Willkommen zum dritten Teil meiner Voicing-Workshopreihe. In den vergangenen Folgen haben wir uns mit den Sept- und den Nonenakkorden beschäftigt, die wahrscheinlich den größten Teil unserer mehrstimmigen Akkorde ausmachen. Ausgehend von diesen bekannten Mutterformen würde ich gerne noch einen, oder genauer gesagt, zwei Schritte weitergehen, denn unser terzgeschichtetes Bauwerk ist mit der None noch nicht zu Ende. Zwei weitere Terzen können wir auf den Akkord auflegen, bevor wir an der Spitze wieder beim Grundton angelangt sind.
An dieser Stelle möchte ich übrigens ganz dringend auf den dritten Teil meines Harmonielehreworkshopsverweisen, in dem ich die Regeln des Akkordaufbaus und die Namensgebung von Akkorden behandelt habe – genau das wird nämlich der Hauptbestandteil dieser Folge werden.
Die Stockwerke in unseren bisherigen Akkorden waren:
Grundton – Terz – Quinte – Septime – None
Die beiden verbleibenden Schichten sind für uns dann die Undezime ( 11) oder die Tredezime ( 13)
Vielleicht ist euch schon aufgefallen, dass in bestimmten Akkorden nicht jeder Ton, obwohl er Bestandteil der Tonleiter ist, als Akkordton funktioniert. Nehmt z. B. einen Cmaj7 Akkord in der ersten Lage und greift auf der hohen E-Saite das f dazu. Zwar ist das in der C-Dur-Tonleiter enthalten – trotzdem klingt der Akkord seltsam:
Der Ton F ist also eine Note, die im Cmaj7 zu vermeiden ist (engl.: “to avoid”) darum nennt man dieses Phänomen auch “Avoid Note”. Darunter verstehen sich im Prinzip Töne, die zwar melodisch über diesem Akkord Sinn ergeben, z. B. in der Improvisation oder in der Melodie, aber als Akkordtöne nicht funktionieren. Selbst eine Melodie über einem Cmaj7, die auf der Note F endet, würde unaufgelöst oder dissonant klingen.
Betrachten wir unsere diatonischen Akkorde in C-Dur und schichten wirklich Terzen bis zum obersten Stockwerk, so erhalten wir:
Stufe | Modus | Siebenklang | Avoid Note |
---|---|---|---|
I | Ionisch | Cmaj7/9/11/13 | 11 |
II | Dorisch | Dm7/9/11/13 | (13) |
III | Phrygisch | Em7/b9/11/b13 | (b9,b13) |
IV | Lydisch | Fmaj7/9/#11/13 | —— |
V | Mixolydisch | G7/9/11/13 | (11) |
VI | Aeolisch | Am7/9/11/b13 | b13 |
VII | Lokrisch | Bm7/b9/11/b13 | b9 |
Praxis
Und wie sehen diese Akkorde nun in der Praxis aus? Zu Beginn sollten wir wieder einen Blick auf unsere Akkordtonübersicht werfen. Bezugspunkt ist hier ein maj7 Akkord (grün gekennzeichnet) mit dem Grundton auf der E-Saite:
Fangen wir mit den Voicings für den Grundton auf der E-Saite an und nehmen uns die altbekannten Mutterformen zur Brust:
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Nehmen wir jetzt unsere Tonübersicht zur Hilfe, können wir erkennen, dass wir die Quarte bei Akkorden mit dem Grundton auf der E-Saite, an zwei möglichen Stellen in Reichweite haben: auf der b- und auf der g-Saite.
ÜBRIGENS: noch eine kleine Anmerkung zur Fülle der Noten, die wir nun spielen können.
Da wir nur eine begrenzte Anzahl an Fingern zur Verfügung haben, wird es uns nicht immer möglich sein, alle Akkordtöne zu spielen. Aber das müssen wir auch nicht. Die Quinte kann z. B. bedenkenlos aus dem Akkord entfernt werden, ebenso der Grundton. Dieses Wissen werden wir uns in dem einen oder anderen Akkord noch zunutze machen!
Betrachten wir folgende Voicings:
dom7/#11
m7/11
m7b5/11 (beim Soundbeispiel ohne Grundton)
Mein Vorschlag wäre: Versucht diese Akkorde erst einmal auf eigenem Wege anhand der Tabelle zu konstruieren. Denn wie gesagt: Je öfter man sich seine Akkorde zusammensucht, desto schneller wird man sie im Ernstfall finden. Und das soll ja unser Ziel sein, wenn man nicht eine ganze Enzyklopädie an Akkorden in sein Hirn prügeln will. Der Spruch “Der Weg ist das Ziel” war nie so wahr wie in der Akkordfindung, und stammt auch bestimmt von einem Gitarristen. Hier die Auflösung:
Als Grundton habe ich immer das C gewählt:
Natürlich können wir die Quarte auch jederzeit mit weiteren Optionstönen wie z. B. der None kombinieren, hier ein paar Vorschläge meinerseits:
Dom7/9/sus4
Dom7/b9/sus4
m7/9/11 (beim Soundbeispiel ohne Grundton)
Ok, nun das ganze Spiel mit dem Grundton auf der A-Saite. Hier unsere Akkordtonübersicht:
Und noch einmal die Mutterformen:
dom7 sus4
dom7/#11
m7/11
m7b5/11 (beim Soundbeispiel ohne Grundton)
Jetzt das Ganze mit None. Dazu werfen wir einen Blick auf die Mutterformen mit None:
Dom7/9/sus4
Dom7/9/#11
m7/9/11
Kommen wir zum letzten Stockwerk in unserem Akkordgebilde, der 13 bzw. der Sexte.
