Ich weiß ja nicht, wie es bei euch im Facebook-Feed ausgesehen hat, aber bei mir stapelten sich am Wochenende die Re-Postings von DJ Juicy Ms kleiner DJ-Mix-Fingerübung aufeinander, wie die Pizza-Kartons über dem Ofen meines Lieblings-Italieners. Was war geschehen?
Nun, zunächst einmal gar nichts Besonderes. Die ukrainische DJane Marta Martus (aka Juicy M) publizierte einen hoch unterhaltsamen, achtminütigen Show-Mix. Darin pflügt sie unter Zuhilfenahme von vier iPads, auf denen die Software Algoriddim Djay 2 läuft, und einem Pioneer DJM-900 durch verschiedene Spielarten der aktuellen Mainstream-Tanzmusik – sprich EDM. Das alles ist optisch zudem noch ziemlich schick inszeniert, auch was die Technik angeht, denn alle Geräte sind in weiß gehalten.
Juicy M agiert in einem Raum mit schwarz-weißen Streifen, trägt ein Top mit eben solchen und ist sich nicht zu schade, mit ganzem Körpereinsatz und zielgerichtetem Posing mitzugehen. Dass die 24-jährige dabei nun nicht unbedingt als unattraktiv zu bezeichnen ist und sie sich entsprechend selbstbewusst inszeniert, erwähne ich absolut wertfrei und lediglich, um den Kontext richtig zu beschreiben. Aber macht euch doch einfach selbst ein Bild:
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Mehr InformationenGepostet mit der Textzeile “Had so much fun playing on 4 iPads with djay app. Check it out!”, knackte das kurze Filmchen bei Facebook in Rekordzeit die Millionen-Views-Marke und nicht minder schnell ging auch die Zahl der Kommentare in den fünfstelligen Bereich. Re-Postings gar nicht mitgerechnet. Der Grund: Neben vielen positiven und begeisterten Statements entbrannte eine teilweise zickige bis arrogante und nicht selten weitgehend unwissend geführte Diskussion, bei der über die Technik, das Handwerk, die Musik und die Selbstinszenierung von DJ Juicy M genörgelt wurde. Ich greife mir an dieser Stelle die Kernpunkte der Kritik heraus und werde sie meiner persönlichen Einschätzung unterziehen.
1.) Keine Plattenspieler = Kein DJ
Für dich ausgesucht
Ach herrjeh – es ist 2016, der Amazon-Chef hat die erste komplett wiederverwendbare Rakete ins All geschossen (und zurück geholt), in Deutschland hat erstmalig die Kernfusion geklappt, in Japan bauen 3-D Drucker Häuser und da gibt es tatsächlich noch Menschen, die felsenfest glauben, dass nur der DJ ist, der mit Vinyl hantiert. Nein. Mit dieser Grundsatzbehauptung kommen wir im neuen Jahrtausend nicht weiter.
Glaubensfesten Traditionalisten mag es das Gemüt kühlen, dass es unzählige Videos von Juicy M gibt, in denen sie – durchweg ziemlich gekonnt – mit so ziemlich allem arbeitet, was sich zum Auflegen eignet: Turntables, CD-Player und eben auch – das iPad. Ob man die Musik, die Person oder das Abspielmedium nun persönlich mag steht auf einem anderen Blatt: Aber Frau Martus kann auflegen und das sogar ziemlich gut, was noch dadurch geheckspoilert wird, dass sie in der Lage ist, ihre Skills auf verschiedenen Gerätschaften zu transportieren.
2.) Sie trägt keine Kopfhörer – so kann doch kein “echter” DJ arbeiten
Der Kopfhörer dient beim Auflegen im Wesentlichen nur drei Dingen:
a.) Stücke vorzuhören, die man nicht oder nicht so gut kennt
b.) zu überprüfen, ob der Übergang zwischen zwei Stücken in Bezug auf Tonart und Rhythmus stimmig ist
c.) einigermaßen ungestört das kommende Stück im Tempo dem aktuell laufenden anzugleichen.
Das alles ist aber nicht erforderlich, wenn es sich um eine Scratch- oder Show-Performance handelt, da hier die Tracks sowie ihre Tonarten und Tempi bekannt sind. Mehr noch: Solche Performances werden im Vorfeld unzählige Male geübt und eintrainiert, so dass man von keinem Stück mehr überrascht ist. Das Beatmatching – also das Angleichen von Tempo- und Abspielposition – kann dann “on the fly”, also während man die Titel abfeuert erfolgen. Und genau das macht Juicy M während der Performance erkennbar andauernd.
3.) Die macht doch nur Show
Als jemand der selber oft und gerne mit Djay 2 und Djay Pro auflegt (DJ Juicy M verwendet im Video Djay 2, denn nur dort gibt es noch die fotorealistische Darstellung der Plattenspieler) und es hier auch schon getestet hat, kann ich jede Aktion auf den Bildschirmen der iPads hörbar nachvollziehen.
Egal ob es nun das Anwählen neuer Tracks, das Tempo-Nudging, das Abfeuern von Loops, Effekten oder Samples ist: Das was man hört ist über die gesamten acht Minuten absolut kohärent mit dem, was sie an die iPads macht. Und ich kann respektvoll attestieren, dass die junge Frau da richtig am Arbeiten ist, denn untereinander lassen sich die iPads nicht synchronisieren. Sie muss also jedes der vier Decks manuell anpassen – auch wenn es nur wenige BPM sind. Genau so, als ob sie mit vier autonomen Plattenspielern arbeiten würde.
Resümee
Offensichtlich gibt es eine nicht geringe Anzahl von Menschen da draußen, denen weder die Musik, die Arbeitsmittel, die Pose noch die Selbstinszenierung von DJ Juicy M gefällt. Das ist völlig okay. Man darf mit dem iPad auflegen, EDM spielen und dabei rumposen blöd finden und stattdessen Plattenspieler, Oldschool-HipHop und dezentes Kopfnicken bevorzugen (ergänzt hier bitte das Medium, die Musik und Moves eurer Wahl ). Richtig blöd wird es dagegen nur dann, wenn hinter der formalen Kritik durchscheint, dass manch einer (immer noch) ein Problem damit zu haben scheint, wenn sich Frau nicht nur selbstbewusst und kommerziell orientiert, sondern direkt auch noch unter Zuhilfenahme von Technik-Spielzeug, in Szene setzt.
Den Vorwurf zu “faken” muss sich DJ Juicy M jedenfalls nicht anziehen – was sie da macht ist echt und durchaus gekonnt.