Keyboards mit Begleitautomatik sind beliebt bei Entertainern, Alleinunterhaltern und für die Hausmusik. Dafür haben sie Hunderte von Sounds und Begleitrhythmen an Bord, die inzwischen ab der Mittelklasse auch ganz anständig klingen. Auf die Idee, ein solches Keyboard als Soundlieferant für Musikproduktionen einzusetzen, kommt jenseits des Schlagerkosmos aber kaum jemand. In diesem Workshop habe ich einmal ausprobiert, wie es klingt, wenn man einen aktuellen Hit nur mit Sounds aus einem Portable Keyboard nachbaut. Eine Art Produce-alike “Portable Keyboard Edition”, sozusagen. Gegenstand des Experiments: Lana del Reys Song “High By The Beach”.
Zum Einsatz kam das Yamaha PSR-S670 (hier geht’s zum bonedo-Test), das im Portfolio des Herstellers derzeit den Einstieg in die Mittelklasse markiert. Es ist also über den berüchtigten Kinderzimmer-“Tischhupen” angesiedelt, aber immer noch um ein Vielfaches günstiger als Yamahas Flaggschiff Tyros5, für das man mindestens das Sechsfache auf den Tisch legen muss.
Beim Workshop Hit mit der Hupe zu “Wake me up” von Avicii hatte ich noch ein multitimbrales MIDI-Arrangement gemacht, sodass das Keyboard alle Spuren gleichzeitig abspielte. Darauf habe ich diesmal verzichtet. Stattdessen habe ich die Sounds einzeln als Audiospuren in die DAW überspielt und dort weiter bearbeitet, was auch eher einer realistischen Studiosession entspricht. Bei Bedarf habe ich die Sounds vor der Aufnahme mit den beiden zuweisbaren Drehreglern des Keyboards noch etwas angepasst.
Der Hit “High By The Beach” ist eine ruhige Nummer mit nicht allzu vielen verschiedenen Elementen, sodass es nicht schon von vornherein ausgeschlossen erscheint, die passenden Sounds aus dem Keyboard herauszubekommen. Charakteristisch für den Song ist der durch viel Hall verwaschene und wabernde Sound, der durch Lana del Reys entrückten Gesang noch unterstrichen wird.
Chorus
Drums und Bass
Es geht los mit einem Drumloop, den ich mit dem Hip Hop Kit des PSR-S670 programmiert habe. Im Original klingt es so, als wären die Drums etwas heruntergepitched. Um diesen Effekt zu erzielen, habe ich den Loop in einem schnelleren Tempo aufgenommen (75 statt 66 BPM) und dann ganz klassisch langsamer abgespielt, so wie man es in der guten alten Zeit mit einer Bandmaschine gemacht hätte. In diesem Fall kam Logics Flex-Time-Funktion mit dem Setting „Speed“ zum Einsatz. Hier hört ihr den Loop zuerst im Originaltempo und dann in der verlangsamten Version:
Für dich ausgesucht
Mit einem EQ habe ich einige problematische Frequenzen in den Bässen und Mitten etwas abgesenkt:
Der Drumloop wird mit je einer zusätzlichen Bassdrum und Snaredrum unterstützt. Die Kick stammt aus dem „BD Kit“ des PSR-S670, das eine große Sammlung von Bassdrums enthält. Mit einem EQ habe ich hier die tiefen Frequenzen angehoben, die ich vorhin aus dem Loop entfernt hatte.
Als Snare kommt ein Sample aus dem Hip Hop Kit zum Einsatz, das nach einer Snaredrum aus der Roland TR-808 Drum Machine klingt. Sie bekommt ein Delay, das in Achtelnoten zum Songtempo synchronisiert ist:
So klingt der Loop mit der zusätzlichen Bassdrum und 808-Snare sowie etwas Hall:
Nun zur Hi-Hat. Zusätzlich zur Achtel-Hi-Hat, die im Loop schon vorhanden ist, kommen noch zwei weitere Hi-Hats zum Einsatz. Los geht’s mit einerHi-Hat aus dem 808 Kit, die ein 16tel-Pattern mit kleinen triolischen „Wirbeln“ spielt. Interessant ist außerdem eine Note, die etwas zu „stolpern“ scheint, als sei man beim Programmieren im Quantisierungsraster verrutscht.
