Die letzten beiden Folgen unseres DAW-Mixing-Workshops waren der virtuellen Nachbildung des Klangeinflusses von Mikrofonen und Gitarren-Amps/-Preamps gewidmet. In dieser Folge soll der Fokus noch einmal auf die Vorverstärker geschärft werden.
Dabei werden wir einen extra großen Spot auf Vocal-Aufnahmen richten. Schließlich ist der Gesang in der Pop- und Rockmusik vielfach dafür zuständig, Inhalte, Stimmungen und vor allem Emotionen zu vermitteln und somit in der Regel eines der Aushängeschilder einer Musikproduktion.
Den technischen Überblick zu Preamps haben wir bereits in der letzten Workshop-Folge abgehandelt. Und einemfrüheren Artikel dieser Reihe haben wir auch schon verschiedene Emulations-Verfahren kennengelernt. Deshalb machen wir uns in diesem Workshop direkt ein Bild von den verschiedenen Plug-In-Möglichkeiten, die uns den Hauch des Preamp-Sounds interessanter, teurer oder auch ganz spezieller Hardware in unser Home- oder Projektstudio bringen möchten. Anhand der Lead-Vocals unseres Workshop-Tracks wollen wir dabei schauen, wie die verschiedenen Plug-In-Alternativen sich klanglich auswirken.
Preamp-Emulationen für Mikrofonsignale
It’s all in the numbers – Algorithmen-basiertes Modeling
Modeling-Plug-Ins, die auf die Berechnung von Klangänderungen setzen, sehen sich der Kritik ausgesetzt, dass sie die Vorgänge, die in Outboard-Equipment vor sich gehen, unmöglich adäquat, geschweige denn vollständig mithilfe von Zahlenwerten und logischen Verknüpfungen abbilden können. Viel zu komplex seien die Zusammenhänge und viel zu zahlreich die enthaltenen Wechselwirkungen, so die Gegenargumente. Belege für diese Sicht finden sich in etlichen Online-Foren zum Thema Recording, Mixing und Tontechnik. Das schreckt jedoch Entwickler nicht davon ab, immer wieder Versuche zu unternehmen, diesen anspruchsvollen Anforderungen gerecht zu werden.
Dabei steht vor allem der Einfluss von Röhrenschaltungen im Vordergrund. So hat etwa Hersteller Magix das Plug-In Amphibia im Programm, das sich unter anderem an der Nachbildung eines Röhren-Preamps versucht. Es ist Teil der „Analogue Modeling Suite Plus“ und für die Anwendung auf Vocalsignale konzipiert. Amphibia versteht es, schwachbrüstige und dünne Mikrofonsignale deutlich „fetter“ zu machen. Im vorliegenden Fall bringt das Plug-In dagegen Brillanz und Feinheit ins Spiel.
Röhren-Emulationen haben wir bereits in der Workshop-Folge zum Thema Mikrofone kennengelernt. Zu den Plug-Ins, die sich ausschließlich der Nachbildung des Klangeinflusses von Röhrenschaltungen widmen, gehört neben dem in den letzten Folgen schon vorgestellten Antares Warm auch die Freeware phi-L Audio TubePreamp, deren Algorithmen im Rahmen einer Bachelor-Arbeit entwickelt wurden. Das Plug-In gibt dem Signal eine deutliche Zerrung mit auf den Weg. Den Charakter des Distortion-Anteils hört man am besten an der lauten Vocal-Stelle bei etwa 0:17 heraus.
Für dich ausgesucht
Eine kleine Sammlung verschiedener Emulationen, zu denen unter anderem Röhren- und Transistor-Preamps gehören, bietet das nun schon etwas länger verfügbare Plug-In URS Saturation. Dazu gehören auch Presets, die versuchen die Klangeinflüsse von Ausgangsübertragern nachzubilden. Im Beispieltrack hört ihr etwa das Preset „Tube Mic Pre – Motor City“ mit einem Sättigungsanteil von 67%. Es sorgt für eine angenehm „warme“ Anzerrung des Vocalsignals. Zu den Klassikern unter den Analog-Emulationen zählt zweifelsohne Decapitator von Soundtoys. Es ist auch unter eingefleischten Hardware-Fans beliebt und bietet versteckt hinter seiner „Style“-Auswahl Nachbildungen der Signaleinflüsse von gesuchten Preamps, wie einem Chandler/EMI TG Channel (Decapitator-Style „E“) oder einem Neve 1057 (Decapitator-Style „N“). Der im Audiobeispiel zu hörende dezente Klangeinfluss ist aber nur eine Variante, die Decapitator bietet. Wie der Name des Plug-Ins bereits verrät, sind mit diesem Tool durchaus auch krasse Verzerrungen realisierbar.
