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Vocal Recording aus Produzent/innensicht – Ein Perspektivwechsel

Nach einer intensiven Phase von Songwriting, (Band-)Recording und akribischer Produktion ist es endlich so weit: Euer Song ist bereit, von euch im Studio eingesungen zu werden. Das Vocal Recording kommt meist zuletzt im Produktionsprozess. Song und Produktion stehen und fallen mit der Qualität der Vocal-Performance, denn meist wird ein (Pop-)Song eben von der Stimme getragen.
Entsprechend groß ist meist der Druck, wenn Sänger/innen ins Studio fahren, um mit dem/der Produzent/in die finalen Gesänge aufzunehmen: Stimmen Text und Aussprache? Wie sitzt meine Stimme heute? Bin ich gut vorbereitet? Was, wenn die Produzentin nicht von meiner Performance überzeugt ist? So viele Fragen, die einer ausgewogenen, song-orientierten und emotional mitreißenden Vocal-Performance im Weg stehen. Natürlich ist das Einsingen im Tonstudio

(Teaserfoto: Shutterstock / Leszek Glasner)
(Teaserfoto: Shutterstock / Leszek Glasner)
Inhalte
  1. Die richtige Vorbereitung für Sänger/innen – Vocal Recording Checkliste
  2. Was zählt wirklich beim Gesang aufnehmen?
  3. Nehme ich meinen Vocal Coach mit ins Studio?
  4. Workflow: Ganze Takes oder Stück für Stück einsingen?
  5. Es gibt für alles eine Lösung

 immer ein besonders aufregender Moment, aber sind derartige Sorgen und Gedanken tatsächlich berechtigt? Was wünschen sich Produzenten wirklich von euch, wenn ihr zum Vocal-Recording im Studio aufkreuzt? Und inwiefern hängt es auch von ihnen selbst ab, ob die Session erfolgreich verläuft? Im Austausch mit den Produzenten Sebastian Gimm (u. a. Tom Klose, Lake) und Fabio Niehaus (Miu, FIDI) finden wir heraus, worauf es aus Produzent/innensicht beim Vocal Recording wirklich ankommt und nehmen euch die Angst vor der nächsten Session.

Die richtige Vorbereitung für Sänger/innen – Vocal Recording Checkliste

Im Grunde ist es ganz einfach: Je mehr technische und künstlerische Fragen bereits im Vorfeld der Session geklärt sind, desto weniger schwirren euch am Tag des Recordings noch im Kopf herum und desto besser könnt ihr euch auf die eigentliche Gesangsperformance konzentrieren. Eine gute Vorbereitung ist daher wichtig und lässt euch entspannter in die Session gehen. Dabei spielen nicht nur gesangs-, sondern auch produktionsspezifische Fragen eine Rolle. Spart euch am Tag der Recording-Session Zeit und Stress, und klärt bereits vor der eigentlichen Session mit eurem/eurer Produzent/in alle offenen Fragen.
Hier mal eine kurze, individuell erweiterbare Checkliste für ein solches Treffen: –

  • Stimmt die Tonlage?
  • Gibt es schwierige Stellen, die vorher geübt oder geändert werden müssen?
  • Worum geht es in dem Song inhaltlich?
  • Stimmt der Text?
  • Welches Mikrofon passt klanglich am besten zu Song und Stimme?

Klärt derartige Fragen am besten ein paar Tage vor der Recording-Session – dann habt ihr noch genug Zeit und Ruhe, schwierige Passagen gegebenenfalls mit eurem Vocal Coach gesondert zu üben oder doch noch einmal am Text zu feilen. Ist die Aufnahme einmal im Kasten, ist es für solche Anpassungen zu spät und man ärgert sich.
Die Folgen von mäßiger Vorbereitung sind oft angespannte, verkopfte Vocal-Sessions, die sich deutlich hörbar in der Performance niederschlagen und deshalb auch von Produzent/innen möglichst vermieden werden wollen.
„Mir ist das Wichtigste, dass die Sänger/in mit einem guten Gefühl aus der Recording-Session geht und dass der Prozess der Aufnahme etwas ist, woran er/sie sich gerne erinnert. Denn genau diese Erinnerung wird getriggert, sobald der/die Sänger/in den Song hört.“, so Fabio Niehaus, der unter anderem bereits mit Künstler/innen wie FIDI oder Miu zusammengearbeitet hat. Um alle technischen Belange des Recordings solltet ihr euch nicht kümmern müssen. Im Idealfall hat der/die Produzent/in bereits vor eurem Eintreffen die Mikrofone aufgebaut und sichergestellt, dass der bestmögliche Sound für eure Stimme gewährleistet ist. Auch das ist ein wichtiger Faktor für eure Entspannung und Sorglosigkeit.

