PRAXIS
Mein Testgerät orchestriert nach dem Anschalten die tontechnische Arbeit mit einem leisen Brummen des eingebauten Netzteils. Nicht, dass es laut wäre, aber in ruhiger Umgebung kann man es wahrnehmen. Ich habe alles eingehend überprüft – in wirklich keinem Audiosignal taucht das Geräusch auf, also alles halb so wild. Ich bewaffne mich mit einem XLR-Kabel und die Sängerin mit einem Großmembran-Kondensatormikrofon, welches natürlich nichts tut außer Faulenzen, so lange es keine Phantomspeisung erhält. Angenehm ist die Lage der XLR-Inputs, die 48 Volt zuschalten ist hingegen nicht ganz so einfach. Die Schieberegler sind sehr versteckt und eher etwas für robuste Fingernägel oder Kugelschreiberminen. Immerhin geht die Gefahr eines versehentlichen Ausschaltens beim blinden Herumfingern an der Pultrückseite nicht nur gegen Null, sie ist Null.
Mikrofonaufnahmen mit dem uralten ProMix 01 waren nicht gerade prickelnd – ach, was sollen die Beschönigungen: Mir läuft jetzt noch ein kalter Schauer über den Rücken. Aber der Digital-Methusalem ProMix ist Geschichte, und das ist auch richtig so. Die Qualität hat mit den stetigen Re-Issues in Yamahas Einstiegsklasse ständig zugenommen. Das merkt man dem 01V96 mit dem i-Tüpfelchen auch an: Die Mikrofonvorverstärker sind erstaunlich gut und klar, was sich dank ISR auch direkt hinter dem Gain überprüfen lässt. Hier hat man aus den großen Pulten gelernt, wie mir scheint. Das Signal ist schnell, klar und dynamisch. Hätte bei mir der Gedanke an eine Klassik-Aufnahme mit einem ProMix alleine wegen der Pres meine Haut eine grünlich-weiße Farbe annehmen lassen, könnte ich mir das heute durchaus vorstellen! Aber hört selbst, hier habe ich ein Beispiel mit Vocals:
Da klingelt es aber mächtig auf dem Punktekonto des Mischpults! Und wo wir gerade bei klanglichen Aspekten sind: Bezüglich der Qualität von A/D- und D/A-Wandlern ist in den letzten Jahren noch einmal gehörig etwas passiert, das Yamaha 01V96i ist ein guter Beweis dafür. Auch das Mixing kann voll überzeugen, es lassen sich Fahrten und Stereopositionierungen einstellen, bei denen man keine “Angst” haben muss. Besonders bei doppelter Samplingrate sollte einem auch eine stereophone Mikroaufnahme keine Bauchschmerzen bereiten, denn große Delays zwischen benachbarten Kanälen konnte ich keine ausmachen – auch das war in der Kreidezeit der Digitalpulte mal anders.
Der Klang der EQs und Dynamics des 01-Urahns hat bei vielen Usern eine fürchterliche Mischung aus Übergeben und Lachkrampf verursacht. Damit ist es allerdings schon lange vorbei, auch die Channel-Effekte des 96i scheinen “Benutze uns!” zu rufen. Tut man dies, kann man sich über äußerst sauber arbeitende, flexible Equalizer freuen, Gate und Expander mit allen notwendigen Parametern präzise einstellen und es mit dem Kompressor ordentlich knallen lassen. Im negativen Sinne “digital” klingt das nicht, well done!
Wirklich praktisch ist die Arbeit mit diesen ganzen Parametern allerdings nicht. Die Kanalzüge verfügen schließlich nicht über eigene Bedienelemente, sondern nur über einen Select-Taster. Als EQ-Bedienelemente müssen dann die drei kleinen Endlosdrehgeber für f, Gain und Q rechts neben dem Display herhalten, die vier Bänder werden dabei mit Tastern ausgewählt. Das ist gerade noch vertretbar, man kann sich daran gewöhnen. Will man in die Dynamik eingreifen, wird es unlustig: Über Display Access (meinetwegen auch über einen der belegbaren Buttons) muss die Dynamikseite aufgerufen sein, dazu natürlich der entsprechende Kanal selektiert werden. Dann mit den Navigationstasten und dem großen Wahlrad in den Parametern herumstochern zu müssen, ist für den Benutzer zwar verständlich, aber ungefähr so ergonomisch wie mein erstes Bosch-Handy. Ich kenne die Problematik aus Live-Situationen, bei denen man bemerkt, dass in diesem leise gespielten Part der Threshold der Tom-Gates nach unten gestellt werden muss, weil ohne die verschluckten Schläge der Groove vollkommen auseinanderbricht. Bis man das erledigt hat, hat sich der Bassist schon verspielt – und zwar sogar so, dass das Publikum es mitbekommt, nicht wie sonst immer.
