2.2 – Deutsch oder Englisch?
Die deutsche Sprache ist längst im Mainstream Pop/Rock angekommen, viele Künstler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz erreichen heutzutage mit Texten in deutscher Sprache ein großes Publikum, auch wenn ihr Bekanntheits- und Tour-Radius meist dadurch auf die drei deutschsprachigen Länder beschränkt ist. Die weltweit bekannte deutsch-textende Band “Rammstein” ist eines der wenigen Gegenbeispiele, genauso wie der kurze Tokio Hotel Hype. Sich mehr oder weniger auf den deutschen Sprachraum zu beschränken, klingt aber viel negativer als es in Wirklichkeit ist. Denn in diesem Gebiet mit guter Medien- und Infrastruktur finden sich viele Hörer mit großem Interesse für Musik in ihrer Muttersprache. Und wer darüber hinaus die Gunst des Goethe-Instituts erlangt, das die Verbreitung der deutschen Kultur und Sprache fördert, wird mit etwas Glück sogar als “Kultur Gesandter” auf Welttournee geschickt!
Till Huber
Till Huber: „Ein bemerkenswerter Trend, der Popmusik in Deutschland in den letzten Jahren erfasst hat, besteht vor allem darin, dass es wieder en vogue ist, auf Deutsch zu singen – und das auch jenseits von Schlagern wie Matthias Reims „Verdammt ich lieb dich“ und den dadaistischen Experimenten der Neuen Deutschen Welle. Nicht nur, dass deutsche Songtexte derzeitig eine Hochkonjunktur erleben, man könnte meinen, sie hätten ein noch nie da gewesenes Maß an Normalität erlangt.“
Wer hierzulande deutsche Liedtexte verfasst, hat nicht nur den Vorteil, sich textlich auf dem sicheren Terrain seiner Muttersprache bewegen zu können, er findet vor allem schnell Aufmerksamkeit. Denn wo deutsch gesungen wird, da wird hingehört. Besonders Hörer, denen es in erster Linie um die Texte geht, erreicht man mit ihrer Muttersprache natürlich viel besser. Dieses genaue Hinhören bei deutschen Texten kann allerdings auch zum Bumerang für zweifelhafte Texter/innen werden. Denn wer nicht gut textet, kommt damit in der Regel nicht durch. Kitsch, Konstruiertes, Plattitüden, (ernst gemeinter) Nonsens sowie Unstimmigkeiten bei Wort- und Bildwahl werden sofort entlarvt. Das meist als lässig empfundene Englische beispielsweise kann solche Dinge für das “deutsche Ohr” sicherlich etwas kaschieren, auch wenn passables Englisch zur Allgemeinbildung gehört und man dem Verlauf einer Geschichte im Groben folgen kann. Und es soll wohl auch viele Hörer hierzulande geben, die bei englischen Texten gar nicht wirklich zuhören …
Vergleicht man die englische und deutsche Sprache miteinander, stellt man fest, dass das Englische oftmals kürzere Wörter bereithält, Formulierungen oft weniger Wörter bedürfen, es erstaunlich viele Reim- und Halbreim Möglichkeiten gibt, Vokale melodischer und Konsonanten weicher ausgesprochen werden. Und ganz generell gibt es hier weniger hart oder kratzig klingende Konsonanten als im Deutschen. Das wirkt sich natürlich auf den Klang und das Zusammenspiel von Melodien und Worten aus.
Vergleicht man die Ausdrucksweise von englisch- und deutschsprachige Songtexten miteinander, fallen auch hier feine Differenzen auf. Verallgemeinert man das Ganze etwas, kann man sagen: im Englischen drückt man sich oft direkter aus, ungezwungener und freizügiger als viele deutsch textende Künstler/innen aus dem sprichwörtlichen “Land der Dichter und Denker” es gern zu tun pflegen. Heißt: Hierzulande ist man viel damit beschäftigt die textlichen “Peinlichkeitsklippen” zu umschiffen. Bis es groovt und glaubwürdig klingt kann es etwas dauern. Ein Beispiel für diesen Unterschied zwischen den Sprachen liefert Sasha im Interview mit dem Amy Winehouse Song “Rehab”.
