Hallo und herzlich willkommen zu einer weiteren Folge meiner Voicing-Reihe. Haben wir uns in den vergangenen Folgen mit terzgeschichteten Mehrklängen sowie Vorhalts- und Added Note-Chords beschäftigt, soll es in dieser Ausgabe zum einen um eine spezielle Form der Akkordschreibweise gehen, zum anderen aber auch um Akkordkonstruktionen, die mit herkömmlichen Akkordbezeichnungen nur sehr umständlich zu beschreiben wären.
Die Rede ist von den sogenannten “Slash-Chords” bzw. “Triad over Bass Note-Chords”. Wie im dritten Teil meiner Harmonielehre-Reihe bereits erläutert, hat die Bezeichnung “Slash” nichts mit dem Ex-Gitarristen von Guns ´n ´Roses zu tun, sondern mit der Tatsache – und hier greift die andere Bezeichnungsmöglichkeit “Triad over Bass Note” – dass wir es mit einem Dreiklang zu tun haben, der über einem anderen Basston gespielt wird.
Die beiden Komponenten Akkord und Basston werden von einem Schrägstrich, auf Neudeutsch “slash”, getrennt: z.B. D/C , sprich “D mit C im Bass” oder “D über C”. Daher eben auch die Bezeichnung Slash-Chord.
Diese Art der Akkordbezifferung geht auf die Berufsmusiker-Randgruppe der Pianisten zurück. Am Klavier steht mir ja die linke Hand zur Verfügung, um die Bassnoten zu greifen, während ich mit der rechten Hand den Rest des Akkordgebildes spielen kann. Insofern gibt die Slashchordbezeichnung dem Pianisten ziemlich klar wieder, wie ein bestimmter Akkord gegriffen werden soll, da er linke und rechte Hand separat aufführt. Das ist zugegebenermaßen am Klavier leichter nachzuvollziehen als am Eierschneider, aber der moderne emanzipierte Gitarrist sollte auch mit der “Slash”-Bezifferung vertraut sein, denn, wie gesagt, es können auch andere sehr interessante Akkordgebilde entstehen. Letzten Endes würde ich drei verschiedene Arten von “Triad over Bass Note” Chords unterscheiden, nämlich:
1. Die Bassnote ist ohnehin Bestandteil des Akkordes.
Dieser Fall kann sich in verschiedenen Formen manifestieren. Nehmen wir einen C-Dur Akkord: Hier wäre es natürlich Humbug, C/C zu schreiben, also C mit C im Bass, da wir davon ausgehen können, dass der Grundton im Bass liegt, es sei denn, es wurde gesondert erwähnt. Wollen wir hingegen die Terz im Bass, so ist die Bezeichnung C/E eindeutig und auch sehr schnell umzusetzen, ähnlich bei der Quinte C/G. Das kann uns beispielsweise dann von Nutzen sein, wenn wir eine bestimmte Bassline ins Zentrum unserer Komposition stellen wollen. Betrachten wir z. B. folgende Akkordfolge:
II: B I F#/A# I G#m I B/F# I E I G/A I B I B :II
Hier können wir wunderbar eine abwärtsgerichtete Bassline von B bis E erkennen. Selbstverständlich würde die Akkordfolge auch gut klingen, wenn wir jeweils die Grundtöne im Bass behielten, aber durch die innere Logik der wandernden Bassline bekommt diese Akkordfolge doch einen zusätzlichen Reiz.
2. Die “Triad over Bassnote”-Schreibweise repräsentiert ein vertrautes Akkordbild:
Hier gilt es abzuwägen. Betrachten wir z. B. C/A – dieser Akkord könnte für uns auch einfach als Am7 aufgeschrieben werden und ich denke doch mal, die meisten Gitarristen lesen lieber die herkömmliche Variante als die Slashchordbezeichnung (ein anderes Beispiel wäre Bm/G für Gmaj7 o. ä.). Dennoch gibt es Fälle, in denen die Slashchordvariante Sinn macht. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn über mehrere Akkorde eine innere Logik innerhalb der Bewegung aufgebaut werden soll. Ein gutes Beispiel dafür ist der A-Teil des Jazzstandard ” On Green Dolphin Street”:
II: Em/C I Em/C I Eb/C I Eb/C I D/C I Db/C I Em/C I Em/C :II
Praxis
Doch genug der Worte, ab in die Praxis! Prinzipiell können wir jeden Dreiklang mit jeder Bassnote kombinieren, wir hätten also jeweils 12 Möglichkeiten für jeden Dur, Moll, verminderten und übermäßigen Dreiklang. Das multipliziert mit allen 12 Tonarten ergibt: viel – und eigentlich auch mehr, als wir wahrscheinlich brauchen.
