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Wes Audio Timbre Test

Der polnische Hersteller Wes Audio fährt gewissermaßen zweigleisig: Praktisch alle Geräte lehnen sich mehr oder weniger direkt an Vintage-Vorbilder an, einige werden dazu nach extrem modernen Konzepten entwickelt.

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Timbre orientiert sich vergleichsweise stark an Vintage-Topologien, dennoch präsentiert sich der Vari-Mu-Kompressor auf der Höhe der Zeit!
Man sollte meinen, ein klassischer „Zweiknopf-Kompressor“ sei heute kaum mehr der Rede wert, so üppig ist das Angebot quer durch alle Bedienkonzepte, Ausstattungsvarianten und Preisklassen. Das Paket, das Wes Audio hier geschnürt hat, lässt jedoch aufhorchen. Vom ehrwürdigen Gates Sta-Level inspirierter Vari-Mu-Kompressor? Check. Ausgestattet mit der legendären 6386-Röhre? Check. Straßenpreis um 1500 Euro? Check! Vor allem letzterer Punkt lässt aufhorchen, ist doch beispielsweise der ebenfalls funktionell behutsam erweiterte Klon von Retro Instruments deutlich teurer. Was also zeichnet den Timbre aus? Wie kommt der vergleichsweise günstieg Preis zustande? Ich kann es kaum erwarten, einen näheren Blick auf das Teil zu werfen!

Details

Vari-Mu à la Sta-Level

Schon auf den ersten Blick macht Timbre die Sache klar: Es handelt sich hier um ein Gerät mit mehr als nur sporadischen Vintage-Reminiszenzen. Das 2-HE-Gehäuse erinnert zwar mehr an legendäre Vari-Mu-Comps wie Universal Audios 176, aber dass es sich um ein klassisches Konzept handelt ist nicht zu übersehen. Mit festem Threshold und Input/Output-Potis ausgestattet folgt Timbre dem Bedienkonzept einer ganzen Ära, fast alle Vari-Mu-Comps der späten 50er folgten diesem Konzept, das sich noch in der nächsten Gerätegeneration in den 60er-Jahren halten konnte. Auch Geräte wie der Teletronix LA-2A (Opto) oder der UREI 1176 (FET) waren noch so konzipiert.  

Zweiknopf: Die Reminiszenzen an klassische Limiter aus den 50ern sind nicht zu übersehen.
Zweiknopf: Die Reminiszenzen an klassische Limiter aus den 50ern sind nicht zu übersehen.

Im Unterschied zum Timbre war der originale Sta-Level in einem 3-HE-Gehäuse untergebracht, und auch der Retro Sta-Level folgt diesem Formfaktor. Der Retro setzt wie das Vintage-Original auf ein archaisches Netzteil mit Röhrengleichrichtung, was mit erhöhtem Platzbedarf zu Buche schlägt. Wes Audio arbeitet hier mit moderneren Halbleitern, sodass die Schaltkreise sich bequem auf 2 HE unterbringen lassen. Ansonsten wurde aber im Signalweg nicht gespart: Als Regelelement kommt die legendäre 6386-Doppeltriode zum Einsatz, die auch im Sta-Level ihren Dienst verrichtete und nicht zuletzt im legendären Fairchild für den guten Ton sorgt. Zwischenzeitlich mussten Höchstpreise für NOS-Typen hingelegt werden, mittlerweile hat sich wieder ein Hersteller gefunden, der diese Röhre aktuell produziert. Für vergleichsweise preisgünstigen Nachschub und generelle Verfügbarkeit ist also gesorgt. Das komprimierte Signal trifft dann auf eine mit bis zu 45 dB Gain überaus potente Ausgangsstufe auf Basis jeweils einer 12AT7 und 12AX7. Abgerundet wird der Vollröhren-Signalweg durch eine EAA91/6AL5, welche der Gleichrichtung des Detektorsignales dient. Auch ohne röhrenbasiertes Netzeil produziert diese hochvoltige klassische Röhrenschaltung reichlich Abwärme – ganz so wie das Gates-Original und der Retro-Klon. Wes Audio empfiehlt deswegen in der Bedienungsanleitung ausdrücklich, mindestens eine halbe Höheneinheit über dem Gerät freizulassen, um ausreichend Ventilation zu gewährleisten. An dieser Stelle sei also die Frage erlaubt, was dann der Vorteil eines 2-HE-Gehäuses ist und warum man dem Timbre dann nicht gleich drei Höheneinheiten spendiert hat. Unabhängig von dieser Überlegung sei aber gesagt: Wo gehobelt wird, da fallen Späne ­– wer die Vorzüge einer derartig kraftvollen und leistungsfähigen Röhrenschaltung genießen will, der muss Nebeneffekte wie diese Wärmeentwicklung prinzipiell in Kauf nehmen, das eine ist ohne das andere nicht zu haben.

