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VSL Vienna Imperial Test

Praxis

Ich muss gestehen, dass ich zunächst ein ziemlich kritisches Bild vom Vienna Imperial gewonnen hatte. So muss man auf der Webseite der Vienna Symphonic Library schon ganz genau wissen, was man denn eigentlich will oder was man hat. Auf der Einstiegsseite wählt man seine Sprache aus – in meinem Fall Deutsch – um dann prompt auf einer englischen Seite zu landen. Aber egal. Was gibt’s denn so an products? Oha, jetzt wieder deutsch. Also, was habe ich: ein virtuelles Vienna Instrument? Oder eine DVD-Collection? Oder ein Download-Instrument? Und was ist ein „ViennaKey“?
Ich wähle „Vienna Instrument“, weil es auf der Packung steht. Daraufhin werde ich informiert, dass es drei Kategorien von Vienna Instruments gibt, nämlich die DVD Collections, die Special Editions und die Einzelinstrument-Downloads. Ein Klick auf die DVD-Collection erklärt mir, dass es die nur für Strings, Winds und Percussion & Keyboards gibt. Die Special Editions haben dafür aber jetzt eine Extraseite. Ein weiterer Klick, und dann noch einer, und endlich bin ich auf der Seite meines Instrumentes.
Lange Rede kurzer Sinn: Auch andere Navigieroptionen erweisen sich als sehr aufwendig und mühsam und führen nicht immer zu den gewünschten Resultaten.

So ist es auch fast schon nicht mehr überraschend, dass sich auch das Installieren eines Instrumentes nicht gerade als Kindergeburtstag erweist, sondern mit genau so weitläufigen und zum Teil verwirrenden Exkursionen durch die Website vonstattengeht.

Hat man schließlich insgesamt fünf Programme installiert, muss man naturgemäß ziemlich lange warten, bis die sechs DVD starke Sample-Library auf den Computer gezogen ist. 50 GB sind kein Pappenstiel! Beim ersten Programmstart findet das Programm auch die installierten Samples nicht – sie müssen von Hand zugewiesen werden. Das Einlesen geht dann allerdings recht flott von der Hand, aber klar ist, dass es nicht wie ein Programmwechsel bei einem Synth funktioniert.

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Mikrofone dicht an den Saiten Mikrofonierung aus kleiner Entfernung Aus Spielerpostion

Endlich kann man spielen und siehe da: Der Bösendorfer schmeichelt den Ohren und es drängt sich der Eindruck auf, dass man jetzt zum Ausgleich für die ganzen Unannehmlichkeiten eine extragroße Portion Sahne bekommt. 69.633 Samples sind nicht übertrieben, denn man kann es hören. Man kann hören, dass jeder Anschlag ein bisschen unterschiedlich ist, jeweils ein anderes Sample triggert und es so für das Ohr nicht „langweilig“ wird. Wenn, wie oben gesagt, ein Pianist ungefähr 20 Lautstärken spielen kann, dann gibt es bei 100 verschiedenen gesampelten Lautstärken etwas wie eine Unschärfe von fünf Samples – man weiß nie, welches kommt, und so hört sich jeder Anschlag anders an. Der Klang ist ausgesprochen warm, wie man es bei einem Bösendorfer erwartet. Bei der Einspielung der Samples wurde wirklich ausgesprochen sorgfältig gearbeitet! Im Player oben zu hören: drei unterschiedlichen Aufnahmepositionen (ohne Hall)

Und jetzt mal Klartext: Der Vienna Imperial ist dichter an einem Flügel dran als alles, was ich bisher gehört habe!

Audio Samples
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Debussy mit dem Vienna Imperial Schumann auf einem Bösendorfer Imperial

Seit Jahrzehnten erzählt uns die Werbung, wir hätten es geschafft und es gäbe keinen Unterschied mehr. Als Pianist tun mir solche Aussagen immer ein wenig weh, aber wenn ich dann die so angepriesenen Softwarepianos höre, bin ich immer erleichtert. Denn wirklich überzeugt hat mich bisher keines. Wenn ich mir aber die Debussy-Aufnahme des Vienna Imperial und die Schumann-Aufnahme auf einem „echten“ Bösendorfer Imperial anhöre – gespielt von mir selbst – dann kann jeder selbst herausfinden, ob noch ein Unterschied zu hören ist.

Das Ergebnis überzeugt mich sehr! Nichtsdestotrotz sollten wir uns das noch etwas genauer zu Gemüte führen. Hier im Blindtest das Thema aus Schumanns Klavierkonzert auf den beiden Instrumenten.

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Schumann Klavierkonzert Bsp. 1 Schumann Klavierkonzert Bsp. 2

Erkannt?

Beispiel 1 ist eine Konzertaufnahme mit dem “echten Flügel”, Beispiel 2 habe ich mit dem VSL Vienna Imperial aufgeneommen. Beim Vienna Imperial stört mich eigentlich nur die dichte Hallfahne nach jedem Anschlag. Natürlich hört es sich auch nicht genau gleich an, schließlich hat Vienna Symphonic Library ein anderes Instrument gesampelt als das, auf dem ich gespielt habe.