Ich denke, für den Anfang ist es vollkommen ausreichend, wenn wir uns auf die Dur- und Molldreiklänge beschränken. Und wer weiß, vielleicht fällt nach gründlicher Beobachtung auch hier noch der eine oder andere Akkord durch das Raster. Lasst uns mit allen möglichen Durakkorden beginnen:
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Akkord | Erklärung | Slashbezeichnung sinnvoll? |
---|---|---|
C/C | C mit Grundton im Bass | Nein |
C/C# | C#mmaj7/b5 (wird in der Bartokforschung Beta Akkord genannt – entstammt dem Ganzton – Halbtonfeld) | Ja, Akkord aber selten |
C/D | Csus9 Sound | Ja, wichtig! |
C/Eb | C Halbton Ganzton oder aus Ab Harmonisch Dur | Ja, Akkord aber selten |
C/E | C mit Terz im Bass | Ja, wichtig! |
C/F | Fmaj7sus2 -wirkt als Fmaj9 Sound | Ja, wichtig! |
C/F# | Könnte man in E HM finden bzw. in F HTGT | Ja, Akkord aber selten |
C/G | C mit Quinte im Bass | Ja, wichtig |
C/G# | G#maj7#5 | Bedingt – herkömmliche Bezeichnung verbreiteter |
C/A | Am7 | Bedingt – herkömmliche Bezeichnung verbreiteter |
C/Bb | Bbsus2 add13/#11 – steht für Bb lydisch oder Bb HTGT; könnte auch C7 mit Bb im Bass bedeuten | Ja, wichtig! |
C/B | Cmaj7 mit Septime im Bass; könnte auch B phrygsich repräsentieren; klingt jedoch dissonant, da eine kleine None zwischen Basston B und dem C entsteht | Bedingt – herkömmliche Bezeichnung verbreiteter |
Nun das ganze Spiel in Moll:
Akkord | Erklärung | Slashbezeichnung sinnvoll? |
---|---|---|
Cm/C | Cm mit Grundton im Bass | Nein |
Cm/C# | C#maj7sus2#11 ( C# lydisch) | Ja, Akkord aber selten |
Cm/D | D7/b9sus4 | Ja, wichtig |
Cm/Eb | Cm mit Terz im Bass | Ja, wichtig |
Cm/E | Emmaj7/#5 (wird in der Bartokforschung Gamma Akkord genannt – entstammt dem Ganzton – Halbtonfeld) | Ja, Akkord aber selten |
Cm/F | F7sus2 | Ja, wichtig |
Cm/F# | F# HTGT oder aus G Harm Moll bzw. G Harm. Dur | Ja,Akkord aber selten |
Cm/G | Cm mit Quinte im Bass | Ja, wichtig |
Cm/Ab | Abmaj7 | Bedingt – herkömmliche Bezeichnung verbreiteter |
Cm/A | Am7/b5 | Bedingt – herkömmliche Bezeichnung verbreiteter |
Cm/Bb | Cm7 mit Septime im Bass | Ja, wichtig, häufig als Bassdurchgang! |
Cm/B | Cmmaj7 mit Septime im Bass | Ja, wichtig, häufig als Bassdurchgang |
Die Einschätzung, ob der eine oder andere Akkord wichtig oder selten ist, unterliegt natürlich dem subjektiven Empfinden und der stilistischen Vorliebe. Im Modern Jazz- und Fusionbereich werdet ihr natürlich den einen oder anderen “abgefahrenen” Slashchord häufiger antreffen als beispielsweise in der Pop/Rockmusik. Meine Eingliederung beruht in diesem Falle eher auf dem Einsatzbereich Rock/Pop/Studioalltag/Musical etc., da ich denke, dass ein Großteil der Leser eher dort anzusiedeln ist.
