Auf manche Fragen gibt es keine allgemein gültige oder einfachen Antwort. „Wann ist ein Mix eigentlich fertig?“ gehört zweifellos dazu.
Wozu soll dann bitte ein entsprechender Workshop gut sein? Jedenfalls geht es ausnahmsweise einmal nicht darum, welche speziellen Skills, Workflows oder Tools zum perfekten Mix führen – sofern es den überhaupt gibt. Eher geht es um die Fähigkeit zur nicht immer einfachen Beurteilung, ob die 8, 24 oder 139 Spuren, die gerade im Stereomix zu hören sind, noch grottenschlecht, nach ambitionierter Regionalliga oder vielleicht bereits richtig chefmäßig klingen.
Eines der Kernprobleme ist beispielsweise die Gefahr, dass einem diese Urteilsfähigkeit abhanden kommt, je länger und intensiver man sich mit einem Mix oder einer Produktion auseinandersetzt. Selbst erfahrenen Engineers geht es so. Welchen Gefahren man sich als Mixer sonst noch aussetzt und welche Gegenmaßnahmen hilfreich sein könnten: Darum geht es in diesem Workshop!
Tipps zu allgemeinen Mixing-Skills möchten wir euch dennoch nicht vorenthalten. Unsere 11 Mixing Tutorials Crashkurs Mixing thematisieren zielführende Arbeitsschritte aus dem eher technischen Blickwinkel. Weitere Tipps zur Mix-Analyse und Beurteilung findet ihr im Workshop Nach diesen Kriterien beurteilst du (d)einen Mix meines Kollegen Nick Mavridis.
Mix – eine Definition
Was bedeutet „Mischen“ heutzutage überhaupt? Diese Frage erscheint zunächst simpel, allerdings kann sich die Bandbreite der Bearbeitungsmaßnahmen, die im DAW-Zeitalter der Mischtätigkeit zugerechnet werden, im Einzelfall stark unterscheiden.
Traditionelles/klassisches Mixing
In einer klassischen Mixdown-Situation stehen dem Engineer verschiedene Spuren (z.B. Drums, Bass, Piano, mehrere Gitarren- und Gesangsspuren) zur Verfügung, die mit einem Mischpult und Effektgeräten, heutzutage meistens in Form einer DAW, zu einer Stereospur gemischt werden. Gängige Werkzeuge zur technischen und kreativen Klanggestaltung sind Dynamikprozessoren (Kompressor, Gate, Expander), Equalizer, Hall-, Delay- und Modulationseffekte sowie der Einsatz einer Mischpultautomation für dynamische Verläufe, zum Beispiel zur Veränderung der Lautstärke einer Spur oder Sub-Gruppe in verschiedenen Songabschnitten.
(Re-)Mixing
Schon klar: Das Thema dieses Workshops heißt nicht „Wann ist ein Remix eigentlich fertig?“. Allerdings sind Remix-Techniken im Zeitalter der DAWs nicht ungewöhnlich im Misch-Prozess. „Soll ich mir an der Snaredrum noch zwei Stunden die Finger blutig schrauben oder einfach durch ein besser funktionierendes Sample ersetzen?“ wäre ein typisches Beispiel. Wo die Grenzen des Austauschen, Doppelns oder gar Hinzufügens weiterer Elemente/Instrumente im Arrangement gesetzt werden, ist je nach Auftraggeber oder Team-Konstellation unterschiedlich. Nicht selten ist der Übergang vom Mischen zum (Co-)Produzieren fließend und im Extremfall mischt man bereits, bevor der eigentliche Song fertig ist… wie war das noch gleich mit der Henne und dem Ei?
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Summenbearbeitung?
