Swiping, Alternate-Picking, Economy-Picking & Co.: Pickingtechniken unter der Lupe – Nachdem der amerikanische Gitarrist Troy Grady im Jahre 2013 seinen YouTube-Kanal mit der Videoreihe “Cracking the Code” gestartet hatte, ging einigen Gitarristen in puncto “Alternate Picking“-Technik regelrecht ein Licht auf. Und viele fühlten sich aufgrund des Channels motiviert, die dort zu Tage geförderten Erkenntnisse in die Tat umzusetzen. Dies lag einerseits an der extrem guten grafischen Aufbereitung der Videos, aber vielmehr noch an dem minutiös erarbeiteten und ganz fantastisch analysierten Inhalt, den Troy hier pädagogisch äußerst wertvoll präsentiert.
Da in den Beiträgen einige Begriffe wie “Pickslanting”, “Swiping” oder “Inside/Outside-Picking” eingeführt wurden, die für manche immer noch Neuland sind, möchte ich euch in diesem Workshop ein paar fundamentale Prinzipien der Pickingtechnik vorstellen und auch einige von Troys Erkenntnisse in die Überlegungen einfließen lassen.
Grundsätzliches
Prinzipiell stehen uns als Gitarristen zwei melodische Spielformen für Singlenote-Lines zur Verfügung, nämlich Legato (zu was ich z. B. auch Tapping im entferntesten Sinn zählen würde), oder aber der Wechselschlag mit den Unterkategorien Alternate Picking und Economy Picking. Beim Alternate Picking werden, im Gegensatz zum Economy Picking, alle Noten auch beim Saitenwechsel durch eine konsequent abwechselnde Ab‐ und Aufschlagtechnik angeschlagen. Beim Economy Picking (auch Sweeping genannt) wird dagegen der Saitenwechsel durch eine gleichbleibende Anschlagsrichtung (sprich: zwei Downstrokes bei steigenden Lines oder aber zwei Upstrokes bei fallenden Lines) umgesetzt. In aller Regel beginnen diese Phrasen mit Downstrokes. Hier eine Gegenüberstellung dieser Spielweisen:
Alternate Picking vs. Economy Picking aufwärts:
Für dich ausgesucht
Alternate Picking vs. Economy Picking abwärts:
Zur Handhaltung beim Picking sei gesagt, dass es für Einsteiger eine gute Richtlinie ist, die Handkante auf den Saitenreitern mit dem Handgelenksknochen auf der tiefen E-Saite bzw. minimal darüber (z. B. über der ersten Schraube bei einem Strat‐Schlagbrett) zu positionieren und die Handfläche leicht nach innen zu kippen.
Die Bewegung sollte aus einem lockeren Handgelenk mit einem entspannten Unterarm kommen, der sich ebenfalls mitbewegt. Verspannungen, gerade am Ellenbogengelenk, sollten dabei vermieden werden. Das Plektrum wird mittelfest zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten und markiert eine Neigung, die wir im nächsten Absatz erörtern wollen.
Pickslanting
Wurde in alten Gitarrenschulen noch propagiert, das Plektrum relativ senkrecht zu den Saiten zu halten, sodass Pickspitze und die Saitenebene einen 90-Grad-Winkel bilden, zeigen die “Höchstleister” unter den Pickern, von wenigen Ausnahmen abgesehen, jedoch eher eine Neigung des Plektrums, die im englischen “Slant” genannt wird und aus der auch der Name “Pickslanting” rührt.
Hierbei wird das Plektrum ca. im 45-Grad-Winkel nach oben oder aber nach unten geneigt. Zeigt die Pickspitze, die Innenfläche der Hand und der Unterarm ebenfalls nach oben und sind vom Spieler zu sehen, spricht man von “Downward Pickslanting” (DWPS). Im umgekehrten Fall (Pickspitze zeigt nach unten und der Oberarm ist von Spielerseite aus zu sehen) spricht man vom “Upward Pickslanting” (UWPS).
Die Picking-Bewegung ist bei diesen beiden Handhaltungen also nicht nur ein zum Korpus paralleler Auf‐ und Abschlag, sondern bewegt sich minimal und ca. im 45-Grad-Winkel auch von oben auf den Korpus zu und wieder weg.
Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang auch öfter fällt, ist das sogenannte “Edge Picking”, das keine neue Pickingart ist, sondern eher eine Plektrumausrichtung, die man in sein Pickslanting integrieren kann. Hierbei dreht man das Pick, je nach Geschmack, einen Hauch nach innen, sodass die Pick-Kante leicht nach unten zeigt. Zur Erläuterung: Das Pick wird um 45 Grad auf der Saitenachse geneigt, um einen Pickslant zu realisieren und gleichzeitig noch ein paar Grad auf der “Boden-Himmel”-Achse. Dadurch erhält man unter Umständen etwas mehr Plektrumgeräusche und die Saitenkante des Picks fungiert wie eine Art Rampe, die einen geringeren Widerstand gegen die Saite bietet.