Soweit, so gut. Aber wie können wir nun unsere neu gewonnenen Akkordfreunde auf das Griffbrett bringen?
Betrachten wir im Folgenden einmal die einzelnen Komponenten:
Wir haben also eine Bassnote. Das Wort “Bass” schließt schon fast aus, dass dieser Ton auf den hohen Saiten gespielt werden kann und mein Vorschlag wäre tatsächlich, den Basston auf die tiefe E- oder A- Saite zu beschränken.
Die andere Komponente, der Dreiklang, muss nun mit den verbliebenen Saiten klarkommen. Benutzen wir die E-Saite für die Bassnote, wäre mein Vorschlag, den Dreiklang auf den Saitensets D – G – B oder G – B – E zu greifen. Die Saiten A – D – G stünden uns zwar auch zur Verfügung, aber ihr werdet merken, dass hier die “Mulmgefahr” durch all die tiefen Saiten relativ hoch ist.
Falls wir die Bassnote auf der A-Saite greifen, würde ich ebenfalls die Dreiklänge auf den Saitensets D – G – B und G – B – E suchen.
Damit landen wir bei folgenden Dreiklängen (hier noch ohne Bassnote):
Dur auf Saitenset GBE (die Audiobeispiele sind in C)
Moll auf Saitenset GBE:
Dur auf Saitenset DGB ( die Audiobeispiele sind in G ):
Moll auf Saitenset GBE:
Jetzt müssen wir uns nur noch eine strukturierte Übung einfallen lassen, um die Fähigkeit zu trainieren, jeden Dreiklang mit jeder Bassnote zu verbinden. Dafür schlage ich eine Art Matrix vor, die ihr euch am besten ein paar Mal ausdruckt:
Wenn ihr nun jede Reihe durchgespielt habt, und zwar in Dur und in Moll, habt ihr alle möglichen Slashchords in allen Tonarten einmal gespielt und solltet dann auch relativ schnell und sicher die Slash-Akkordsymbolik lesen und entschlüsseln können.
Dennoch möchte ich jetzt auf ein paar sehr geläufige Akkordsymbole eingehen, die euch möglicherweise im Rock/Pop häufig begegnen werden und die es sich einzuprägen lohnt. Die markierten Töne sind in diesem Fall die Bassnoten (und nicht der Grundton des Dreiklangs!).
1. C/D
2. C/E
3. C/F
4. C/G
5. C/Bb
6. Cm/E
7.Cm/F
8. Cm/G
“Riot in the Triad”
Versucht selbst, die passenden Akkordvoicings zu finden – es gibt natürlich mehrere Möglichkeiten, die auch alle leicht unterschiedlich klingen würden. Falls ihr euch nicht sicher seid, findet ihr hier ein Beispiel von mir:
Das könnte dann so klingen. Den ersten Durchgang spiele ich mit, dann habt ihr das Playback für Euch:
Und damit verabschiede ich mich auch schon wieder für diese Folge. Ich hoffe, ihr konntet ein paar neue Klangwelten und Akkordmöglichkeiten entdecken, die auch in euer Spiel einfließen werden. In der nächsten Folge werden wir einen weiteren Akkordtopf aufmachen – bis dahin alles Gute und viel Erfolg,
Haiko
Ulrich Goetzmann sagt:
#1 - 28.01.2014 um 22:19 Uhr
Lieber Haiko,ich bin ja in der Tat überwältigt, welche Mühe Du Dir mit diesen Seminaren ( auf undeutsch workshop ) gemacht hast. Dafür zunächst mein DANKESCHÖN.Mir ist ein kleiner Fehler bei der Verknüpfung der Datei VoicingsPt5_8 bzw. VoicingsPt5_10 aufgefallen.Unter Punkt 2. C/E paßt das mit der Verknüpfung VoicingsPt5_8. Aber unter 4. C/G erscheint statt VoicingsPt5_10 abermals VoicingsPt5_8.Dies als kleine konstruktive Kritik.Wenn es Dir nicht zuviel Mühe macht, würde ich mich sehr über die Zusendung dieser Datei VoicingsPt5_10 freuen.Nochmals DANKE für Deine Arbeit, die Du Dir für uns da draußen im Lande gemacht hast.Herzliche GrüßeULLI