Grundsätzlich zählen Bearbeitungen der Stereosumme zum finalen Masteringprozess. Hier werden neben Dynamikbearbeitungen noch letzte Frequenzkorrekturen und Optimierungen des Stereobilds vorgenommen, damit der Song bzw. das Album im Idealfall auf allen Abspielmedien gleichermaßen gut klingt. Dennoch ist es in weiten Kreisen unüblich, die Summenbearbeitung vom Mix-Prozess entkoppelt zu betrachten, wobei die Intensität des Processings wieder einmal variabel ist. Vom simplen Bus-Kompressor, der bereits lange vor der DAW-Ära beim Ausspielen des Mixes für den speziellen „Glue“ gesorgt hat, bis hin zu sehr intensiven und stilprägenden Eingriffen mithilfe langer Plug-in-Ketten, die anhand von Einzelspurbearbeitungen kaum machbar sind. Sämtliche Spielarten sind möglich! Somit greift man dem klangbeeinflussenden Mastering bereits während des Mischens vor, aber warum macht man so etwas? Zum einen sind potentielle Abnehmer/Auftraggeber (Plattenfirma, Produzent, Band) an den Sound fertiger Produktionen gewöhnt, sodass ein „unfertiges“ Klangbild selbst im Demo-Stadium ein häufiges No-Go ist. Andererseits eifert man vielleicht selbst dem Referenz-Sound seiner Lieblingskünstler nach und ein Vergleich ohne entsprechende Summenbearbeitung ist in den meisten Fällen sehr ernüchternd und selten zielführend. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im Bereich der Musikproduktion eine gewisse Prise Summenbearbeitung für viele Engineers zum Mischen einfach dazugehört!
Technik: Fluch und Segen zugleich!
Das „Tal der Optionen“ ist ein treffender Begriff, den ich vor einigen Jahren in einem Produzenten-Interview gelesen habe. Prinzipiell geht es darum, dass es in der zeitgenössischen DAW-Kultur eigentlich keine Limits mehr gibt. Selbst die Grundausstattung preiswerter DAW-Hostprogramme ermöglichen die Realisierung einer hohen Produktionsqualität ohne kreative Einschränkungen. Damit sind heute „amtliche“ Musikproduktion keiner privilegierten Gruppe mehr vorbehalten. Und das ist auch gut so! Die verfügbaren Möglichkeiten sind immens, können im Mixdown aber durchaus auch verwirrend sein. Welchen meiner 100 Hall-Effekte, EQs oder Kompressoren verwende ich auf meinen Drums, Gesangsspuren oder Gitarren? Soll es eher „vintage“ oder modern klingen? Verlangt es der Song, dass ich das Tempo vielleicht um 2 BPM erhöhe und habe ich die optimale Amp-Emulation auf dem Gitarren-Solo? Wo man früher die tendenziell eher enge Auswahl der zur Verfügung stehenden Tools zielgerichtet eingesetzt hat, stellt man plötzlich vieles in Frage und droht sich dadurch zu verzetteln! In der heutigen Zeit ist es eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Oder überhaupt welche! Aber was hilft dabei? Eine konkrete „Vision“ oder stilistische Vorgaben des Künstlers, Produzenten oder der Plattenfirma können jedenfalls nicht schaden und sofern sich darüber hinaus stilbildende, kreative Optionen herauskristallisieren, ist es ratsam sich ein zweite (oder dritte) Meinung der beteiligten Parteien einzuholen.
Definitiv ein Segen ist aber die Total Recall-Möglichkeit zeitgenössischer DAW-Produktionen, die binnen Sekunden das Öffnen eines Mix-Projekts erlaubt, wogegen früher in analoger Tonstudiotechnik ein zeitraubender, manueller Recall der Hardware notwendig war. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um den nötigen Abstand (siehe Punkt 5) zu gewinnen und vielleicht zwischendurch an einem anderen Projekt zu arbeiten.
„Verschlimmbessern“ vs. Ecken und Kanten
Je häufiger man einen Song während des Mixdowns hört, umso sensibler reagiert man auf kleinste Abweichungen von einer gewissen „Ideallinie“. Dies können Tonalitäten, Lautstärken, Timing-Offsets als auch sonstige hervorstechende Merkmale/Ereignisse im Mix sein. Die bereits erwähnten unendlichen (DAW-)Möglichkeiten zur Korrektur der „Missstände“ veranlassen den Mix-Engineer möglicherweise zu übertriebenen Korrektur- und Glättungsmaßnahmen, bei denen man Gefahr läuft, der Produktion jeglichen Charakter zu rauben. Ich habe es nicht selten erlebt, dass ich bei Produktionskollaborationen rohe und beneidenswerte Rough-Mixes von Kollegen gehört habe, die nach einer Stunde „Arbeit“ auf einmal steril und langweilig klangen – wobei ich nicht ausschließen möchte, dass es umgekehrt möglicherweise ähnliche Erfahrungen oder Beurteilungen gab. Aber welchen Tipp kann man hierzu geben? Vielleicht diesen hier: Lasst gewisse „Ausbrecher“ im prinzipiell angestrebten homogenen Klanggeschehen zu. Hört euch subjektive Referenzproduktionen anderer Künstler/Produzenten/Mixer an und analysiert kritisch, welche Elemente oder Parameter (Timing, Tuning, Lautstärken, Frequenzen) hervorstechen, die ihr vielleicht geglättet hättet. Lasst solche Charaktermerkmale zu und macht den Bug vielleicht sogar zum Feature!
