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Was denken Sänger/innen übers Vocal Recording?

Das Vocal Recording ist für Sänger/innen oft ein sehr persönlicher, emotionaler Akt, bei dem viele Faktoren eine Rolle spielen. Gleichzeitig steht und fällt die Qualität einer Produktion oft mit der Vocal Performance. In einem anderen Artikel haben wir bereits beleuchtet, mit welchen Methoden Produzent/innen eine solche Session angehen. Was aber denken Sänger/innen übers Vocal Recording?

(Teaserfoto: Shutterstock, Foto von Kristina Kokhanova)
(Teaserfoto: Shutterstock, Foto von Kristina Kokhanova)
Inhalte
  1. Die wichtigsten Workflow-Guides: Song und Genre
  2. Vorgehensweise: Ganze Takes oder Stück für Stück?
  3. Home Recording oder Tonstudio?
  4. Mindset und Tagesform
  5. Demo Vocals vs. Final Vocals
  6. Under Pressure
  7. Fazit


Wie fühlt es sich an, hinter dem Mikrofon zu stehen und “abliefern” zu müssen? Welche Mittel und Wege haben Sänger/innen, um das bestmögliche Ergebnis zu erhalten? Welche Faktoren sind ihnen besonders wichtig? Gibt es den einen, richtigen Workflow? Um dies herauszufinden, habe ich einige Autor/innen der Bonedo Vocals Redaktion und andere erfahrene Sänger/innen verschiedenster Genres gefragt, wie und unter welchen technischen und emotionalen Gegebenheiten sie am liebsten Gesang aufnehmen.

Die wichtigsten Workflow-Guides: Song und Genre

Generell lässt sich sagen: Mit welcher Methode die Vocals aufgenommen werden, hängt stark vom jeweiligen Song und Genre ab. Meist sagt uns bereits der Charakter eines Liedes, ob beispielsweise viel Gesangstechnik verlangt wird oder die Emotionen wichtiger als Perfektion sind. Die Herangehensweise ans Vocal Recording variiert außerdem in Abhängigkeit vom jeweiligen Genre, wie mir Sänger/innen erklären. Einen entspannten Jazz-Track geht man im Studio logischerweise anders an als einen energetischen Rock-Song. Hinzu kommt außerdem der Anlass, zu dem eingesungen wird: Bei einem reinen Auftragsjob greifen andere Faktoren als beim Einsingen der eigenen Songs. Dennoch gibt es einige Aspekte des Vocal Recordings, die für alle Genres gleichermaßen gelten.

Vorgehensweise: Ganze Takes oder Stück für Stück?

Geht es an das Einsingen eines Songs, stehen verschiedene Vorgehensweisen zur Wahl: Es können beispielsweise ganze Takes aufgenommen werden, also Aufnahme, die in einem Stück durchgesungen werden. “Innerhalb der Songs gibt es ja oft einen Spannungsbogen oder erzählerische Zusammenhänge und somit auch eine dynamische Entwicklung”, meint die Sängerin Elin Bell, die als studierte Jazz-Sängerin sowohl im Pop- als auch im Jazz-Bereich unterwegs ist. Um diesen Spannungsbogen einzufangen und eine Geschichte zu erzählen, empfehlen sich oft ganze Takes, aus denen dann hinterher im Editing die besten Passagen ausgewählt werden.
Gerade im Jazz-Bereich, der durch seinen improvisatorischen Charakter stark von Momentaufnahmen lebt, ist dieser Ansatz meist das Mittel der Wahl. Die Jazz-Sängerin Ulita Knaus macht daher anfangs immer ganze Takes “um den Gesamtflow zu spüren. Meistens gibt es davon schon viele brauchbare Parts”. Lässt sich der Song erzählerisch und dramaturgisch gut in einzelne Abschnitte aufteilen, ist es mitunter sinnvoll, sich zunächst nur um eine Strophe zu kümmern und dann zum nächsten Part zu springen.
Das ist im (Elektro-)Pop nicht ungewöhnlich und beispielsweise im “Hard & Heavy”-Bereich oft die bevorzugte Methode, wie Sängerin und Vocal-Coach Sabine Dittrich meint: “Bei vielen Passagen, die gut nach vorne gehen, bevorzuge ich im Studio Part für Part. Gerade wenn ich möchte, dass darin stimmliche Effekte gut zum Tragen kommen oder es viele unterschiedliche Energie-Level in einem Song gibt. Wenn beispielsweise Shouts aufgenommen werden, wird sogar häufig Zeile für Zeile gearbeitet.”
Für Leon Kaack, unter anderem Sänger der Rock-Band KAAK, funktioniert das separate Aufnehmen mehrerer Sequenzen gut. “Ich kann mich dann innerhalb mehrerer Takes ganz gut in die jeweiligen technischen und emotionalen Feinheiten eines Parts reinfühlen, bis er wirklich so herauskommt, dass ich beim Singen merke, die Emotion auf den Punkt getroffen zu haben.” Je nach Genre sind also verschiedene Herangehensweisen sinnvoll, um dem Song gerecht zu werden. Es ist aber auch keineswegs verboten, die verschiedenen Methoden zu kombinieren. Im Gegenteil, die meisten der befragten Vokalist/innen wählen diesen Weg. So werden zunächst ganze Takes aufgenommen, um in die Stimmung zu kommen. Tauchen dabei heikle Stellen oder ganze Parts auf, die eine besondere Technik verlangen, werden diese separat erarbeitet. “Was mir nicht gefällt, bessere ich dann aus”, meint Ulita Knaus.

