Für Duke Ellington sah die Note ‚D‘ wie ein dunkelblaues Sackleinen aus, während die Note ‚G‘ aus hellblauem Satin bestand. Als Pharrell Williams als Kind Earth, Wind & Fire hörte, sah er Burgunder oder Babyblau. Für Kanye West sind Klaviere blau, Snares weiß und Basslinien dunkelbraun und lila. Orange ist eine große Sache für Frank Ocean. Diese Eigenschaften werden als Synästhesie bezeichnet.
Quick Facts: Synästhesie
Die Synästhesie bezeichnet im Wesentlichen die Kopplung zweier oder mehrerer physisch getrennter Modalitäten der Wahrnehmung. Das Begriff Synästhesie setzt sich zusammen aus den griechischen Wörtern syn (= zusammen) und aisthesis (= Empfindung). Synästhesie bedeutet so viel wie Sinnesverschmelzung. Synästhesie kommt durch Verflechtung von Sinnesmodalitäten zustande und sind individuell einzigartig: Jeder Synästhet erlebt sie anders. Dies betrifft die Verbindung Farbe und Temperatur (beispielsweise die Verbindung „warmes Grün“), Ton, Musik und Räumlichkeit.
Im engeren Sinne ist Synästhesie die Wahrnehmung von Sinnesreizen durch miterregte Verarbeitungszentren eines Sinnesorgans im Gehirn, wenn ein anderes Organ gereizt wird. Bei der häufigsten Form der Synästhesie nehmen die Betroffenen Gehörtes – wie Sprache, Musik oder Geräusche – unwillkürlich zusammen mit Zweitempfindungen (sog. Photismen) wahr. Bei diesen Photismen kann es sich um Farben, geometrische Formen oder Farbmuster handeln. Den ursprünglichen Auslöser, also den über das Ohr wahrgenommenen Reiz, und die optischen Zweitempfindungen erleben die Betroffenen als Einheit.
Menschen, die Wahrnehmungen derart verknüpft erfahren, werden als Synästheten oder Synästhetiker bezeichnet. Berühmte Synästheten waren z. B. die Komponisten Franz Liszt, Olivier Messiaen und Jean Sibelius sowie der Schriftsteller Vladimir Nabokov.
Verknüpfung der Wahrnehmung
Alle diese Künstler – zusammen mit Stevie Wonder, Billy Joel, Mary J. Blige, Dev Hynes von Blood Orange und anderen – haben eine Synästhesie, eine Bedingung, bei der bestimmte Sinne einer Person verbunden sind. Sie hören ein bestimmtes Timbre oder einen bestimmten Ton und sehen eine Farbe oder riechen ein Parfüm. Sie und hören einen Klang und sehen ein Wort oder schmecken einen Geschmack. Laut Carol Steen, der Mitbegründerin der American Synesthesia Association, gibt es mehr als 60 Synästhesiepermutationen, und neuere Studien haben ergeben, dass etwa 4% von uns diese in irgendeiner Form haben.
Aber während es heutzutage so aussieht, als würden etliche Musiker versuchen sich mit Synästhesie in Verbindung zu bringen, wird diese Eigenschaft nicht immer als ausdrücklicher Weg zum kreativen Genie gesehen. (Der Philosoph John Locke schrieb bereits im 17. Jahrhundert über kombinierte Sinne, obwohl der Begriff “Synästhesie” erst Mitte des 19. Jahrhunderts geprägt wurde.) Bis vor etwa 20 Jahren war es vielen Synästheten unangenehm, ihre Gabe mit anderen zu teilen.
Tabu-Thema: Synästhesie
Carol Steen, die auch bildende Künstlerin ist und am Touro College in New York unterrichtet, erinnert sich daran, dass sie sich von anderen Kindern geächtet fühlte, als sie feststellte, dass sie im Alter von sieben Jahren eine Synästhesie hatte, und obwohl ihr Vater sie auch hatte, erzählte er es niemandem. Die Art, wie sie darüber spricht, erinnert an die Notlage jedes Comic-Superhelden – für jeden Menschen, der Professor X bewundert, gibt es noch viele andere, die Angst vor seinen jenseitigen Fähigkeiten haben.