Ob man sich nun für die DWPS- oder UWPS-Variante entscheidet, ist Geschmackssache. Grundsätzlich scheint die Downward-Version am meisten verbreitet zu sein und sie lässt sich aus meiner Sicht auch deutlich leichter mit der Handhaltung von Rhythmusgitarrenparts im Rock und Funk vereinbaren. Daher würde ich Neueinsteigern raten, damit zu beginnen und später auch mal die andere Variante auszuprobieren.
Spiel auf einer Saite
Um ein Gefühl für die Wechselschlagtechnik zu bekommen, empfiehlt es sich zu Beginn, den Saitenwechsel als zusätzliche Hürde erst einmal komplett auszuklammern und sich auf eine Einzelsaite zu beschränken. Das kann in Form von Übungen oder Licks, ja vielleicht sogar nur einer einzelnen, tremolierenden Note stattfinden.
Besonders sinnvoll ist hier das Definieren von kleinen melodischen Fragmenten, sogenannten “Chunks”. Der Begriff “Chunking” stammt von dem amerikanischen Psychologen George A. Miller aus dem Jahre 1956, dessen Untersuchungen ergaben, dass das Kurzzeitgedächtnis in der Lage ist, zwischen 5-9 einzelne Bausteine zu speichern, wobei neueste Untersuchungen diese Zahl sogar auf 3-4 reduzieren würden. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Merken von Telefonnummern, die man nicht als komplette Zahl abspeichert wie z. B. „neunhundertdreiundachtzig-tausendfünfhunderteinundzwanzig”, sondern sich mit dem Zweier-Chunk “983 521” behilft.
Übertragen auf das Gitarrenspiel heißt das, dass es durchaus sinnvoll ist, kleine Sequenzbausteine zu erlernen und separat einzuüben mit dem Ziel, diese später frei kombinieren zu können. Das Konzentrationsmaximum muss sich dann nur auf die erste Note des Bausteins konzentrieren und der Rest wird quasi „abgefeuert“. Das ähnelt einem Wort, bei dem man sich nicht mehr auf das Zusammensetzen der einzelnen Buchstaben bei der Aussprache konzentrieren muss.
Mögliche “Chunks” für die Pickingtechnik wären z. B. die unten aufgeführten Phrasen. Beim Üben bietet sich eine Phrasenplatzierung an, die ich gerne den “Fußballrhythmus” nenne und die erst aus zwei einzelnen mit Pausen durchsetzten Sequenzen und dann aus einer Dreierrepetition besteht:
Saitenwechsel
Der Saitenwechsel ist sicherlich die größte Herausforderung beim Wechselschlag, da das Plektrum häufig eine größere Strecke durchlaufen muss und die Synchronisation zwischen linker und rechter Hand deutlich aufwändiger ist.
Betrachtet man den Bewegungsablauf der „Pickslanting“-Haltung, resultiert die eine Anschlagsrichtung immer im “freien Schweben” über der Saitenebene, wohingegen die andere im “Gefangensein” zwischen den Saiten mündet. Beim DWPS beispielsweise ist das Pick nach einem Upstroke frei und nach einem Downstroke zwischen den Saiten „gefangen“. Dies lässt sich anhand der Bilder unter Punkt 2 sehr gut erkennen. Möchte ich also nach der “gefangenen” Pickposition (dem Downstroke beim DWPS) zur nächsten Saite, muss ich mein Plektrum erst aus dem Saitenzwischenbereich herausholen, dann um die Saite herummanövrieren und dann mit einem Aufschlag weiterspielen. Die Konsequenz, die für Pickslanter hieraus resultiert, ist, dass es den meisten Playern deutlich leichter fällt, den Saitenwechsel nach der “befreiten” Position durchzuführen, sprich, nach einem Upstroke bei DWPS oder einem Downstroke bei UWPS.
Um diesen Umstand einmal spielerisch zu erfahren bieten sich Übungen an, für die wir die Begrifflichkeiten “Inside Picking” und “Outside Picking” einführen müssen. Beim Outside Picking schlägt man ein Saitenpaar jeweils von der Außenseite an, beim Inside Picking befindet man sich immer zwischen den Saiten.
Ein super Trick, um die beiden Richtungen gleichzeitig zu üben, stammt von Paul Gilbert und besteht darin, den 3er-Sequenzteil nach Gusto einfach doppelt zu spielen, um dadurch die Bewegungsrichtung umzukehren:
Aus dem Wechsel von “befreiter” und “gefangener” Pickposition ergeben sich nun ein paar mathematische Zwangsläufigkeiten. Denn entscheide ich mich für DWPS, benötige ich eine gerade Notenzahl pro Saite, um auf einem „befreiten“ Upstroke zu enden und einen erleichterten Saitenwechsel durchführen zu können. Dies bedeutet, dass Chunks, die aus zwei Tönen, z. B. aus der Pentatonik, oder aber aus vier Tönen bestehen, leichter umzusetzen sind:
Ein Trick, den man bei dreitönigen Groupings anwenden kann, wäre es, einen Anschlag zu vermeiden, indem man einen Slide oder einen Hammer-On/bzw. Pull-Off einbaut und dadurch auf der gewünschten Anschlagsrichtung landet. Eine Möglichkeit wäre in diesem Fall beispielsweise das Spielen“ Down-Up-Pull-Off“, eine Art, wie z. B. Malmsteen fallende Skalenlines spielen würde:
Alternativ kann man sich auch zunutze machen, dass jede ungerade Zahl wieder eine gerade Zahl ergibt, wenn man sie mit 2 multipliziert. Das heißt, ich spiele meine 3er-Gruppe einfach doppelt: Aus 3 mach 6 und damit aus ungerade wieder gerade!