Deadlines: ebenfalls Fluch und Segen
Manchmal ist die titelgebende Frage dieses Workshops aber auch sehr einfach zu beantworten. Sofern es bereits konkrete Veröffentlichungstermine gibt, beispielsweise seitens einer Plattenfirma, und das Presswerk schon gebucht ist, steht ebenfalls das Datum der letztmöglichen Fertigstellung eines Mixes auf Monate, Wochen oder Tage fest. Dies kann, abhängig von der zur Verfügung stehenden Zeit, sowohl gut als auch schlecht sein. Gut, weil die Gefahr sich zu verzetteln aufgrund der teilweise abenteuerlichen Zeitplanungen gar nicht erst besteht. Schlecht, weil die Zeit für eine ordentliche Produktion (von irgendwelchen Schreibtischtätern) schlicht und einfach zu knapp kalkuliert wurde. Hieraus lassen sich leider keine methodischen Tipps ableiten, sondern es gleicht manchmal einem Glücksspiel, dessen Resultat, teilweise ungeachtet der Professionalität und Erfahrung des Mix Engineers, unvorhersehbar ist. Zwischen „Ach Mensch, hat ja doch noch ganz gut geklappt.“ bis „“as habe ich da bloß mit der Bassdrum gemacht? Mit etwas Abstand wäre das bestimmt ein cooler Mix geworden!“ ist alles möglich.
Das zweite Ohr (…und der notwendige Abstand)
25, 200 oder gar 1000 mal? Nachträglich lässt sich kaum nachvollziehen, wie oft man einen Song oder Abschnitte davon im Verlauf des Mixdowns gehört hat. Das häufige Ergebnis hiervon ist, dass die (eventuell vorhandene) anfängliche Magie verflogen ist und allenfalls noch letzte Überreste der allgemeine Beurteilungsfähigkeit vorhanden sind. Gar nicht so selten verliert man sich in unwichtigen Details und man verliert den Blick für das große Ganze. Um nun nicht auf ganzer Linie zu verlieren, helfen zwei Dinge: Abstand und Personen, die genügend Abstand zum Projekt besitzen und deren objektive Kritik unbedingt zu beachten ist!
Erst einmal zum eigenen Abstand zum Produkt: Sofern der Zeitplan es zulässt, ist es immer sinnvoll, zwischendurch mal „den Stecker zu ziehen“ und die Mixbearbeitung für ein paar Stunden, eine Nacht oder vielleicht sogar für ein paar Tage ruhen zu lassen. Der Total Recall von DAWs macht dies problemlos möglich. Es geht hierbei nicht nur um die Gehörermüdung, sondern in erster Linie darum, dass man sich selbst zwischendurch einfach mal „resetten“ muss. Und siehe da: Am nächsten Morgen ist es häufig viel einfacher zu beurteilen, welche Mix-Parameter wider erwartend eigentlich doch schon ganz gut gelungen sind und in welchen Spuren oder Songteilen noch der Hammer angesetzt werden muss. Genauso wichtig: Der regelmäßige Vergleich zu artverwandten Referenzproduktionen „schärft die Sinne“ und legt potenzielle Defizite im eigenen Mix meist schonungslos offen!
