Play)
Ich muss sagen, die einsteigerfreundliche Zuweisung hat mich positiv überrascht. Noch interessanter finde ich die Option, bei Bedarf weitere Steuerkonsolen ins Gesamtgeschehen einzubinden. So kann der Djay-Deejay sein Setup modular erweitern und ist bei eventuellen Softwareupgrades, die zusätzliche Bedienelemente erfordern, nicht aufgeschmissen.
Zwischenfazit: alle Achtung, Algoriddim. Für 50 Dollar Online-Preis bekommen nicht nur DJ-Einsteiger auf dem Mac allerhand geboten. In Punkto Quantisierung der Benutzereingaben, Wavedarstellung und Beatgrid-Kontrolle beim Automatching besteht allerdings noch Potenzial in Richtung Profi-Software. Wer sämtliche Songpassagen seiner Lieblingsstücke bis ins Detail kennt (Vinylzeiten lassen in der digitalen Overload-Epoche recht herzlich grüßen) und auf eine Wellenformanzeige verzichten kann, erzielt auch so kreative Mixergebnisse. Vor allem in Kombination mit einer Steuereinheit, wie beispielsweise Vestax Spin.
Teil 2: Vestax Spin Controller
Vestax portiert Algoriddims-Djay fast nahtlos auf den Spin-Controller. Ein Großteil der Software-Features lässt sich direkt von der Hardware dirigieren. Per Steuerkreuz navigiert der DJ zügig durch den Musikbestand und lädt Songs durch antippen der entsprechenden Richtung ins entsprechende Plattendeck. Drei Buttons (Play/Pause, Cue-Play und Set-Cue ) bilden die Transportsektion. Es ist wirklich schade, das nur einer von drei Markern hardwareseitig zugänglich ist. Wer drei Cuepoints benötigt, könnte vielleicht die Belegung der Abspielsteuerung unter Verwendung der Shift-Taste ändern.
Der Crossfader blendet zwischen den Musikstücken. Er ist nicht mit ausgefuchsten Scratch- Fadern zu vergleichen, dafür ist er einfach nicht weich genug, zudem fehlt ihm ein Regler für die Kurvenanpassung. Gelegentlichen Scratch-Einlagen ist er aber durchaus gewachsen.
Die Lautstärke der einzelnen Decks wird durch 60 mm Linefader mit Mittenrasterung gesetzt, die an ihren Nord- und Südgrenzen einen kleinen unsensiblen Bereich vorweisen. Jeder Kanal besitzt einen separaten Vorhör-Button. Die Kopfhörerlautstärke reicht nicht fürs Berghain, aber für Partykeller, Strand- oder Kiezbar schon. Gleiches gilt für das Signal am Masterausgang. Und natürlich steht auch einer Wohnzimmer Beschallung nix im Wege, höchstens vielleicht die Nachbarn. Leider ist kein Cue-Mix möglich, das ist schon ein deutliches Manko für grazile Langzeitübergänge. Das Monitorsignal wird an der Vorderseite der Konsole eingestellt. Durch den Überhang ist dies aber in-the-mix eine ganz schöne Fummelarbeit. Das ist beim Mikrofon-Gain nicht anders.
Obwohl er filigranen Tempomatchern mit 45 mm zu kurz geraten sein könnte, liefert der Pitch mit rund 0,15 % bei +/-8, ausreichend Luft für den kontrollierten Mixablauf. Djay zeigt volle ganzzahlige Werte an. Wer sich beim Thema automatische Geschwindigkeitsanpassung nicht unbehaglich fühlt, tippt kurzerhand auf den SYNC-Button und die Songs laufen deckungsgleich, wenn der Downbeat korrekt interpretiert wurde. Wegen der fehlenden Wellenformanzeige gibt es dafür leider keine optische Kontrolle. Das Gehör hilft hier aber gern weiter.
Ein echter Blickfang sind die großen case-sensitiven, blau-leuchtenden Jogwheels. Auch hier setzt Vestax auf Metall-Look, doch auch diese Scheiben sind in Wahrheit aus Kunststoff. Schubst man die Wheels an der Seite im oder gegen den Uhrzeigersinn an, beschleunigen oder bremsen sie den Track kurzeitig. Wenn der DJ mit der Hand auf die Oberfläche greift, löst er den Touch-Sensor aus. Sofort ist die Beleuchtung rot, und er kann Scratch-Manöver ausführen. Dieses Verfahren ist von den großen Vestax-Geschwistern übernommen. Das Scratch-Gefühl kann nicht mit VCM-300 mithalten, kommt aber, was Grip und Latenz angeht, für die Preisklasse gut rüber.
