Es ist noch gar nicht so lange her, da bestand mein abendfüllendes DJ-Set aus zwei bis drei Plattenkoffern à 25 kg – man muss ja schließlich improvisieren können. CDs waren bei mir nie besonders beliebt. Erst Timecodes und später Controller sorgten dafür, dass die Musiksammlung zwar nach und nach, doch stetig weiter digitalisiert wird – ist auch echt eine Heidenarbeit und gerade seltene Scheiben müssen, aufgrund mangelnden Interesses seitens der digitalen Vertriebler in Eigenregie aufgezeichnet werden. Wie dem auch sei, Plattenkistenschleppen gehört inzwischen meiner Vergangenheit an. Mein befreundeter DJ-Kollege Joe Dau (Name von der Red. geändert) will diesen Schritt gerade vollziehen. Mit 70 kg Vinyl bewaffnet, fährt er sonst mit dem Auto zum DJ-Set. Parkplatzsuche in Berlins Kiezen macht verständlicherweise keinen Spaß. Ein mehrstündiges DJ-Set in gut besuchter Skybar-Atmosphäre dafür umso mehr. Zum Ende die Koffer per pedes vom Dach zu transportieren wiederum nicht. Im Optimalfall geht es dann zum Auto, vereinzelt auch schon mal in den S-Bahnhof und weiter – da bekommt man lange Arme, wenn man keinen Trolley im Kofferraum hat. Sicherlich ist das gut für die Figur, aber grundsätzlich stellt man sich Fitnesstraining doch anders vor.
Also auf zu neuen Ufern. Qualitativ hochwertig, robust, transportabel und dabei so leicht wie möglich lautete die Devise – VCM-100 mit Traktor 3 LE und Medion Akoya mein Lösungsvorschlag. Der Praxistest gibt unter anderem Aufschluß über die Sinnhaftigkeit dieses Ansatzes.
Der erste Quickie
Die Software ist bereits installiert, und das Equipment verkabelt. Nun soll es direkt in den Mix gehen. Als benutzerfreundlich würde ich das folgende Szenario bezeichnen:
Das Programm hochfahren, zwei Tracks laden, die benötigten Steuerbuttons an der Kontrolleinheit betätigen und wie von Geisterhand ertönt Musik. Ganz so einfach ist das Prozedere zunächst jedoch nicht. Das Soundinterface will erstmal fachmännisch eingerichtet werden. In den Audio-Preferences wird der Maya-ASIO-Treiber gewählt und die gewünschte Latenz eingestellt (5ms sind prima). Das Monitorsignal wird auf die Ausgänge drei und vier geroutet, das Master-Signal auf eins und zwei. Im MIDI-Setup ist dann noch unser Vestax-Controller zu aktivieren. Danach sollte alles reibungslos funktionieren. Ich lade mit dem Clickwheel zwei Electro-Tracks, warte sicherheitshalber die Analyse ab, um dann Deck eins zu starten. Dass die Tracks unterschiedliche Geschwindigkeiten haben, stellt heutzutage kein Problem mehr dar. Die integrierte Analysefunktion erlaubt, das zweite Deck per Knopfdruck im Sekundenbruchteil auf das gewünschte Tempo zu pitchen, ohne auch nur in die Nähe des normalerweise dafür vorgesehenen Schiebereglers zu kommen. Seelige Zeiten. Da Traktor in einem Abwasch die Beats mit synchronisiert, ist es so möglich, einen Mix im Eiltempo zu vollziehen. Meistens klappt das ganz gut, manchmal liegt das Programm aber auch daneben, dann kann es mächtig rumpeln. Unselige Zeiten. Der sicherste Weg ist immer manuelles Pitchen nach Gehör – oldschool meets newschool.
Neu hereingeladene Tracks analysiert das Programm während der Laufzeit. Für den Dualcore ist dies keine nennenswerte Herausforderung. Beim Netbook dauern die Berechnungen eine gefühlte Ewigkeit länger. Im Test benötigte der Doppelkern für 14 Songs eines Albums 3:09:29s, also knapp drei Minuten. Mit über 15 Minuten, nämlich 15:17:15s brach das Akoya hier erwartungsgemäß ein. Bei einem Musikarchiv von 1000 Stücken (ca. 100 CDs mit je 10 Songs), hätte der 10-Zöller demnach über 18 Stunden zu rechnen – der HP-Laptop nur 3,5 Stunden. Grundsätzlich sollte man seine Musiksammlung immer im Vorfeld analysieren lassen, bei Bedarf halt über Nacht. Bei extern zugeführten Signalquellen zeigt Traktor 3 LE zwar den Pegel in den Preferences an, dieser lässt sich jedoch weder an- noch abschalten. Audio-Through, wie man es von der Vollversion kennt, ist nicht vorhanden. Die einzige Möglichkeit den Signalfluss zu kontrollieren, bietet das Maya USB-Control Panel – somit ist Umsetzung denkbar ungeeignet für den DJ.
