Dieser erste Teil meines Vocal-Production-Workshops behandelt vorbereitende Maßnahmen aus Sicht des Engineers/Producers, die schon vor dem eigentlichen Aufnahmetermin stattfinden.
Wer gut vorbereitet ist, kann sich während der Session auf das Wesentliche konzentrieren – die Gesangsperformance! Wie man diese schon im Vorfeld positiv beeinflussen kann, lest ihr im folgenden ersten Teil des Tutorials.
Wichtige Vorarbeit zum Vocal Recording: Session Arrangements erstellen
Eine Gesangsproduktion beginnt meistens ein oder mehrere Tage bevor der Sänger oder die Sängerin das Studio betritt. Da ich überwiegend mit Avid Pro Tools und Logic Pro X arbeite, bereite ich für die Aufnahme eine Pro Tools Session oder ein Logic Arrangement mit den folgenden Bestandteilen und Merkmalen vor:
“Session Playback” für den Sänger
Hierbei handelt es sich um den Instrumental-Track, der zur Aufnahme genutzt wird. Meistens ist dies noch nicht die finale Version, sondern ein Playback im Demo-Stadium, welches ich im Folgenden als “Session Playback” bezeichnen werde. Ein wichtiges Merkmal des Session Playbacks ist, dass es sich gut zur Gesangsaufnahme eignet, also den Sänger nicht durch besonders schwierige Übergänge, störende instrumentale Melodien und sonstige kontraproduktive Effekte von seiner Performance ablenkt.
Sofern der Gesang synchron zum Metrum erfolgen soll (was meistens der Fall ist), sind rhythmische Elemente im Playback bei der Aufnahme von Vorteil, obwohl in manchen Passagen der finalen Produktion vielleicht nur Flächensounds geplant sind. Generell sollte man darauf achten, dass kein Element des Session Playbacks unnötig scharf oder laut gemischt ist, um Übersprechen vom Kopfhörer ins Mikrofon zu vermeiden oder zumindest zu minimieren.
Technisch gesehen gibt es zwei Möglichkeiten das Playback während der Aufnahme abzuspielen:
A) alle Audio- und Instrumentenspuren inklusive Plug-ins/Effekte
B) Session Playback als gebounctes Audiofile
Ich bevorzuge Letzteres, weil es meiner Ansicht nach viele Vorteile bietet:
- Der Rechner verhält sich stabiler. Latenzprobleme und -einstellungen verlieren ihre Bedeutung bei nativen DAWs.
- Durch die teilweise erheblich geringere Belastung produziert der Computer weniger Geräusche (Lüfter, Festplatten). Sofern man keinen separaten Maschinenraum hat und ggf. den Sänger im gleichen Raum aufnimmt, kann dies ein entscheidender Vorteil sein.
- kein “Verschlucken” von MIDI- und Automationsdaten
- Problemloses “Cycle-Recording” – die wiederholende Aufnahme von z.B. Problemstellen in einer Loop, ohne dass sich Effekte “aufschaukeln” oder Daten (s.o.) verschluckt werden.
- Der Verzicht auf Einzelspuren zu Gunsten eines (oder weniger) Audiofiles macht unabhängiger von Plug-ins, wodurch das Projekt problemlos an einem fremden Rechner verwendet werden kann.
Die Nutzung eines Audiofiles als Playback hat allerdings den Nachteil, dass man auf detaillierte Wünsche des Sängers während der Aufnahme, wie z.B. “Mach doch mal die Drums lauter”, nicht mehr eingehen kann. Da ich beim Mix des Session Playbacks bereits darauf achte, dass es sich gut zum Singen eignet, führt dies in der Praxis eigentlich nie zu Problemen. Allerdings gibt es einen eleganten Mittelweg “C”, indem man gebouncte Submixes, sogenannte Stems, als Session Playback nutzt, wie etw
Stem A – Playback ohne Drums und Instrumentalsoli
Stem B – Drums
Stem C – Soli
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Wichtig: schnell alternative Tonarten und anderes Tempo ermöglichen können
Tonart und Tempo sind schlachtentscheidende Parameter für eine gelungene Gesangsproduktion. Jeder Sänger kann innerhalb eines bestimmten Tonumfangs singen. Dieser variiert von Mensch zu Mensch und kann selbst bei einer Person je nach Tagesform oder Lebensalter unterschiedlich ausfallen.