3 Positionen
Die Vienna Imperial bietet drei verschiedene Sample-Sets an: nah (close), Spieler (player) und fern (distant). In der Mikrofonposition „close“ sind die Mikrofone sehr dicht an den Saiten platziert worden, bei „fern“ etwas weiter entfernt, weshalb sie räumlicher klingen. Denn auch ein schalltoter Raum klingt unterschiedlich, je nachdem, wo man das Mikrofon platziert, und „player“ bedeutet schließlich, dass die Mikrofone dort platziert wurden, wo der Klavierspieler sitzt. Wenn ich das richtig höre, dann mit abgenommenem Notenpult, der Klang ist nämlich sehr direkt. Wenn ich mein Leben lang so geübt hätte, wäre ich jetzt wahrscheinlich taub

Die Einstiegsseite mit den drei Mikrofonpositionen
Die Einstiegsseite mit den drei Mikrofonpositionen
Audio Samples
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Das „Ballad“-Preset Der „große Saal“

Jede der drei Aufnahmepositionen hat weitere Samples zu bieten, die für die Echtheit der Simulation wichtig sind. Zum einen die Samples für das Ausklingen der Saite, zum anderen die Samples für das Una Corda-Pedal. Dabei handelt es sich um das linke Pedal, das bei einem Flügel die ganze Mechanik etwas nach links schiebt, damit die Hämmer nicht mehr alle Saiten spielen und somit einen leiseren und etwas anders gefärbten Anschlag erzwingen. Wer einen weniger leistungsfähigen Computer hat, der kann hier weniger Samples in den Speicher laden, um Rechenpower zu sparen. Wenn irgend möglich sollten die Release-Samples allerdings dabeibleiben, denn man darf sich den Vienna Imperial nicht als One-Shot-Sample-Player mit 100 Layern vorstellen, der je nach Anschlag eben eines der Samples abfeuert. Im Gegenteil, hier werden in Echtzeit alle Parameter des Anschlags ausgewertet und ein Klang dann aus verschiedenen Samples zusammengesetzt. Das ohne akustische Artefakte hinzubekommen, ist schon eine großartige Leistung.

Systemvoraussetzungen
Apropos Leistung: Wer sich gut 20.000 Samples pro Mikrofonposition mit Faltungshall und Saitenresonanz bei einer spielbaren Latenz in den Computer laden will, braucht eine professionelle Ausstattung. Die drei GB Arbeitsspeicher als Mindestanforderung sind durchaus ernst zu nehmen und garantieren noch nicht, dass alles wie am Schnürchen läuft. Zwei Instanzen des Vienna Imperial benötigen ohnehin 64-bit-Maschinen. Außerdem muss gewährleistet sein, dass von den drei GB auch tatsächlich 1,5 GB frei sind. Bei 32-bittigen Windows-Rechnern, die ohnehin nur auf etwa 3,5 GB RAM zugreifen können, wird es dann langsam knapp. Mein Testrechner mit Windows 7 RC 1 32-bit, 1,66 Hz Intel Core Duo, vier GB installiertem RAM und Terratec Phase24 FW – Audiointerface fand das alles ganz schön anstrengend und erreichte keine livetaugliche Latenz. Wie sehr sich das auf einer genuinen Windows 7 ändern wird, darüber halten wir euch auf dem Laufenden. Aber wie gesagt: Man muss ja nicht alle Samples laden, und Hall und Saitenresonanz lassen sich abstellen. Und man kann die Latenz hochschrauben, wenn man nicht gerade live spielen will. Auch die Polyphonie lässt sich von maximal 384 auf 40 Stimmen herunterregeln.
Vienna Symphony Library ist sich der hohen Anforderungen bewusst und hat deshalb noch eine weitere Möglichkeit eingebaut, mit der Rechenleistung gespart wird: Mithilfe einer Lernfunktion kann man dem Programm „beibringen“, welche Töne man im nächsten Stück zu spielen gedenkt. Daraufhin werden dann nur die benötigten Samples geladen, was ebenfalls eine große Entlastung sein kann.

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Die imperialen Basstöne

Masterkeyboard
Wer den Vienna Imperial mit einem Masterkeyboard spielen möchte, das eventuell weniger als 88 Tasten hat – wer also keinen Bösendorfer Imperial mit CEUS in seinem Wohnzimmer stehen hat – der kann die Extratasten mit einer Oktavierungsfunktion erreichen. Schade nur, dass die Tastatur der Software die Oktavierung nicht mitmacht und in der gleichen Oktave bleibt, obwohl real eine Oktave tiefer gespielt wird. Auch die bekannte Transpositions-Funktion ist vorhanden. Außerdem lässt sich die MIDI-Sensitivity einstellen, mit der man sein Masterkeyboard an den Vienna Imperial angleichen kann. Ich konnte mit der normalen MIDI-Sensitivity-Einstellung auf meinem Masterkeyboard die Taste übrigens so langsam drücken, wie ich wollte – übrigens ein sehr meditativer Moment – aber es kam immer ein Ton heraus. Offensichtlich reagiert der Vienna Imperial erheblich sensibler als mein E-Piano.