Hätten Vestax doch lieber einen ordentlichen Satz Drehregler im EQ-Bereich statt der Linefader verbaut. Das würde nicht nur mir mehr Freude bereiten, und der Kleine könnte manch vermeintlichem Großen ordentlich Wasser abgraben. Die Klangregelung ist in meinen Augen der größte Schwachpunkt des Spin-Controllers, obwohl man den EQ-Fadern durchaus einen gewissen 70-er Jahre Tisch-Stereoanlagen-Charme abgewinnen könnte. Hat man den (für DJs) ungewohnten Regel-Mechanismus adaptiert, ist auch mit diesem Ansatz ein durchaus runder Mix möglich, denn im oberen Wertebereich ist eine Genauigkeit von 0,2 dB zu messen. Das ist ordentlich. Dennoch sind die Faderwege mit 30 mm echt kurz geraten und die Anordnung nix für dicke Pranken. Ungeachtet der Tatsache, das diese Lösung im DJ-Alltag kaum anzutreffen ist und somit etwas praxisfern scheint, ist sie zudem für mich nicht optimal arrangiert, wenn auch 1:1 an die Software adaptiert. Denn neben dem rechten Gain (12 dB ) ist der Low-EQ plaziert, während der linke Gain links neben dem High EQ zu finden ist.
Der 3-Band-EQ liefert einen Boost von +12 dB und einen Cut von -36 dB, das könnte für „Kill-Fader“ sprechen. Doch der Test ergab eindeutig: Hier wird nicht „gekillt“. Ein kleiner Signalanteil bleibt bestehen. Das Audiofile wurde mit der internen Aufnahme-Funktion aufgezeichnet.
Loops und Effekte
Spin ist kein Controller für den Clubeinsatz. Dafür sind nicht ausreichend hochwertige Bedienelemente verbaut, die Effektalgorithmen der Software nicht knackig genug und die kreativen Features nicht adäquat auf die Steuereinheit projiziert. Allen voran der Zugriff auf Sampler, Loop- und Beatjuggling, Cuepunkte und Effektparameter. Bewegen wir uns abseits von technoiden Klangexperimenten, zum Beispiel im Reggae, Funk oder Schlager, fallen diese Aspekte allerdings nicht so stark ins Gewicht. Im Detail besteht Spin-Jays Loopsektion lediglich aus zwei Tasten, die manuelle oder automatische Schleifen per voreingestelltem Intervall setzen. Auch ein Up- und Downscaling ist unter Verwendung der Shift-Taste möglich. Die Druckpunkte sind, wie auch in der Transportsektion, deutlich genug. In lauten Umgebungen kann man den Click quasi fühlen. Audiozyklen geraten, wie bei allen DJ-Softwares, meist dann aus dem Takt, wenn sie kleiner als ½ Beat sind und somit der Zeitpunkt der User-Interaktion eine direkte Auswirkung auf den neuen Zeitpunkt des Schleifeneinsprungs beim Upscaling hat. Hier hätte der Hersteller ruhig die üblichen drei Schaltflächen spendieren können, aber es muss ja schließlich Abgrenzungen zu den höherpreisigen Modellen geben, ganz klar. Dass sich die Loop-Funktion dennoch nicht verstecken muss, zeigt das nachfolgende Video.
Der schwarze Schwan
Dem Lieferumfang liegt ein Schwanenhalsmikrofon bei, dass an der Vorderseite der Kontrolleinheit angeschlossen wird. Der Mikrofonverstärker hat in meinen Augen nicht die Qualität, um ausdrucksstarke Gesangseinlagen darzubieten, schon gar nicht in Kombination mit dem beigelegten Plaste-Mikro. Mit einer höherwertigen Mikrofonlösung, ohne Phantomspeisung versteht sich, bekommt der Eingang, besonders im Zusammenspiel mit moderierten Pod- oder Webcasts eine besondere Stellung. Der Test mit einem T-Bone Shotgun EM-9600 brachte ein deutlich besseres, aber immer noch nicht bühnentaugliches Ergebnis zum Vorschein. Überzeugt euch selbst:
Windows – Und es geht doch…
Natürlich wollen wir auch wissen, was am Mac-Only Bekenntnis dran ist und statten aus diesem Grunde der Vestax-Website, genauer gesagt dem Vestaxpro-Forum einen Besuch ab, welches das offizielle Statement von Herstellerseite unterstreicht. Mit Typhoon soll zudem bereits ein Windows-Pendant in den Startlöchern stehen, im Internet kursieren bereits einige Bilder, die den rot-grauen Wirbelwind zeigen. Tatsächlich aber wird auch Spin unter Windows Vista als Audio- und MIDI-Einheit erkannt und lässt sich mit ASIO4ALL ans Laufen bringen. Einer Nutzung mit Traktor und Konsorten steht demnach nichts im Wege.