Wofür ist das Gaumensegel beim Singen gut?

Immer wieder liest oder hört man davon, dass das Gaumensegel beim Singen hochgezogen sein sollte, um einen perfekten Ton zu produzieren. Ist das wirklich so?Was ist das Gaumensegel überhaupt? Und was bewirkt es? Ist ein hoch gestelltes Gaumensegel besser als ein tief gestelltes? Hierzu ein kurzer Überblick.

(Bild: © Shutterstock, Khosro)
(Bild: © Shutterstock, Khosro)

Was ist das Gaumensegel?

Fährt man mit der Zungenspitze am harten Gaumen entlang bis ganz nach hinten spürt man einen deutlichen Übergang zum weichen Gaumen. Dieser wird auch als Velum Palatinum bezeichnet. Er besteht aus Muskeln, Bindegewebe und Schleimhaut. Die Ränder des Gaumensegels werden als Gaumenbögen bezeichnet. während der in der Mitte hängende Fortsatz allgemein als Gaumenzäpfchen (Uvula) bekannt ist.

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Wozu dient das Gaumensegel?

Das Gaumensegel befindet sich zwischen Mundraum und Rachenraum und dient somit als Abgrenzung zwischen Luft- und Speiseweg. Beim Schlucken wird das Gaumensegel an die hintere Rachenwand gedrückt und sorgt somit dafür, dass Nahrung und Flüssigkeiten nicht in die oberen Atemwege gelangen. Beim Gähnen und beim Schlucken sorgen die Muskeln des Gaumensegels außerdem für den nötigen Druckausgleich.

Die Rolle des Gaumensegels beim Sprechen und Singen

Sowohl beim Sprechen als auch beim Singen strömt Luft aus der Lunge durch den Kehlkopf und verteilt sich im Rachen-, Mund- und Nasenraum. Das Gaumensegel kann nun durch eine Abwärts- bzw. Aufwärtsbewegung den Luftstrom mehr in den Mundraum oder in den Nasenraum lenken. Je nach Stand des Gaumensegels verändert sich der Klang.

Oraler Klang vs. nasaler Klang

Verschließt das Gaumensegel den Eingang zum Nasenraum komplett, so verteilt sich die gesamte Luft im Mund-/Rachenraum. Ein gesprochener Vokal wird in der Folge oral klingen. Hängt das Gaumensegel hingegen so tief, dass es mithilfe des Zungenrückens den Mundraum verschließt, so kann die Luft nur in den Nasenrachenraum abziehen. Dadurch klingen die Vokale nasal.

Vokale

Alle Vokale können also entweder einen nasalen oder oralen Klang haben. Es ist jedoch auch möglich, eine Mischung von nasalem und oralem Klang zu produzieren. Das passiert tatsächlich immer, wenn wir sprechen. Wir sind in der Lage eine stufenlose Einstellung des Gaumensegels vorzunehmen. Je nachdem wie hoch bzw. tief das Gaumensegel steht, schwingt der Ton entweder mehr im Mundraum oder im Nasenraum.

Konsonanten

Unter den Konsonanten befinden sich klingende Konsonanten, die den Klangraum in der Nase benötigen, um erzeugt werden zu können. Dazu gehören [m] und [n] sowie [ŋ] (wie in “Ding”). Andere stimmhafte Konsonanten wie [l], ​[⁠ʁ⁠]​, [z] und [v] haben ihren Klangraum in der Mundhöhle.
[ŋ] ist ein Laut, der direkt mit dem Gaumensegel und dem Zungenrücken gebildet wird. Das Gaumensegel hängt tief und der Zungenrücken drückt nach oben gegen das Gaumensegel. Man spricht von [ŋ] auch als Gaumensegellaut. Normalerweise nimmt das Gaumensegel beim Sprechen weder eine ganz hohe noch ganz tiefe Position ein. Wir sprechen also unsere Vokale nie komplett oral aus, sondern nutzen unbewusst auch die Nasenhöhle als Klangraum, sodass unsere Worte verständlicher werden. Je nachdem welche Einstellung für Konsonanten und Vokale nötig ist, bewegt sich so das Gaumensegel auf und ab, ohne dass wir es wahrnehmen.

Die Klangvariationen beim Singen mithilfe des Gaumensegels

Beim Singen haben wir die Möglichkeit, unsere Klänge mithilfe des Gaumensegels zu variieren. Je nachdem welchen Klang wir bevorzugen, können wir den Stand des Gaumensegels stufenlos anpassen. Je höher es steht, desto stärker ist der orale Klang, je weiter unten es hängt, desto nasaler klingen wir. Diese Möglichkeit wird vor allem in der Popularmusik genutzt. Denn hier wird es durchaus als ästhetisch angesehen, auch mal ganz nasal zu klingen. Im Allgemeinen wird das Gaumensegel im Gesangsbereich zur Klangfärbung eingesetzt. Diverse Klangrezepturen z. B. von CVT Complete Vocal Technique oder EVT Estill Voice Training können somit dunkler oder heller gefärbt werden.

Wie kann ich mein Gaumensegel trainieren?