Fotostrecke: 3 Bilder Fester Threshold: Mit Input-/Output-Potis stellt man Timbre genau so ein wie zum Beispiel einen 1176.

Anders als beim Gate: sehr kurze Attackzeit möglich

Die Bedienung der Zeitkonstanten ist beim Timbre ähnlich wie beim Vintage-Original geregelt, allerdings mit zeitgemäßen Erweiterungen, bei denen wohl der Retro Sta-Level Pate gestanden hat. Während der „Single“-Modus mit einer super druckvollen langen Attack arbeitet, folgt der „Double“-Modus einem programmadaptiven Konzept. Dazu gibt des noch den „Triple“-Modus, welcher nicht beim Gates, wohl aber beim Retro vorhanden ist. Hier komprimiert der Timbre mit extrem schneller Attack, was nur bei moderater Pegelreduktion und bei Signalen mit wenig Tiefbass zu empfehlen ist, ansonsten drohen (Intermodulations-)Verzerrungen, die zwar subjektiv auch gut klingen können, aber eben nicht immer gewünscht werden. Zusätzlich verfügt der Wes-Audio-Comp noch über einen sechsstufigen Release-Schalter, dessen Konzeption abermals sehr vom Retro inspiriert scheint. Zusätzlich zu den beiden genannten Referenzgeräten bietet Timbre aber ein schaltbares Sidechain-Hochpass, und zudem die Möglichkeit, zwei Geräte für den Stereobetrieb zu verkoppeln. Auch an einen Bypass zum A/B-Vergleich wurde gedacht, ein Feature, das dem Vintage-Vorbild ebenfalls fehlt.

Alle Anschlüsse des Wes Audio Timbre liegen auf der Rückseite – die Röhren und Übertrager sind jedoch komplett innen verbaut und somit geschützt.
Alle Anschlüsse des Wes Audio Timbre liegen auf der Rückseite – die Röhren und Übertrager sind jedoch komplett innen verbaut und somit geschützt.

Carnhill-Transformer

Wie für den Hersteller typisch, arbeitet auch Wes Audio Timbre mit Ein-/Ausgangsübertragern von Carnhill aus England. Diese klingen anders als die amerikanischen Originale. Wie bereits an anderer Stelle durchschien, handelt es sich beim Timbre mitnichten um einen Klon-Versuch des Gates-Originals, sondern um eine zeitgemäße Weiterentwicklung, die stellenweise auch anderen Vorgaben folgt. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei den Carnhills um sehr hochwertige Bauteile, und dieser gehobene Eindruck setzt sich auch beim Rest der Hardware fort. Timbre sieht in seiner elegant-seriösen Zurückhaltung extrem gut aus, das Gerät wurde robust und solide gefertigt. Interessant ist, dass sich alle Röhren und Übertrager wie bei modernen Geräten üblich innerhalb des Gehäuses befinden, wo sie stärker von äußerem Einflüssen geschützt sind, im Kontrast zum Gates/Retro, wo sie vintage-gemäß neben den Anschlüssen außen auf der Rückseite sitzen. Zur Frontplatte des Timbre bleibt noch anzumerken, dass sie neben dem Betriebsschalter noch ein zentrales VU-Meter beherbergt, welches aussschließlich der Anzeige der Pegelreduktion vorbehalten bleibt.

Fotostrecke: 3 Bilder Die recht simple Audioschaltung braucht nicht viel Platz.
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