Und so weiter und so fort… Es gibt eine Vielzahl von Preamp-Emulationen, insbesondere im Freeware-Bereich. Ein Qualitätsmerkmal ist dabei die Tiefe, mit der die jeweiligen Entwickler sich in das Problem der Abbildung analoger Klangeinflüsse einarbeiten. Deshalb habe ich hier nur solche Modeling-Plug-Ins vorgestellt, die entweder von Entwicklern stammen, die schon länger erfolgreich auf dem Markt sind, oder aber in ihre Software einen akademischen Hintergrund einfließen lassen.
Consuming Impulse – Replikation mit IRs
Impulsantworten (engl. Impulse Responses) versuchen klangliche Auswirkungen einzufangen, die eine Hardware über ihr gesamtes Frequenzspektrum auf ein Signal hat. Dieser Klangeinfluss wird in einem standardisierten Verfahren aufgezeichnet und in einer Wave-Datei „verewigt“. Um diese IR-Dateien in einer Produktion einsetzen zu können, benötigt man zum einen die Impulsantworten selbst. Zum anderen muss ein Plug-In her, das die Impulsantworten laden und verarbeiten kann und auf das zu bearbeitende Audiosignal anwendet. Das leistet ein sogenannter „IR-Loader“ oder „Impulse Loader“.
Die Arbeit mit Impulsantworten ist im Grunde genommen relativ einfach. Ihre klangliche „Authentizität“ hängt jedoch sehr stark von der Qualität und Genauigkeit des Setups ab, mit dem die Impulsantworten aufgezeichnet wurden. Nicht zu vergessen ist die Abbildung, die eine Impulsantwort leisten kann, statisch, gibt also zwar ganz bestimmte Parameter-Einstellungen einer Hardware wieder, kann aber weder hardwareabhängige dynamische Klangveränderungen noch zeitlich bedingte Klangveränderungen wiedergeben.
All dies sind wohl die Gründe, warum Preamp-Impulsantworten eher selten verwendet werden und online nicht ganz leicht zu finden sind. Eine Anlaufstelle für privat gecapturete IRs, die zum kostenlosen Download bereitstehen, ist die Homepage von Pipeline Audio (siehe Link im Anhang). Eine einfache Freeware-Variante eines Impulse-Loaders ist das Plug-In Plektron IRcab. Hier ist nicht viel falsch zu machen. Eine weitere kostenlose Alternative ist das Plug-In KeFIR, das unter anderem einem „Mix“-Regler bietet, um das Wet/Dry-Verhältnis regeln zu können.
Mit der Impulsantwort des Calrec-Preamps wirkt das Low End des Vocalsignals deutlich aufgeräumter. Die in KeFIR benutzte Impulsantwort des Precision 8 ist da schon deutlich verhaltener. Sie sorgt eher für eine leichte Absenkung der luftigen Höhen um etwa 15 kHz.
Dynamic Convolution
Bereits seit vielen Jahren ist der Focusrite Liquid Channel erhältlich. Er setzt pegelabhängige Impulsantworten ein („Dynamic Convolution“), die mittels interner SHARC-Prozessoren auf eingehende Audiosignale angewendet werden. Zusätzlich bildet dieses Gerät auf analoger Schaltungsebene auch physikalische Unterschiede von Preamps nach, wie etwa die Wahl der Eingangsimpedanz. Sie stellt eine weitere Möglichkeit zur Klanggestaltung dar. Denn höhere Eingangsimpedanzen führen vielfach zu einem transparenteren, offeneren Sound. Somit bietet der Liquid Channel einen Ansatz, der allein durch die Verwendung von Plug-Ins nicht zu bewerkstelligen ist.
