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So gänzlich unvoreingenommen kann man bei Produkttests zugegebenermaßen nicht immer sein, der Test eines High-End-Röhrengeräts aus bester Familie, dem sein Ruf weit vorauseilt und welches zudem noch € 5000 kostet, ist natürlich eher etwas Besonderes! Ich gebe zu: Die Vorfreude ist groß. Allerdings bedeutet das nicht, dass ich wie ein verblendeter, kritikloser Teenie-Band-Fan freudentaumelnd wirklich alles bis in den Himmel preisen würde. Dementsprechend gibt es beim ersten Anblick positive und negative Überraschungen. Positiv ist in jedem Fall das Aussehen, das die mir bisher bekannten Produktfotos aus dem Internet an Noblesse und Stil bei Weitem übertrifft.
Die mächtige Frontplatte glänzt samtig in einem äußerst dunklen, edlen Aubergine, das je nach Licht in tiefes Schwarz absinkt. Der drei Höheneinheiten messende S2 macht direkt deutlich, dass er zur gleichen gehobenen Klasse wie sein älterer Bruder S3 gehört und kein Produkt ist, welches einfach nachgeschoben wurde. Der dreibandige S3 und der Vollröhren-S2 haben in der Preisliste des Vertriebs exakt die gleiche Zahl in der Spalte mit dem “€”-Zeichen stehen – soviel zum Thema “kleiner” Bruder! Ich freue mich schon darauf, die Blitzanlage um den edlen Kunden herum aufzubauen. Die Freude auf den Fototermin wird jedoch etwas getrübt, als ich den Karton komplett entleere und neben obligatorischem Netzkabel und Handbuch etwas in der Hand halte, was mir schwanen lässt, dass es mit “mal eben Fotos machen und dann lecker kochen” wohl doch nichts wird: Es ist ein Tuch. Trotz peinlichster Gründlichkeit beim Shooting, die jede Fernsehwerbung-Hochglanz-Vorzeigemutter hätte blass aussehen lassen, verbringe ich fluchend einen ganzen Sommertag am Computerbildschirm, um die kleinen Staubkörnchen auf den Fotos des S2 mit einem Bildbearbeitungsprogramm zu entfernen. Die Oberfläche des Kompressors ist zwar wunderschön, zieht aber unter Nichtbeachtung jeglicher mir bekannter Zusammenhänge der Elektrostatik Staub an, wie sich sonst nur ein schwarzes Loch Sonnen, Planeten sowie deren mögliche Bewohner einverleibt. Der einzige Ort, in dem man dieses Gerät demnach aufstellen sollte, ist ein Reinraum der Klassen ISO 1 oder 2, in dem der Engineer das Gerät mit Handschuhen und einem aufgeblähten gelben Schutzanzug mit Riesenschnorchel bedient. Dann bleibt die Frontplatte sauber – sonst nicht! Naja, wer schön ist, verursacht Leid (so oder ähnlich lautet das Sprichwort doch, oder?).
Üblicherweise ist dies nicht Gegenstand eines Testberichts über ein 19″-Gerät, jedoch muss hier eine Ausnahme gemacht werden, weil der S2 nun mal eine solche Ausnahme darstellt: Das Gehäuse des Kompressors hat ein interessantes Profil, denn die Dicke verringert sich von der Front- zur Rückplatte! Schön, endlich kann ich über einem Gerät, das ordentlich Abwärme produziert, direkt ein weiteres im Rack positionieren, ohne einen Temperatur-GAU zu riskieren. Drawmer sind da in ihrem Handbuch leider etwas vorsichtiger – vielleicht mit Blick auf mögliche Regressansprüche von Kunden mit Rack-Kernschmelze: Sie empfehlen, bis zum nächsten tiefen Gerät eine Höheneinheit freizulassen oder einen Lüfter auf dem wunderbar abgeschrägten Gehäusedeckel zu befestigen (!?).