Auch lässt sich vermuten, dass die “Geschmackspolizei” im angloamerikanischen Sprachraum wohl einfach etwas gnädiger mit “Textsündern” ist. Denn wer würde glauben, dass man mit Zeilen wie diesen einen Welthit schreiben kann: “Heile die Welt, mache sie zu einem besseren Ort, für dich und mich und für die ganze Menschheit”? Letzteres war eine freie Übersetzung ins Deutsche von Michael Jacksons “Heal The World”. Andererseits wird auch nicht alles bedingungslos geschluckt, wie Bosse unten berichtet. Auch dort weiß man, wie ein anspruchsvoller Text auszusehen hat – wie soll es auch anders sein, wo doch so viel gute Musik von dort kommt!
Und letztlich kann auch die potentielle Reichweite des Englischen ein guter Grund dafür sein, Songtexte in dieser Sprache zu verfassen. Wer möchte, dass seine Texte international verstanden werden (insbesondere das Internet bietet ja beste Möglichkeiten, per Mausklick die Landesgrenzen zu überwinden und Hörer in der ganzen Welt zu gewinnen), hat mit der “Allerweltssprache” Englisch einen klaren Vorteil gegenüber einer weniger verbreiteten Sprache wie Deutsch. Oder auch Isländisch. Die Künstlerin Björk wäre sehr wahrscheinlich nicht weltbekannt geworden, hätte sie ihre Hits in ihrer Muttersprache getextet. Gleiches gilt für die Franzosen Air und Phoenix, die Kolumbianerin Shakira, die Schweizerin Sophie Hunger und schier unzählige Künstler aus Schweden, Norwegen und Dänemark. Und natürlich auch für die international erfolgreichen deutschen Künstler “The Notwist”, “Scorpions” oder “Sarah Connor”.
Simon Triebel
“(….) das ist bei englischen Texten etwas anders, zumindest hier im deutschsprachigen Raum, wo die wenigsten Hörer die Texte verstehen oder nicht sonderlich darauf achten.”
Beschäftigst du dich viel mit den Songtexten anderer Künstler?
Simon Triebel: “Auf jeden Fall! Gerade im Deutschen, aber auch im Englischen. Aber im Deutschen natürlich noch viel intensiver, ich habe da viel eher eine konkrete Meinung dazu.”
Sasha
“Von Anfang an war für mich klar, dass Englisch die Sprache der Musik ist, die ich gerne mag. (…)”
Ist vielleicht auch der Klang das Geheimnis, warum die englische Sprache so gern in der Popmusik verwendet wird?
Sasha: “Sie klingt besser, finde ich, sie klingt weicher. Mittlerweile gibt es allerdings auch viele deutschsprachige Künstler, die es schaffen, mit der Aussprache so zu spielen, dass man es gut ertragen kann. Und die natürlich auch lyrisch sehr begabt sind!”
Gibt es weitere Unterschiede zwischen den beiden Sprachen Deutsch und Englisch?
Sasha: “Man traut sich auf Englisch einfacher zu schreiben, weil die Engländer und Amerikaner das auch tun. Wenn man auf Deutsch einfach schreibt, läuft man schnell Gefahr ins Schlagereske abzurutschen. Nimm zum Beispiel den Amy Winehouse Hit “Rehab”. Wenn du das so auf Deutsch singen würdest, lachen dich die Leute aus: “Sie wollen, dass ich in die Reha gehe, aber ich sage nein, nein, nein”. Das könnte dann Mickie Krause singen oder so. Im Englischen klingt so ein Text lässiger, natürlich auch, weil es die coole Drogenbraut singt, aber auch weil einfache Worte im Englischen irgendwie anders wirken.”
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Wie hast du Englisch gelernt?
Sasha: “Ich habe Englisch in der Schule gelernt, muss aber auch gestehen, dass ich dieses Fach nicht bis zum Abi durchgezogen habe. Das meiste Englisch habe ich später von meinem Produzenten gelernt, mit dem ich meine ersten Platten gemacht habe. Pete Smith heißt er, hat auch “Dream Of The Blue Turtles” von Sting produziert. Pete, als Londoner mit leichtem Cockney Akzent, hat mir dann im Studio eine gute Aussprache beigebracht, da hat er sehr drauf geachtet. Mit ihm habe ich dann 1-3 Monate nur Englisch geredet, solange die Produktionen halt dauerten, das hat meinem Englisch sehr gut getan. (…)”
Lässt du deine Texte von Muttersprachlern oder Übersetzern checken?