Jetzt brauchen wir noch eine letzte Hi-Hat, die auf den Offbeats aufgeht. Sie stammt aus dem Hip Hop Kit, und ich habe sie mit einem EQ schärfer gemacht und mit einem Kompressor bearbeitet. Dadurch klingt sie einzeln etwas fies, entfaltet später leise gemischt im Mix aber besser ihre Wirkung. Hier hört ihr sie zunächst ohne, und dann mit den Effekten.
Vor den Zählzeiten „2“ und „4“ liegt jeweils ein rückwärts abgespieltes Snare-Sample mit viel Raumanteil, das sozusagen in den Beat „hinein zieht“. Ich habe eine Snare aus dem Room Kit aufgenommen, rückwärts abgespielt und auf einer Audiospur an die betreffenden Stellen gesetzt. Der letzte Teil des Samples, also das umgedrehte Anschlaggeräusch, ist abgeschnitten, weil es zu aufdringlich wäre.
Alle Schlagzeugspuren werden auf einen gemeinsamen Bus geroutet, um sie gemeinsam mit einem Kompressor bearbeiten zu können. Der Kompressor ist quasi der „Klebstoff“, der die Sounds zusammenhält. Und so klingen die Drums in der Kombination:
Weiter geht’s mit dem Bass. Hier habe ich den Sound „DeepSubMW“ genommen, der beim PSR-S670 in der Kategorie SYNTH zu finden ist. Wie der Name schon andeutet, wirkt das Modulationsrad bei diesem Sound auf den Filter Cutoff. Damit habe ich den Sound dumpfer gefiltert, bis er wie ein klassischer Sub Bass klingt. Indem man die beiden Drehregler des PSR-S670 den Parametern „Attack“ und „Release“ zuweist (das geht über den Assign-Taster), kann man die Hüllkurve des Sounds beeinflussen. Ich habe dem Sound eine längere Release-Zeit gegeben, wodurch er beim Loslassen der Taste länger ausklingt. Der Sound spielt immer zusammen mit der Bassdrum. Nach der Aufnahme in der DAW habe ich den Bass mit einem Effekt bearbeitet, der künstliche Obertöne hinzufügt und die Basswahrnehmung auf kleinen Boxen verbessert. Zusätzlich wird der Bass komprimiert. Hier hört ihr die Spur ohne und mit Effekten:
Und so klingen Drums und Bass zusammen:
Pads, Synths und Strings
Als nächstes brauchen wir zwei verschiedene Pad-Sounds. Der erste ist der Sound „Dark Fat Saw“, den ich mit den Drehreglern dumpfer gefiltert habe. In der DAW habe ich dann mit einem EQ die Bässe und Tiefmitten abgesenkt, um Matsch im Mix zu vermeiden.
Das zweite Pad ist der Sound „Strings + Flutes“ aus der Orchester-Abteilung. Auch er wurde per Drehregler gefiltert. In der DAW kommen noch ein EQ und ein leichter, schneller Tremolo-Effekt hinzu. Im Ergebnis klingt das ein bisschen wie ein Sound aus einem Mellotron (hier zunächst ohne und dann mit Effekten):
Beide Pads durchlaufen einen gemeinsamen Bus, in dem ein Chorus arbeitet. Mit einem Sidechain-Kompressor werden die Pads bei jeder Bassdrum etwas im Pegel abgesenkt, wodurch ein leichter „Pumpeffekt“ entsteht. Dazu wählt man die Bassdrum-Spur als Eingangssignal für den Sidechain-Input des Kompressors aus. Der Release-Zeit des Kompressors sollte man hier besondere Aufmerksamkeit schenken: Sie bestimmt, wie schnell der Pegel nach dem „Triggern“ der Kompression wieder nach oben kommt.