Ulita Knaus (Foto von Tupac Mantilla)
Ulita Knaus (Foto von Tupac Mantilla)

Home Recording oder Tonstudio?

In Zeiten von erschwinglichen, mobilen Recording-Setups ist es mittlerweile Gang und Gäbe, dass Vocals auch gern mal im heimischen Wohnzimmer oder sogar im Hotel aufgenommen werden, wenn gerade kein Geld oder keine Zeit für einen Studio-Besuch übrig sind. Für Catharina Boutari, Sängerin im Pop/Rock-Bereich, muss es nicht zwingend ein Tonstudio sein: “Die Atmosphäre muss stimmen. Ich muss mich aufgehoben und unbewertet fühlen. Und ich darf nicht das Gefühl haben, abliefern zu müssen. Wenn der Sound, die Temperatur und die Stimmung passen, geht alles.” Elin Bell hingegen hilft die professionelle Umgebung eines Studios dabei, sich zu konzentrieren.
Ob nun zu Hause oder im Tonstudio: Besonders wichtig ist allen befragten Sänger/innen die Arbeit mit einem Gegenüber, der Produzentin oder dem Toningenieur. Als Feedback-Geber, Techniker und Ruhepol geben diese Menschen Sänger/innen das Gefühl, gut aufgehoben zu sein und tragen so wesentlich zu einer erfolgreichen Vocal Session bei. Leon Kaack ist sich sicher: “Erst beim Recording mit dem Feedback des Produzenten kann ich wirklich die letzten und sehr entscheidenden 10 Prozent aus einem Song herausarbeiten. Allein Gesang aufzunehmen ist für mich die Hölle! Gleichzeitig kreativ und emotional zu sein und das Ergebnis dann nüchtern zu beurteilen, fällt mir sehr schwer.”
Sabine Dittrich betont außerdem den technischen Aspekt. Im Studio habe man Zugang zu unterschiedlichen Mikros und Vorverstärkern, die in der Regel so nicht zu Hause rumstehen. So entstehen schließlich auch technisch professioneller klingende Aufnahmen, als es mit improvisatorischen Mitteln zu Hause der Fall wäre.

Catharina Boutari - Puder (Foto von bigbasspic.de)
Catharina Boutari – Puder (Foto von bigbasspic.de)

Mindset und Tagesform

Genauso wichtig wie die Arbeit mit einem Gegenüber ist den meisten Sänger/innen die generelle Stimmung und Atmosphäre beim Recording. Aber: Jeder hat auch mal einen grauen Tag! Wie geht man also damit um, wenn es einem mal nicht so gut geht und die Vocal Session vor der Tür steht?
Natürlich liegt es in solchen Fällen nahe, eher technisch an das Recording heranzugehen. Das gesangstechnische Handwerk ist zwar eine wichtige Grundlage, sollte laut Catharina Boutari aber nur in Notfällen herangezogen werden, um große Hürden zu meistern, die mit Stimmung und Emotion nicht bezwungen werden können. Denn ansonsten wird es zu verkopft und die Emotion bleibt auf der Strecke. Deshalb ist es hilfreich, möglichst mehrere Tage für eine Recording Session anzuberaumen, um den Zeitdruck zu reduzieren und flexibel auf die jeweilige Tagesform reagieren zu können. An einem kalten regnerischen Tag herrscht vielleicht nicht die Stimmung für den Sommerhit, aber für eure Herzschmerz-Ballade. “Die Magie, die du beim Recording um dich herum spürst, wird auch im Endprodukt zu hören sein”, ist sich Simon Glöde sicher, der sich als Pop-Sänger einen Namen gemacht hat und regelmäßig Werbesongs einsingt.
Für Elin Bell ist es stark vom jeweiligen Kontext abhängig, ob Atmosphäre und Technik eine Rolle spielen. Wenn sie beispielsweise als Dienstleistung einen Schlager-Pitch einsingt, braucht sie dafür kein Schlummerlicht und kommt im Zweifel mit ihrer Gesangstechnik schon sehr weit. Eine grundsätzlich positive und entspannte Stimmung im Studio will aber auch sie nicht missen.