Vom produktionstechnischen Ablauf her ist es zwar nicht empfehlenswert, bereits gewandelte Signale erneut zu wandeln – nichtsdestotrotz ist es durchaus möglich, den Liquid Channel in den Insertweg einer DAW einzuschleifen und somit ein bereits aufgezeichnetes Mikrofonsignal quasi zu reampen. Optimalerweise sollte ein im Mix verwendetes Mikrofonsignal aber bereits mit einer Preamp-Emulation des Liquid Channels aufgezeichnet worden sein, so wie bei den folgenden Audiobeispielen geschehen.
Emuliert werden können hier unter anderem Preamp-Klassiker wie Neve 1073, API 3124 oder auch Avalon 737. Dabei sind die klanglichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Preamp-Emulationen mitunter subtil. Für Einsteiger in das Feld „virtueller Preamps“ empfiehlt sich deshalb ein Vergleich sehr unterschiedlich klingender Modelle. Dies können etwa ein kraftvoll klingender Neve 1073, ein transparent und offen klingender Millennia HV-3D oder auch ein fett und warm klingender Telefunken V76 sein.
Wem eine Auswahl von zehn Preamp-Klassikern ausreicht, der kann auf das Audio-Interface Focusrite Liquid Saffire 56 zurückgreifen. Es enthält gleich zwei Preamps, die die Liquid Technologie unterstützen, bietet dafür aber eine geringere Modell-Auswahl an Emulationen. Der Einsatz eines Liquid Channels oder Liquid Preamps bietet sich für Anwender an, die im Vorfeld bereits wissen, welchen Preamp-Sound sie wünschen. Plug-Ins versprechen dagegen eine – wenn man so möchte – non-destruktive Vorgehensweise.
Die vierte Dimension – Volterra Kernel Technology
Womit wir bei der vierten Variante und wieder in der Plug-In-Welt angelangt wären, in der wir uns die Volterra Kernel Technology des italienischen Herstellers Acoustica Audio genauer anschauen. Mit dessen Plug-In „Nebula“ können ebenfalls Klangänderungs-Profile von Preamps, Kompressoren und weiterem analogen Outboard-Equipment in die DAW geladen werden. Das besondere dieses Ansatzes ist, dass er auch die „Time Domain“ berücksichtigt, während sich andere Emulationsverfahren auf den Frequenzbereich beschränken und bestenfalls noch Signalstärken oder Impedanzen berücksichtigen. Ein Nachteil des Verfahrens ist jedoch, dass es sehr ressourcenhungrig ist. Auch leistungsstarke Audiorechner können beim Einsatz mehrerer Nebula-Instanzen schon mal in die Knie gehen. Dafür ist das klangliche Resultat aber erstklassig.
Im Werbetext der Entwickler heißt es deshalb „you’ll be adding the warmth of analog to your digital mixes in no time at all“. Und tatsächlich. Hat man sich erst einmal durch die Bedienung des Nebula-Plug-Ins gewurschtelt, steht einem unter anderem eine Auswahl von Preamp-Emulationen zur Verfügung, die es klanglich in sich hat. Wer hier allerdings erwartet, dass „mit großem Pinsel“ gemalt wird, wird eventuell enttäuscht sein. Wie beim Liquid Channel, so sind es auch beim Nebula-Plug-In gerade die feinen klanglichen Unterschiede, die dessen Einsatz interessant machen. Eine kostenlose Version dieses Plug-Ins hört auf den Namen „Nebula 3 Free Bundle“ und steht auf der Entwickler-Homepage zum Download bereit.
Einen Einstieg in den die Klangwelt der Volterra Kernel-Technologie stellt das Freeware-Plug-In AcquaVox dar. Es wird ebenfalls von Acoustica Audio als Freeware angeboten und emuliert die Klangeinflüsse einer Manley VoxBox emuliert.
