Hallo geschätzte Freunde der schweren und leichten Muse! In den vergangenen Folgen haben wir versucht, so ziemlich jedes Akkordgebilde, das durch konsequente Terzschichtung zu realisieren war, auf unser Instrument zu übertragen. Dabei sind wir so vorgegangen, dass wir den Septakkord jeweils um ein Stockwerk (über None, Undezime und Tredezime) zu einem theoretisch siebenstimmigen Akkord erweitert haben.
Heute wollen wir uns mit den Akkordkategorien befassen, die wir in der letzten Folge schon angerissen hatten, nämlich den “Vorhaltsakkorden” und “Added Note Chords”.
Der Begriff “Vorhalt” (oft in Kombination als “Quartvorhalt”) entstammt der traditionell klassischen Akkordbezeichnung, uns wird der Terminus eher in Form des Akkordzusatzes “sus” begegnen. Wie schon in der letzten Folge erwähnt, steht “sus” für suspended (was im Englischen soviel wie “aufgeschoben” oder “frei schwebend” bedeutet). Pragmatisch betrachtet steht die Bezeichnung in der heutigen Praxis dafür, dass eine bestimmte Note anstelle der Terz im Akkord erklingen soll.
In fast allen Fällen begegnet uns dieses Phänomen in Form von “sus4” oder “sus2” Akkorden.
Ein Csus4 ist für uns demnach ein C-Dur Dreiklang, dessen Terz E rausfliegt und durch die Quarte (= 4) F ersetzt wird. Ebenso ist ein Csus2 ein C-Dur Dreiklang, dessen Terz E zugunsten der Sekunde (= 2) D geopfert wird.
Diese Akkorde können je nach harmonischem Zusammenhang einen spannungsreichen Klang kreieren, insbesondere die sus4, die sich gerne in die Terz auflösen will. Allerdings entsteht durch das Fehlen der Terz auch ein sehr offener, schwebender Sound, weshalb man diese Akkorde auch sehr häufig in der Popmusik antrifft. Vor allem die Achtziger Jahre warteten, neben toupierten Haaren und Miami Vice-Look, mit unzähligen sus-Akkorden auf. Aber das soll natürlich nicht heißen, dass man mit sus-Chords nicht auch modern klingen könnte.
Da keine Terz im Akkord ist, lassen sich diese Gebilde auch nicht auf ein Geschlecht festlegen.
Hinter der sus-Note könnte sich also eine große oder kleine Terz verbergen. Noch ein weiteres Phänomen zeichnet sus4 und sus2 Akkorde aus, das wir uns als Gitarristen zunutze machen können: Beide Akkordtypen haben gleiche Griffbilder, denn sie verfügen über eine identische Intervallstruktur, lediglich auf verschiedene Grundtöne bezogen – klingt kompliziert, ist aber ganz einfach.
Ein Csus2 besteht aus den Noten C D G. Kehren wir den Akkord so um, dass wir die Note G unten liegen haben, erhalten wir G C D – das ist ein Gsus4.
EHG-String:
HGD-String:
GDA-String:
DAE-String:
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Auch hier lege ich euch die Zwölftonreihe ans Herz, um die neuen Griffbilder zu festigen. So weit, so sus, das waren bis dato ja alles Akkorde, die sich nur auf drei Saiten abgespielt haben. Aber wie sieht das Ganze aus, wenn wir mehrstimmige Akkorde über mehr als drei Saiten zu sus-Akkorden ausbauen wollen?
Ich denke, dazu habt ihr bereits das Rüstzeug aus den vergangenen Folgen am Start. Dort sind uns ja bereits einige sus-Akkorde untergekommen. Der Vollständigkeit halber möchte ich euch jetzt dennoch ein paar gängige sus2- und sus4-Voicings vorstellen.
Ihr werdet feststellen, dass auch in Akkorden über sechs Saiten immer der kleine sus-Dreiklang aus den vorhergehenden Griffbildern zu erkennen ist:
Added Note Chords
Wenden wir uns nun der nächsten Kategorie zu, den “Added Note Chords”.
Wurde bei “sus” ein Ton, nämlich die Terz, zugunsten eines anderen entfernt, so will das Kürzel “add” uns sagen, dass zu einem bestimmten Akkord eine Note hinzugefügt (to add) werden soll, ohne dass eine andere ersetzt werden müsste.
In vielen Songbooks lese ich immer wieder falsche Bezeichnungen, was diese Unterscheidung betrifft, dort wird zum Beispiel add2 als sus2 verkauft und umgekehrt. Lasst euch nicht verwirren, betrachtet die Griffbilder und hört euch den Song an, das verschafft euch Klarheit über den Bezeichnungsdschungel, auch wenn beide Akkorde zugegebenermaßen entfernt ähnlich klingen, sind sie doch unterschiedlich.
Rein theoretisch kann man jede Note “adden” (wenn sie die Freundschaftsanfrage akzeptiert ;-), demnach kann es add9, add11, add#11 usw. geben. In der Praxis des Rock/Popalltags werdet ihr jedoch in den meisten Fällen add9 Akkorde antreffen. Aber warum ist das so und welche Kombinationen kämen außerdem infrage? Ein Cadd11 oder Cadd4 klingt seltsam aufgrund der Reibung mit Terz und Quarte, die wir in der vergangenen Folge im Thema “Avoid Notes” behandelt haben. Hier wird, wenn schon Quarte, dann mit sus4 hantiert. Ein Cmadd11 ist möglich, klingt auch sehr geil, ist aber selten, und dennoch einen Gedanken wert!