Sasha: “Manchmal mache ich das. Dank des Internets ist man da ja mittlerweile recht chefig unterwegs, da kann man ja immer schnell mal jemand aus England oder USA drübergucken lassen. Obwohl es da auch wieder Unterschiede gibt: Ein Amerikaner würde einen Text ganz anders beurteilen als ein Engländer, in den USA gibt es Bilder, die es in England nicht gibt und umgekehrt. Das sollte einem immer bewusst sein! (….) Dann gibt es die Leute, die sagen “das geht nicht”, wobei ich dann auch oft denke: Wieso geht das nicht? Im ganz Groben handelt es sich hier um Lyrik, und da geht eigentlich alles! Es muss nicht immer alles grammatikalisch ganz korrekt sein oder einen Sinn haben. Paul McCartney hat einmal gesagt: “It has to sound good”. Ein tierischer Satz, finde ich, genau darum geht es. (…) Viel besser ist es, wenn der englische Produzent da ist und nachfragt, was ich mit einer bestimmten Zeile sagen wollte. Dann kann schon mal rauskommen, dass ein Wort vielleicht nicht ganz 100%ig passte oder es bessere Möglichkeiten gibt.”
Bosse
Beschäftigst du dich auch mit den Songtexten anderer Künstler, hörst du den Texten zu?
Bosse: “Ja, andauernd! Das ist eben auch der Grund, warum ich viele englische Sachen eben schlecht finde. Ich finde es teilweise richtig übel, was sich jemand zu singen traut! Ich will jetzt eigentlich keine Namen nennen, aber zum Beispiel „Dance With Somebody“ von Mando Diao. Die 1:1 Übersetzung ist echt zu hart! Wenn man das als deutscher Texter machen würde, dann weiß ich auch nicht … dann weiß ich nicht, wer man dann wäre! (…) Englisch ist halt so schön einfach, da musst du nichts umschreiben und so. Auf jeden Fall nicht für uns Deutsche, und für die Schweden auch nicht. Aber die Engländer wackeln da schon mit den Ohren. (…)”
“Dance With Somebody”, Mando Diao
“Break your happy home
Learn to sing along to the music, to the music
Clap your hands and shake on a summer’s day
To the music, to the music
I’m falling in love with your favourite song
I’m gonna sing it all night long
I’m gonna dance with somebody
Dance with somebody
Dance, dance, dance
I’m gonna dance with somebody
When you’re all alone we become your home
We’re the music, we’re the music
When your love’s away and you feel betrayed
We’re the music, sweet music”
Stört dich ein hörbarer Akzent im Englischen (nicht nur bei deutschsprachigen Künstlern)?
Bosse: “Nein, nur ganz selten, wenn man denkt: „Entschuldigung, mach doch einfach noch mal die 5. Klasse und fang dann wieder ganz von vorne an!“ oder so. Aber eigentlich stört mich das gar nicht, ich mag das teilweise sogar ganz gern. Ich muss dazu aber auch sagen, dass ich früher ja auch mal zwei Jahre lang auf Englisch gesungen habe, mit dem deutschesten Akzent und wohl auch Wörtern, die es gar nicht gibt, Kauderwelsch halt. Deswegen darf ich mich da sowieso nicht beschweren. Aber auch einige Skandinavier wie Björk oder Emiliana Torrini haben einen sehr charmanten Akzent, finde ich! Letztens war ich mit einer Band aus Frankreich unterwegs, The Teenagers, die genau damit kokettieren, dass sie einen französischen Akzent im Englischen haben. Ich glaube, die funktionieren in England auch genau deswegen so gut. Ich weiß nicht, inwieweit wir Deutschen mit unserem Akzent da drüben durchkommen, aber vielleicht funktioniert das ja irgendwann. Dann werden bestimmt viele Leute ganz erfolgreich! (lacht)”