Elin Bell (Foto von Nina Graf)
Elin Bell (Foto von Nina Graf)

Demo Vocals vs. Final Vocals

Wer kennt das nicht: Ihr schreibt einen Song, nehmt in dem Moment eine rudimentäre Demo auf und tragt diese Version oft monatelang mit euch herum. Ihr gewöhnt euch an den Vibe und eure Vocal Performance. Und dann kommt im Produktionsprozess der Tag, an dem es heißt: Final Vocals!
Viele Sänger/innen finden es dann schwierig, sich von den Demo-Aufnahmen zu trennen und es fühlt sich fremd und wenig emotional an, die Vocals neu einzusingen. “Dabei ist es ja total spannend, herauszufinden, wie ich den Song singe, wenn die Produktion drum herum fortgeschritten ist und ich selber aus einer anderen Perspektive draufschaue”, bemerkt Elin Bell hierzu.
Wenn man sich klarmache, mit welcher Energie man einen Song im Demo eingesungen hat, könne man das jederzeit reproduzieren, meint Ulita Knaus. “Das hat was mit dem Mindset zu tun.” Die meisten der befragten Sänger/innen haben zunächst häufig das Gefühl, die Demo Vocals seien besser und stimmungsvoller als die finalen Vocals. Mit ein bisschen Abstand gewinnen dann aber doch meist die finalen, im Studio aufgenommen Vocal-Takes. “Die objektive Meinung des Produzenten hat mich auf Dinge aufmerksam gemacht, die ich sonst gar nicht im Fokus gehabt hätte und die das Endprodukt am Ende runder und zugänglicher gemacht haben”, stellt Leon Kaack fest.
Es ist also oft eine Frage des Kopfes, sich von den Demo Vocals zu lösen, dem/der Produzent/in zu vertrauen und den Blick nach vorne auf das Endprodukt zu werfen. Und wenn am Ende die Demo Vocals dennoch gewinnen: Take it! Da sollte dann auch mal die Emotion der Technik vorgezogen werden. Denn da hat Leon Kaack Recht: “Ein richtig emotionaler, authentischer Gesangstake kann auch durch Shure SM57 eingesungen sein und erobert trotzdem die Welt – siehe Sting, Bon Iver, U2, Motörhead und viele andere berühmte Beispiele.”

Under Pressure

Auch wenn Vorbereitung und Tagesform sitzen, kann es im Studio oft zu unerwarteten Drucksituationen kommen. Beispielsweise gibt es da diese eine Zeile, die einfach nicht klappen will. “Dann wird es richtige Arbeit. Ich muss auf Denken und Technik umschalten, um die Stelle zu meistern”, meint Catharina Boutari. Sie erarbeitet in solchen Fällen am liebsten ein Layout, lässt es liegen und singt es am nächsten Tag frisch und im ganzen Take ein. So umgeht sie das anstrengende Verkrampfen im Studio, was selten zu einem befriedigenden Ergebnis führt.
Diese Methode ist im Dienstleistungskontext oft nicht möglich, wo das pedantische Verlangen des Produzenten nach einer bestimmten Zeile schon mal anstrengend und nervig werden kann. “Aber so ist das nun mal, wenn man als Dienstleistung singt”, stellt Ulita Knaus fest. In solchen Fällen heißt es daher: Nerven bewahren und zur Not eben doch auf die Technik zurückgreifen. Oft sind die betreffenden Zeilen gar nicht so schwer, aber durch Zeitdruck und Kopf-Chaos mutieren sie auf einmal zur Mammut-Aufgabe. Laut Leon Kaack können in solchen Fällen gute Produzent/innen mögliche Selbstzweifel auch mal aus dem Weg schaffen und den/die Sänger/in wieder zurück auf den richtigen Weg führen.

Simon Glöde (Foto von Arya Tripoldi)
Simon Glöde (Foto von Arya Tripoldi)

Fazit

Viele Wege führen nach Rom: Es gibt verschiedenste Herangehensweisen ans Vocal Recording. Sowohl Song und Genre als auch der Charakter des/der jeweiligen Sänger/in entscheiden in den meisten Fällen, mit welchem Workflow ein Song aufgenommen werden soll. Wenn es mal hakt, helfen entweder Zeit oder Technik. Auch die Produzentin oder der Toningenieur spielen für Sängerinnen eine wichtige Rolle auf dem Weg zur erfolgreichen Gesangsaufnahme. Probiert daher, was für euch selbst am besten funktioniert und baut euch daraus eure ganz persönliche Vocal-Recording-Formel. Viel Spaß dabei!

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von Tom Gatza

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