Endlich wieder extremes Time-Stretching! PaulXStretch gibt’s seit kurzem wieder als Effekt, und zwar mit neuer Oberfläche und unter neuer Führung. Wir zeigen, was das Effektwunder kann, wie es funktioniert und was neu ist.
2018 war die damalige Version von PaulXStretch eines der beliebtesten Freeware-Plugins überhaupt. Die geisterhaften Effekte, die extremes Timestretching um das bis zu Tausendfache betrieben, waren unter Sounddesignern extrem beliebt. Der etwas umständlich zu bedienende Effekt war absolut einzigartig. Und bleibt es bis heute.
Entwickler Xenakios schien seitdem allerdings mit etwas anderem als der Weiterentwicklung beschäftigt gewesen zu sein. Außerdem kam 2020 eine entschlossene Absage an die von Apple eingeführten zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen in Catalina. Sie bereitete vielen Plugin-Entwicklern genauso viele Kopfschmerzen wie der Umstieg auf die ARM-Architektur. Xenakios‘ Abfuhr ließ ahnen, dass dieses Plugin wohl bald zum alten Eisen gehören würde.
Und so war die Freude in der Sounddesigner-Community im April 2022 groß, als die kleine Software-Schmiede Sonosaurus verkündete, dass man PaulXStretch weiterführen wolle. Auch Xenakios selbst teilte in seinem Blog den Wechsel des Plugins mit, bei Sonosaurus hat man also seinen Segen.
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Details & Praxis
Grundprinzip
Das Grundprinzip von PaulXStretch ist schnell erklärt: extremes Time-Stretching. Also die Verlangsamung von Audiosignalen um das bis zu 1024-fache. Damit können aus jedem Gesang, aus ödem Klaviergeklimper oder einer Marching-Band episch schwebende Sphären und düstere Drones werden. Das Original ist meist noch am Klang erkennbar, vom Rhythmus oder einzelnen Worten im Gesang ist ab einer Verlangsamung um den Faktor 20 meist kaum noch etwas zu hören.
Brechen wir das kurz mathematisch herunter: Verlangsame ich einen 30-sekündigen Audio-Clip mit PaulXStretch um das Maximum von 1024, erhalte ich auf einen Schlag eine über achteinhalb Stunden lange Klangcollage. Darum geht es natürlich selten. Eher darum, durch die extreme Verlangsamung aus bekanntem Klangmaterial vollkommen neue, anders nicht mögliche Effekte zu erzeugen. Dann schneidet man die ein paar Minuten mit und bastelt die besten Momente zusammen.
PaulXStretch: Installation und Workflow
Auf der Webseite von Sonosaurus gibt es PaulXStretch für vier Plattformen zum Download: Windows (ab 7), macOS (ab 10.10, M1-nativ) Linux und iOS (ab Version 11). Für jede Plattform gibt es jeweils Plugin-Versionen und eine Standalone-App. Und man zeigt sich fortschrittlich: Keine drei Monate nach Ankündigung des neuen Plugin-Formats CLAP (im Test von Bitwig 4.3 haben wir ausführlich gezeigt, was es bringt) gibt es auch PaulXStretch für Mac, Windows und Linux neben AU (nur Mac), VST3 und AAX auch als CLAP-Version.
Wo auch immer ihr das Tool öffnet, um den Effekt zu hören, müsst ihr als erstes Audiomaterial in den Zwischenspeicher (Buffer) laden. Das passiert entweder per Drag-and-drop aus dem Dateisystem oder direkt aus der DAW unten. Genauso gut könnt ihr die Wiedergabe in der DAW starten und dann oben links im Plugin mit einem Klick auf das kleine Mikrofon die Aufnahme im Buffer aktivieren. Schon seht ihr die Wellenform der Aufnahme.
Davon bekommt ihr allerdings nur voreingestellte zehn Sekunden zu Gesicht. Auf Wunsch könnt ihr die Größe des Zwischenspeichers auf 2, 5, 10, 30, 60 oder 120 Sekunden variieren. Ist der Puffer voll, stoppt PaulXStretch die Aufnahme. Nutzt ihr Drag-and-drop, stellt sich der Puffer automatisch ein. Anschließend müsst ihr nur noch oben im Plugin Play drücken und schon läuft der Buffer-Inhalt voreingestellt in halber Geschwindigkeit. Wenn ihr möchtet, könnt ihr in den Optionen auch „Play when Host transport running“ aktivieren, dann spielt PaulXStretch automatisch, wenn ihr in eurer DAW auf Play drückt.
