Welches Mikrofon ist am besten geeignet, um eine bestimmte Stimme zu recorden? Nun: Gut sortierte Tonstudios haben eine Vielzahl an verschiedenen Mikros, wenn es um die Aufnahme von Stimmen geht.
Mit ein bisschen Zeit kann dann ausprobiert werden, welches Mikrofon am besten geeignet ist, die Vocals zu recorden.
Ein ausführlicher Shoot-Out ist in der Praxis aber leider selten möglich – alleine aufgrund der notwendigen Zeit und manchmal eben auch wegen des meist nur spärlichen Fundus. Denn nicht jedes Studio kann die Klassiker-Mikrofone der Vocal-Aufnahme bereithalten. Und geht es an den Kauf eines Mikrofons, ist es meist eine bestimmte Stimme, die hauptsächlich damit aufgenommen wird.
Welches Mikrofon solltet ihr also zuerst testhören (oder vor den anderen aus dem Mikrofonschrank hervorholen)? Gut, ein Ratgeber, der ohne die individuelle Stimme, die Musikrichtung und die Idee von der Soundästhetik eines Mixes zu kennen eine passende Empfehlung für ein Mikrofon gibt, kann nicht funktionieren. Eigentlich. Aber zumindest kann er helfen, im mittlerweile schwer zu durchschauenden Dschungel an Mikrofonen an der richtigen Stelle zu suchen.
Mikros für Pop- und Crooner-Vocals
In Pop und Schlager müssen Stimmen klar und verständlich sein. Typische Mikrofone, die fein auflösen, umfangreiche Bearbeitung zulassen und einen griffigen, durchsetzungsfähigen Ausgangssound bieten, sind transistorisierte Großmembran-Kondensatormikrofone wie das Neumann U 87. Darf es ein wenig mehr Farbe sein, kann ein Röhrenmikro à la U 47 oder AKG C12 das Richtige sein – beziehungsweise deren Nachahmer, da die Originale nun wirklich nicht jeder im Schrank hat. Nicht zuletzt für Soul- und R’n’B-Vocals ist das Sony C800G sehr beliebt – aber auch alles andere als ein Schnäppchen. Doch Nachbauten in tieferen Preisregionen gibt es in jeder Verstärkertechnik viele, etwa von Mojave, Aston und vielen, vielen mehr. Die Preamps sollten klar sowie detailliert sein und das Durchsetzungsvermögen leicht unterstützen. Die Empfehlung hier lautet ganz klar: SSL. In aktueller, bezahlbarer Version ist hier vor allem der SSL VHD für das API-Rack zu nennen.
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Mikros für Jazz-Vocals
Jazz-Vocals leben oft von ihrer Intimität, besonders bei Frauenstimmen von Hauchigkeit. Hier sind geringe Abstände gefragt und eher dunkle Timbres. Viele greifen zum Neumann U 67 oder bezahlbareren samtig abgestimmten, leicht anreichernden Röhrenmikrofonen, darunter Clones wie das Peluso P67. Doch es muss nicht unbedingt ein Kondensatormikrofon sein: Die prinzipiell rauschanfälligeren Bändchenmikrofone sind hier ideal, weil sie im Nahbereich auch bei leisen Stimmen genug Rauschabstand besitzen, eine wundervolle Nähe liefern und aufgrund der Richtcharakteristik Acht eine enorm wohlige Bassanhebung durch den Nahbesprechungseffekt liefern. Die Höhen sind eher belegt und weich, aber dennoch detailliert – und die Signale von Ribbons lassen sich im Mix fast immer sehr gut editieren. Alte RCA-Klassiker oder ihre aktuellen AEA-Reinkarnationen wie KU4 oder RC44 sind mehr als genial, aber es darf auch ein preiswerteres sein.
Preamps können entweder clean und transparent sein, aber auch Charakter auf das Signal buttern. Tube-Amps wie ein UA-610, ein RCA (oder Retro) OP-6, einTube-Tech, aber auch ein Pre wie der Neve 1073 sind gut geeignet. Besonders bei Bändchen sind aber hochwertige, rauscharme Vorverstärker vonnöten!
Mikros für Rock-Vocals („and beyond“…)
Im weiten Feld der Rock-Vocals werden hauptsächlich Großmembran-Kondensatormikrofone eingesetzt. Neben Röhrenklassikern findet man auch transistorisierte Mikrofone wie das AKG C414 oder das Neumann U 47 fet. Hohe Schallpegel, kerniger, druckvoller Sound – das ist wichtiger als absolute Linearität oder feine Röhrenzeichnung. Und deswegen kommen neben Großmembran-Kondensern hier häufig auch dynamische Tauchspulenmikrofone zum Einsatz. In den letzten Jahren hat auch in Europa das Shure SM7B eine größere Beliebtheit erlangt, aber schon das SM58 ist toll. Sollen die Tiefen unterstützt werden, kann man an ein Beyerdynamic M88 denken, naher Sound ohne zu viel Bass gelingt mit dem Electro-Voice RE20. Einen eigenen Charakter kann das Sennheiser MD 421 sehr gut verleihen.