Innerhalb dieses “besingbaren” Bereiches haben Sänger ihren Sweet Spot, in dem sie am schönsten klingen und ggf. ihre Signatur haben, sofern es sich um bereits bekannte Künstler handelt. Wenn man bei Letzteren vorhandenes Repertoire analysiert, lässt es sich bis zu einem gewissen Grad vorhersagen, in welcher Tonart man einen Song aufnehmen könnte, dennoch ist es immer wieder überraschend, wie unterschiedlich Sänger in Tonarten klingen können, die lediglich einen Halbton auseinander liegen. Somit finde ich es immer etwas problematisch, mich im Vorfeld auf eine Tonart festzulegen. Dementsprechend ist es unmöglich, die optimale Tonart bei Sängern vorherzusagen, die man nicht kennt und von denen keine bisherigen Aufnahmen zu Verfügung stehen.
Wir brauchen das Session Playback in verschiedenen Tonarten, um gemeinsam mit dem Sänger die Tonart für die Aufnahme festzulegen.
Da sich das Arrangement an dieser Stelle meistens noch in der Demo-Phase befindet, in welcher echte Instrumente (sprich Audiofiles) eher die Ausnahme sind, lässt sich das Playback in der Regel durch das unkomplizierte Transponieren von MIDI-Spuren in alternative Tonarten verschieben und als Mix bzw. Stem bouncen.
Sofern tonhöhenrelevante Audiofiles im Playback vorhanden sind oder das Playback vielleicht sogar extern produziert wurde und nur als Audiofile vorliegt, sollte man diese Files mit geeigneten Pitch Shifting Tools rendern.
Wichtig ist, dass all dies vor dem eigentlichen Gesangstermin geschieht, damit man während der Session zügig die Tonart wechseln kann, um nicht unnötig Studiozeit zu verplempern.
Technische Frickeleien während einer Session sind immer eine “Inspirations-Bremse”!
In den folgenden Audiobeispielen hört ihr zwei unterschiedliche Versionen eines bekannten Traditionals. Einmal in einer ungünstigen Tonart und einmal mit höherem Grundton, welcher es der Sängerin erlaubt, die komplette Strophe souverän darzubieten.
Die Wahl des optimalen Tempos ist ebenfalls nicht immer vorhersehbar, insbesondere, wenn man Demogesang aufnimmt und eventuell erschrocken feststellt, dass manche Passagen aufgrund vieler Silben ein niedrigeres Tempo erfordern, um singbar und verständlich zu sein.
Wenn man sich bezüglich des Tempos im Vorfeld unsicher sein sollte, ist man auf der sicheren Seite, wenn man das Session Playback in verschiedenen Tempi bounct, um es in der Session bei Bedarf sofort parat zu haben. In diesem Fall ist es am praktischsten, die Playbacks im Taktraster hintereinander anzuordnen und den Tempotrack der DAW entsprechend anzupassen. Weiterhin sollte man sich überlegen, ob solche Tempo-Optionen den ganzen Song betreffen oder nur bestimmte Stellen.
Tempotrack/Synchronität
Die Synchronität des Session Playbacks zum Taktraster ist für die Aufnahme von enormer Wichtigkeit, da man das Playback am besten ganztaktig vor der Songposition startet, ab der aufgenommen werden soll. Dies hilft dem Sänger sich zu orientieren und in den Groove einzufühlen. Der “Tape Operator” (die Person am Computer) kann bei aktiviertem Taktraster problemlos zu den gewünschten Vorlaufpositionen navigieren und bei “Play” ertönt der erste Schlag des Takts.
Natürlich ist die Synchronität zum Taktraster bereits vorhanden, wenn das Session Arrangement auf dem DAW Projekt des Demo Playbacks basiert. Dies ist allerdings nicht der Fall, wenn das Session Playback extern produziert und lediglich als Audiofile geschickt wurde. Nette Kollegen bouncen ein solches Audiofile taktgenau und im Dateinamen finden wir die Tempoangabe in BPM. Einige Kollegen sparen sich das, was aber auch kein unlösbares Problem ist. Wichtig ist, dass man es vor der Aufnahme synchron zum Taktraster anlegt, um sicher navigieren zu können und in den meisten Fällen ist dies recht simpel. In manchen Fällen kann es aber auch etwas komplizierter werden, und zwar
- wenn das Tempo nicht konstant ist,
- bei Taktartwechseln,
- bei vorhandener Partitur/Notation mit Angabe der Taktzahl.
In einem solchen Fall kann man schon einmal etwas Zeit investieren, um die Tempospur akkurat anzupassen, Taktartwechsel im Host-Programm zu definieren und ggf. einen Offset des Taktrasters einzustellen. Letzteres ist auf den ersten Blick vielleicht nicht unbedingt notwendig, erleichtert aber die Kommunikation während einer Session erheblich, wenn im Textausdruck für den Sänger ebenfalls Taktangaben vorhanden sind.