Die Effekte in PaulXStretch
Der wichtigste Parameter ist getreu dem Namen der „Stretch Amount“. Zieht diesen beispielsweise auf 4 und der Zwischenspeicher spielt in einem Viertel der Originalgeschwindigkeit ab – mit entsprechend vielen akustischen Artefakten. Hier ist das Zusammenspiel mit „FFT Size“ auf der rechten Seite wichtig. Niedrige Werte erzeugen eher Glitch-Stakkatos, hohe verschmieren. Lädt man beispielsweise einen Vocal-Loop in PaulXStretch und stellt „Stretch Amount“ auf 10 bis 15 und „FFT Size“ auf 0.6 bis 0.7, hat man sofort ein sphärisches, ewig mäanderndes Vocal-Pad gebaut.
Darunter strotzt der Effekt nur so vor ungewöhnlichen, einzigartigen Zusatzeffekten. „Harmonics“ erzeugt anhand der Dynamik des Audiomaterials Obertöne, die entfernt an den legendären „Aetherizer“-Effekt in Absynth 5 erinnern. „Tonal Vs Noise“ extrahiert entweder die tonalen oder die Geräuschanteile – praktisch bei erwähntem Vocal-Pad, falls das zu kratzig klingt.
PaulXStretch – Ambient-Maschine
Frequency Shift und Pitch Shift wiederum heben oder senken die Tonhöhe des Quellmaterials auf zwei unterschiedliche Arten – so wird zum Beispiel aus einem glockenhellen Gitarren-Stretch mit zwei Klicks ein düsteres Doom-Ungetüm. Auch die restlichen Effekte wie Ratio Mixer, Free Filter, Binaural Beats Power oder Frequency Spread verwaschen und verzerren das Signal im Buffer auf höchst unterschiedliche Weise. Dazu sind ein Kompressor, ein Highpass- und ein Lowpass-Filter mit an Board.
Auch kann im unteren Bereich die Reihenfolge der Effekte nach dem Stretch-Effekt beliebig verändert werden. Und Sounddesigner wissen: Allein das kann einen gewaltigen Unterschied im Resultat machen.
Export und Ausblick
Das gestretchte und verarbeitete Audiomaterial müsst ihr zur weiteren Verwendung wieder aus PaulXStretch herausbekommen. Dafür gibt es mehrere Wege: Entweder man nimmt das Resultat in einer neuen Audiospur in der DAW auf, während man in PaulXStretch abspielt, oder man lässt das Plugin den Export selbst erledigen. Mit einem Klick auf den kleinen Lautsprecher oben rechts spielt das Tool nicht nur ab, sondern exportiert in Echtzeit als FLAC, WAV oder AIFF.
Arbeitet man etwas länger mit dem Effekt, fällt auf, dass er das System nicht gerade zu gering belastet. Auch betteln viele der Parameter geradezu danach, per internem LFO moduliert zu werden. Es gibt auch keine Möglichkeit PaulXStretch, wenn man es in der DAW nutzt, weiter als mit dem Play-Button zu synchronisieren. Hier wäre direktes Synchronisieren mit dem Songtempo grandios. Dann bliebe der Stretch-Amount immer im Verhältnis. Auch ein Dry/Wet-Parameter wäre praktisch, genauso wie ein Preset-Menü, in dem man wichtige Kombinationen des Plugins speichern und laden könnte. Aber einem geschenkten Gaul… Nein, vor allem bin ich den Menschen hinter Sonosaurus unendlich dankbar, dass sie dieses legendäre Sounddesign-Tool wieder zum Leben erweckt haben.
Fazit
Sonosaurus PaulXStretch hat den wichtigsten Time-Strechting-Effekt in der Musikproduktion wieder zum Leben erweckt. Was hier an Sounddesign-Möglichkeiten drin steckt, kann sich auf Augenhöhe mit den mächtigen Tools von Zynaptiq oder Native Instruments Reaktor messen. Die überarbeitete GUI, die CLAP-Version, viele kleine und große Verbesserungen, und das alles kostenlos! Allen Fans und Neuentdeckern sei hier noch ans Herz gelegt, über den „Donate“-Button unten auf der Sonosaurus-Seite dem Entwicklerteam eine Spende zukommen zu lassen.
- Time-Stretching-Effekt für ungewöhnliches Sounddesign
- Bis zu 1024-fache Verlangsamung der Geschwindigkeit
- Kreative Effekte zum Weiteren Verändern des Sounds
- Drag-and-drop-Import
- Veränderung der Effektreihenfolge
- CLAP-Version
Features
- Legendärer Time-Stretching-Algorithmus von Paul Nasca
- Basiert auf der Version von Xenakios
- Vereinfachtes GUI
- Bis zu 1024-fache Verlangsamung
- 9 zusätzliche Effekte: Harmonics, Tonal vs Noise, Frequency Shift, Pitch Shift, Frequency Spread, Compress, Filter (Low/High), Ratio Mixer, Free Filter
- Plugin-Formate: Standalone, AudioUnit; AAX (64it); VST 3, CLAP
- Preis: kostenlos