Bevor ich euch Griffbilder zeige, ist es mir ein wichtiges Anliegen, euch ein paar Gedanken zum Thema Akkorde auf der Gitarre mit auf den Weg zu geben. Mittlerweile gibt es unzählige Poster, Apps und Bücher, die euch alle nur erdenklichen Griffe zeigen können. Meiner Meinung nach ist davon nichts zu halten, denn zum einen ist die Fülle an Akkorden, die ihr lernen müsstet, uferlos, zum anderen tragen diese Bücher herzlich wenig dazu bei, dass ihr eure Griffbrettkenntnis verbessert.
Viel effektiver (und im Endeffekt auch einfacher) ist es, gewisse Grundprinzipien zu verstehen und so in der Lage zu sein, sich die einzelnen Akkorde herzuleiten. Und genau diese Fähigkeiten möchte ich euch im Folgenden vermitteln.
Für den Anfang solltet ihr eine kleine Auswahl an Akkorden lernen, die ich ganz einfach “Mutterformen” nenne, einmal mit dem Grundton auf der E-Saite und dann mit dem Grundton auf der A-Saite. Als nächsten Schritt zeige ich euch dann, wie ihr aus einer einzigen Akkordmutterform viele “Kinder” ableiten könnt, und das mit einem Minimum an Aufwand.
Die Vierklänge
Den Anfang sollen in dieser Serie die Vierklänge machen. Wie ihr vielleicht wisst, gibt es vier verschiedene Arten von Dreiklängen, nämlich Dur, Moll, vermindert und übermäßig.
All diese Akkorde bestehen aus zwei aufeinandergeschichteten Terzen. Wenn ich jetzt noch eine weitere Terz obendrauf packe, erhalte ich einen Vierklang – in diesem Fall einen Septakkord. Besonderes Augenmerk richten wir zunächst auf folgende Vierklänge, da sie uns in der Spielpraxis am häufigsten begegnen werden:
- Maj7, j7, Ma7 oder Δ7: ein Durdreiklang mit großer Septime
- 7 oder Dom 7: ein Durdreiklang mit kleiner Septime
- m7, min7 oder -7: ein Molldreiklang mit kleiner Septime
- m7/b5 oder halbvermindert oder Ø: ein verminderter Dreiklang mit kleiner Septime
Hier könnt ihr bereits sehen, dass es zwei Arten von Septimen gibt: Die große Septime, die auch als Maj7, Ma7, j7 oder Δ7 bezeichnet wird und die kleine Septime, die keiner weiteren Bezeichnung bedarf und einfach als 7 im Akkordsymbol erscheinen kann. Unsere erste Mutterform soll der maj7 mit Grundton auf der E-Saite sein – wenn ihr diesen Griff im 3.Bund spielt, bekommen ihr es also mit einem Gmaj7 zu tun. Der Grundton ist markiert und kann, genau wie jeder Barree-Akkord auch, verschoben werden – aus diesem Grund verzichte ich in meiner Darstellung ganz bewusst auf die Bundangaben.
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Vier Töne hat dieser Akkord – ist ja auch ein Vierklang – und jeder hat seine eigene Funktion. In der folgenden Grafik seht ihr, neben den eingekreisten Bestandteilen des maj7 Akkords, auch, wie die Töne neben den Grifftönen heißen.
Wenn ihr jetzt einen G7 wollt, müsst ihr einfach aus der großen Septime eine kleine machen. Der Grafik oben könnt ihr entnehmen, dass die b7, also die kleine Septime, einen Bund unter der j7, also der großen Septime liegt. Ergo müssen wir hier nur einen Ton umgreifen, um den Gmaj7 in einen G7 zu verwandeln.
Probiert es aus: Um aus G7 ein Gm7 zu machen, greift ihr die Terz einen Bund tiefer (also auf der g-Saite wird die 3 zu einer b3), und um den Gm7 in einen Gm7/b5 zu verwandeln, müsst ihr nur die 5 (Quinte) einen Bund erniedrigen. Die Quinte findet ihr auf der B-Saite, also demnach wird aus der 5 die b5, und somit lauten unsere Akkorde mit Grundton auf der E-Saite:
Und so klingen sie:
Treiben wir das ganze Spiel jetzt mit dem Grundton auf der A-Saite: Hier sieht unsere Ursprungsform so aus – im dritten Bund wäre das ein Cmaj7:
Unsere Töne im Umfeld stellen sich dabei folgendermaßen dar:
Versucht jetzt bitte einmal selbst, die anderen Akkordformen wie 7, m7, m7/b5 herzuleiten. Ihr müsstet auf dieses Ergebnis kommen:
Die vorgestellten Akkorde klingen so:
Kommen wir zur ersten Übung, um unser neu gewonnenes Akkordwissen ein wenig zu festigen. Dazu bediene ich mich einer zufälligen Zwölftonreihe, die alle Leser meines Pentatonik-Workshops bereits bestens kennen:
- Reihe 1: F Ab C E Db B Eb F# G Bb D A
- Reihe 2: Eb G E G# C A F C# Bb Gb B D
Diese Reihen sollen die Grundtöne unserer Akkorde markieren. Nun wählen wir einen Akkordtypus aus – maj7, 7, m7, m7/b5 und spielen diese Reihen durch. Nach unserem bisherigen Kenntnisstand habt ihr momentan rein theoretisch für jeden Akkord zwei Möglichkeiten, nämlich den Akkord mit dem Grundton auf der E-Saite und den Akkord mit dem Grundton auf der A-Saite.