Was ist jedoch, wenn ich tatsächlich alle Noten unabhängig von Phrasenlänge und Notenzahl beinhart und konsequent picken will?
Eine Lösung ist das “String Hopping”, bei dem man durch Flexion und Extension der Hand sein Pick in die entsprechende Position bringt. Der Name rührt hierbei aus der leicht hüpfenden Bewegung die entsteht, wenn man nach einem Downstroke um die nächsthöhere Saite herumpicken muss. Diese Art des Saitenwechsels ist jedoch nicht sehr effizient und eher unökonomisch, es sei denn, es gelingt eine minimale Kurve der Pickbewegung zu halten, wie dies z. B. bekannte Crosspicker in der Countryszene tun.
Andere Spieler vermeiden das Problem durch “Swiping”. Hier wird gar nicht erst versucht, die Saite zu umspielen, sondern man drückt das Pick durch die nächste Saite und schlägt dann mit einem Upstroke nach oben. Dadurch, dass die Saite gedämpft ist, und evtl. ein verzerrter Sound die Nebengeräusche verdeckt, nimmt man das Geräusch der “durchgestoßenen” Saite kaum wahr. Der Nachteil ist, dass man bei einem cleanen Setting die Unsauberkeit deutlicher wahrnimmt.
Eine dritte Alternative ist Troy Grady genialerweise bei der Analyse von Yngwie Malmsteen und Eric Johnson auf die Schliche gekommen. Beide sind Downward Pickslanter und umschiffen das Problem dadurch, dass sie den Saitenwechsel, wie oben erwähnt, nur nach Upstrokes vollziehen, was, wie wir gesehen haben, eine gerade Zahl pro Saite verlangt. Ist die Notenzahl pro Saite bei einer aufsteigenden Linie allerdings ungerade, so wird die Anschlagsrichtung einfach beibehalten, was man “Sweeping” oder “Economy Picking” nennt. Logischerweise bedienen sich beide Spieler auch Slides und Hammer‐Ons bzw. Pull‐Offs, um im Zweifelsfall auf die gewünschte Notenzahl pro Saite zu kommen.
Die Prinzipien dieser Alternate/Economy-Mischform lassen sich einfach zusammenfassen:
a) Lines beginnen meist auf Downstrokes.
b) Bei steigenden Lines wird entweder nur nach einem Upstroke die Saite gewechselt, oder, falls nicht möglich, auf die nächst höhere Saite gesweept.
c) Bei fallenden Lines wird nur nach einem Upstroke die Saite gewechselt. Ist das nicht möglich, wird durch Hammer-Ons/Pull-Offs oder Slides dafür gesorgt, dass die letzte Note auf der Saite ein Upstroke ist.
Hieraus ergeben sich Malmsteen-typische Licks
oder die Eric’schen Fünfer-Pentatonik-Groupings:
Eine weitere Ausnahme, die jedoch schwerer zu üben und auch seltener anzutreffen ist, lautet “Two Way Pickslanting”. Player mit dieser Technik wie z. B. Michelangelo Batio können ihre Pickhaltung rasend schnell während des Spiels umstellen und der Pickslant rotiert während des Spiels. Eine Sequenz, bestehend aus einem klassischen Three-Note-per-String-Pattern, sähe dann wie folgt aus: Down‐Up‐Rotate‐Down → nächste Saite → Up‐Down ‐ Rotate ‐Up.
Economy Picking
Das Prinzip des Economy Pickings bzw. Sweepings, wie es bei Malmsteen und Johnson nur in fallender Form anzutreffen ist, lässt sich natürlich auf die komplette Spielweise übertragen, sodass sowohl beim aufsteigenden wie beim fallenden Saitenwechsel die Pickingrichtung beibehalten wird. Vorreiter dieser Technik war wohl Frank Gambale, der in seinem sehr gehaltvollen Unterrichtsheft “Speed Picking” die grundlegenden Prinzipien dieser Picking-Strategie erklärt.
Da wir in einem gesonderten Workshop das Thema Sweeping sehr ausführlich behandelt haben, möchte ich an dieser Stelle darauf verweisen:
WORKSHOP: Sweep Picking auf der Gitarre lernen
Da viele der oben aufgeführten Erkenntnisse auf die sehr systematische und tolle Arbeit von Troy Grady zurückzuführen sind, empfehle ich wärmstens die Verfolgung seines Kanals, wobei vor allem die “Cracking the Code” Folgen 8 bis 11 tiefe Einblicke gewähren:
Damit wünsche ich Euch gutes Gelingen bei euren Picking-Fortschritten!