Fazit & Ausblick
Als Fan von Preamp-Emulationen hat man also nicht nur zwischen verschiedenen Emulations-Verfahren die Qual der Wahl, sondern muss sich auch zwischen verschiedenen Workflows und Budget-Varianten entscheiden. Dabei kann auch für die Nachbildung von Preamp-Klängen festgehalten werden, dass nichts besser funktioniert als der Einsatz eines echten Mikrofonvorverstärkers. Dennoch wird es zahlreiche Heim- und Projektstudios geben, in denen allzu knappe Budgets die Anschaffung von Highend-Equipment vorerst verhindern. Und in manchen Situationen soll vielleicht auch einfach nur ein Klang aufbereitet, angereichert oder verfremdet werden. In solchen Fällen sollte der Einsatz von Emulationen absolut legitim sein. Zum Abschluss dieser Workshop-Folge wollen wir uns wieder anhören, wie sich der gezielte Einsatz einiger der vorgestellten Plug-Ins auf den Sound einer DAW-Produktion auswirkt. Dabei habe ich mich auf eine vergleichsweise kleine Auswahl von Signalbearbeitungen beschränkt. Die Lead-Vocals wurden erneut mithilfe eines Focusrite Liquid Channel aufgezeichnet. Im A/B-Vergleich der Vorher-/Nachher-Varianten verwende ich deshalb zum einen das „FLAT“-Preset des Liquid Channels und zum anderen das Preset „DEUTSCH 72“, das den Signaleinfluss eines Telefunken V72-Preamps nachbildet. Unter Zuhilfenahme der V72-Emulation wirkt der Klang der Lead Vocals deutlich fetter, runder und auch wärmer. In die Insertwege der Einzelkanäle der Background Vocals wurde dagegen je eine Instanz des Plug-Ins phi-L Audio TubePreamp von Acoustica Audio eingebunden. Mit der Hilfe dieses Plug-Ins erscheinen die Background Vocals um Einiges „weicher“ und zugleich auch etwas weniger „upfront“.
Ich würde nicht behaupten, dass sich ein Track ganz von allein mischt, wenn analoges Equipment verwendet wird, das Signalspitzen auf natürliche Weise abschwächt und so für einen „runderen“ Sound sorgt. Aber mir persönlich sagt die Wet-Version unseres Demo-Tracks bereits mit statischen Faderpositionen deutlich mehr zu als die Dry-Variante. Für meine Ohren klingt die „digiloge“ Produktion bereits ohne Kompressoren, EQs, Reverbs und Delays deutlich homogener und schlüssiger… sofern man das in diesem frühen (ungemischten) Stadium sagen darf.
In der nächsten Folge befassen wir uns mit dem nächsten Schritt unserer quasi-analogen Signalkette. Dann wird es um den klanglichen Einfluss gehen, den Mischpulte auf Audiosignale nehmen. Wir dürfen also gespannt sein, wie sich der Klang unseres Demo-Tracks entwickelt.
Markus Galla sagt:
#1 - 10.01.2015 um 16:51 Uhr
Ich kann mir nicht helfen: bei den Klangbeispielen ist die Wirkung dermaßen subtil, dass man sich fragen muss: ist es wirklich besser? Macht so eine Simulation jetzt den Unterschied? Ich glaube nicht.Wir sind mittlerweile so fixiert auf Technik, dass man sich fragen muss, ob man überhaupt noch Ahnung von Recording und Mixing hat oder sich nur noch einbildet, dass die Technik tatsächlich den Mix entscheidet.Für mein Empfinden macht keine der Emulationen das Signal "besser" oder "gefügiger". All das hätte man entweder auch mit dem EQ erreichen können oder sogar besser noch bei der Aufnahme, indem man ein anderes Mikrofon verwendet, den Mikrofonabstand vergrößert oder einfach am Mikrofon etwas vorbei singt - oder die Richtcharakteristik ändert. Stattdessen kauf man neue Plugins, neue Hardware oder sonst was und bildet sich tatsächlich ein, eine Verbesserung erwirkt zu haben. Seltsam, so etwas.
Matthias sagt:
#2 - 13.04.2015 um 16:10 Uhr
Amen
Henry sagt:
#3 - 18.09.2016 um 21:30 Uhr
Letzter Satz hier in Teil 6: "In der nächsten Folge befassen wir uns mit dem nächsten Schritt unserer quasi-analogen Signalkette. Dann wird es um den klanglichen Einfluss gehen, den Mischpulte auf Audiosignale nehmen. Wir dürfen also gespannt sein, wie sich der Klang unseres Demo-Tracks entwickelt."Nur leider hat es Teil 7 nie gegeben, wie es scheint...