Zwischen den vielen Drehreglern und Kippschaltern des S2 schauen mich zwei große VU-Meter an, die sich zwar mit unterschiedlicher Empfindlichkeit betreiben und zu “Peak VU” umschalten lassen (bauartbedingt durch die zu bewegende Masse immer noch mit recht hoher Integrationszeit und unter Ignorierung schneller Anstiege), aber keine Gain-Reduction anzuzeigen vermögen. Dies erledigen die LED-Ketten aus je acht Segmenten. Der Stereo-Kompressor verteilt die Bedienelemente für beide Kanäle auf die linke und rechte Seite der Frontplatte, in der Mitte ist daher auch der Platz für den natürlich nur einmal vorhandenen Power-Schalter und den Kippschalter, der den rechten Kanal im Slave-Betrieb zum linken laufen lässt. Eine kleine LED gibt zudem Auskunft, wann das Gerät auf Betriebstemperatur ist. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass man wie bei einer guten Espressomaschine auch bei Röhrengeräten ungefähr eine halbe Stunde ins Land gehen lassen sollte, bis alles so richtig warm und vor allem konstant warm ist. Es gibt ja auch Studios, in denen (aus verschiedenen Gründen) die Geräte nie ausgeschaltet werden!
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Wer jetzt denkt “Ganz schön viele Knöppe für´n Kompressor!”, der liegt natürlich richtig. Der berühmte Teletronix LA-2A beispielsweise besitzt genau zwei Drehregler: Gain und Gain Reduction! Schaltbar sind zudem “Limit/Compress”, Meter-Umschaltung und Power. Der S2 schießt dagegen mit Parametern aus allen Rohren. Beides hat seine Vor- und Nachteile, es ist jedoch unbestreitbar, dass der Drawmer ein sehr flexibles Gerät ist, das auch einige sonstige Routings unnötig macht. Im oberen Bereich der Frontplatte befinden sich Parameter, ohne deren Kenntnis ein Kompressor bei jedem in falschen Händen ist: Threshold, Kompressionsverhältnis, Attack- und Release-Time. Um den Stereo-Link herum sind die beiden (Makeup-)Gains der Kanäle angeordnet, welche im Übrigen nicht gelinkt werden. Das findet man natürlich schnell heraus, zudem kann es dann und wann sinnvoll sein. Bei Software ist die “Parallel Compression” längst Usus, bei Hardwaregeräten gehört es zunehmend zum guten Ton, diese Möglichkeit fest zu verdrahten. Daher befinden sich in jedem Kanal neben dem zugehörigen Aktivierungsschalter Regler, die das unbearbeitete Signal zumischen können.
“V-Big” und “V-Air” gehören definitiv nicht zum tontechnischen Standardvokabular. Wie so oft verstecken sich hinter diesen nach neuer Technologie duftenden Bezeichnungen alte Bekannte. Ich glaube nicht, dass es den S2 auf irgendeine Weise entzaubert hätte, wenn man in seinem Heimatland England auf diese für meine Ohren etwas albernen Begriffe verzichtet hätte. Bentley nennen ihre Vergaser schließlich auch nur Vergaser (bzw. “carburettor”) und nicht etwa “N-1000XL magic device”. Des Rätsels Lösung erahnt der kundige Tontechniker aber auch, wenn er die Beschriftung der Bedienelemente studiert: “V-Big” ist ein Sidechain-EQ (Shelf), der das Steuersignal unterhalb von 250, 125 oder 75 Hz um bis zu 10 dB verstärkt oder abschwächt, “V-Air” ist ein Enhancer, der ab 500 Hz bis 12 kHz sein Werk tut. Dies ist sicher in vielen Produktions-Situationen sinnvoll, allerdings scheinen Drawmer derart von diesen Features überzeugt zu sein, dass sie dafür auf einen “normalen” Sidechain-Input verzichten.
Die symmetrischen Eingangssignale müssen ihre Eigenschaft nicht aufgeben, denn hinter den Übertragern geht es symmetrisch weiter durch das Vollröhrengerät und über einen Ausgangsübertragern an den symmetrischen XLR-Ausgang. Der Drawmer S2 verfügt über einen “Hard-Bypass”, schleift demnach das Signal auch im ausgeschalteten Zustand durch.