Navigation in der DAW-Session: Marker verwenden
Während einer Recording Session ist kaum etwas abtörnender und für den Künstler uninspirierender als ein Tape Operator, der ständig auf der Suche nach der korrekten Songposition ist, an der gerade aufgenommen werden soll oder nach einer Audiospur, die geöffnet, stummgeschaltet oder deren Lautstärke verändert werden soll.
Dabei ist es nicht kompliziert, sein DAW-Projekt mit Markern, eindeutigen Namen und Farben übersichtlich zu gestalten, um während der Session schnell (re-)agieren zu können. Ein wenig Beamtentum im Vorfeld einer Recording Session kann den “Vibe” und das künstlerische Ergebnis einer Aufnahme positiv beeinflussen.
Clicktrack
Über diesen vordergründig banalen Punkt gibt es mehr zu sagen, als zunächst vermutet. Generell dient ein Clicktrack zur metrischen Orientierung und lässt sich häufig ganz simpel als Metronom in DAWs über einen Button am Transportfeld aktivieren. Ich programmiere häufig einen eigenen Clicktrack per MIDI, weil es mir flexiblere Möglichkeiten bietet, den Künstler bei der Aufnahme zu unterstützen. Sehr gerne verwende ich hierzu den Klopfgeist, einen simpel aufgebauten Klangerzeuger in Logic Pro X, für mich der Klick-Generator schlechthin. Der editierbare Sound liefert dem Sänger den notwendigen Impuls ohne aber durch hysterische, hohe Frequenzen zu nerven oder Übersprechungen ins Mikrofon zu begünstigen.
Dass ich meinen Clicktrack programmiere, hat den einfachen Grund, dass ich durch einen gezielten, partiellen Einsatz des Klicks oder auch eine plötzliche Verdoppelung des Metrums (bei kontinuierlichem Klick) bestimmte Songpositionen markieren kann, die sich möglicherweise aus einem repetitiven Playback mit ständig wiederholendem Beat nicht erschließen. Zur Veranschaulichung ein Audiobeispiel:
Eine Sängerin wiederholt in einem Songteil immer wieder das Bekenntnis “I love bonedo, I love bonedo, I love bonedo …”, der Beat setzt plötzlich auf der Silbe “do” aus, welche dann euphorisch und lang ausgesungen werden soll:
“I love bonedooooooo!”
Eine hohe Fehlerquote und anschließende Bemerkungen wie “Ach da war’s schon” oder “ach, kommt doch erst später, oder?” sind in solchen Situationen ziemlich wahrscheinlich. Selbst wenn der Break korrekt getroffen wird, spürt/hört man eine gewisse Unsicherheit aufgrund dieser Stelle. Eine Markierung per Klick, einen Takt vor dem Break, schafft hier einfach und effektiv Abhilfe – man benötigt weniger Takes und die ganze Performance wirkt mit Sicherheit souveräner. Dem folgenden Audiobeispiel ist zu entnehmen, wie sich so etwas anhören kann:
Es gibt zahlreiche weitere Beispiele (extreme Tempowechsel, Einsatz nach Fermate, etc.) in denen die zielgerichtete Programmierung des Clicks einer simplen Aktivierung des Metronoms vorzuziehen ist.
Guide Tracks
Obwohl man idealerweise dem finalen Künstler ein Demo mit Demogesang oder dem Demosänger ein Layout mit Gesang des Komponisten oder MIDI-Gesangsmelodie geschickt hat, ist es schwer vorherzusehen,ob sich der Sänger ausreichend auf die Aufnahme vorbereitet hat. Ein Guide Track ist in jedem Fall eine unentbehrliche Hilfe zum Vertiefen des Songs oder sogar zum “Drübersingen”, quasi als Gedächtnisstütze während der Aufnahme. Dies gilt sowohl für den Leadgesang als auch für weitere Gesangselemente wie beispielsweise einzelne Chorstimmen. Tatsächlich gibt es viele Sänger, die ein Problem damit haben, Harmonien fehlerfrei zu den Lead Vocals zu singen. Das Doppeln der entsprechenden Harmony-Guide-Spur ist in einem solchen Fall der unkomplizierteste Lösungsweg.
