Field Recording erreicht mit XLN Audio Life eine neue kreative Dimension. Der zentrale Gedanke von dem Software Sampler ist das Slicen und rhythmische Triggern von Audioaufnahmen, die man vorab mit der zugehörigen App angefertigt hat. So wird jedes Vogelzwitschern, jeder Stadionapplaus zur Grundlage für groovende Loops.
Um XLN Audio ist es ruhig geworden in den letzten Jahren. Hatte man 2014 mit Addictive Drums 2, 2017 mit RC 20, DEM Lo-Fi-Plugin überhaupt, und 2019 mit dem schlauen Drum-Sampler XO bereits eine große Fangemeinde gewonnen, gab es in den letzten Jahren kaum Updates oder neue Plugins. Hier kommt man mit XLN Audio Life zu einem Zeitpunkt auf den Plugin-Markt, zu dem dieser fast schon übersättigt und nur noch wenig innovativ ist. Ein gutes Timing?
Das Wichtigste In Kürze
- Field Recordings automatisch in rhythmische Loops verwandeln
- Samples im iOS/Android-App aufnehmen und mit Plugin synchronisieren
- Audio in der DAW über separates Plugin aufnehmen
- Automatische Transientenerkennung bei den Slices
- Zufällig neue Rhythmen und Slices erzeugen
- Vier Signalgruppen für die Slices mit Lautstärke, Panning, Pitch und mehr pro Weg
- Cloud-Anbindung verpflichtend
DETAILS & PRAXIS
XLN Audio Life macht Sample-Slicing leichter
Nichtssagende Plugin-Namen wie Life oder Love machen es den Usern im dicht gedrängten Markt der virtuellen Instrumente und Effekte nicht gerade leicht. Außerdem zeugen sie, zumindest bei der Namensgebung, nicht eben von Einfallsreichtum. Genau wie schon beim Granulareffekt Love von Dawesome steckt auch in XLN Audio Life einiges, was man so noch nicht gesehen hat.
Das Plugin ist quasi eine Kreuzung aus Serato Sampler, XLN XO und Field Recorder – und richtet sich vom Workflow her eher an Sample-Slicing-Neulinge, denn an gewiefte Sounddesigner. Hier scheint sich XLN viele Gedanken gemacht zu haben.
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Die Idee: „Draußen“ (also im echten „Life“) Audioaufnahmen über eine kostenlose App (iOS und Android) anfertigen und dann über die Cloud-Anbindung in das Plugin laden. Das Plugin analysiert dann die Aufnahmen, zerschneidet sie und erzeugt aus den Schnipseln neue Rhythmen. Außerdem ist ein weiteres Plugin dabei, der „Life DAW Recorder“, der zum Aufnehmen von Audiomaterial aus der DAW dient. Fertige Audio-Samples kann man außerdem per Drag-and-drop ins Plugin ziehen.
Anbindung über die App
Vor allem der Workflow mit Aufnahmen aus dem Smartphone bringt einen Spaß- und Kreativfaktor mit sich, den man sich sonst oft mühsam durch händisches Zurechtschneiden und Bearbeiten aufrechterhalten muss. Bevor ich angefangen habe, brannte mir eine Frage auf der Zunge: „Kann man Aufnahmen aus der Sprachmemo-App direkt mit der Life-App teilen und von dort dann ins Plugin laden?“ Zum Glück konnte ich mir die gleich anfangs beantworten: „Man kann!“, und zwar problemlos über den üblichen Teilendialog auf dem Smartphone.
So wird jedes Warten auf den Bus, jedes dichtgedrängte Heimfahren in der Bahn zum akustischen Spielplatz. Was vorher vor allem Sounddesigner von Film- und Fernseh- Atmos interessiert hat, wird jetzt auch für alle spannend, denen Standard-Percussion-Loops langweilig geworden sind. Auch für Neulinge gibt es damit einen einfachen und kreativen Weg, Sounds einzufangen und (fast) direkt in den eigenen Produktionen zu nutzen.
Man verbindet die mobile App über einen simplen Code mit dem Plugin. Ihr bekommt ihn vom Plugin und müsst ihn dann in der App eingeben. Nach jeder neuen Aufnahme synchronisiert sich die App mit der Cloud. Dort werden die Slices erzeut. Undbinnen Sekunden ist sie dann im Browser des Plugins verfügbar.
Rhythmische Loops mit XLN Audio Life erstellen
Wer auf die Anbindung per Smartphone verzichtet und auch sonst keine eigenen Loops zum Zerschnipseln hat, kann auch erstmal auf die zehn mitgelieferten Sounds im Browser zurückgreifen. Dazu empfiehlt es sich, XLN Audio Life per Klick auf das kleine Schloss unten in der Mitte direkt mit dem DAW-Tempo zu synchronisieren. Sobald man abspielt, fliegen einem nämlich die Slices in wilden Rhythmen um die Ohren.
Life erzeugt die Slices automatisch. Teilweise per Transientenerkennung, teilweise zufällig. Über den „Slice Points“ Button kann man diese Schnittpunkte aber auch nachträglich verändern und außerdem neue Slices erzeugen. Hier wäre es ungemein praktisch, wenn es eine Funktion gäbe, die einzelne Slices normalisiert. Denn so gibt es je nach Aufnahme manchmal Slices, die weit aus leiser als andere sind.
Sounds verarbeiten in Life
Mithilfe der ausgewählten Schnipsel erzeugt Life dann einen zweitaktigen Rhythmus. In der Mitte der Benutzeroberfläche leuchtet Lifes Sequencer bunt dazu. Darunter gibt es außerdem drei Regler, die den erzeugten Rhythmus ohne viel Detailarbeit schnell verändern.