Mit einem API 512 als Vorverstärker wird man in härteren Gefilden sehr wahrscheinlich glücklich, denn er ist besonders punchy. Wer die Kosten scheut, denkt vielleicht an Trident oder auch Tonelux, auch Neve 1073 und Nachfolger/Nachbauten werden gerne verwendet. Wichtig: Die meisten Tauchspulenmikrofone stellen hohe Anforderungen an den Preamp. Wer also glaubt, ganz besonders preiswert davon zu kommen, muss leider enttäuscht werden.
Mikros für Rap-Vocals
Uuuh: Ganz schwierig. Hier wirklich griffige Tipps zu geben ist schwer, weil bei dieser Aufgabe ganz besonders die Eigenheiten der Stimmen herausgearbeitet werden müssen, aber immer die Sprachverständlichkeit gegeben sein muss. Meist kommen Kondensatormikrofone zum Einsatz, üblicherweise mit Großmembrankapseln, auch hier wieder Neumann-Klassiker und vergleichbare, oft C414 von AKG, gerne auch kernige, crispe Röhrensounds wie die von Brauner-Mikrofonen. Auch wenn sie nicht groß und wichtig aussehen, sind Kleinmembran-Kondensatormikrofone wie das Neumann KM184 eine gute Wahl bei Rap-Vocals. Dennoch: Häufig sind es Transistor-Kondensatormikrofone, die verwendet werden. Und bei den Preamps steht die ganze Palette offen, von stark färbenden Tube-Pres bis zu cleanen Vorverstärkern.
Mikros für Folk- und Country-Vocals oder Singer/Songwriter
Neben den notorischen Großmembran-Klassikern und ihren Sound-Alikes kommen auch dynamische Mikrofone zum Einsatz. Ab und an sind es Tauchspulenmikros (z.B. Shures Unidyne-III-Modelle wie das SM 7B), häufiger aber Bändchenmikrofone mit ihrem detaillierten, aber kontrollierten und geerdeten Sound. Manche finden, dass ein färbender Pre ein Muss ist, das ist aber durchaus diskutabel: Vor allem bei einem charaktervollen Mikrofon darf es gerne ein sehr feiner Amp sein, der das Mikrofonsignal verstärkt, also beispielsweise ein True Systems.
Mikros für Classic-Vocals
Vokalsolisten sollten so natürlich wie möglich klingen, Klangfärbung, Nonlinearitäten und vor allem der Nahbesprechungseffekt sollten vermieden werden. Das spricht für die linearsten und natürlichsten Mikrofone, und das sind Kondensatormikrofone in echter Kugelcharakteristik (also Druckempfänger). Die Wahl fällt oft auf dasColette-System von Schoeps mit der freifeldentzerrten MK2-Kapsel, die bei geringen Abständen linear arbeitet. Alternativen gibt es im hochpreisigen Segment von Sennheiser, DPA, Microtech Gefell oder Earthworks, preiswerter sind beispielsweise Audio-Technica. Und sehr interessant: Von DPA gibt es ein Großmembran-Kondensatormikrofon mit Druckempfänger!
Wichtig ist der Mic-Preamp: Hier sollten sehr impulstreue, rauscharme Vorverstärker zum Einsatz kommen. Das geht richtig ins Geld, denn Grace Design, GML, Forssell und Konsorten sind vor allem eines nicht: preiswert. Wenn man aber nur einen Kanal benötigt, kann man auch an die Monoblöcke True Systems, Grace m101 oder sogar Sonum H2O oder Fredenstein HD für das API-Rack denken.
Musikproduktion benötigt individuelle Entscheidungen
Nochmal: Dies hier sind Hinweise, Empfehlungen und häufig genutzte Standards. Manchmal braucht ein Recording genau das Gegenteil – Musikproduktion ist schließlich nicht Algebra. Manchmal sind es vermeintlich zu vernachlässigende Eigenschaften des Vokalisten oder der Musik, die eine bestimmte Anforderung an das Mikrofon stellen. Manche haben besonders hohe oder besonders tiefe Stimmen, manche Komponenten in der Stimme, die man schon durch das Mikrofon stark supporten oder verringern will (starke S-Laute, ein interessanter „schräger“ Oberton), manchmal benötigt man durch die ständige starke Bewegung vor dem Mikrofon einen breiten, frequenzkonstanten Sweet-Spot…