Gut, dann hätten wir noch Cadd13. Hier können wir es uns einfach machen, denn das wäre für uns einfach ein C6. Insofern ist Cadd13 eine unnötig komplizierte Bezeichnung für einen bereits vorhandenen einfachen Akkordnamen, analog dazu ist ein Cmadd13 mit einem Cm6 gleichzusetzen.
Aha, und warum sag ich dann nicht auch einfach C9? Weil wir in der letzten Folge gelernt haben, dass höhere Optionstöne niedrigere mit einschließen. Demnach ist ein C9 streng genommen ein C7/9 mit den Tönen C E G Bb D, Cadd9 aber beinhaltet lediglich C E G D, und das ist ein gewaltiger Unterschied.
Nun zu den Griffbildern. Bei add9 Voicings müssen wir (anders als bei sus-Voicings) Molladd9 und Duradd9 unterscheiden, denn das sind zwei verschiedene Akkorde.
Eines vorweg: Hier gibt es unzählige Griffmöglichkeiten und unterschiedliche Wege, uns diese Voicings herzuleiten.
Zuerst die Einfachste: Wir bedienen uns der Lagerfeuer-Barreeakkorde. Diese Voicings enthalten auf der Gitarre mehrfach den jeweiligen Grundton. Aus einem dieser Grundtöne können wir, indem wir ihn zwei Bünde, also einen Ganzton, höher greifen, eine None basteln. z.B. so:
Für dich ausgesucht
- Workshop Kreatives Rhythmus Gitarrenspiel #10 – Powerchords
- Workshop Kreatives Rhythmus Gitarrenspiel #11 – Offene Akkorde
- Workshop Kreatives Rhythmus Gitarrenspiel #3 – Undezime und Tredezime
- Workshop Kreatives Rhythmus Gitarrenspiel #5 – Slash Chords
- Workshop Kreatives Rhythmus Gitarrenspiel #9 — Jazz und Fusion Akkorde
Man denke an Andy Summers von Police, der diese Voicings häufig und gerne benutzt. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, die kleinen Dreiklänge, die wir auch als Ausgangsbasis für die sus-Akkorde verwendet haben, zu benutzen und den Grundton zur None werden zu lassen. Ähnlich wie bei den Vierklängen benötigen wir den Grundton in unseren Akkorden nicht zwingend, wenn ein Bassist in unserer Band seinen Job gewissenhaft ausübt.
Das möchte ich euch einmal exemplarisch an den höchsten drei Saiten aufzeigen, und zwar zuerst in Dur. Hier sind unsere Dreiklänge in C:
Und hier zu add9 Chords erweitert:
Nun in C Moll:
Und zu Molladd9 erweitert:
Exerziert dieses Beispiel mit allen Saitensets durch und spielt die Zwölftonreihen, ihr werdet merken, dass euch die add9-Akkorde, nachdem ihr die sus-Akkorde so geübt habt, viel leichter fallen werden.
Eine dritte Möglichkeit will ich hier zumindest anreißen. Sie wird in einer späteren Folge noch etwas vertieft werden.
Wenn wir einen Cadd9-Akkord betrachten, haben wir die Töne:
C E G D – bilden wir davon die erste Umkehrung, so erhalten wir:
E G C D und das ist ein Em7 mit erhöhter Quinte bzw. Em7/#5. Das heißt, wir könnten auch jeden bekannten Moll7-Akkord benutzen, seine Quinte um einen Halbton erhöhen und hätten weitere Voicings für add9 Akkorde.
” Every steak you take”
Kommen wir nun anhand von zwei Beispielstücken zur Praxis: Im ersten Durchgang spiele ich die Akkorde mit, danach habt ihr freie Hand:
“SUSans ADDiction”
Das zweite Beispiel ist etwas anders. Ich gebe euch eine Akkordfolge vor, bestehend aus Dur- und Mollakkorden. Ihr habt nun die Aufgabe, diese bestehende Akkordfolge ganz nach eurem Geschmack mit add9, sus2 und sus4 “aufzumotzen”. Hier gibt es natürlich viele Möglichkeiten, probiert verschiedene Varianten aus. Im ersten Durchgang gebe ich euch ein Beispiel, danach ist Jammen angesagt:
So, damit sind wir wieder am Ende einer Folge dieser Workshopreihe angelangt und ich hoffe, es ist mir gelungen, das eine oder andere Akkordmysterium aufzudecken. Vielleicht habt ihr neue Klänge entdeckt, die euch zu eigenen Songs beflügeln. Oder möglicherweise waren euch Klänge schon vertraut, die ihr nur noch nicht zuordnen konntet. Wie auch immer: Je mehr Akkorde man beherrscht – und damit meine ich, nicht nur den Griff zu kennen, sondern den Akkord mit seinen ganzen Funktionen (Grundton, Terz, Quinte, etc.) im wahrsten Sinne des Wortes zu “begreifen” – um so mehr schließt sich auch der Kreis zum Solospiel. Denkt man nämlich an das Spiel mit Arpeggios, dann erkennt man, dass es letztendlich alles verschiedene Seiten derselben Medaille sind, und darum lohnt sich das Thema in jedem Fall.
In diesem Sinne alles Gute,
Haiko