Und für eine Weile gab es keinen konkreten Weg, die Synästhesie wissenschaftlich zu untersuchen, weil Wissenschaftler nicht beweisen konnten, dass sie real war. Es gab andere Gründe, warum Künstler es auch verstecken wollten. “Die Leute hatten große Angst zuzugeben, dass sie es hatten, weil sie nicht wollten, dass andere Leute glaubten, dass dieses besondere Geschenk die einzige Grundlage für ihr Talent ist“, sagt Steen. Sie könnten denken: “Wenn ich den Leuten offenbare, dass ich diese Gabe habe, denken sie vielleicht, dass all mein Üben und Vorbereiten gar nichts bedeutet.‘”
Was sehen Klang-Synästhetiker eigentlich, wenn sie Musik hören?
Mit dem Aufkommen fortschrittlicher MRT-Technik in den 1990er Jahren war jedoch klar, dass das Hören mit Kopfhörern für einige nicht nur den Teil unseres Gehirns stimulieren würde, der sich mit Schall befasst, sondern auch mit dem Teil, der das Sehen betrifft. Plötzlich wurden Steen und viele andere bestätigt. Weitere Studien zeigen, dass wir alle tatsächlich mit Synästhesie geboren sind, obwohl die meisten von uns diese mit acht Monaten verlieren. Es ist auch bekannt, dass halluzinogene Medikamente auch synästhetische Empfindungen auslösen.
Was Sound-Synästheten sehen, wenn sie Musik hören hängt von unterschiedlichen Faktoren ab: Jeder Synästhetiker hat eine eigene einzigartige Farbpalette mit einzigartigen Auslösern, und die Farben und Arten der Sinnesassoziationen sind immer im Fluss. Für Steen z. B. sendet das leere Rumpeln eines LKWs, der über Schlaglöcher außerhalb ihrer Wohnung fährt ein statisches Schwarz-Weiß-Orange-Muster vor ihre Augen. “Wir sehen es in unserem geistigen Auge“, sagt sie, “und die Farben sind keine Pigmente, sondern die Farben des Lichts, wie man sie z. B. auf einem Computerbildschirm sieht. Sie sind hell.“
Für dich ausgesucht
Musik kann richtig bunt sein
Geht es um Musik, produzieren bestimmte Künstler Songs, die buchstäblich bunter sind als andere. Steen erwähnt, dass sie kürzlich Daft Punks Random Access Memories-Track “Fragments of Time” gehört hat und beschreibt das Gehörte mit Begriffen wie ‚Holzkohlestaub-farbene Drums‘ und ‚spritzig Orange- bis leicht Magenta-farbene Keyboards‘ sowie ‚grün-gelbe Vocals‘. Dieser Song sei für sie ein ‚himmlisches Sorbet‘. Fragt man Steen, warum heutzutage so viele Synästhetiker ihren Weg zu einer Karriere in der Kunst finden, anstatt Physiker oder Anwalt zu werden, ist ihre Antwort einfach: “Wenn man sein ganzes Leben lang von Farbe umgeben war und man wirklich davon begeistert ist, will man dann nicht mehr davon?“
Letztendlich …
… hat jeder (s)eine völlig eigene Synästhesie, die sein Leben umgibt, wenn er die Gabe hat. Vielfältig, immer individuell und je nach Stimmungslage unterschiedlich intensiv. Synästhesie kann viele Eindrücke beschreiben und findet in den unterschiedlichsten Situationen statt, die einen Farben und Gerüche im tiefsten Inneren sehen und riechen lassen. Wer jetzt darüber nachdenkt, wird vielleicht selbst zu denen gehören, denen bestimmte Impulse Assoziationen hervorrufen. Es müssen ja nicht nur Töne einer Musik oder Klänge von Instrumenten sein auf die man reagiert, es können auch ganz andere Impulse sein, die man mit Farben oder Gerüchen verbindet: Zahlen, Wochentage, ein bestimmtes Ereignis aus der Vergangenheit … Jeder, der über diese Gabe verfügt wird es auch als schwierig empfinden, diese Eindrücke, die aus dem tiefsten Inneren kommen, in passende Worte zu fassen, oder sie gar mithilfe von Bildern in einem Text darzustellen. Sicherlich gibt es den ein oder anderen, der genau versteht was damit gemeint ist.