Der eine oder andere hat sich bestimmt schon mal die Frage gestellt, warum man manchmal die Sexte im Akkord als 6 und manchmal als 13 beziffert. Nun, das hängt davon ab, ob in unserem Akkord eine Septime vorhanden ist oder nicht. Akkorde mit Septime und Sexte werden als 13er beziffert – z.B. G7/13. Besitzt der Akkord keine Septime, bleibt die Sexte eine 6 – z.B. Fm6 o.ä.
Sehr häufig ist es in der Akkordschreibweise üblich, dass höhere Optionstöne alle niedrigeren mit einschließen. So kann es z.B. vorkommen, dass man statt G7/9/13 einfach nur G13 schreibt, das hält das Akkordbild klein und spart Platz. Nähern wir uns nun den ersten Griffbildern. Ich werde euch wieder eine Auswahl an gängigen Akkorden mit Sexte geben und vorschlagen, ihr macht euch anhand der obigen Tools selbst auf die Suche:
Wir beginnen mit dem Grundton auf der E-Saite:
Maj7/13
Dur6
Dom7/13
m7/13
m6
Hier die Lösung:
Und nun ein paar Voicings unter Zuhilfenahme weiterer Optionsnoten:
Maj7/9/13 (auch Maj13)
Dom7/9/13 (auch einfach nur 13)
Dom7/sus4/9/13
Dom7/b9/b13
Dom7/#9/b13
m7/9/13
m7/b5/b13
Im Folgenden betrachten wir die A-Saite als Grundton:
Maj7/13
Dur6
Dom7/13
m7/13
m6
Und um ein paar Optionsnoten erweitert:
Maj7/9/13 (beim Soundbeispiel ohne Grundton)
Dom7/9/13
Dom7/sus4/9/13
Dom7/b9/b13
Dom7/#9/b13
m7/9/13 (beim Soundbeispiel ohne Grundton)
m7/b5/b13
Nun aber schnell ab in die Praxis:
Die Zwölftonreihen der vergangenen Folgen haben natürlich nichts von ihrer Gültigkeit eingebüßt und sollten sinnvollerweise auch mit den obigen Akkordtypen durchexerziert werden. Auch mein Vorschlag, ein Realbook o.ä. in die Hand zu nehmen, macht natürlich weiterhin Sinn. Dort werdet ihr unendlich viele Anwendungsbeispiele für die obigen Akkorde finden.
Abgesehen davon habe ich aber natürlich wieder ein paar leicht abgewandelte Übungsbeispiele aus dem echten Leben gegriffen:
Das Erste ist gespickt mit Vierklängen, einige davon haben wir in unseren vergangenen Workshops bereits behandelt, andere sind gerade frisch dazugekommen. Ihr werdet im folgenden Beispiel auf den Akkord “m7#5” treffen – z.B. Bm7#5. Dies ist eigentlich ein Gmaj7/9 mit B im Bass, aber da ich das Thema “Slashchords” erst in einer der nächsten Folgen behandeln will und beide Bezeichnungen üblich sind, habe ich hier die genannte Bezeichnung gewählt.
“Bacon Dues”
Die Noten gibt es diesmal als PDF Download:
Hier euer Playback. Den ersten Durchgang spiele ich noch mit, ab der Wiederholung seid ihr an der Reihe:
Clothes of You
Das zweite Beispiel “Clothes of You”, in Anlehnung an einen weiteren Klassiker, benutzt ebenfalls viele Vierklänge, aber auch einige von den neu gewonnenen Voicings:
Hier das Playback, ein Durchgang mit mir, einer ohne mich:
So, geschätzte Kollegen, damit sind wir am Ende unseres dritten Workshopteils über mehrstimmige Akkorde angelangt. Ich weiß, dass ich euch hier eine große Fülle an Akkordmaterial präsentiere, aber lasst euch mit dem Stoff ruhig Zeit und versucht anwendungsbezogen zu denken. Sucht euch also Stücke, bei denen spezielle Akkorde Anwendung finden, denn so bleiben sie Euch am Besten im Gedächtnis. Das nächste Mal wollen wir uns noch ein paar spezielle Akkordkandidaten und ihre Anwendung zu Gemüte führen und bestimmt gibt es für den einen oder anderen wieder etwas Neues zu entdecken.
So long, Haiko