Was zählt wirklich beim Gesang aufnehmen?

Immer noch kursiert in der Recording-Welt der Mythos vom „goldenen First Take“, bei dem technisch und emotional alles perfekt zusammenpasst. Das kommt natürlich hin und wieder einmal vor, ist in der Praxis allerdings eher selten und sollte daher nicht als Maßstab für eine erfolgreiche Vocal-Session gelten.
Das sieht auch der Flensburger Produzent Sebastian Gimm so: „Perfektion ist mir weniger wichtig. Ich nehme meist einige Takes auf sammle daraus hinterher die ‚Filetstücke‘, die ich dann zu einem finalen Edit zusammenschneide. Diese Arbeitsweise hat den Vorteil, dass die Künstler/innen genug Zeit bekommen, sich auf die Situation einzugrooven.“ Außerdem entstehe zu viel unnötiger Druck, wenn erwartet wird, der/die Sänger/in müsse direkt perfekt abliefern. Fehler sind menschlich – und manchmal entsteht daraus sogar eine neue Idee für einen Part.
Tatsächlich lässt sich hinterher fast nie heraushören, ob ein Take nun zusammengeschnitten oder in einem Rutsch eingesungen wurde. Der Fokus sollte daher viel mehr darauf liegen, ob die Message eines Songs emotional transportiert wird. Denn diese Emotion lässt sich im Gegensatz zu kleinen Intonationsfehlern hinterher nicht rekonstruieren und korrigieren. Das sieht auch Fabio Niehaus so: „Aufnahmen sollen etwas ‚Utopisches‘ haben und möglichst viele ‚magische‘ Momente festhalten. Nimmt der/die Sänger/in mich mit auf eine Reise? Wie geht es mir, nachdem ich den Song gehört habe?“
Außerdem ist es wichtig, dass ihr am Tag der Session am besten keine weiteren Termine oder Verpflichtungen habt, die euch vom eigentlich Recording ablenken könnten. Kommt ihr beispielsweise von einem stressigen Arzttermin leicht verspätet ins Studio geplatzt, wird es mitunter für den Produzenten schwer, euch wieder in den fokussierten Recording-Modus zu bekommen – es sei denn, ihr nehmt zufällig einen unruhigen, stressigen Punk-Song auf, aber dann sind sämtliche Gedanken hier ohnehin obsolet. Auch am Vorabend solltet ihr statt Alkohol eher zu Tee greifen, um sowohl Stimme als auch Gemüt rechtzeitig auf eine entspannte Recording-Situation einzustimmen. Schließlich ist es aber auch völlig menschlich und normal, wenn ihr im Studio dann trotz aller Vorbereitung doch etwas angespannt seid oder etwa ein unerwartetes Ereignis euch ablenkt. Dann ist es mitunter auch der Job einer Produzentin, sich der Situation anzupassen und unter den gegebenen Umständen dennoch das Beste aus euch rauszuholen.

Nehme ich meinen Vocal Coach mit ins Studio?

Hierzu gibt es aus Produzent/innensicht verschiedene Meinungen. Sebastian Gimm befürchtet beispielsweise, dass die Konzentration vom Song zum Coach wandert, wenn er/sie mit im Studio sitzt und begrüßt es daher, wenn sich die Arbeit des Coaches auf die Vorbereitung beschränkt. Für Fabio Niehaus hingegen kann ein Vocal Coach im Studio hilfreich sein, um „gegebenenfalls Hilfestellungen aus dem Gesangsunterricht zu geben und auch das Selbstbewusstsein der Künstlerin oder des Künstlers zu pushen“. Meiner Meinung nach ist es eine Frage des Charakters und der Sensibilität des/der jeweiligen Künstler/in, ob ein Vocal Coach hilfreich oder eher ablenkend ist. Da eine Vocal-Session so oder so eine sehr persönliche Angelegenheit ist, sollte außerdem die zwischenmenschliche Ebene zwischen Produzenten, Vocal Coach und Künstlerin ausgewogen und angenehm sein.

Workflow: Ganze Takes oder Stück für Stück einsingen?