Der „Advance View“ mit den weiteren Einstellungen
Der „Advance View“ mit den weiteren Einstellungen

Effekte
An Effekten werden ein Dreiband-Equalizer und ein Faltungshall angeboten, der sich an den drei Sälen des Wiener Konzerthauses orientiert. Der große Saal des Wiener Konzerthauses hat eine ganz wunderbare Akustik und ist Vorbild für viele Konzertsäle der Welt. Nun ist die Akustik eines Konzertraumes nicht allein vom Hallverhalten abhängig, sondern zum Beispiel auch von der Bodenbeschaffenheit der Bühne, auf der die Instrumente stehen. Aber als Anhaltspunkt kann es vielleicht dienen. Man hat also die Auswahl zwischen dem Großen, dem Mozart- und dem Neuen Saal, wobei man den Anteil des Halls (wet/dry) mit einem weiteren Regler einstellen kann. Der Hallalgorithmus selbst ist gut, aber man muss sensibel damit umgehen, damit der Klavierklang dadurch nicht zu sehr verfälscht wird.

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Ausklang eines Basstons

Schließlich kann die Saitenresonanz eingestellt werden. Eine schwingende Saite kann ihre Energie auf andere Saiten übertragen, das heißt, diese schwingen ohne Anschlag leise mit. Das ist in der Realität eine der schönsten Eigenschaften eines Flügels und der Vienna Imperial zeigt hier unterschiedliche Ergebnisse. Hält man beispielsweise eine Taste gedrückt und schlägt eine Oktave darunter markant an, sollte der Ton der stumm gedrückten Taste mitklingen, weil sich die Energie der Oktave auf die Saiten überträgt. Das macht der Vienna Imperial zwar auch, aber viel zu leise. Hier muss tatsächlich ein Ton zwischen piano und mezzoforte zu hören sein, beim Vienna Imperial ist das im pianississimo-Bereich. Aber beim Ausklang eines Basstons ist die Resonanz sehr präsent. Hört man den Basston einmal ohne und dann mit Resonanz, dann erschließt sich ganz deutlich, wie sich langsam die Obertöne herauskristallisieren.

Aber auch hier gilt, dass größere Genauigkeit mit größerer Rechenleistung bezahlt werden muss, denn wer Saitenresonanz will, muss wieder erheblich mehr Samples in den Speicher laden.
Und noch etwas: Der Basston eines großen Flügels ist locker zwei Minuten lang zu hören. Das habe ich bislang noch von keinem virtuellen Flügel gehört, denn da wird der Basston zeitlich spätestens bei 25-30 Sekunden „gedeckelt“.

Zu guter Letzt kann man das Pedalgeräusch (hörbar am Ende des Basston-Beispiels), die Stereobandbreite und die Stimmung von 436 bis 444.99 Hz einstellen.

Stand Alone
Das Interface der Stand-Alone-Version ist mit zwei Fenstern denkbar schlicht und formschön gehalten. Standards wie MIDI-Player bleiben bei so viel Übersichtlichkeit allerdings außen vor. Die Box enthält sechs DVDs für die Samples, eine CD-Rom für die Programme und einen englischsprachigen Quick Guide. Die 16-seitige Anleitung liegt leider nur als PDF auf der CD-ROM vor, ist gut geschrieben und muss aufgrund der wenigen Parameter auch nicht länger sein. Pianisten, die vorher noch nie etwas mit Synthesizern zu tun hatten, werden sich allerdings von Dynamic Range, Piano-Velocities und Compressor-Funktion etwas erschlagen fühlen. Liebe Pianisten und Pianistinnen, mit Piano-Velocity wird bezeichnet, wie laut sie anschlagen. Das hat nichts damit zu tun, wie schnell sie im piano spielen können!

Der Bösendorfer Imperial 290 im Studio
Der Bösendorfer Imperial 290 im Studio
Kommentieren
Profilbild von medardo

medardo sagt:

#1 - 01.09.2011 um 17:03 Uhr

0

Hej, Du Fachmann, Du meinst da wohl die Wiener PHILHARMOniker...

Profilbild von Sebastian Berweck

Sebastian Berweck sagt:

#2 - 28.07.2014 um 18:04 Uhr

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Ja, ok, ich habe eigentlich die Wiener Philharmoniker gemeint. Aber die Wiener Symphoniker gibt es auch und gehören mit Chefdirigenten wie Furtwängler, Karajan, Sawallisch, Giulini auch nicht gerade zu den kleinen. Bei den Berliner Orchestern ist das Chaos ja leider auch nicht kleiner.

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