1. Gaumensegel nach oben ziehen
Stell dir vor, du musst gleich niesen. (Vielleicht inhalierst du dafür vorsichtig etwas Pfefferpulver). Kurz bevor du niest, atmest du ein und ziehst dabei dein Gaumensegel hoch und verschließt den Nasengang.
Auch beim Gähnen zieht sich das Gaumensegel hoch. Ein anschießend gesprochenes AAAA wird oral klingen. Das lässt sich im Spiegel ganz gut beobachten.
Konsonanten wie [k], [p] oder [t] bringen das Gaumensegel in eine hohe Position. Stell dir vor, du willst ein [k], [p] oder [t] sehr stark aussprechen, lässt es aber nicht los, sondern verbleibst in der Position, wo der Druck aufgebaut wird. Du spürst nun deutlich, wie sich das Gaumensegel hebt.
Du kannst auch versuchen die Luft beim Artikulieren von k k k k … nach innen zu saugen. Der kalte Luftstrom ist bei dieser Übung sehr schön am weichen Gaumen zu spüren.
Druckausgleich: Stell Dir vor, deine Ohren sind beim Fliegen im Flugzeug zu gegangen. Um die Ohren wieder frei zu kriegen, ziehst du den Gaumen bei geschlossenem Mund nach oben.
Sobald du deinen Kopf unter Wasser und die Luft anhältst, ziehst du automatisch deinen Gaumen nach oben.
2. Gaumensegel hängen lassen
Französische Wörter wie z. B. “vin” (Wein) [vɛ̃] oder “un” (eins) [ɛ̃] werden mit einem hängenden Gaumen geformt.
Imitiere ein jammerndes oder nörgelndes Kind.
Mache Udo Lindenberg oder Jan Delay nach.
Sprich das Wort “fangen” und bleibe auf dem NG [ŋ] hängen.
Wechsele zwischen NG [ŋ] und einem Vokal hin und her. Hebe dein Gaumensegel nur leicht an, um den Vokal zu formen. Je kleiner die Aufwärtsbewegung, desto nasaler klingt dein Ton.

Wie weiß ich, ob ich nasal oder oral klinge?

Um zu testen, ob der Vokal wirklich nur in der Mundhöhle klingt, drückst du dir während des Tönens abwechselnd die Nase zu und lässt sie wieder los. Wenn der Ton beim Nasezuhalten nasal klingt, weißt du, dass der Nasengang offen ist. Wenn der Ton aber keine nasale Veränderung aufzeigt, so ist der Nasengang geschlossen und du müsstest eine leichte Spannung in deinem Gaumen spüren. Probiere es ruhig mal aus.
Im folgenden Video könnt ihr toll sehen, wie das Gaumensegel (und der ganze Vokaltrakt) beim Singen funktioniert:

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  • Minute 0:20: Liptrill oder “Lippenblubbern”
  • Minute 0:30: Liptrill mit herausgestreckter Zunge
  • Minute 0:44: gesungener Vokal U
  • Minute 1:04: Hier wird erklärt und gezeigt, wie sich das Gaumensegel beim Singen ständig auf und ab bewegt, ohne diese Bewegung bewusst zu steuern.
  • Minute 1:35: Gesungene Textstelle “All’alba vincerò, vincerò, vincerò” aus der Arie Nessun Dorma von Puccini in vier verschiedenen Klangqualitäten.
  • Minute 1:55: Leichter/heller Klang
  • Minute 2:06: “Getwangter” Klang
  • Minute 2:16: Opern Klang
  • Minute 2:25: Rockiger Klang
  • Minute 2:43: Vergleich der vier Klänge auf dem Vokal E (wie in Erde) auf dem Ton Bb.

Achtung, Falle! Nasalität vs. Twang

Nasalität wird oft missinterpretiert. Wir verbinden mit Nasalität meistens einen engen, hellen Klang. Dieser kann aber auch mit Hilfe des sogenannten “Twang” produziert werden. Der twangige Klang allerdings kommt aus dem Kehlkopf und nicht aus der Nasenhöhle. Der Unterschied zwischen den beiden Klängen ist, dass nasaler Klang viel leiser ist als ein “getwangter”. Ebenso kann ein hoher Kehlkopfstand oder ein nach vorn gekippter Schildknorpel einen nasalen Klang suggerieren.

Noch eine letzte Übung für das Gaumensegel

Ich empfehle meinen Schüler/innen immer, unterschiedliche Gemütszustände in Sprache auszudrücken. Ein einfacher Satz auf diverse Art und Weise gesprochen macht uns klar, wie vielfältig wir klingen können.
Sprich folgenden Satz “Ich kann es kaum erwarten, wieder auf ein Konzert zu gehen” und imitiere die folgenden Emotionen: fröhlich, wütend, zynisch, traurig, verzweifelt, kraftlos, pampig, nörgelig, schluchzend, jammernd, schnippisch, aggressiv, schnodderig etc.
Beobachte, was in deinem Vokaltrakt vor sich geht. Vielleicht kannst du jetzt schon dein Gaumensegel etwas besser kontrollieren.
Viel Vergnügen vor dem Spiegel!

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