Ob die Vocals in einem Take von vorne bis hinten durchgesungen oder die einzelnen Parts lieber separat erarbeitet werden sollen, hängt stark vom Song ab. Wird beispielsweise eine Geschichte erzählt, die die Hörer/innen mit auf eine Reise nehmen soll, empfiehlt es sich oft, mit ganzen Takes zu arbeiten. Stehen Refrain und Strophe jedoch eher für sich, können sie gut Stück für Stück erarbeitet und aufgenommen werden. Sebastian Gimm nimmt beispielsweise gern zunächst ein paar ganze Takes auf und kümmert sich dann gesondert um besonders schwierige Stellen. Laut Fabio Niehaus ist es außerdem oft hilfreich, am Ende der Session noch einmal den Anfang des Songs zu singen, da sich die Stimme dann aufgewärmt hat.

Es gibt für alles eine Lösung

Wie bereits erklärt, könnt ihr durch eine gewissenhafte und rechtzeitige Vorbereitung diversen Problemen, die möglicherweise bei der Session auftreten, vorbeugen. „Jede Minute, die vor der eigentlichen Gesangsaufnahme in Text, Melodie und das Üben gesteckt wird, ist sehr gut investierte Zeit“, meint auch Sebastian Gimm. Aber wie das Leben eben so spielt, ist selbst die beste Vorbereitung dem Zufall nicht gewappnet. Viele Problemsituationen lassen sich jedoch bereits mit kleinen Tipps und Tricks lösen. Ein Klassiker ist ein leicht kratziger Hals, der neben einem plötzlichen Wetterumschwung oft auch mit Aufregung zu tun hat. Sowohl für Produzentinnen als auch für Sänger gilt deshalb stets: Sind Teebeutel, Wasserkocher und Salbei-Bonbons in der Nähe? Außerdem gibt es diverse hilfreiche Medikamente und Hausmittel, um eure Stimme bei Heiserkeit, Husten etc. wieder aufzupeppeln. Ein weiteres Phänomen sind ungewöhnliche Intonationsprobleme. Diese lassen sich oft auf einen ungünstigen, zu lauten Kopfhörer-Mix oder die Nutzung geschlossener (statt offener) Kopfhörer zurückführen.
Werden vor Ort spontane Änderungen am Arrangement oder der Melodie vorgenommen, fällt es manchen Sänger/innen schwer, sie umzusetzen, da die ursprüngliche Version oft akribisch vorbereitet und verinnerlicht wurde. Hier hilft es, die problematische Stelle gesondert vom Playback beispielsweise nur am Klavier zu üben „Gegebenenfalls einen Ganzton tiefer oder nur die Vokale“ (Fabio Niehaus). Ich selbst habe derartige Stellen auch schon nur mit Klavier und Gesang auf Metronom aufgenommen und hinterher in das Projekt eingefügt, wenn der Sänger beim Playback zu sehr an der alten Version festhielt. „Am Ende sollen sich die Sänger bzw. Sängerinnen wohlfühlen, daher gibt es da kein grundsätzliches Richtig oder Falsch“, meint Fabio Niehaus zu den verschiedenen Möglichkeiten, spontane Probleme beim Recording zu lösen.
Tauchen Fragen zur Aussprache bei Nicht-Muttersprachlern auf, hört Fabio in verschiedene Songs hinein, bei denen das problematische Wort gesungen wird. Sehr hilfreich! Auch Anfälle von Selbstzweifel oder Zweifel am Song sind nicht untypisch. „Da helfen aus Produzentensicht nur Geduld und Empathie“, stellt Sebastian Gimm fest. Sollten alle Stricke reißen, zeigen sich gute Produzenten in der Regel verständnisvoll und ihr setzt gemeinsam eine neue Session an.

Fazit

Vocal Recording ist eine sehr persönliche Situation, deren Erfolg von vielen Faktoren abhängt. Die adäquate Vorbereitung des/der Künstler/in sowie das richtige Fingerspitzengefühl des/der Produzent/in können entscheidend für die Strahlkraft und Qualität einer Vocal Performance sein. Anstatt akribisch auf Intonation und Technik zu achten, sollte stets die Message und Emotionalität des Songs im Fokus stehen. Und auch, wenn es gerade mal nicht funktioniert, gibt es für die meisten Umstände eine Lösung.

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(Teaserfoto: Shutterstock / Leszek Glasner)

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von Tom Gatza

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