„Density“ beeinflusst die Menge oder eben Dichte der erzeugten Noten. „Syncopation“ erzeugt, je nachdem, ob im negativen oder positiven Bereich, mehr oder weniger vorgezogene Noten. Mit niedrigen Werten sorgt „Symmetry“ dafür, dass sich Takt 1 und Takt 2 nur wenig ähneln, während hohe Werte eine große Übereinstimmung mit sich bringen.
Der „Randomize“-Button verteilt die Slices im Loop neu und erzeugt gleichzeitig einen neuen Rhythmus. Direkt daneben, unter „Browser“ findet man 108 voreingestellte Kombinationen aus Slice-Verteilungen und Rhythmen. Allein mit diesen Werkzeugen kann man jeden aufgenommenen Loop stundenlang zu immer neuen Rhythmen und Schnipsel-Kombinationen verarbeiten.
Noch mehr Groove
Wem das nicht reicht, der muss noch immer nicht in die Detaileinstellungen gehen. Trotz ihrer minimalistischen Optik versteckt sich in der Hauptansicht von Life noch mehr. Unten in der Leiste gibt es zusätzlich zum erzeugten Rhythmus zum Beispiel noch einen Groove-Parameter, mit dem man die Sequenz answingen oder anderweitig rhythmisch stolpern lassen kann.
Außerdem ist ein kleiner Kick-Sampler samt eigenem Sequencer mit dabei. Oft sind die Rhythmen in Life so komplex, dass man ohne rhythmische Referenz kaum erkennt, ob der Groove auch in einem Track funktionieren würde. Bevor man jetzt aber mühsam eine zweite Spur lädt und Stunden mit der Auswahl richtiger Drums und mit dem Programmieren verbringt, aktiviert man die Kick einfach direkt im Plugin. Und es groovt höllisch.
Arbeit im Detail im Editor von XLN Audio Life
Wem das alles aber zu automatisch abläuft, der kann sich überden „Edit“-Button rechts oben in XLN Audio Life auch direkt ins Detail stürzen. Hier sieht man die erzeugte Sequenz und kann sie auch direkt bearbeiten. Dazu hat man Zugriff auf die vier Gruppen.
Life verteilt die ausgewählten Slices in vier Signalgruppen. Jede Gruppe hat eine eigene Hüllkurve, Tonhöhe, Lautstärke, Filtereinstellung, eigenes Panning und einen eigenen Send-Effekt-Anteil. Und einen eigenen Sequencer.. Ihr könnt das Slice auch gleich in mehrere Gruppen packen und es mit jeweils anderen Soundeinstellungen verwenden.
Auch den Sound der mitgelieferten Kick kann man im Edit-Bereich im Detail bearbeiten. Dazu liefert XLN Audio Life zehn verschiedene Kick-Sounds mit. Sie reichen von 909 über 707 bis hin zur knalligen EDM-Kick. Eigene importieren kann man leider nicht. Wer die Slicing- und Soundmöglichkeiten des Plugins feiert, Rhythmen aber lieber selbst einspielen will, kann auch das tun: Nach dem initialen Slicing liegen alle Schnipsel automatisch ab C1 chromatisch verteilt auf den MIDI-Noten.
Was ist das für 1 Life?
Bei einem Plugin, das sich so sehr auf schnelles, flüssiges Arbeiten und kreatives Austoben fokussiert, fallen Stolperer natürlich noch mehr ins Gewicht. Denn der Import von Samples aus Ordnern von der Festplatte hakt ordentlich. Ziehe ich einen Loop aus der DAW oder einem Ordner ins Plugin und wähle den maximalen Bereich von 15 Sekunden aus, die Life zerschneiden soll, kann ich leider nicht direkt loslegen. Das Plugin meldet:„Uploading“.
Jedes externe Sample, auch eines direkt aus einem Ordner von der Festplatte, lädt Life in die Cloud. Ohne Internetverbindung und ohne Cloud-Upload blockiert das VST bei neuen Samples seinen Dienst. Und anders, als man erwarten würde, hat das Sample nach dem Hineinziehen dann nicht etwa das vorherige ersetzt. Man muss es erst noch im Browser laden. Das geht besser.
Hier wäre eine lokal laufende Version wirklich wünschenswert, auch wenn eine konstante Internetverbindung heute fast selbstverständlich ist. Außerdem gibt es in der mobilen App keine Option, den Upload der Aufnahme zu pausieren, bis man im heimischen WLAN-Netz ist – für Menschen mit geringem mobilen Datenvolumen nicht unerheblich.
Fazit
Der Kreativ- und Spaßfaktor von XLN Audio Life ist enorm. Selten habe ich bei einem neuen Plugin so schnell so viele Sounds und so viel Grooves gebaut. Und der Workflow hat zum größten Teil einfach mal funktioniert – ein Genuss! Für alle mit vollen Sample-Festplatten ohne dauerhaften Internetzugang ist das Tool aber (noch) nicht wirklich nutzbar. Da geht noch was!
- Kreativer und schneller Sampling-Workflow
- Sehr einfaches und direktes Aufnehmen und Importieren über die mobilen Apps
- Komplexe Rhythmen im Sequencer ohne viele Einstellungen möglich
- Kick Sampler integriert
- MIDI-Export und Export aller Slices separat möglich
- Lokale Samples können nur mit Upload in die Cloud genutzt werden
- Mobile App erlaubt kein späteres Hochladen