Nächstes Topic. Nun, wie fasse ich dieses heiße Eisen an? Ach, ab durch die Mitte, ganz schnörkellos: Das Yamaha 01V96i hat meiner Meinung nach einen klaren Defizitbereich, und zwar die Ausstattung mit (Bedien-)Hardware. Ich bezweifle nicht, dass man mit diesem Pult schnell und sicher arbeiten könnte (das habe ich mit unterschiedlichen Vorgängern lange genug selbst getan), sondern weiß natürlich, dass die Wahrnehmung einer Bedienergonomie immer auch etwas Individuelles ist. Dennoch überwiegen meist die Vorteile moderner Bedienkonzepte gegenüber den Nachteilen, wenn man beispielsweise an Touch-Fader, eine höhere Anzahl “anfassbarer” Regler, ein höher aufgelöstes Farbdisplay und dergleichen denkt. Dass im 96i beispielsweise USB umfangreich eingebunden wurde, ist wirklich vorteilhaft, doch finde ich die “mitgelieferte” Anzahl analoger Ausgänge – man möge mir die Wortwahl nachsehen – etwas kümmerlich. Werden keine Zusatzkarten angeschafft, kann dieses Mischpult weder live noch im Studio daher zufriedenstellend die Aufgabe ausfüllen, das Zentrum des Signalflusses zu sein. Mit dem Einbau einer der vielen YGDAI-Karten hat sich dieses Problem schnell erledigt, allerdings sollte man dann den resultierenden Gesamtpreis im Auge haben.
Mich beschleicht bei einem Pult wie dem 01V96i etwas der Verdacht, dass man hier versucht, ein durchaus stimmiges und erfolgreiches Konzept laufend mit zu geringem Aufwand an die Erfordernisse des Marktes anzupassen. Nun ist der Markt für digitales Audioequipment geringe Produktzyklen gewohnt und immer noch ein Becken voller umtriebiger Innovateure – zum Glück! Einem Produkt immer ein paar notwendige Neuerungen mitzugeben (ihm einige aber zu verweigern), das Produktkürzel von 01 über 01V bis hin zu 01V96i immer ein Stück zu erweitern oder zu variieren, das kommt langfristig beim Kunden wahrscheinlich nicht so gut an. Yamaha ist ein riesiger Konzern mit ebenso riesigen Kapazitäten und Kompetenzen, welcher die Möglichkeit hätte, in zwei Jahren ein komplett neu designtes Digitalpult auf den Markt zu werfen, das uns allen die Schuhe auszieht. Insgeheim hoffe ich, dass so etwas im Hintergrund in Planung ist und nicht 2014 ein “01V96tb-x” als die neueste Revolution angekündigt wird, weil es mit Thunderbolt ausgestattet ist.
Deutlich zeitgemäßer ist die Einbindung der Softwaremöglichkeiten. Der Editor beispielsweise ist wirklich stimmig programmiert. Dass die Cubase-Version sich hervorragend mit dem Pult versteht, muss ich wahrscheinlich eigentlich gar nicht zu Papier bringen, will es aber dennoch nicht unerwähnt lassen.
Was in mir zurückbleibt, ist das Bild eines Geräts, welches im Laufe der verschiedenen Versionen enorme Fortschritte aufzuweisen hat und in manchen Bereichen (Audio-Anbindungsmöglichkeiten beispielsweise) absolut die Nase vorn hat, bei dem mir zur Glückseligkeit allerdings noch ein paar Dinge fehlen. Doch es ist nicht nur “durchaus möglich”, sondern ich weiß es, dass meine Kritikpunkte manchen Usern auch herzlich egal sind und sie sich über die Neuerungen des “i” freuen, gleichzeitig aber glücklich sind, ihren zum Teil fünfzehn Jahre alten Workflow bei jedem neuen Yamaha-Digitalpult immer nur anpassen, nie aber grundlegend verändern müssen. Und wirklich: Das sind Totschlagargumente pro 01V96i.