Der zu singende Songtext sollte für jeden Anwesenden ausgedruckt werden und vorzugsweise so gegliedert sein, dass man auf den ersten Blick die verschiedenen Songteile und im Idealfall auch musikalisch zusammenhängende Phrasen erkennt – je übersichtlicher, desto besser! Sehr zu empfehlen ist das Notieren der Taktzahl des DAW-Arrangements am Anfang jeder Textzeile. Viele Songtexte beinhalten sich wiederholende Textpassagen, da sind Missverständnisse bezüglich Startpositionen vorprogrammiert, die hierdurch vermieden werden können.
Dass Sänger zur Aufnahme die ausnotierte Gesangsmelodie verwenden oder sogar verlangen, ist in der Popularmusik eher die Ausnahme. Allerdings sollte ein Stift zur Hand sein, um Melodieverläufe oder “Schlenker” im Text markieren zu können. Beim Ausdrucken der Textdatei sollte darauf geachtet werden, dass genügend Platz für Notizen zu Verfügung steht. Den Text per Tablet-Computer bereitzustellen ist eine zwar die Umwelt schonende Alternative, trotzdem bleibt ein Zettel, auf dem man nach Herzenslust herumkritzeln kann, meine erste Wahl.
Planung des Vocal Arrangements
Was dem Fan häufig wie eine Stimme seines Idols erscheint, ist bei genauerem Hinhören häufig eine Vielzahl von Gesangsspuren, übereinandergeschichtet wie ein Tiramisu. Mögliche Elemente eines Vocal Arrangements sind:
- Leadgesang
- Dopplungen
- Harmonien (häufig verschiedene Intervalle zum Leadgesang)
- Oktavierungen (Dopplungen, die eine Oktave höher oder tiefer gesungen werden)
- Ad-libs (also improvisierte, freie Interpretationen)
Welche dieser Elemente man benötigt oder ausprobieren möchte, sollte man sich idealerweise vor der Session überlegen und entweder auf einem Zettel notieren oder in irgendeiner Form im Session Arrangement markieren. Richtig kompliziert kann es werden, wenn man ein komplexes Arrangement mit beispielsweise mehreren Sängerinnen einer Girlgroup aufzunehmen hat. Es kann eine große Hilfe sein, vor der Session – ähnlich einem Drehbuch – eine Art Matrix anzufertigen, welche Elemente mit Sängerin 1, 2, 3, 4… aufgenommen werden sollen. Nach erfolgter Aufnahme eines Gesangselements (z.B.: Waltraud/Vers 2/1. Harmony) kann man dies abhaken, sodass man stets den Überblick über bereits erfolgte und ausstehende Aufnahmen hat. Diese Vorgehensweise ist deutlich übersichtlicher und sicherer als eine Scroll-Orgie in einem komplexen Session Arrangement. Wäre doch schade, wenn alle Sängerinnen bereits auf dem Heimweg sind und niemand den Leadgesang der dritten Strophe gesungen hat.
Im Folgenden hört ihr verschiedene Elemente zur Gestaltung eines Gesangsarrangements – für Komposition/Text musste ich ganz tief in die Trickkiste greifen.
Im folgenden Clip seht ihr nochmal die einzelnen Spuren in der Pro Tools Session:
Als letztes Hörbeispiel hört ihr die Oktavierung der ungünstig tiefen Lead Vocals aus Audiobeispiel 01. In manchen Fällen kann man auf diese Weise eine schwache Performance retten, was hier allerdings nicht überzeugend gelingt. Oktavierungen (auch nach unten) können Chöre/Backings schön “groß” machen.
Technik zur Gesangsaufnahme checken
In der Regel schalte ich die zur Gesangsaufnahme benötigten Geräte spätestens ein bis zwei Stunden vor dem eigentlichen Gesangstermin ein. Nach eventuell erforderlichen Warmlaufphasen analoger Geräte führe ich kurze Probeaufnahmen durch, um ausschließen zu können, dass es irgendwo brummt, rauscht, surrt oder Schlimmeres. Geräte und Verbindungen gehen ja auch schon mal kaputt, besonders bei Röhrengeräten ist man gut beraten, diese vor der Aufnahme zu checken. Hierbei suche ich dann auch gleich nach einer Einstellung für den Kopfhörermix, der für mein Empfinden zum Singen geeignet ist. Dieser wird während der Session wahrscheinlich auf Wunsch des Sängers noch verändert, aber man fängt dann schon mal nicht bei null an und stellt sicher, dass alles korrekt geroutet ist und überhaupt ein Signal aus dem Kopfhörer kommt.
Nennenswertes über den konkreten Einsatz von Geräten und noch einiges mehr zur Durchführung von Gesangsaufnahmen erfahrt ihr in Teil 2 des Vocal-Production-Workshops.