Mein Vorschlag wäre, ihr sucht euch den Anfangsakkord frei aus und versucht dann von einem Akkord zum nächsten (innerhalb einer Reihe) jeweils den kürzesten Weg zu gehen. Hier ein Beispiel für Reihe 1. Wir nehmen uns einen maj7-Akkord und starten mit dem Grundton auf der E-Saite, entsprechend der Vorgabe meiner Reihe also mit F im 1. Bund. Und wie gesagt: Achtet darauf, dass die Akkorde so nah wie möglich beieinanderliegen. Abmaj7 sollte also im 4.Bund liegen (Grundton E-Saite) und nicht im 11. Bund auf der A-Saite – der Abstand wäre so einfach zu groß und absolut nicht praktikabel!
Grundton | F | Ab | C | E | Db | B | Eb | F# | G | Bb | D | A |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Typ | E | E | A | A | E | E | A | A | A | E | A | E |
Das wäre nur eine von vielen denkbaren Möglichkeiten und so klingt sie:
Übt das sinnvollerweise mit allen vier Typen und beginnt mal auf der E-, mal auf der A-Saite.
Jetzt möchte ich euch noch zwei Beispielstücke zeigen, anhand derer ihr euer neues Akkordvokabular trainieren könnt – vielleicht lassen die Titel ja das jeweilige Original erahnen.
Auf den folgenden Tracks spiele ich die Voicings nur einmal pro Chord an und auch nur im ersten Durchgang. Das heißt, Rhythmus und Groove lassen wir erst einmal außen vor. Es geht ja anfangs darum, dass wir unsere Akkorde und das Umgreifen trainieren – und das soll nur eine Übung dazu sein. Aus diesem Grund klingt das Ganze natürlich auch etwas etüdenhaft. Im ersten Durchgang spiele ich mit, den zweiten habt ihr dann für euch alleine:
“Kill doch den Softy”
“Ich Wisch”
Weitere Voicings:
Aus unseren Mutterformen lassen sich aber noch mehr Akkorde zaubern, als die bereits vorgestellten vier. Gelegentlich können uns auch folgende Symbole über das Griffbrett laufen:
- m maj7: ein Mollakkord, aber mit einer großen Septime
- Dur 6: ein Durakkord, der aber anstatt einer Septime die Sexte enthält
- Moll 6 : ein Mollakkord mit Sexte
- 07 : der vollverminderte Vierklang, also ein verminderter Dreiklang, der noch eine verminderte Septime enthält
- 7#5 : ein Dominantseptakkord, bei dem die Quinte einen Halbton erhöht wurde (also eine übermäßige Quinte)
Versucht auch hier, euch die Akkorde selbst herzuleiten und bedient euch dazu der obigen Grafik, in der ihr die Töne auf dem Griffbrett sehen könnt. Macht das sowohl für ein Voicing mit dem Grundton auf der E-Saite als auch für ein Voicing mit Grundton auf der A-Saite.
Ihr müsstet zu folgendem Ergebnis kommen: Grundton E-Saite:
Und Grundton A -Saite:
Das Ganze hört sich so an:
Nun spielt ihr eure Zwölftonreihen mit den neuen Akkordformen nach bekanntem Muster durch – und so seid ihr gerüstet für die folgenden beiden Beispielstücke:
“Stevie doesn’t worry”
Und das letzte Beispiel: “Gigolinchen”
Wenn ihr alle Übungen gewissenhaft durchexerziert habt, kommt ihr mit den neu erlernten Akkorden bereits durch fast alle Jazzstandards und Popsongs. Dem Bigband-, Musical- und Soulbandjob steht also nichts mehr im Wege – na ja, fast nichts zumindest.
TIPP: noch ein kleiner Tipp am Rande: Besorgt euch ein Realbook, darin sind Hunderte Jazzstandards enthalten, für die ihr eure Vierklänge braucht und die ihr als “Übungsschlachtfeld” missbrauchen dürft. Auch wer kein Jazzfreund ist, sollte diesen Schritt gehen, denn wie ihr seht, kommen vierstimmige Akkorde durchaus auch im Popbereich vor.
In der nächsten Folge werden wir uns noch ein paar weitere Akkord-Mutterformen vornehmen, die ihr bestimmt schon das eine oder andere Mal gehört habt. Außerdem werde ich euch zeige, was wir mit den heute gelernten Formen noch alles anstellen können.
In diesem Sinne, alles Gute, Haiko
Marius sagt:
#1 - 10.07.2013 um 14:34 Uhr
Bin gerade dabei die Akkorde mit Grundton auf der E-Seite zu üben. Gibt es da eine Griffmöglichkeit bei der ich beim Übergang von einem zum anderen Akkord nur einen Finger verschieben muss?
Ich greife momentan immer komplett neu obwohl sich ja immer nur ein Halbtonschritt ändert.Vielen Dank
Frank sagt:
#2 - 03.11.2014 um 04:25 Uhr
Wie die anderen Workshops auch, toll gemacht.
Danke Haiko