Was passiert eigentlich hinter dem Tellerrand?
Losgelöst von Software-Fesseln entfaltet der vorliegende Silberling sein volles Potenzial. Bei Verwendung einer alternativen MIDI-out-fähigen Software, darf die Controllerbelegung den eigenen Vorlieben anpasst werden.
Für dich ausgesucht
So kann die Kontrolleinheit Effektsteuerung und ein externes Mischpult die Klangregelung übernehmen. Aus dem Test eines Mixvibes-Maya-Bundles war mir noch in Erinnerung, dass das Bienchen timecodefähig ist. Demnach müsste dieser Tatbestand doch auch für den VCM-100 gelten. Meine Vermutung bestätigte sich umgehend. Nach der Installation von Mixvibes, welches den VCI-100 nativ unterstützt, erkannte die Software das Signal des Timecode-Vinyls klar und deutlich, obwohl das Vestax-Handbuch einen anliegenden Line-Pegel forderte. Traktor Scratch Pro funktioniert ja bekanntlich nur mit Audio8-Interface und schlägt allein schon mit knapp 600 Euro zu Buche. Der VCM-100 ist momentan zu einem Straßenpreis von etwa 200 Euro zu haben. 200 weitere Euro für eine alternative Software mit zwei Timecode-Vinyls und man hat eine waschechte Hybridlösung mit Steuer-Vinyls und Controller, die nicht nur für Sparfüchse interessant sein dürfte.
Bossa, Sonne, Sand und mehr – ein Abend mit Joe Dau
Was ist nun eigentlich aus Joe Daus Ambitionen geworden, der digitalen DJ-Welt beizutreten? Vor Kurzem hat er sich endlich das empfohlene Bundle gekauft. Bewaffnet mit Netbook, ausreichend analysierten Tracks und einer abwechslungsreichen Playlist wollte er der vertrauten Füße-in-den-Sand-Strand-Bar-Atmosphäre den sommerlichen Extra-Kick verschaffen. So ist es gelaufen:
16.30 Uhr: Ankunft,
16.45 Uhr: Cola getrunken und alles verkabelt,
16.50 Uhr: Sonnenschirm und provisorischen Blendschutz aus Karton aufgestellt,
17.00 Uhr: erster Track – Love Boat,
18.00 Uhr: der Latin Hustle läuft mit heißen Salsa- Klängen in vollen Zügen und zieht die Tänzer aufs imaginäre Parkett – da wird nicht nur dem Notebook-Rücken warm.
19.30 Uhr: Das System läuft bei 30 Grad Außentemperatur stabil und Oldschool-Hip-Hop trifft auf Soul-Funk.
21.00 Uhr: Erste Loops und Master Effekte werden eingesetzt, die Sonne geht unter und entspannte Houseklänge versüßen den attraktiven Anblick – die Gerätschaft und der mittlerweile sonnengebräunte DJ danken der aufkommenden Abkühlung.
22.30 Uhr: Die letzte Stunde wird technoider und schickt die Gäste in den nächsten Club und den DJ auf die Heimreise.
Joe Dau ist begeistert: „Alles war schnell aufgebaut und an die vorhandene Endstufe angestöpselt. Improvisieren ist auf dem kleinen Rechner ein bisschen fummelig, funktioniert aber dank der Suchfunktion zügiger als im Plattenkoffer zu wühlen.
Mixen geht bei Bedarf auch mal schneller als mit Turntables, da bleibt sogar Zeit für Small Talks.“
23.45 Uhr: Schnell wird alles zusammengeräumt, JD bestellt sich eine Cola und um 00.00 Uhr ist er mit seiner Drei-Tüten-Milch leichten Tasche um die Schulter verschwunden und mit Bier und Zigarette in den freien Händen wahrscheinlich schon mit einem Bein in der S-Bahn.