Ein Synthesizer Lead Sound spielt ein 16tel-Pattern. Hierfür habe ich den Sound „Dual Square“ genommen. Er hat einen leichten Portamento-Effekt (beim Anschlagen einer neuen Tonhöhe braucht er einen kurzen Moment, um dorthin zu „gleiten“), was in diesem Fall durchaus erwünscht ist. Der Sound wird stark verhallt und relativ leise gemischt.
Nun fehlt für den Chorus nur noch eine kleine Streicher-Linie, die ebenfalls stark verhallt wird und dadurch etwas verschwimmt und undeutlich wird. Ich habe den Sound aus zwei Presets des PSR-S670 zusammengesetzt. Beide wurden mit den Drehreglern des Keyboards dumpf gefiltert. Die beiden Komponenten sind das Preset „Strings“ und der Sound „Octave Strings“:
Beide Sounds werden auf einem Bus zusammengemischt und durchlaufen gemeinsam ein Stereo-Delay und einen großen Hall mit viel Effektanteil. In diesem Fall habe ich den Hall als Insert-Effekt eingesetzt, weil er speziell für die Strings zum Einsatz kommt. Die Kombination klingt so:
Und damit ist der Chorus fertig. Hier hört ihr ihn komplett:
Strophe
In der sehr sparsamen Strophe setzen alle Drums aus, sie findet komplett ohne Beat statt. Auch das zweite Pad (die Strings + Flutes), der 16tel-Synth und die Strings haben Pause. Das erste Pad läuft jedoch weiter. Auch der Bass ist noch dabei, aber er spielt hier lange Noten. Dafür habe ich den gleichen Sound genommen wie für den Chorus (DeepSubMW dumpf gefiltert), aber die Release-Zeit wieder kurz eingestellt, sodass ganze Noten ohne Überlappungen möglich sind:
Das Pad wird mit einer Orgel gemischt, die dem Klang etwas Farbe hinzufügt. Der Sound heißt „Chapel Organ“, in der DAW wurde er um einen Tremolo-Effekt ergänzt:
Für die Strophe brauchen wir nun nur noch zwei Piano-Spuren. Auf beiden kommt der Sound „Concert Grand“ zum Einsatz, der mit Abstand beste Klaviersound des PSR-S670. Die erste Spur spielt leise Achtel-Akkorde in einer hohen Lage:
Auf der zweiten Klavierspur gibt es ein wenig „Freestyle“, also ein paar kleine Licks und Arpeggios, die auch vom Timing her recht frei sind. Diese Spur bekommt zusätzlich ein Delay und recht viel Hall, um den etwas „verwaschenen“ Charakter zu erreichen:
Die fertige Strophe klingt so:
Und damit haben wir die wesentlichen Teile des Hits von Lana del Rey mit den Sounds des Yamaha PSR-S670 nachgebaut. Gar nicht mal schlecht für ein Keyboard der unteren Mittelklasse, finde ich! Zwar wäre vor allem bei den Drums noch etwas moderneres Klangmaterial wünschenswert, aber insgesamt kommt man mit den Sounds des Keyboards schon recht weit, vor allem wenn man sich die Möglichkeiten einer DAW zunutze macht. Hier hört ihr den fertigen Mix:
Wenn euch dieser Workshop Spaß gemacht hat, könntet ihr auch Gefallen an unserer Produce-alike-Serie finden, in der ich aktuelle Pop-Hits in ihre Einzelteile zerlege und nachbaue. Dort geht es bald mit neuen Folgen weiter – schaut also bald wieder herein!
Tom sagt:
#1 - 22.11.2015 um 20:28 Uhr
Toller Workshop und am Ende wie ich finde ein beeindruckender Sound,
der Begriff "Tischhupe" ist hier wohl etwas fehlplaziert, da hätte man doch besser einen anderen Aufmacher wählen können,
eine noch größere Herausforderung wäre es dann wohl auf die DAW zu verzichten und das ganze mit dem bordeigenen Sequenzer zu machen