Das „zweite Ohr“, also die Mixbeurteilung Dritter, erfüllt grundsätzlich den gleichen Zweck und das häufig sogar noch viel besser, weil jeder Zuhörer seine individuelle Betrachtungsweise in die Beurteilung einbringt. Analog zu Umfragen oder der Marktforschung kann man aus diesen Meinungen wichtige Erkenntnisse zum Finalisieren des Mixes ziehen. Allerdings führen diese Meinungen nicht immer zu einem demokratischen Resultat, sondern sind je nach Position in der Nahrungskette zu bewerten. Wenn beispielsweise der Produzent oder Plattenboss die Oboe bei 1.45 min 3 dB lauter hören möchte, dann soll er das auch bekommen, schließlich ist der Kunde König! In vielen Fällen ist die Meinung Dritter ein Impuls zu wichtigen Änderungen oder Entscheidungen, die den häufig mühseligen Weg zum finalen Mix beschleunigen. Bei wichtigen und/oder komplexen Produktionen werden sogar vereinzelt Hör-Meetings mit verschiedenen Personen durchgeführt, in denen die Verbesserungswünsche und Vorschläge akribisch protokolliert werden.
Mastering
Selbst wenn dem Summensignal bereits komplexe Bearbeitungen widerfahren sind, die im klassischen Sinne zur Aufgabe eines Mastering Engineers zählen, erfolgen häufig zumindest abschließende Korrekturen in einem Mastering Studio. Der besondere Wert des Mastering Engineers besteht darin, dass er zusätzlich zu seinen professionellen Fähigkeiten den Song/Mix vollkommen „jungfräulich“ und unvoreingenommen hört – somit ist er quasi der Superheld des objektiven Hörens und erkennt meist unmittelbar, welche Maßnahmen zu ergreifen sind! Mir bekannte Mastering-Dienstleister bieten die Möglichkeit an, den Mix vorab schon einmal zur Begutachtung hochzuladen, und gegebenenfalls wertvolle Empfehlungen zur Mixkorrektur (inklusive Änderungen der Summenbearbeitung) zu geben, damit das Mastering zu einem optimalen Ergebnis führt.
Fazit
Der Mixdown: Festplatten-Leichen von unzähligen Versionen pflastern häufig seinen Weg! Wie ihr seht, gibt es eine Vielzahl von Gründen, die dazu führen können, dass ein Mixdown im Extremfall zu einer unendlichen Sisyphusarbeit ausartet. Die möglichen Gegenmaßnahmen versuche ich abschließend zu einer Art Spickzettel oder „reimlose Bauernregeln“ zusammenzufassen.
- Verzettelt euch nicht!
Das zunächst verlockende Überangebot an Plug-ins und Effekten vieler DAWs ist eine potenzielle Gefahr, die zur Orientierungslosigkeit führen kann. Eine konkrete Sound-Vorstellung vor dem Beginn des Mixdowns kann hilfreich sein, um die zur Verfügung stehenden Tools effizient und zielgerichtet einzusetzen! - Verliert nicht den Blick auf das große Ganze!
Auch bei der Fokussierung auf bestimmte Songabschnitte oder Einzelelemente ist es wichtig und hilfreich, den Song immer mal wieder im Gesamtkontext zu hören, um potenzielle Fehler zu vermeiden. - Bewahrt eure Objektivität …
… jedenfalls soweit dies möglich ist. Abstand durch Hörpausen sowie das Einbeziehen der Meinung Dritter ist das A und O für einen gelungenen Mixdown und ein wirkungsvolles Mittel gegen Mischfehler und ein von Zweifeln induziertes „Rumschrauben“! Vergleicht euren Mix mit Referenzproduktionen! - Lasst Charakter zu!
Zugegeben: Der Sweet Spot zwischen Charakter und Mix- oder Produktionsfehler kann schmal sein. Je tiefer man in einer Produktion steckt, umso eher ist man aber geneigt, diesbezüglich etwas übereifrig zu agieren. Fragt euch, ob die Verbesserungsmaßnahme, die euch gerade durch den Kopf schwirrt, die Produktion wirklich verbessert oder vielleicht eher zur Kategorie „Verschlimmbessern“ gehört.
Joern sagt:
#1 - 25.02.2021 um 07:10 Uhr
Zu diesem Thema kann ich auch Kush after Hours empfehlen. https://youtu.be/oOowjr8XVOo
Meiner Meinung nach bringt er es in seinen Videos einfach immer auf den Punkt.